|1|1 Identifikation und Commitment in Organisationen
Leitfragen
Identifikation und Commitment: Was ist das?
Was unterscheidet Identifikation von Commitment?
Welche positiven Auswirkungen haben Identifikation und Commitment für die Mitarbeiter?
Welchen Nutzen bringen Commitment und Identifikation der Organisation?
1.1 Einführung und Begriffe
Identifikation mit Organisationen spielt in unserem Leben eine große, vielleicht die entscheidende Rolle. Menschen sind während ihres ganzen Lebens Angehörige von Organisationen. Sie werden (in der Regel) in der Organisation Krankenhaus geboren, durchlaufen mit Kindergarten und Schule weitere Organisationen und gehören später – manchmal nach Durchlaufen anderer Organisationen wie der Universität – in den meisten Fällen für lange Zeit einer Organisation an, in der sie ihren Lebenserwerb sichern und andere Bedürfnisse befriedigen können. Dieses Buch behandelt die Frage, wie sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrer Organisation identifizieren, welche Bedingungen zu stärker oder schwächer ausgeprägter Identifikation führen und welche Auswirkungen eine niedrige oder hohe Identifikation für Individuum, Team und die Organisation haben kann. Anhand der Beispiele Unternehmensfusionen und Corporate Identity wird das Buch aufzeigen, wie Identifikation verändert und gemanagt werden kann.
Die Frage, wie sich Identifikation im beruflichen Kontext auswirkt, wird dabei schon seit Langem erforscht und diskutiert (Brown, 1969; Lee, 1969, 1971; Hall & Schneider, 1972; Rotondi, 1975). Betrachtet man allerdings die Details dieser frühen Forschung, fällt auf, dass das Identifikationskonzept theoretisch nicht gut eingebettet ist. Vor allem aber sind die Operationalisierungen unzureichend ausgearbeitet und beziehen sich zum Teil eher auf die Erfassung von Kündigungsabsichten, Engagement bei der Arbeit oder wahrgenommener Unterstützung durch die Organisation. Aus diesem Grund erscheint die Einbettung des Identifikationskonzeptes in ein umfassendes Theoriengebäude, bestehend aus der Theorie der Sozialen Identität und der Selbstkategorisierungstheorie, fruchtbar zum Verständnis und zur Analyse organisationaler Identifikation. Es wird dargestellt, |2|wie mithilfe sozialpsychologischer Ansätze Identifikation theoretisch erklärt und empirisch bzw. praktisch untersucht und gemanagt werden kann. Dabei wird insbesondere gezeigt, welche Facetten Identifikation aufweist und dass Identifikation nicht starr und unveränderlich ist, sondern von Gruppe zu Gruppe variiert und vor allem durch den Kontext verändert werden kann.
Bei der Darstellung wird auf ein verwandtes Konzept der Organisationspsychologie – das Commitment – rekurriert. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Konzepte Commitment und Identifikation werden diskutiert.
1.2 Definitionen
Hier soll zunächst der Versuch unternommen werden, die verschiedenen Konzepte zu definieren. Dabei wird zuerst der Begriff der organisationalen Identifikation erläutert:
Organisationale Identifikation bezeichnet das Gefühl des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin, dass seine/ihre Persönlichkeit mit der Persönlichkeit der Organisation verschmilzt und man sich zu einem großen Teil über die Mitgliedschaft in der Organisation definiert.
Nach Ashforth und Mael (1989) hilft die organisationale Identifikation die Frage nach dem „Wer bin ich?“ zu beantworten. Dies bedeutet, dass die Mitarbeiter wissen, dass sie Mitglieder einer bestimmten Organisation sind, dass sie aber mit diesem Wissen auch Gefühle (z. B. Freude oder Stolz) verbinden und sich entsprechend verhalten (z. B. die Organisation nach außen verteidigen). Nach den sozialpsychologischen Theorien der Sozialen Identität und der Selbstkategorisierung (vgl. Kapitel 2) kann sich Identifikation auf verschiedene Ziele beziehen (z. B. die Karriere, die Arbeitsgruppe, das Unternehmen) und besteht aus verschiedenen Dimensionen (kognitiven, affektiven, evaluativen und verhaltensbezogenen). Beide Aspekte – Ziele und Dimensionen – werden im Folgenden ausführlich dargestellt. Nach Mael und Ashforth (1992, vgl. auch van Knippenberg & van Schie, 2000; van Knippenberg, 2000) ist Identifikation die Grundlage für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich auf die Arbeit beziehen. Je mehr die Person sich mit der Organisation identifiziert, desto eher wird sie in ihrem Denken und Handeln die Perspektive der Organisation einnehmen und zu deren Vorteil agieren (Haslam, 2004).
Das Konzept der Identifikation mit Organisationen wurde in den letzten Jahren noch durch weitere Aspekte, die eher problematische Gefühle gegenüber der Organisation beschreiben, ergänzt. Kreiner und Ashforth (2004) haben in ihrem „expanded model“ Skalen vorgestellt, mit denen man Disidentifi|3|kation, ambivalente sowie neutrale Identifikation messen kann. Bei der Disidentifikation grenzt sich der Mitarbeiter bewusst von bestimmten Aspekten seiner Organisation ab (ein Beispielitem – also eine Aussage, die man in einer Umfrage verwendet – ist „Mein Unternehmen macht beschämende Dinge“). Ein Mitarbeiter, der starke ambivalente Identifikation erlebt, hat gemischte und widersprüchliche Gefühle gegenüber seiner Mitgliedschaft in der Organisation, und neutrale Identifikation drückt aus, dass man wenig für die Organisation empfindet und die Mitgliedschaft einem gleichgültig ist. Kreiner und Ashforth (2004) selbst konnten zeigen, dass die drei problematischen Aspekte zwar wie erwartet negativ mit der „klassischen“ Identifikation korrelieren (also statistisch zusammenhängen), die Zusammenhänge aber nicht so stark sind, dass es sich einfach um die andere Seite der Medaille handelt, sondern alle vier Konzepte eigenständige Anteile haben. Das erweiterte Modell ist bislang wenig in der Forschung beachtet worden, aber Schuh, van Quaquebeke, Göritz, Xin, De Cremer und van Dick (2016) konnten zum Beispiel in mehreren Studien zeigen, dass die ambivalente Identifikation von Mitarbeitern die Zusammenhänge zwischen Identifikation und organisationsrelevanten Kriterien moderiert: Hohe Identifikation sagt besonders dann die Bereitschaft der Mitarbeiter sich zu engagieren vorher, wenn sie nicht gleichzeitig von ambivalenter Identifikation begleitet ist (siehe auch Ashforth, Rogers, Pratt & Pradies, 2014).
In der organisationspsychologischen Literatur werden zwei weitere Konzepte unterschieden, die mit Identifikation assoziiert sind, nämlich Involvement und Commitment. Auf die Abgrenzung zum Involvement werde ich später noch eingehen, zunächst wollen wir uns das Konstrukt des Commitment näher ansehen.
Organisationales Commitment oder synonym Organisationsbindung beschreibt, inwieweit sich Menschen ihrer Organisation oder Teilen der Organisation (z. B. der Abteilung oder Arbeitsgruppe) zugehörig und verbunden fühlen.
Organisationales Commitment unterscheidet sich in dieser vereinfachten Definition scheinbar kaum von der oben angeführten organisationalen Identifikation. Zum einen ist dies in einem unterschiedlichen Sprachgebrauch zwischen Sozialpsychologie und Organisationspsychologie begründet, zum anderen lassen sich die Begriffe dort trennen, wo die Komponenten normatives und fortsetzungsbezogenes Commitment eingeführt werden (siehe den folgenden Abschnitt) und das organisationale Commitment dadurch um Facetten ergänzen, die im Begriff der Identifikation nicht enthalten sind. Beide Begriffe überschneiden sich also in Teilen (nämlich in der affektiven Komponente), sie sind aber auch voneinander abgrenzbar. Dies wird im Abschnitt „Identifikation und Commitment: Unterscheidungsmerkmale“ differenzierter ausgeführt.
|4|Der Begriff der Organisationsbindung lässt sich nach dem zurzeit wohl prominentesten Konzept von Allen und Meyer (1990; Meyer & Allen, 1997) in drei Komponenten unterteilen (siehe auch die sehr gute Übersicht von Felfe, 2008, und den deutschsprachigen Fragebogen von Felfe & Franke, 2012). Die Begriffe werden im folgenden Kasten definiert und erläutert.
Drei Komponenten der Organisationsbindung