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Im Osten Krieg - im Westen "Badebetrieb und Winterschlaf"? Band 2/3

Der Zweite Weltkrieg an der Ost- und der Westfront aus Sicht ehemaliger Wehrmachtsangehöriger

AutorImke Wendt
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl524 Seiten
ISBN9783741286315
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Krieg im Osten - "Badebetrieb und Winterschlaf" im Westen? Die Autorin fragt nach der Wahrnehmung deutscher Soldaten auf zwei unterschiedlichen Kriegsschauplätzen - in Frankreich und in der UdSSR - und wertet dafür 42 von ihr geführte Interviews mit Zeitzeugen unter Hinzuziehung weiterer Quellen aus. Dabei ist die Frage nach dem Leben der Bevölkerung während der deutschen Besatzung aus Sicht von Wehrmachtssoldaten ebenso von großer Bedeutung wie die Analyse ihrer Kriegserlebnisse. Die Erfahrungen deutscher Soldaten werden schließlich daraufhin untersucht, ob sich die damals übliche Vorhaltung der in Russland neidisch auf Frankreich blickenden deutschen Streitkräfte vom "Badebetrieb und Winterschlaf" im Westen gegenüber der im Osten schwer ringenden Wehrmacht so aufrecht erhalten lässt.

Imke Wendt wurde 1963 in Celle geboren und wuchs im Celler Umland auf. Nach der Mittleren Reife, der Höheren Handelsschule und einer Fremdsprachenausbildung arbeitete sie mehrere Jahre in der Exportabteilung eines Celler Unternehmens für Wasseraufbereitung und holte am Abendgymnasium das Abitur nach. Berufsbegleitend absolvierte sie eine Ausbildung zur Kauffrau für Außenwirtschaft und zog nach Hamburg um, wo sie sich nach kurzer Berufstätigkeit an der Universität Hamburg für Geschichte und Romanistik einschrieb. Nach zwei Auslandsjahren in Chile und Frankreich und abgeschlossenem Geschichtsstudium arbeitete sie, mit forschungs- und familiär bedingten Unterbrechungen, von 1997 bis 2011 in der Agentur Sander PR in Hamburg. 2015 promovierte sie in Geschichte mit dem Thema: "Im Osten Krieg - im Westen 'Badebetrieb und Winterschlaf'? Der Zweite Weltkrieg aus Sicht ehemaliger Wehrmachtsangehöriger" an der Universität Hamburg zum Dr. phil. und arbeitet zur Zeit als freie Autorin. Imke Wendt spricht vier Fremdsprachen. Sie lebt mit ihrem Mann Thomas und ihrem Sohn Tom-Niklas in Reinbek.

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Leseprobe

5.1 Der Angriff auf die Sowjetunion und der Vormarsch im Osten 194148 - „Klamotten packen, und nie wieder zurückkommen.“49

Am 22.06.1941 setzten sich mehr als 3.050.000 Mann mit mehr als einer halben Million Pferde, 600.000 Kraftfahrzeugen, 3.500 gepanzerten Fahrzeugen und 7.200 Geschützen aller Kaliber über die Grenze der Sowjetunion hinweg in Bewegung.50

Hinsichtlich der Vorbereitungen auf den 22. Juni 1941 ist die Frage interessant, wann die Wehrmachtsangehörigen vom bevorstehenden Angriff erfuhren, und wie die Soldaten auf den Beginn des Ostfeldzuges reagierten. Was passierte unmittelbar vorher an der polnisch51-sowjetischen Grenze? Gab es Hinweise und Anzeichen für den bevorstehenden Überfall auf die Sowjetunion? Denn anders als vor dem Polen- und dem Frankreichfeldzug, wurden den deutschen Truppen Sinn und Zweck des Aufmarsches vorher nicht bekannt gegeben.52

Einige ehemalige Wehrmachtsangehörige teilten ihre Beobachtungen mit, die sie während der kurzen Besatzungszeit im nun zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilten Polen machten. Dem Informanten Landgraf fielen besonders die Ungerechtigkeiten auf, unter denen die einheimische Bevölkerung zu leiden hatte:

„Da war doch denn 21. ... 22. [Juni 1941]. Da waren wa aber vier oder fünf Wochen, ach, sechs Wochen an... in Polen. Besatzung! … Ja, was passierte da? Dass das Volk sozusagen die Besatzer ernähren musste. Wir waren bespannt, da wurde denen die letzte Garbe Weizen für die Pferde bei uns verfüttert. Das war ja alles eingeteilt hier, Ortschaft oder was. Wir wurden beliefert oder verpflegt. Kaltverpflegung und mittags is die Feldküche an...“

Der Zeitzeuge machte nur einige vage Andeutungen. Genauere Kenntnisse über das von der deutschen Regierung her geplante Schicksal der polnischen Gebiete und ihrer Bevölkerung hatte er nicht. Er berichtete zwar, dass die Feldküche die deutschen Einheiten verpflegte, die Lieferungen an Pferdefutter waren aber wohl nicht ausreichend oder blieben ganz aus, so dass auch hier die polnische Bevölkerung aufgefordert wurde, die bespannten Wehrmachtseinheiten zu versorgen. Beim deutschen Überfall auf Polen am 1.9.1939 war die polnische Bevölkerung, ähnlich wie dies in Abschn. 2. und 2.1, von der französischen Zivilbevölkerung im Sommer 1940 berichtet wird, vor den Wehrmachtstruppen geflohen. Den deutschen Soldaten bot sich das Bild verlassener Dörfer und Höfe.53

Auf die Frage nach dem Umgang zwischen Besatzern und Polen antwortete Landgraf:

„Also, ich kann’s nicht sagen. Ich sage, wenn man objektiv sein soll, also die sind beiseite jegangen, wir sind auch beiseite, und wir haben uns nich angemaßt. Wir hatten ja sonst nicht... wobei ich noch sah... Wo es nach Russland ging, da hat man für jede Kompanie ein Panjefahrzeug von ’n Russen [Polen], mussten sie stellen und mit... Na, auf’m Marsch begleiten. Die Polen waren nich Soldat, aber, woll’n mal sagen, die haben Munition gefahr’n und so was alles. Die Polen mussten! Bei der Jemeinde rausgeholt: ‚Hier, du hast ’n paar richtije Pferde, kleine Wagen so und...’ Da war denn sechs Zentner war das so. Hauptsache für die Infanterie, kurz vorher [war das].“

Polen und seine Bewohner erlitten seit September 1939 ein schlimmes Schicksal, das in der Aussage Landgrafs auch andeutungsweise zum Ausdruck kommt. 50 % des Territoriums östlich des Bug fielen der Sowjetunion zu. Der westliche und nordwestliche Teil der Republik wurde Ende Oktober vom Deutschen Reich annektiert. Der zentrale und südliche Teil wurden zu einem deutschen Generalgouvernement54 erklärt.55 Bereits am 23. September 1939 wurde gemeldet, dass der Feldzug in Polen beendet sei. Anschließend wurde Warschau von der deutschen Luftwaffe angegriffen. Nach deren verheerender Wirkung kapitulierte die polnische Hauptstadt drei Tage später.56 In einer Feststellung des Reichspropagandaministeriums vom 24. Oktober 1939 heißt es: „Das Polentum ist dem Untermenschentum gleich.“57 Derartige Richtlinien kündigten bereits an, dass sich die deutsche Besatzungspolitik in Polen über Bestimmungen des Kriegs- und Völkerrechts hinwegsetzen würde. Deutlich wird aufgrund Landgrafs Aussage, dass die ortsansässige Bevölkerung unter willkürlichen Enteignungen und wirtschaftlichen Ausbeutungen zu leiden hatte. Vor allem die Polen wurden – im Gegensatz zu „deutschstämmigen“58 und „volksdeutschen“59 Bewohnern, sozial und rechtlich diskriminiert. Król fasst in seinem Aufsatz zusammen: „Die Volksdeutschen waren in jeder Hinsicht privilegiert. Die Polen wurden dagegen als größte Bevölkerungsgruppe einheitlich schlecht behandelt.“60 Der Befragte Landgraf berichtete aus eigenem Erleben heraus jedoch auch von rücksichtsvollem Verhalten sowohl polnischer Ziviler als auch deutscher Soldaten. Offiziell wurde jedoch auch hier ein einseitiger, die Polen benachteiligender Maßstab angelegt. Es gab Verfügungen lokaler deutscher Behörden in den eingegliederten Gebieten, wonach die Polen gezwungen wurden, die Deutschen zu grüßen, ihnen den Weg frei zu machen und die Kopfbedeckung vor ihnen zu ziehen.61 Sowohl in den annektierten Gebieten als auch im GG sollten die Polen dieselbe Rolle spielen: den Deutschen untergeordnet und zu Diensten sein.62 Raub und Plünderungen waren an der Tagesordnung, ebenso Beschlagnahmungen polnischen Besitzes.63 Es gab einen „Erlass von Vorschriften über das Verhalten gegenüber Polen, die gesellschaft-liche Kontakte, das Sitzen am selben Tisch und die ohnehin als Rassenschande bezeichneten Intimbeziehungen verboten.“64 Landgrafs Angaben veranschaulichen, dass ihm die Diskriminierung, die den Polen während der deutschen Besatzung wider-fuhr, mehrfach auffiel und – nach der kurzen Zeit in Polen gefragt – als erstes erin-nerlich waren, und auch Mitleid in seinen Aussagen spürbar wird.65 Zur Germanisie-rungspolitik der deutschen Besatzungsbehörden gehörten auch die Beseitigung aller Spuren des Polentums, Veränderungen in der Namensgebung66 sowie die Bekämp-fung der polnischen Kultur, Tradition und Sprache.67 Ressentiments gegen die Bevöl-kerung sind bei dem Befragten Landgraf nicht spürbar, er erinnerte sich an sein eigenes respektvolles Verhalten bei direkten Begegnungen und fühlte anscheinend eher mit den polnischen, später auch mit den russischen Zivilisten und Kriegsge-fangenen.

Zunächst unterschied sich Hitlers Auffassung über die Behandlung Polens erheblich von jener der Heeresführung. Hitler machte deutlich, dass er nicht die Absicht hatte, Polen nach den Regeln der Haager Landkriegsordnung zu behandeln.68 In einem Aufruf des Oberbefehlshabers des Heeres dagegen heißt es: „Die Wehrmacht sieht in der Bevölkerung nicht ihren Feind. Alle völkerrechtlichen Bestimmungen werden geachtet werden.“69 Die deutsche Führung nutzte die polnische Bevölkerung jedoch als Arbeitskräftereservoir, so dass sie den Wehrmachtseinheiten kurz vor bzw. am 22. Juni 1941 mit selbst gestellten Pferden und Wagen zur Verfügung zu stehen hatte. Die Einwohner Restpolens wurden als „nichtdeutsche Hilfskräfte“ mit ganz niedriger Entlohnung eingesetzt.70 Die Art, wie die polnische Zivilbevölkerung von der deutschen Besatzungsmacht behandelt wurde, „erinnerte sehr an koloniale Verhältnisse.“71 Schon nach dem Abbruch der Beziehungen zu Polen im Frühjahr 1939 hatten deutsche Stellen die Unzufriedenheit und Radikalisierung der dort lebenden „volksdeutschen“ Minderheit geschürt.72 Auf polnischer und auf deutscher Seite hatten alte Ressentiments dazu geführt, dass sich über die Zwischenkriegsjahre ein erheblicher Hass anstaute.73 Abgesehen davon tat die NS-Propaganda ein Übriges, die deutsche Bevölkerung von der Notwendigkeit einer Germanisierung des polnischen Nachbarlandes und von der Schaffung neuen Lebensraumes jenseits der deutschen Ostgrenze zu überzeugen.74 Auch die vermeintliche wirtschaftliche Notwendigkeit wurde zum Anlass genommen, die Ausbeutung des Ostens zu legitimieren.75

Dem Zeitzeugen Gottschalk ist vor allem die jüdische Bevölkerung Polens in Erinnerung geblieben. Er beschreibt seine Eindrücke kurz vor dem Angriff auf die Sowjetunion im Frühsommer 1941:

„Also in Hrubieszów, in diesem polnischen Ort - Ausbildung. Von dort aus wurden Gewaltmärsche gemacht, 30 km und so. Und als wir so durch die Dörfer gingen, da konnte man ... Und diese Stadt Hrubieszów war auch, möchte ich sagen, überwiegend Juden auch. Das sah man erstens mal an ihrem Aussehen, und dann war direkt eine... also erstmal Sand, keine Straße richtig, und dann diese polnischen Hütten, und vor den Hütten saßen Juden: lange Bärte, diese Kappen. Und da haben wir immer geguckt. Da habe ich das erste Mal eben andere Juden gesehen. Ich kannte die Juden von meiner Heimat. Das...

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