Sie sind hier
E-Book

Interaktionistischer Konstruktivismus

Zur Systemtheorie der Sozialisation

AutorTilmann Sutter
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl343 Seiten
ISBN9783531917955
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,00 EUR
Im Bereich der Gesellschaftsanalyse hat die neuere Systemtheorie wichtige Auseinandersetzungen ausgelöst. Die Frage, welche Beiträge die Systemtheorie für die Analyse von Sozialisation und Subjektbildung liefert, führt dagegen in ein noch kaum beschrittenes Neuland. Der Band geht dieser Frage nach und versucht dabei, bewährte strukturgenetische Sozialisationstheorien in Kontakt zu systemtheoretischen Sichtweisen zu bringen. Die in den Sozialisationstheorien vorzufindende Gegenüberstellung von subjektzentrierten und soziologischen Erklärungsansätzen kann aufgelöst werden, wenn mit der Systemtheorie die jeweils eigenständige Organisation subjektiver und sozialer Prozesse in Rechnung gestellt wird. Die Studien behandeln sowohl Prozesse der Entwicklung und Sozialisation als auch methodologische und methodische Fragen. Sie rücken so eine Theorie der Selbstsozialisation unter gewandelten Bedingungen gesellschaftlicher Differenzierung in den Mittelpunkt des Interesses.

Dr. Tilmann Sutter ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Mediensoziologie an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
"4 Die Konstitution der Subjekt-Objekt-Differenz: Das grundlegende Bezugsproblem des interaktionistischen Konstruktivismus (S. 111-112)

Um den Stellenwert des interaktionistischen Konstruktivismus für die Entwicklungs- und Sozialisationstheorie zu zeigen, müssen zunächst einmal die zwei bislang ausgearbeiteten Versionen eines interaktionistischen Konstruktivismus, der genetische Strukturalismus Piagets und die soziale Konstitutionstheorie, näher betrachtet und nach ihren Stärken und Schwächen beleuchtet werden. Beide Theorietraditionen verfahren auf der Basis von Subjekt-Objekt- Relationen, stellen also konstitutionslogisch Fremdreferenz in Rechnung. Was als „Subjekt"" und „Objekt"" bezeichnet wird, muß ontogenetisch allerdings erst ausgebildet werden. Zudem läßt sich vor dem Hintergrund der differenztheoretischen Einwände der realistische, fremdreferentielle Bezug der Subjektentwicklung auf eine bestehende Außenwelt nicht mehr umstandslos behaupten. Die bisherigen epistemologischen und theoriearchitektonischen Erörterungen führen mithin zwangsläufig in dieses empirische Problemfeld und weisen ihm einen zentralen Stellenwert zu:

Wie ist aus der differenzlogischen Ausgangslage heraus die ontogenetische Ausbildung der Subjekt-Objekt-Differenz und damit die Identität von Subjekt und Objekt möglich? So lautet aus entwicklungstheoretischer Sicht die empirische Formulierung des Grundproblems, wie sich Identität aus Differenz bildet.1 Die Bearbeitung dieses Problems liefert auch die Grundlage, auf der Einsicht in die Möglichkeit der Entstehung von Neuem zu gewinnen ist. Die Klärung dieser Frage peilt Fortschritte nach zwei Seiten hin an: Zum einen sollen, im Sinne der Epistemologie Piagets, die erkenntnistheoretischen Grundlagen einer strukturgenetischen Entwicklungs- und Sozialisationstheorie empirisch rekonstruiert werden. Zum anderen sollen empirische Anhaltspunkte für die Frage erarbeitet werden, in welcher Weise auch eine strukturgenetische Vorgehensweise differenztheoretische Annahmen einbauen muß.

Diese Frage zielt auf das Verhältnis von Konstruktivismus und Interaktionismus in der Entwicklungs- und Sozialisationstheorie. In diesem Sinne geht die Vorgehensweise der folgenden Erörterungen zwar von einer strukturgenetischen Sichtweise aus, indem sie sowohl die theoriearchitektonischen Differenzen als auch die Verbindungsmöglichkeiten innerhalb des genetischen Strukturalismus betrachtet, läuft ansonsten aber homolog zu den Überlegungen der vorigen Abschnitte. Um terminologische Mißverständnisse zu vermeiden, will ich vorab darauf verweisen, daß die Untersuchung der Subjekt-Objekt-Differenz an sich noch keine grundlegende Abgrenzung zum radikalen Konstruktivismus impliziert, der ja erklärtermaßen nicht mehr in Subjekt-Objekt-Relationen denkt.

Vielmehr steht mit dieser Untersuchung zur Debatte, ob sich mit der radikalkonstruktivistischen Verabschiedung des bewußtseinsphilosophischen Subjekts auch die Rede von den empirischen Subjekten erledigt hat. In diesem Punkt hat auch die Systemtheorie einen Aufklärungsbedarf, solange sie noch nicht über eine ausgearbeitete Theorie der Entwicklung und Sozialisation psychischer Systeme verfügt.

Es gibt deshalb keinen Grund, vorab zwischen den Alternativen System oder Subjekt zu entscheiden. Gerade die Genese der Subjekt-Objekt- Differenz in der frühen Ontogenese legt, wie wir sehen werden, eine systemtheoretische Sichtweise der Ausbildung empirischer Subjektstrukturen nahe. Was in diesem Bezugsrahmen als Subjekt bezeichnet werden kann, ist dann freilich begründungsbedürftig.

Wenn ich in der Erörterung der strukturgenetischen Untersuchungen Piagets zur Subjekt-Objekt-Differenzierung dennoch durchgehend den Begriff des Subjekts wähle, so hat dies zwei Gründe: Erstens spricht Piaget durchweg von Subjekten, so daß ich ständig zwischen den Begriffen Subjekt und System pendeln müßte, um den Unterschied zwischen der eigenen und der Beschreibungssprache Piagets zu markieren. Zweitens werden so die Probleme deutlicher, die sich ergeben, wenn man wie Piaget bereits von den Anfängen der Entwicklung an mit dem Begriff des Subjekts operiert. In diesem Sinne ist der Begriff des Subjekts zunächst in Anführungszeichen zu setzen, um dann zu verdeutlichen, ab welchem Punkt und aus welchen Gründen diese entfallen können."
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
1 Einleitung: Die konstruktivistische Herausforderung strukturgenetischer Subjekttheorien10
2 Strukturgenetischer und radikaler Konstruktivismus36
3 Soziale Konstitutions- und soziologische Systemtheorie68
4 Die Konstitution der Subjekt-Objekt-Differenz: Das grundlegende Bezugsproblem des interaktionistischen Konstruktivismus109
5 Sozialisatorische Interaktion und soziales Verstehen183
6 Konstruktivistische Hermeneutik: Zur Rekonstruktion objektiver Sinnstrukturen237
Literatur319

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

ARCH+.

ARCH+.

ARCH+ ist eine unabhängige, konzeptuelle Zeitschrift für Architektur und Urbanismus. Der Name ist zugleich Programm: mehr als Architektur. Jedes vierteljährlich erscheinende Heft beleuchtet ...

Card-Forum

Card-Forum

Card-Forum ist das marktführende Magazin im Themenbereich der kartengestützten Systeme für Zahlung und Identifikation, Telekommunikation und Kundenbindung sowie der damit verwandten und ...

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS bringt alles über die DEL, die DEL2, die Oberliga sowie die Regionalligen und Informationen über die NHL. Dazu ausführliche Statistiken, Hintergrundberichte, Personalities ...

filmdienst#de

filmdienst#de

filmdienst.de führt die Tradition der 1947 gegründeten Zeitschrift FILMDIENST im digitalen Zeitalter fort. Wir begleiten seit 1947 Filme in allen ihren Ausprägungen und Erscheinungsformen.  ...