Migrationen[1] begleiten seit Anbeginn die Geschichte der Menschheit. Große Wanderungsbewegungen wie der biblische Exodus[2], überdimensionale Kolonisationen in Afrika, Amerika und Australien oder die Flüchtlingsströme der aktuellen Zeit haben ganze Kontinente und Regionen verändert[3]. Auch jede „kleine“, persönliche Migrationsgeschichte eines jeden Einzelnen trägt dazu bei, die Dynamik einer Gesellschaft aufrecht zu halten und das Gesicht eines Landes zu verändern. Dabei war Deutschland auf Grund seiner Mittellage in Europa schon immer ein Ein-, Aus- und Durchwanderungsland[4]. Zum besseren Verständnis, wie die Formen von Migration nach Deutschland heute aussehen, was die Begriffe Ausländer, Migration, Zuwanderung und Einwanderung beinhalten, soll nun im Folgenden ein Überblick gegeben werden.
„Wir sind alle Ausländer, fast überall.“
Die Formen von Migration und Zuwanderung[5] nach Deutschland sind vielfältig und heterogen. In dem letzten Bericht des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge werden im Jahre 2002 als Gruppen legaler Zuwanderung genannt[6]:
Asylzuwanderer,
Spätaussiedler,
Arbeitsmigranten,
EU-Binnenmigranten,
rückkehrende deutsche Staatsbürger,
ausländische Studierende,
Ehegatten und Familienangehörige aus Drittstaaten,
jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen UdSSR.
Der Ausländertatbestand wird vom Statistischen Bundesamt auf über 7,3 Millionen Personen zum Jahresende 2002 angegeben. Dies entspricht 8,9 % der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland.
Dabei ist Ausländer nach Maßgabe des Kapitels 1 §2 (1) des neuen Aufenthaltsgesetzes jeder, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat und „der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist“. Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG wiederum ist, „wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“
Die Ausländerbestandszahl ist also nicht mit den Zahlen von Migrationsbewegungen gleichzusetzen, da Ausländer in diesem Sinne ebenso Personen sein können, die beispielsweise der zweiten und dritten Migrantengeneration angehören, selber aber nie migrierten und zum Teil seit Jahren oder Jahrzehnten in Deutschland leben, ohne die deutsche Staatsbürgerschaft zu haben. 20,9 %, das heißt jeder fünfte als Ausländer aufgeführte Person, ist in Deutschland geboren[7]. Bis zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes 1999 erhielten die Kinder von Zuwanderern nur die Staatsangehörigkeit der Eltern[8], sie sind also keine Migranten, jedoch Ausländer im Sinne des Aufenthaltsgesetzes. Ferner ist zu bedenken, dass es von den jeweiligen Einbürgerungen und der dazugehörigen Politik abhängig ist, wer als Aus- und wer als Inländer bezeichnet wird. Es gibt viele Personen, die zugewandert sind, jedoch inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Darüber hinaus haben (Spät-)Aussiedler[9] in der Regel die deutsche Staatsangehörigkeit, obwohl sie über Migrationshintergrund verfügen.[10] Über die Staatsbürgerschaft definiert sich also, wer als „Ausländer“ und wer als „Inländer“ bezeichnet wird, und der Begriff Ausländer kann somit als Abgrenzungstatbestand und somit als politische „Schlagwaffe“ verwendet werden[11]. Der rechtliche Terminus „Ausländer“ wird auch von den Betroffenen als ausgrenzend empfunden, da er ihre soziale Integration in die Gesellschaft nicht zur Kenntnis nimmt und der Begriff mit vielen negativen Assoziationen besetzt ist.
Aus diesen und weiteren Gründen wird der Begriff „Ausländer“ in der aktuellen Migrationsliteratur und nach meiner Auffassung als unzulänglich betrachtet. Folglich werde ich in der vorliegenden Arbeit den Begriff „Ausländer“ nur dann verwenden, wenn es sich um Fachbegriffe oder alle Personen mit nicht-deutschem Pass handelt. Welche Begriffe mir im Migrationszusammenhang adäquater erscheinen, wird im nächsten Kapitel verdeutlicht.
„Wieso bist du noch hier?“
„Wo sollte ich sonst sein?“
„Zu Hause!“
„Willst Du damit sagen, dass ich hier nicht mehr zu Hause bin?“
Milan Kundera: Die Unwissenheit
Migration Stammt von dem lateinischen Wort „migrare bzw. migratio“, was so viel bedeutet wie wandern, wegziehen bzw. Wanderung[12].
Anette Treibel legt einen weit gefassten Migrationsbegriff zu Grunde:
„Migration ist der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen.“[13]
Dauerhaftigkeit heißt dabei, dass ein mehr oder weniger kurzfristiger Aufenthalt wie etwa zu touristischen Zwecken ausgeschlossen ist und von einer permanenten Wanderung auszugehen ist[14]. Die Begrifflichkeit des „dauerhaft werdenden Wechsels“ ist ein gelungener Terminus, der beispielsweise auch rückblickend die Geschichte der sogenannten „Gastarbeiter“ berücksichtigt, deren Bleibeabsicht anfangs nicht intendiert war, und auch Asylsuchende, deren Aufenthalt eventuell noch zu einem von Dauer werden wird[15], mit einschließt.
Blahusch führt in seiner Definition zwar auch den vorübergehenden Wechsel des Wohnortes mit auf, zieht eine Abgrenzung jedoch dahin gehend, dass mit „dem Wechsel des Territoriums (...) auch ein Wechsel der sozialen Zugehörigkeit - zumindest zur Wohnbevölkerung - verbunden (ist).“[16]
Eine weitere Unterscheidung in der Typologie des Migrations-Begriffes wird häufig auch unter räumlichen Aspekten vollzogen. Hierbei unterscheidet man zwischen[17]:
- Binnenwanderung oder interner Wanderung und
- internationaler oder externer Wanderung[18].
Im Hinblick auf die Zielgruppe der Zugewanderten im neuen Zuwanderungsgesetz möchte ich an die oben angeführte Definition eine Ergänzung mit Hilfe von Blahuschs Verständnis von Migration anführen. Blahusch versteht unter Migration „ eine Bewegung [...] im geographischen Raum über nationale Grenzen hinweg („transnationale“ Wanderung)“[19]. Demnach ist Migration für die vorliegende Arbeit also zu verstehen als: der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region über nationale Grenzen hinweg von einzelnen oder mehreren Menschen.
Migration und Wanderung werdend gleichwertig verwendet[20].
„Wer seinen Ort verändert, verändert sein Schicksal.“
Talmud
Die Ursachen und Auslöser für Migrationen sind so heterogen, dass sie hier nicht eingehend erläutert werden können. Als weiterführende Literatur möchte ich auf ein Modell der „push“- und „pull“- Faktoren verweisen, welches sowohl die Gründe zum Verlassen eines Landes anführt, wie auch die Anreize, in ein neues Landes zu migrieren, mit einschließt[21]. Es lässt sich insgesamt festhalten, dass Millionen Menschen jedes Jahr weltweit aus den unterschiedlichsten Motiven mit den unterschiedlichsten Verläufen migrieren: als Flucht vor Naturkatastrophen und Kriegen oder in Aufnahme eines neuen Arbeitsplatzes, im Zuge des Familiennachzugs, um bei ihren Vertrautesten zu sein, alleine oder in Gruppen, erste Klasse im Flugzeug oder auf Schleuserbooten, einige aus Ländern mit hoher Mobilität, andere aus Ländern, in denen Migration einer völligen Entwurzelung gleichkommt. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Dadurch wird deutlich, wie unterschiedlich Zugewanderte betreffs ihrer Migrationsmotive, ihrer Träume und ihres Herkunftshintergrundes sind. Lediglich gemein ist diesen Personen, dass sie es schaffen, ihre vertrauten Netzwerke mit Menschen und Orten abzubrechen und sich in eine komplett neue Umgebung zu versetzen. Ich...