1. Brief
Eine Theologie des Priesteramtes für das Gemeinwohl der Kirche
Liebe Freunde des katholischen Glaubens,
ich hoffe, dass möglichst viele Katholiken sich interessieren für diese Überlegungen zum Priestertum. Ich gebe aber nicht meine subjektiven Meinungen zum Besten, auf die keiner, der zum priesterlichen Dienst berufen ist, sein Leben aufbauen könnte. Uns trägt allein Gott, auf dessen Wort wir hören.
Die Quellen, aus der unser Glaube entspringt
In der Theologie geht es nicht um die vielen Ansichten und unterschiedlichen Meinungen über Gott, sondern um die eine Selbst-Offenbarung Gottes in Jesus Christus, seinem Wort, das Fleisch geworden ist ( Joh 1,14). Es versteht sich von selbst, dass die Heilige Schrift für die Theologie des Priestertums nicht nur eine historische Bedeutung hat. Sie stellt vielmehr die unerschöpfliche Quelle dar, aus der das Wort Gottes wie ein lebendiger Strom hervor fließt und den Ackerboden Seiner Kirche fruchtbar macht. Die Apostolische Tradition, die unlösbar mit der Heiligen Schrift verbunden ist, „gibt das Wort Gottes, das von Christus dem Herrn und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger weiter, damit sie es unter der erleuchtenden Führung des Geistes der Wahrheit in ihrer Verkündigung treu bewahren, erklären und ausbreiten“ (DV 9).
Die Entscheidungen der Konzilien und Päpste zu den Fragen von Lehre und Leben der Priester sind uns nicht eine von außen auferlegte Norm. Wir Katholiken verstehen das Lehramt des Papstes und der Bischöfe in Gemeinschaft mit ihm als eine Autorität, die wesentlich zur Weitergabe der Offenbarung gehört. Das kirchliche Lehramt ist vom erhöhten Herrn im Heiligen Geist mit der Gabe der Unfehlbarkeit in Fragen des Glaubens- und der Sittenlehre ausgestattet.
Die Apostel und die großen Kirchenlehrer von Anfang an bis in die jüngste Zeit sind das Vorbild für jede geistlich fruchtbare Theologie und Pastoral.
Quellen nie versiegender theologischer und geistlicher Inspiration sind der Kirche geschenkt in unsterblichen Werken der Kirchenväter zum Hirtenamt der Priester. Am Anfang stehen die drei Pastoralbriefe des hl. Paulus an Timotheus und Titus, die prototypisch Dienst und Leben der Bischöfe und Priester darstellen und beschreiben. Nicht weniger wegweisend ist die Abschiedsrede, die Paulus an die Priester der Kirche von Ephesus richtete, die in Milet versammelt waren (vgl. Apg 20,17–38).Von den klassischen Schriften zum Priestertum erwähne ich jetzt nur die II. Theologische Rede des hl. Gregor von Nazianz, die er im Jahre 362 verfasste anlässlich seiner versuchten Flucht vor der Übernahme des Priesteramtes. Dem zur Seite stehen die berühmten sechs Bücher des hl. Johannes Chrysostomos „Über das Priestertum“, die er um 385 n. Chr. schrieb. Daran habe ich mich immer wieder orientiert. Diese Schrift ist auch ein wenig Ansporn gewesen, diese Briefe zu verfassen. Das ist große geistliche Lektüre, die die Seminaristen bei der Vorbereitung auf ihren heiligen Beruf und die Priester bei ihren geistlichen Exerzitien regelmäßig begleiten sollte.
Einzuführen in die Frömmigkeit und Andacht der Zelebration des Messopfers vermag uns Priester, Ordensleute und Laien der hl. Cyrill mit seiner „V. Mystagogischen Katechese an die Neugetauften“, die er im Jahre 348 n. Chr. in der Grabeskirche zu Jerusalem gehalten hat. Im Stundengebet der 24. und 25. Woche lesen wir jedes Jahr den berühmten Sermo 46 des hl. Augustinus, De pastoribus. Und wer würde nicht die Regula pastoralis des hl. Gregor des Großen aus dem Jahr 591 n. Chr. schätzen. Im ganzen Mittelalter war sie den Bischöfen und Priestern ein Spiegel ihres Dienstes. Bis heute bietet sie die tiefe Spiritualität eines guten Hirten nach dem Bilde des Hohenpriesters Jesus Christus.1
Einer mag alle diesbezüglichen biblischen Stellen zitieren, die Entfaltung der Amtstheologie bei den Kirchenvätern und der Scholastik studiert haben und wissen, wo er die lehramtlichen Entscheidungen nachzuschlagen hat. Wenn er aber nicht die Stimme Jesu hört, die höchstpersönlich zu ihm und nicht zu irgendeinem seiner Nachbarn sagt: Folge Mir, ich sende Dich!, dann bleibt er ein kaltes Eisen, aus dem nie der Funke des apostolischen Eifers für das Haus Gottes springt. Mögen die Menschen sich wie bei Jesus einst an das Wort der Schrift erinnern, wenn sie uns bei der Arbeit sehen:
Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.
( Joh 2,17)
Der Glaube kommt vom Hören und ist vernünftig
Der selige Kardinal John Henry Newman (1801–1890) hat in die etwas abstrakte Schultheologie seiner Zeit die existentielle Note eingefügt. Sein Wappenspruch lautete: Cor ad cor loquitur. Wir glauben nicht an Lehrsätze über den Glauben, sondern an den lebendigen Gott, der sich uns in seinem Wort (dem Logos Gottes) zu erkennen gibt und uns in Seinem Geist liebt. Das steht nicht im Gegensatz zum Glaubensbekenntnis und seiner intellektuellen Durchdringung in der Theologie. Aber es besteht eine unumkehrbare Reihenfolge vom auditus fidei zum intellectus fidei. Der Glaube kommt vom Hören des Wortes Gottes (Röm 10,17), das wir im Licht des Heiligen Geistes verstehen und im Glauben annehmen (lumen fidei), während die Theologie mit dem Licht der natürlichen Vernunft als Wissenschaft betrieben wird (lumen naturale). Es ist aber die vom Glauben erleuchtete Vernunft (ratio fide illustrata), die die Christen mit einem vernünftigen und keineswegs blinden Glauben begabt und einer gläubigen und nicht rationalistisch beschränkten oder „schwachen Vernunft“ ausstattet (obsequium rationabile).
Dem Haupt der Kirche verpflichtet – Jesus Christus
Seit den 40 Jahren meines geistlichen Dienstes bewegt mich immer noch das Wort des Apostels angesichts der Herrlichkeit Christi, der uns alle in sein eigenes Bild verwandelt (2 Kor 3,18). Paulus sagt von sich selbst und allen anderen Aposteln: „Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst, der uns durch Gottes Erbarmen übertragen wurde. Wir haben uns von aller schimpflichen Arglist losgesagt; wir handeln nicht hinterhältig und verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern lehren offen die Wahrheit. So empfehlen wir uns jedem menschlichen Gewissen vor dem Angesicht Gottes“ (2 Kor 4,1f.).
Auf die Frage, ob ich nach einigen, auch enttäuschenden Erfahrungen heute noch einmal an den Weihealtar treten würde, sage ich mit Gottes Hilfe und dem hl. Paulus als Vorbild und Zeugen: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe. Und ich bin überzeugt, dass er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag zu bewahren“ (2 Tim 1,12).
Die menschlichen Grenzen seiner Vorgesetzten auszuhalten ist oft eine harte Prüfung des Glaubens. Das geht umgekehrt den andern im Blick auf uns selbst genauso. Aber im Zentrum meines Credo steht Christus, der sich die Kirche als seine „heilige Braut“ (Eph 5,25) erworben hat. In Gewissenserforschung und Gebet kommt keiner vom Kaplan bis zum Kardinal an der täglichen Bitte vorbei: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (Lk 11,4).
Wir müssen uns zuletzt nicht vor Menschen, sondern vor Gott allein verantworten. Die „Vorsteher der Kirche, die (als Hirten) über die Gläubigen wachen“ (Hebr 13,17), müssen einst „Rechenschaft ablegen über ihre Verkündigung des Wortes Gottes, über ihren Glauben und das Vorbild, das sie den Gläubigen geben sollten oder schuldig blieben“ (vgl. Hebr 13,7.17.24). Mit „Furcht und Zittern um mein Heil“ (Phil 2,12) gebe ich aber bei der Verlesung des gewiss langen Registers meiner Versäumnisse die Hoffnung nicht auf, am Ende doch das unverdiente Urteil zu hören: „Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen: Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!“ (Mt 25,23).
In dieser Stunde der Welt- und Kirchengeschichte suchen die meisten Priester aber nicht zuerst eine theologische Belehrung über Ursprung und Wesen, Aufgaben und Funktionen des Priestertums. Was sie schmerzlich vermissen, ist eine geistliche Ermutigung inmitten aller Belastungen der alltäglichen Hirtensorge in unüberschaubaren Seelsorgeräumen und noch mehr der globalen Bestreitung der Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen und ihrer zu seinem Heil zu bedürfen. Kein anderer als der Herr selbst richtet uns auf: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt überwunden“ ( Joh 16,33).
Es ist deshalb keine vergeudete Zeit, wenn wir uns – wie der heilige Lukas in seinem Doppelwerk von Evangelium und Apostelgeschichte – mit größter „Sorgfalt“ (Lk 1,3) der Grundlagen unseres Glaubens an Jesus den Christus vergewissern. Dies gilt analog auch für unsere Berufung, Sendung und Bevollmächtigung zum Heilsdienst, den wir geweihte Priester in der Person Christi, des Hauptes der Kirche, ausüben. Denn in seinem Namen sollen Bischöfe und Priester die Gläubigen mit Gottes Wort belehren und sie durch die Gnade seiner Sakramente heiligen. Jemanden zu „heiligen“ bedeutet nicht – gemäß der billigen Karikatur von Frömmigkeit – ihn mit religiöser Sentimentalität seiner Umwelt und seinem Beruf zu entfremden. Die Gläubigen werden geheilt und geheiligt durch wahre Gotteserkenntnis und Gottesliebe, die die Nächstenliebe und die Weltverantwortung mit einschließen, um „in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott für uns im Voraus bereitet hat“ (Eph 2,10). Als gute Hirten führen sie das Volk Gottes auf dem Pilgerweg „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes“...