4. Strafe und Strafvollzug
In diesem Kapitel gebe ich einen Überblick über verschiedene Straftheorien und über das österreichische Strafvollzugsgesetz. Im StVG ist als Ziel der Freiheitsstrafe die Resozialisierung genannt. Die weiteren Ausführungen meiner Diplomarbeit zeigen, dass dieses Ziel nur unzureichend erreicht wird. Am Ende des Kapitels stelle ich noch die Alternativen zur Freiheitsstrafe, die in Österreich möglich sind, vor.
"Die Strafe stellt das einschneidendste Zwangsmittel des Staates gegenüber seinen Bürgern dar; es berührt in jedem Falle die Grundrechtssphäre. [...] Die Verhängung einer Strafe enthält [...] ein sozial-ethisches Unwerturteil, das im Namen des Volkes, der Rechtsgemeinschaft, ausgesprochen wird: [...] Dieses sozial-ethische Unwerturteil, das dem Täter klarmacht, dass er sich außerhalb der Gesellschaft gestellt hat, gibt dem staatlichen Eingriff "Strafe" – neben der oft existenzvernichtenden Intensität – sein besonderes Gewicht." (Benda 174: 17f)
In Österreich wurden im Jahr 2001 38.763 Personen rechtskräftig verurteilt, 5.711 Personen davon zu einer unbedingten Freiheitsstrafe, weitere 2.328 zu einer teilbedingte Freiheitsstrafe (was bedeutet, dass sie einen Teil ihrer Strafe ebenfalls im Gefängnis absitzen müssen).
(vgl. Statistisches Jahrbuch 2003)
Die Freiheitsstrafe stellt den massivsten Eingriff in die Grundrechte eines Menschen dar.
"Der Sinn der Strafe liegt für diese Auffassung in der Bewährung der Gerechtigkeit ohne Ansehen des Nutzens für den Täter oder für die Rechtsgemeinschaft. Der Staat straft den Täter, weil er schuldhaft Rechtsgüter verletzt hat, die von der Strafrechtsordnung geschützt sind. [...] Die Strafe hat den Sinn des Ausgleichs, der Vergeltung schuldhaft begangener Rechtsverletzung." (Benda 1974: 22)
Anders formuliert: "[...] die wir als absolute Theorien oder Gerechtigkeitstheorien bezeichnen, hat die Strafe keinen besonderen Zweck zu erfüllen. Sie ist unabhängig, abgelöst von allen Zweckvorstellungen. Sie ist lediglich Vergeltung des vom Täter begangenen Unrechts (VERGELTUNGSTHEORIE) oder Sühne für das vom Täter begangene Unrecht (SÜHNETHEORIE)." (Kreft u.a. 1983: 443)
Boubenicek schreibt dazu: "Gerechtigkeitstheorie – Der Staat straft den Täter, weil er schuldhaft Rechtsgüter verletzt hat, die von der Strafrechtsordnung geschützt sind. Strafe ohne jeden Zweck für Täter oder Geschädigten." (Boubenicek 2001: 2)
Diese Straftheorie mutet doch etwas befremdlich an. Strafe nur mit dem "Sinn" der Vergeltung, der Rachegedanke als einziger Antrieb, jemanden zu bestrafen. Niemandem wird dadurch geholfen. Das Opfer erhält keinen Ausgleich für das ihm zugefügte Unrecht, auch eine Änderung des Täters ist nicht Ziel der Strafe.
Sinn des staatlichen Strafens ist die Verbrechensverhütung (Prävention) durch Abschreckung möglicher Täter mit Hilfe der Strafdrohung, der Strafverhängung oder des Strafvollzuges (Generalprävention). Allerdings kann dies nicht der alleinige Sinn der Strafe sein, da dadurch der Täter als bloßes Mittel missbraucht wird. Strafe kann auch den Sinn haben, den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten und ihn zu resozialisieren (Spezialprävention). Diesem Verständnis steht die Frage gegenüber, ob man Erwachsene überhaupt im Strafvollzug "erziehen" kann und ob nicht eine "Resozialisierungsstrafe" einer Wiedereingliederung sogar im Wege stehen kann. (vgl. Benda 1974: 25 ff)
Auch hier noch eine andere Ausführung: "[Nach] den sogenannten relativen Theorien, muss die Strafe einen besonderen Zweck haben. Sie muss zur Verfolgung sozialer Ziele eingesetzt werden. Bei diesen relativen Theorien gibt es zwei Untergruppen, wobei die eine den Zweck der Strafe in der Abschreckung zukünftiger Täter sieht (GENERALPRÄVENTION) – während die andere stärker auf die Besserung des einzelnen straffällig gewordenen Menschen abhebt (SPEZIALPRÄVENTION)." (Kreft u.a. 1983: 443 ff)
Beide angeführten Theorien alleine ermöglichen keine befriedigende Rechtfertigung staatlichen Strafens. Daher vertreten Gesetzgeber, Praxis und eine Mehrheit der Wissenschaft eine vermittelnde Auffassung. Eine Tendenz zur besonderen Berücksichtigung des Resozialisierungsgedanken ist dabei unverkennbar. Die Strafe nimmt mehrere Funktionen wahr. Grundlage für die Bemessung der Strafe ist die Schuld. Dadurch wird der Täter nicht als Mittel oder Objekt behandelt. Es geht bei der Strafe um Schuldvergeltung, was auch die generelle Abschreckung, die "Verteidigung der Rechtsordnung" ermöglicht. Im Rahmen der Schuld kann die Strafe auch so ausgestaltet werden, dass sie möglichst weit der Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft und der Wiedergutmachung dient.
(vgl. Benda 1974: 27 ff)
Diesen drei "klassischen" Straftheorien stellt Eduard Naegeli in seinem Beitrag "Aspekte des Strafens" andere Überlegungen gegenüber (vgl. Naegeli 1974: 32 – 54):
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist folgende These: "Strafe kann ethisch höchstens so lange gerechtfertigt werden, als es keine Alternativen gibt, die den Bestand der Rechtsordnung und den Schutz der Rechtsgüter ebenso gut zu gewährleisten vermögen."
Die Strafziele Vergeltung, Abschreckung und Sicherung sind nur schwer oder überhaupt nicht mit dem Ziel der Täterresozialisierung zu vereinigen. Vor allem der Vergeltungsgedanke steht einer positiven Beeinflussung des Täters hindernd im Wege, da dieser Gedanke weitgehend dem menschlichen Rachetrieb, also einer ausgesprochen negativen Quelle, entspringt.
Strafe ist, genauso wie das Verbrechen selbst, ein aggressiver Akt. Diese Feststellung geht von der Auffassung aus, dass Aggression etwas ausgesprochen Negatives ist (im Gegensatz zum biologistischen Aggressionsverständnis etwa von Konrad Lorenz). Hinter der vom Staat verhängten Strafe steht letztlich die Gesellschaft, es handelt sich dabei also um kollektive Aggression. Die Gesellschaft folgt aber nicht nur rationalen Überlegungen sondern sie reagiert gleichzeitig auch ihre Aggressionen in der staatlichen Verfolgung, Aburteilung und Bestrafung von Straftätern ab. Strafe bedeutet ein Aggressionsventil, dass sich auf die Rechtsordnung stützen kann, also legitim erscheint. "Wie sehr die Strafe Aggressionscharakter hat, zeigt sich allein schon in der Empörung, mit der die Gesellschaft oft auf Freisprüche und milde Bestrafungen reagiert, oder etwa auch im bekannten, affektiv-abweisenden Verhalten, das die Umwelt einem Strafentlassenen gegenüber zeigt, wobei man dem ehemaligen Delinquenten weit weniger die begangene Tat als die Tatsache, dass er "gesessen" hat, nachträgt." (Naegeli 1974: 36)
Dieses Verhalten, das die Strafe der Aggression entspringt hat in doppeltem Sinne nachteilige Folgen. Aggressivität wird nämlich durch das Erleben von Aggression unter Umständen erst recht angeheizt und nicht abgebaut (hierfür gibt es Belege aus der Lernpsychologie). Zweitens löst die Strafe, wie jedes aggressive Verhalten, beim Bestraften negative Reaktionen aus, die wiederum zu erneuter Aggressionsbereitschaft und damit zu einem neuen Delikt führen können. Und diese Gegenaggression hat die Tendenz, die vorangegangene Aggression noch zu überbieten. Auch das Gefängnis erweist sich aus dieser Sichtweise oft als Brutstätte der Aggression. Der Gefangene erlebt die Inhaftierung als feindseligen Akt und in den vorhandenen Subkulturen im Gefängnis wird die Aggressivität unter den Gefangenen noch gesteigert. "Vor allem der Lernpsychologie ist die Einsicht zu verdanken, dass die Strafe sich wenig eignet, Aggressivität und damit deliktisches Verhalten zu hemmen, ja dass sie nicht zuletzt wegen ihres aggressiven Charakters ausgesprochen kriminalitätsfördernde Wirkung hat." (Naegeli 1974: 38)
Dieses Aggression muss sich nicht unbedingt nach außen richten sondern kann sich auch gegen den Inhaftierten selbst wenden. Selbstverletzungen und Suizidversuche während der Haft kommen immer wieder vor.
[In österreichischen Strafvollzugseinrichtungen gab es im Jahr 2000 14 Suizide und 283 Suizidversuche. (vgl. Übersicht über den Strafvollzug für das Jahr 2000: 12)]
Es ist also notwendig aus diesem Kreislauf von Aggression und Gegenaggression auszubrechen und auf ein Verbrechen möglichst aggressionslos zu reagieren. Damit erhält der Täter die Möglichkeit, seine Aggressivität abzubauen.
[Dass dieses Verhalten sinnvoll ist, zeigen aktuelle Rückfallszahlen. Im Bereich der Verurteilungen nach § 83 StGB (Körperverletzung) gibt es eine Untersuchung der Rückfallhäufigkeit nach Abschluss eines ATA-Verfahrens (außergerichtlicher Tatausgleich) und nach gerichtlicher Verurteilung: Bei gerichtlicher Verurteilung liegt die Rückfallquote bei 33 %, demgegenüber beträgt die Rückfallquote nach ATA-Abschluß nur 14 %. (vgl. Schütz 1999: 50)]
"Angesichts dieser psychischen Hintergründe der...