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E-Book

I'm Your Man. Das Leben des Leonard Cohen

(Erweiterte Ausgabe mit neuem Nachwort)

AutorSylvie Simmons
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl752 Seiten
ISBN9783641081515
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Der Gentleman des Pop: sein Leben - eine Legende.
Er ist der letzte Poet der Popkultur, der Womanzier mit der tiefen Stimme, der melancholische Songwriter, der ganze Generationen beeinflusst hat, rastlose Seele und schillernde Persönlichkeit zugleich.

Die renommierte Musikjournalistin Sylvie Simmons ist der lebenden Legende auf den Grund gegangen. Für ihre einzigartige Biographie über das Leben von Leonard Cohen hat sie mit mehr als 100 von Cohens Wegbegleitern gesprochen - seinen Musen, Musiker-Kollegen wie Nick Cave, seinen Produzenten, seinen engsten Freunden aus Kindertagen - und nicht zuletzt mit dem öffentlichkeitsscheuen Leonard Cohen selbst. Herausgekommen ist eine umfassende, sorgfältig recherchierte Biographie, die faszinierende Details offenbart und eine neue Perspektive auf das Leben einer der ungewöhnlichsten Lichtgestalten der Musikgeschichte wirft.

Erweiterte E-Book-Ausgabe mit neuem Nachwort der Autorin.

Sylvie Simmons ist eine der bekanntesten Musikjournalistinnen Großbritanniens. In den späten 1970er Jahren begab sie sich auf eine musikalische Pilgerreise nach Los Angeles, wo sie als Korrespondentin für britische Musikzeitschriften begann. Ihre Interviews und Artikel erschienen in zahllosen Büchern und Zeitschriften.

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Leseprobe

1. Kapitel

Im Anzug geboren

When I’m with you

I want to be the kind of hero

I wanted to be

when I was seven years old

a perfect man

who kills

»The Reason I Write«, Selected Poems 1956–19681

Der Chauffeur bog an der Synagoge, die beinahe den ganzen Block einnahm, von der Hauptstraße ab, fuhr an der St. Matthias Church an der anderen Straßenecke vorbei und den Berg hinauf. Auf dem Rücksitz des Wagens saß eine Frau – siebenundzwanzig Jahre alt, attraktiv, markante Gesichtszüge, elegant gekleidet – mit ihrem neugeborenen Sohn. Die Straßen, durch die sie kamen, waren schön angelegt, sehr gepflegt und unaufdringlich von Bäumen gesäumt. Große Häuser aus Stein und Klinker, die aussahen, als ob sie unter dem Gewicht der eigenen Bedeutsamkeit zusammenbrechen wollten, schienen sich mühelos den Hang hinaufzuschlängeln. Etwa auf halber Höhe bog der Fahrer in eine Seitenstraße und hielt an ihrem Ende, Belmont Avenue 599, vor einem Haus. Es war ein großes, solides und streng wirkendes Gebäude im englischen Stil, dessen schwarze Backsteinfront von einer weiß gestrichenen Veranda aufgelockert wurde. Das Grundstück grenzte rückwärtig an den Murray Hill Park, ein über fünfeinhalb Hektar großes Gelände mit Rasenflächen, Bäumen und Blumenbeeten, das auf der einen Seite einen großzügigen Blick über den Sankt-Lorenz-Strom gewährte, und von dem aus man auf der anderen die Innenstadt von Montreal sah. Der Chauffeur stieg aus dem Wagen, öffnete die Tür des Fonds, und Leonard wurde die weißen Stufen der Vordertreppe hinauf ins Haus seiner Familie getragen.

Leonard Norman Cohen wurde am 21. September 1934 im Royal Victoria Hospital geboren, einem grauen Steinungeheuer in Westmount, einem wohlhabenden Stadtteil von Montreal. Die Geburtsurkunde datiert dieses Ereignis auf 6:45 Uhr an einem Freitagmorgen, aus geschichtlicher Sicht betrachtet fand es zwischen der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg statt. Rechnet man einmal zurück, dann liegt Leonards Zeugung zwischen dem Ende des jüdischen Lichterfests Hanukka und Weihnachten, mitten in einem der fast arktischen Winter, die seine Heimatstadt mit harscher Regelmäßigkeit heimsuchen. Er wuchs in einem Haus heran, das von Anzügen geprägt war.

Nathan Cohen, Leonards Vater, war ein wohlhabender kanadischer Jude, der eine noble Bekleidungsfirma betrieb. Die Freedman Company war bekannt für ihre Abendgarderobe, und Nathan kleidete sich gern formell, selbst zu informellen Anlässen. Bei Anzügen bevorzugte er ebenso wie bei Häusern den englischen Stil, ergänzt um Gamaschen und eine Blume im Knopfloch sowie einen silbernen Gehstock, als seine schlechte Gesundheit es erforderte. Leonards Mutter Masha Cohen, sechzehn Jahre jünger als ihr Ehemann und erst kürzlich nach Kanada emigriert, stammte aus Russland und war die Tochter eines Rabbis. Sie hatte Nathan kurz nach ihrer Ankunft in Montreal 1927 geheiratet. Zwei Jahre später gebar sie das erste ihrer beiden Kinder, Leonards Schwester Esther.

Frühe Fotografien der Eheleute Cohen zeigen Nathan als einen untersetzten Mann mit eckigem Gesicht und eckigen Schultern. Masha, schlanker und einen Kopf größer, war im Gegensatz dazu ein Spiel weicher, geschwungener Linien. Auf den Bildern ist ihr Gesichtsausdruck mädchenhaft und gleichzeitig königlich, während Nathan versteinert und schweigsam wirkt. Auch wenn es sich natürlich um die damals übliche Pose handelte, die man als Hausherr vor der Kamera einnahm, so war Nathan sicherlich auch sonst wesentlich reservierter und mehr der steifen englischen Art verhaftet als seine warmherzige, gefühlvolle, russische Ehefrau. Als Baby glich Leonard noch sehr seinem Vater mit seinem plumpen Körperbau und dem kompakten, eckigen Gesicht, aber als er größer wurde, schlug er immer mehr nach seiner Mutter Masha mit ihrem herzförmigen Gesicht, dem dichten, gewellten Haar und den tiefen, dunklen Augen, deren äußere Winkel sich leicht nach unten neigten. Von seinem Vater erbte er die Körpergröße, die Ordentlichkeit, den Anstand und die Vorliebe für Anzüge, und von seiner Mutter das Charisma, die Melancholie und die Liebe zur Musik. Masha sang immer, wenn sie durchs Haus ging, mehr auf Russisch und Jiddisch als auf Englisch, und oft die sentimentalen Volkslieder, die sie in ihrer Kindheit gelernt hatte. Mit ihrer guten Altstimme sang sich Masha zum Klang imaginärer Geigen von einer fröhlichen in eine schwermütige Stimmung und wieder zurück. Leonard zufolge war seine Mutter »wie aus einem Stück von Tschechow«,2 und er erklärte: »Sie lachte und weinte aus tiefstem Herzen«; ihre Gefühle wechselten von einem Augenblick zum anderen.3 Masha Cohen war kein nostalgischer Mensch, sie sprach nicht oft über das Land, das sie verlassen hatte. Aber sie trug ihre Vergangenheit in ihren Liedern mit sich.

Bei den Bürgern von Westmount handelte es sich um gut situierte, protestantische Anglokanadier der oberen Mittelklasse und kanadische Juden der zweiten oder dritten Generation. In einer Stadt, in der Teilung und Trennung stets eine große Rolle spielten, waren Juden und Protestanten schlicht deswegen in derselben Gegend gelandet, weil sie weder französischstämmig noch katholisch waren. Vor der »Stillen Revolution« von Quebec in den 1960er Jahren und bevor Französisch die einzige offizielle Amtssprache der Provinz wurde, waren Franzosen in Westmount nur als Dienstboten anzutreffen. Das Hausmädchen der Cohens, Mary, war allerdings eine irischstämmige Katholikin. Die Familie beschäftigte auch eine Kinderfrau, die Leonard und seine Schwester »Nursie« nannten, und einen Gärtner namens Kerry, einen Schwarzen, der auch als Chauffeur einsprang. (Kerrys Bruder übernahm die gleichen Pflichten bei Nathans jüngerem Bruder Horace.) Es ist kein Geheimnis, dass Leonard in einem privilegierten Umfeld aufwuchs. Er hat nie geleugnet, dass er aus dem »richtigen« Viertel stammte, und sich nie von seiner Herkunft distanziert, von seiner Familie abgewandt, seinen Namen geändert oder so getan, als wäre er jemand anders. Seine Familie war gut betucht, auch wenn es in Westmount sicherlich noch Reichere gab. Im Gegensatz zu den Villen von Upper Belmont handelte es sich beim Haus der Cohens, obwohl es groß war, letztlich um eine Doppelhaushälfte, und sie hatten zwar einen Chauffeur, fuhren aber statt eines Cadillacs einen Pontiac.

Aber in einer Hinsicht kamen nur wenige andere an die Cohens heran: Sie genossen einen ganz besonderen Status. Leonard war in eine angesehene und bedeutsame Familie hineingeboren worden – in eine der ersten jüdischen Familien Montreals. Leonards Vorväter hatten in Kanada Synagogen erbaut und Zeitungen ins Leben gerufen. Sie hatten eine Vielzahl von Wohltätigkeitsorganisationen und Verbänden gegründet und geleitet. Leonards Urgroßvater Lazarus Cohen war als Erster nach Kanada eingewandert. Er hatte in Litauen, das in den 1840er Jahren, als er geboren wurde, zu Russland gehörte, in Waukawysk in einer Rabbischule, einer der strengsten Jeschiwas des ganzen Landes, als Lehrer gearbeitet. Er war noch keine dreißig, als er seine Frau und ihren kleinen Sohn allein zurückließ, um sein Glück zu machen. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Schottland nahm er ein Schiff nach Kanada und blieb in einem kleinen Ort in Ontario hängen, Maberly, wo er zunächst als Arbeiter in einem Holzlager Beschäftigung fand und schließlich zum Besitzer einer Kohlenhandlung aufstieg, L. Cohen & Son. Bei besagtem Sohn handelte es sich um Lyon, Nathans Vater; Lazarus hatte seine Familie zwei Jahre nach seiner eigenen Ankunft ebenfalls nach Kanada geholt. Die Cohens landeten schließlich in Montreal, wo Lazarus zum Direktor einer Messinggießerei wurde und ein erfolgreiches Unternehmen für Ausbaggerarbeiten gründete.

Als Lazarus in den 1860er Jahren in Kanada ankam, war die jüdische Gemeinde dort noch sehr klein. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts lebten weniger als fünfhundert Juden in Montreal. In den 1880ern, als Lazarus zum Vorsitzenden der Congregation Shaar Hashomayim Synagoge wurde, war ihre Zahl schon auf mehr als fünftausend angestiegen. Die Pogrome in Russland hatten eine Einwanderungswelle ausgelöst, und Ende des Jahrhunderts hatte sich die Zahl noch einmal verdoppelt. Montreal wurde zum Zentrum des kanadischen Judentums, und Lazarus war innerhalb der Gemeinschaft mit seinem langen, biblischen Bart und dem unbedeckten Kopf eine stadtbekannte Persönlichkeit. Er ließ nicht nur eine Synagoge erbauen, sondern gründete und leitete zudem eine Reihe von Organisationen zur Unterstützung jüdischer Aussiedler; er reiste im Auftrag des Jüdischen Kolonisationsverbands von Montreal sogar nach Palästina, wo er bereits 1884 Land erworben hatte. Sein jüngerer Bruder Rabbi Tzvi Hirsch Cohen, der ihm schon bald nach Kanada gefolgt war, wurde Hauptrabbiner von Montreal.

Als Lyon Cohen 1914 den Vorsitz der Shaar Hashomayim von seinem Vater übernahm, hatte die Synagoge die größte Gemeinde in einer Stadt, die inzwischen etwa vierzigtausend jüdische Einwohner zählte. 1922 war sie endgültig zu klein geworden, und daher verlegte man die Synagoge nach Westmount in ein Gebäude, das beinahe einen ganzen Häuserblock einnahm und nur wenige Minuten von dem Haus in der Belmont Avenue entfernt lag. Zwölf Jahre später ließen Nathan und Masha ihren einzigen Sohn in das »Geburtsregister des Zusammenschlusses englischer, deutscher und polnischer Juden von Montreal« eintragen und gaben Leonard seinen jüdischen Namen Eliezer, der »Gott ist Hilfe« bedeutet.

Lyon Cohen war ebenso wie sein Vater ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann und handelte mit Bekleidung und...

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