In diesem Kapitel sollen alle wesentlichen Begriffe, die für die Arbeit notwendig sind und hier verwendet werden, definiert werden. Im Einzelnen geht es um die Begriffe „Kindeswohlgefährdung“ (Kap. 2.1.), „Schnittstellenproblematik zwischen Jugendamt und Schule“ (Kap. 2.2.) und „Allgemeiner Sozialer Dienst“ (Kap. 2.3.). Der Begriff „Allgemeiner Sozialer Dienst“ wird zusätzlich in drei weitere Unterpunkte unterteilt, die den Allgemeinen Sozialen Dienst genauer beschreiben sollen. Diese sind konkret „Entwicklung des Allgemeinen Sozialen Dienstes“ (Kap. 2.3.1.), „Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes“ (Kap. 2.3.2.) und „Der Allgemeine Soziale Dienst im Jugendamt XY“ (Kap. 2.3.3.). Im weiteren Verlauf der Arbeit wird immer wieder auf diese Begriffe zurückgegriffen, weshalb hier eine Erklärung im ersten Kapitel notwendig erscheint.
Den Begriff der „Kindeswohlgefährdung“ hat der Bundesgerichtshof, kurz „BGH“, schon 1956 definiert. Darin heißt es: „Eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“. Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs wird eine Gefährdung des Kindeswohls durch die Auswirkungen bestimmter Tatbestände auf das psychische und oder physische Wohl des Kindes definiert. Diese Tatbestände sind Formen von Kindeswohlgefährdung. Sie werden im weiteren Verlauf der Arbeit genauer in Zusammenhang mit „gewichtigen Anhaltspunkten“ geklärt. Kurz vorab sind dies körperliche Misshandlung, Vernachlässigung, seelische Misshandlung, sexuelle Misshandlung, Gefährdung durch häusliche Gewalt, Gefährdung bei psychisch kranken Eltern und Gefährdung bei Eltern mit Suchtproblemen (vgl. BLJA 2013, S. 3 ff.). Anhand der Definition des Bundesgerichtshofs ergeben sich bestimmte Kriterien für eine Kindeswohlgefährdung. Diese sind eine erhebliche Gefährdungssituation, eine mögliche zukünftige Schädigung und die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts (vgl. ebd., S. 7). Somit werden heute sämtliche Formen von Gefährdungen und Schädigungen an Kindern und Jugendlichen mit dem Begriff „Kindeswohlgefährdung“ zusammengefasst. Der Begriff hat vor allem auch einen präventiven Charakter, was die vorherige Abwendung einer Schädigung des Kindeswohls verdeutlichen soll (vgl. KINDERSCHUTZ-ZENTRUM BERLIN E.V. 2009, S. 28 f.). Die Gefährdung des Kindeswohls ist von Fachkräften des Jugendamtes außerdem zeitlich und sachlich einzuschätzen. Die zeitliche Einschätzung bezieht sich auf eine akute Gefährdung des Kindeswohls, was ein unverzügliches Handeln notwendig macht. Die sachliche Einschätzung der MitarbeiterInnen des Jugendamtes bezieht sich auf Hinweise und Fakten des vorliegenden Falls. Auch wenn die genannten Kriterien vorliegen, muss das zuständige Familiengericht nicht zwingend eingreifen. Ein Eingriff ist nur dann notwendig, wenn die Sorgeberechtigten keine Bereitschaft oder keine Fähigkeit zur Abwehr der Gefährdungssituation einbringen können (vgl. BLJA 2013, S. 7).
Eine weitere, etwas ausführlichere Definition für den Begriff „Kindeswohlgefährdung“ wurde vom Oberlandesgericht in Köln herausgegeben. Darin wird Folgendes beschrieben: „Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt dann vor, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass bei Nichteingreifen das Wohl des Kindes beeinträchtigt wird oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei der weiteren Entwicklung des Kindes eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Dabei entsteht die begründete Besorgnis in aller Regel aus Vorfällen in der Vergangenheit. Aufgrund des gesamten Verhaltens des Sorgeberechtigten muss Anlass zur Besorgnis bestehen. Die zu besorgende erhebliche Schädigung, die mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen sein muss, macht es erforderlich, in dem konkreten Fall das Kindeswohl zu definieren.“ (OLG KÖLN SENAT FÜR FAMILIENSACHEN 2003).
Eine Kindeswohlgefährdung kann demnach dann vorliegen, wenn das Kind in seiner körperlichen, seelischen oder geistigen Entwicklung aktuell gefährdet ist. Zudem wenn Verletzungen und Schädigungen des Kindeswohls in der Gegenwart bereits eingetreten sind und die zu Schäden führenden Einflüsse fortlaufend andauern. Konkret heißt das, dass Grundbedürfnisse des Kindes erheblich vernachlässigt werden. Zu den Grundbedürfnissen von Kindern zählen physiologische Bedürfnisse, Schutzbedürfnisse, das Bedürfnis nach sozialer Bindung, sowie nach seelischer und körperlicher Wertschätzung (vgl. BERLIN SENATSVERWALTUNG FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG 2009, S. 7).
Die Definition des Oberlandesgerichts in Köln gibt zudem vor, dass eine Kindeswohlgefährdung nur im Hinblick auf die gesamte Situation der Familie festgestellt werden kann. So lässt sich eine Gefährdung des Kindeswohls nicht auf einzelne aktive Handlungen oder passive Unterlassungen reduzieren. Die gesamte familiäre Atmosphäre spielt eine Rolle bei der Bewertung einer möglichen Kindeswohlgefährdung. Wichtig ist dabei auch der Blick auf etwaige Schutzfaktoren und Ressourcen der Kinder und deren Familien (vgl. KINDERSCHUTZ-ZENTRUM BERLIN E.V. 2009, S. 30).
Eine sehr anschaulich formulierte Definition hat das Kinderschutz- Zentrum Berlin herausgegeben. Darin heißt es: „Kindeswohlgefährdung ist ein das Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigendes Verhalten oder Handeln bzw. ein Unterlassen einer angemessenen Sorge durch Eltern oder andere Personen in Familien oder Institutionen das zu nicht- zufälligen Verletzungen, zu körperlichen und seelischen Schädigungen und/oder Entwicklungsbeeinträchtigungen eines Kindes führen kann, was die Hilfe und eventuell das Eingreifen von Jugendhilfe- Einrichtungen und Familiengerichten in die Rechte der Inhaber der elterlichen Sorge im Interesse der Sicherung der Bedürfnisse und des Wohls eines Kindes notwendig machen kann.“ (KINDERSCHUTZ- ZENTRUM BERLIN E.V. 2009, S. 32). Diese Definition verdeutlicht nicht nur den Begriff der Kindeswohlgefährdung, sondern zudem die Folgen einer Gefährdung des Kindeswohls für die Inhaber der elterlichen Sorge und die Gründe dafür, nämlich den Schutz der Kinder und Jugendlichen zur Sicherung ihrer Bedürfnisse und ihres Wohls.
Die so genannte „Trias der Kindeswohlgefährdung“, die sich in Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch unterscheidet, wird häufig im sozialwissenschaftlichen Kontext bei Fällen von Gefährdung des Kindeswohls verwendet. Dabei wird eine Gefährdung in eine der drei Kategorien eingeteilt. Unter Vernachlässigung wird eine Gefährdung verstanden, bei der die Erziehungsberechtigten ständig oder wiederholt ihrer Fürsorgepflicht nicht nachkommen und dies zu einer physischen oder psychischen Beeinträchtigung in der Entwicklung des Kindes führt. Die Vernachlässigung wird zudem in körperliche, emotionale und erzieherische Vernachlässigung unterschieden, denn die Form der Fürsorge durch die Eltern ist immer abhängig von Alter und Entwicklungsstand des Kindes. Unter Misshandlung werden nochmals psychische und physische Misshandlungen unterschieden. Psychische Misshandlungen liegen vor, wenn Eltern dem Kind oder Jugendlichen durch ihr Verhalten vermitteln, dass es wertlos, fehlerhaft, ungeliebt, ungewollt, sehr in Gefahr oder nur dazu nütze ist, die Bedürfnisse von anderen zu erfüllen. Unter physischen Misshandlungen wird hier der körperliche Zwang oder die körperliche Gewalt durch Erziehungsberechtigte verstanden, wenn dadurch die Entwicklung des Kindes beeinträchtigt wird. Mit sexuellem Missbrauch sind in diesem Kontext unangemessene Handlungen mit sexuellem Bezug durch Eltern an ihren Kindern und Jugendlichen gemeint. Das vorrangige Ziel der Jugendhilfe ist in diesem Fall die Gewährleistung einer ungestörten und selbstbestimmten Sexualentwicklung (vgl. RECHTSFRAGEN-JUGENDARBEIT.DE o.J., S. 1f.).
Die Kooperation in Fällen einer Kindeswohlgefährdung zwischen Jugendämtern und Schulen kann aus zahlreichen Gründen zu einer Problematik führen. Das Jugendamt ist einerseits durch den §8a SGB VIII als Behörde dazu aufgerufen das Risiko einer Kindeswohlgefährdung einzuschätzen und in Fällen von konkreter Kindeswohlgefährdung fallverantwortlich zu handeln. So haben die kommunalen Jugendämter eine Garantenstellung inne. Zu den Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes bzw. des Jugendamtes gehört zudem die Initiierung, Koordination, Verbesserung und Entwicklung der sozialen Beziehungen nach außen, wie beispielsweise der Schnittstellen zu freien Trägern oder Schulen (vgl. BASSARAK o.J.c, S. 2). Die Schulen sind andererseits dazu befugt, bei einem Erkennen einer möglichen Kindeswohlgefährdung in Eigeninitiative zu handeln und sich, wenn notwendig, mit dem zuständigen Jugendamt in Verbindung zu setzen (vgl. §4 Abs. 1 Nr. 7 u. Abs. 3 KKG). Das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz regelt außerdem die Zusammenarbeit mit Jugendämtern. Darin wird Folgendes beschrieben: „Die Schulen arbeiten in Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Jugendämtern und den Trägern der freien Jugendhilfe sowie anderen Trägern und Einrichtungen der außerschulischen Erziehung und Bildung zusammen. Sie sollen das zuständige Jugendamt unterrichten, wenn Tatsachen bekannt...