Pferd und Mensch lernen in entspannter Atmosphäre am besten.
Wo bleibt der Spaß?
Es scheint wie eine sich selbst bestätigende Prophezeiung: Reiten und Pferdetraining bedeuten Arbeit. Das entdecken wir schon in vielen der üblichen Begrifflichkeiten, wie etwa Bodenarbeit, Handarbeit, Reitstunde... Die Zeit mit Pferden ist traditionell geprägt von einer ernsthaften Arbeitsatmosphäre; wir haben klare Vorgaben vor Augen, die wir erreichen müssen. Dabei ist Arbeit häufig in unseren Köpfen als vergnügungsfreie Zeit definiert. Arbeit muss in diesem Sinne offensichtlich weder dem Reiter noch dem Pferd Freude bereiten, sie dient rein dem Zweck, die festgelegten Aufgaben zu erfüllen, das Pferd zu gymnastizieren und zu trainieren. Doch muss das wirklich so sein?
Erinnern Sie sich doch einmal an Abschnitte Ihres Lebens, in denen Sie entspannt waren und viele angenehme Erlebnisse hatten, wie beispielsweise an einen schönen Urlaub. Vermutlich werden Sie sich an sehr viele kleine Details erinnern, das glitzernde Meer, die exotischen Gerüche und die ungewöhnlichen Speisen. In der Rückschau erscheinen diese Urlaubstage viel länger; sie sind angefüllt mit so vielen außergewöhnlichen Begebenheiten und scheinbar unbedeutenden Kleinigkeiten, die sich alle fest in unsere Erinnerung eingebrannt haben. Eben weil wir nicht das Gefühl hatten, etwas lernen zu müssen. Das Lernen und damit auch die Erinnerung an kleinste Einzelheiten war sozusagen das Nebenprodukt, es ist einfach nebenbei passiert, ohne dass wir uns dessen bewusst wurden und es von uns selbst gefordert hätten.
Ebenso wie wir ganz natürlich schöne Erlebnisse abspeichern können, können auch Pferde mit viel Freude lernen und dabei glücklich sein. Zu diesem Zweck müssen wir uns von der Vorstellung lösen, den Pferden etwas beibringen zu wollen. Der Wechsel von einer oberlehrerhaften „Lehrposition“ zu einer eher freundschaftlichen „Wohlwollensposition“ bringt auch einen Wechsel der menschlichen Perspektive mit sich. Pferde sind perfekt, so wie sie sind, wir selbst müssen nur lernen uns verständlich zu machen und wahrhaftig miteinander zu kommunizieren. Jede Trainingsmethode basiert auf bestimmten Grundannahmen, auf einem spezifischen Belief-System, auf das sich die Anhänger der Methode geeinigt und verständigt haben. Wir reden nämlich aneinander vorbei, wenn nun der eine Gesprächspartner von der Annahme ausgeht, die Erde sei eine Scheibe, um die sich die Sonne und die Sterne herumbewegen, während der andere in ihr eine Kugel sieht, die um die Sonne kreist. Die dahinter liegende Weltsicht und das Modell von der Realität werden sich grundsätzlich unterscheiden, obschon beide Erklärungsmodelle bis zu einem gewissen Grad sich sogar als alltagstauglich erweisen.
Training funktioniert auch ohne Druck.
Das Belief-System, also der Glaubensgrundsatz der allermeisten Pferdetrainingsformen, stützt sich auf die Annahme, dass wir Menschen dem Pferd etwas beibringen müssen und dass dieses Beibringen etwas mit einer Dominanzbeziehung im Sinne einer Rangordnung zu tun habe. Dabei wird das Pferd durch das gezielte Ausüben von Druck und Nachlassen von Druck zur Reaktion gebracht. Eigeninitiative ist wenig gefragt, das Pferd hat sich den Wünschen des Reiters bedingungslos zu fügen. Fühlen wir als Reiter uns nicht in diesem Belief-System wohl, etwa weil es nicht unsere eigene Vorstellung widerspiegelt und wir uns mit der daraus resultierenden Art der Pferdebehandlung nicht identifizieren mögen, so werden wir auch keine tief empfundene Freude an unserem Hobby Pferd haben.
Im Allgemeinen ist der Reitsport von gelebten Traditionen geprägt, hinzu kommen die Einzelbeobachtungen und Meinungen berühmter Horsemen und -women. Die in diesem Buch vorgestellte Form des Pferdetrainings orientiert sich weniger an Traditionen, dafür umso mehr an wissenschaftlichen Erkenntnissen der Lernpsychologie und an den verhaltensbiologischen Grundlagen. Daher gehe ich im Folgenden von den ethologischen Definitionen und Theorien aus, die ich im Verlauf des Buches erklären werde:
• Pferde lernen ständig und aus jeder Situation.
• Es gibt keine Nicht-Kommunikation.
• Lernen ist ein individueller Prozess, der nichts mit Hierarchien zu tun hat.
• Signale sind keine Befehle.
• Menschen sind nicht grundsätzlich schlauer als Pferde, sondern haben nur eine andere Form der Intelligenz.
• Training funktioniert auch ohne Druck.
Jedes Belief-System wird dabei auch eine ganz eigene Auswirkung auf die Psyche des danach handelnden Menschen haben. Sehen wir unser Pferd etwa als Arbeitstier, wie es beispielsweise in der ursprünglichen Cowboy-Tradition üblich war, so wird es uns aus dieser Position heraus schwerfallen, spielerische Elemente mit einzubringen und nicht den unbedingten Gehorsam in den Vordergrund zu stellen. Eine alternative Vision des Pferdetrainings wäre, sich an dem „Wir“ zu orientieren und eben die freiwilligen Leistungen und die Freude des Pferdes in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit zu stellen. Bei dem „Wir“ begeistern sich Pferd und Mensch an den Situationen des gegenseitigen Verstehens, und die Pferde belohnen uns dann durch ihre erhöhte Aufmerksamkeit und ihre aufgeschlossene Neugier an unserem gemeinsamen Hobby.
Die Rechte des Pferdes
Jeder Reiter und Pferdefreund sollte sich darüber Gedanken machen, was eigentlich die Naturrechte eines Pferdes sind. Schon unser Tierschutzgesetz besagt, dass jedes Pferd ein Recht auf ein artgerechtes, pferdewürdiges Leben hat. Ebenso wie dazu eine möglichst naturnahe Haltung und Fütterung gehört, hat das Pferd meiner Ansicht nach auch ein Anrecht auf eine pferdegerechte und ethisch vertretbare Umgangs- und Trainingsform. Jedes Ausbildungsziel, das ohne den Einsatz von Druckmitteln oder gar körperlicher Gewalt erreicht werden kann, sollte auf eben diesem gewaltfreien Weg erarbeitet werden. Auch psychischer Druck ist dabei eine nicht zu unterschätzende Form von Gewalt. Und Reiterhilfen oder Signale sind eben keine Befehle, sondern Anfragen an das Pferd. Wir führen einen Dialog mit diesem Lebewesen, es sollte in seinem Rahmen die Möglichkeit haben zu Wort zu kommen und ernst genommen werden. Natürlich wird es Situationen geben, in denen wir nicht umhinkommen, das Verhalten des Pferdes konsequent einzuschränken, um niemanden zu gefährden, aber das sollte nicht die Hauptausbildungsmethode sein, wie es so oft gelehrt wird. Daher müssen wir unterscheiden zwischen Trainingssituationen, in denen das Pferd ganz in Ruhe und ohne Angst vor Druck oder Strafen lernen darf, und der nicht kalkulierbaren Ausnahmesituation.
Jedes Pferd hat das Recht auf ein pferdewürdiges Leben, sowohl in der Haltung wie auch im Umgang.
Freizeit: Zeit, um frei zu sein
Es ist schwer, ein Zeichen der Veränderung zu setzen, wenn man sich in einer traditionsgeprägten Gesellschaftsform wie der von Reitern bewegt. Da gibt es ganz klare Vorgaben und Ansichten wie „das haben wir schon immer so gemacht“ oder auch „wenn du dich nicht durchsetzt, dann wird dein Pferd dir nur auf der Nase herumtanzen“. Bricht man auch nur minimal aus diesem Korsett an Vorgaben aus, so wird man schnell ausgegrenzt – im besten Fall einfach gemieden oder belächelt, im ungünstigsten Fall offen angefeindet. Dennoch bleibt einem für das Erreichen des persönlichen Glücks und dem des Pferdes nichts anderes übrig, als sich ganz nah an der eigenen Vision zu orientieren, wie man sich eigentlich ursprünglich das Zusammensein mit den Pferden vorgestellt hat. Möchten wir selbst gern so behandelt werden wie das Pferd in der Reitstunde? Wenn nicht, so stellt sich die Frage, ob wir jemals glücklich mit der praktizierten Vorgehensweise der traditionellen Reitlehren sein werden. Wenn wir uns das menschliche Recht einfach nehmen, unser Leben so zu leben, wie wir...