In diesem Abschnitt werde ich von der allgemeinen Betrachtung der sogenannten „literarischen Interkulturalität“ unmittelbar zum Humor übergehen, den ich als Schreibweise der interkulturellen Literatur definieren werde. Humor ist ein sehr vielseitiges Phänomen, weshalb es einer Begriffsklärung bedarf. Im Folgenden werde ich verschiedene definitorische Versuche anreißen und einen Begriff des Humors herausarbeiten, mit dem in dieser Arbeit operiert werden wird.
Bevor ich mich mit dem Humorbegriff auseinandersetze möchte ich einige Vorbemerkungen machen. Zunächst ist erwähnenswert, dass es innerhalb von verschiedenen Disziplinen eine Unzahl von unterschiedlichen Bestimmungen und Beschreibungen des Begriffs gibt, die von der Antike bis zur Gegenwart reichen. Es gibt soziologische, philosophische, linguistische und literaturwissenschaftliche Ansätze. Die Beiträge sind sehr mannifaltig, und dies nicht nur hinsichtlich ihrer Anzahl sondern auch ihres Umfangs: Manche Theoretiker beschränken sich auf einzelne Aussagen zum Humor, andere widmen ihm voluminöse Schriften. So oder so stellte und stellt die Erforschung des Humors immer eine große Herausforderung für die Forscher dar, und das Problem des Humors bzw. des Komischen bleibt bis heute ungelöst.[32]
So muss im Voraus betont werden, dass auch im Rahmen dieser Arbeit keine befriedigende Antwort darauf gegeben werden kann, was eigentlich Humor ist. Mein Vorhaben ist vielmehr einen Arbeitsbegriff des Humors hervorzubringen, der für die Darstellung der interkulturellen Konstellationen besonders geeignet ist. Im Folgenden werden also die bedeutendsten theoretischen Ansätze zum Humor dargestellt, mit deren Hilfe die für diese Arbeit relevanten Aspekte des Humors herausgefiltert werden können.
Darüber hinaus möchte ich bereits an dieser Stelle bemerken, dass Humor eine Reihe von ihm verwandten Begrifflichkeiten hat – wie humorvoll, humoristisch, komisch, heiter, Komik –, die offensichtlich einer Differenzierung bedürfen.[33] Insbesondere betrifftt dies das Begriffspaar Humor / Komik. Eine übliche Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen innerhalb der Literaturwissenschaft besteht darin, dass Humor als produktionsästhetische Kategorie der Literatur betrachtet wird, wobei man die Komik für eine wirkungsästhetische Kategorie hält. Humor wird dabei als eine „distanzierte Haltung gegenüber einem (dargestellten) Gegenstand oder Thema (und entsprechende formale oder stilistische Präsentation desselben)“[34] definiert, und Komik als „Erregung von Lachen (durch pointiertes Durchbrechen von Erwartungen, Normen oder gewohnten Proportionen und Verbindungen)“[35]. Jedoch ist eine solche Unterscheidung nur eine Unterscheidung, die zwischen Humor und Komik existiert. Die beiden Begriffe werden auch bezüglich ihrer Intensität unterschieden: Ziel des Humors ist es, den Gegenstand zu belächeln, wobei die Komik vielmehr auf dessen „Verlachen“ gerichtet ist. Abgesehen davon muss hervorgehoben werden, dass die Begriffe wesentlich aufeinander bezogen sind und es sich schwierig gestaltet, eine klare Grenze zwischen ihnen zu ziehen.[36] Aus diesem Grund werde ich in dieser Arbeit auf präzise Definitionen der beiden Begrifflichkeiten verzichten und Humor als Oberbegriff für die anderen ihm verwandten Begriffe betrachten.
Gemäß dem Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache[37] hat das Wort Humor (von lat. humor „Feuchtigkeit“) seine Ursprünge in der antiken Temperamentlehre, die darauf basiert, dass „die seelische Gestimmtheit des Menschen [...] von verschiedenen, im Körper wirksamen Säften [abhängig ist]“[38]. Im Rahmen einer solchen Temperamentlehre wurden vier Grundtypen des Temperaments bestimmt: phlegmatisch, sanguistisch, cholerisch und melancholisch. Im Mittelalter wurden diese Körpersäfte als humores bezeichnet, die aus dem Lateinischen die Bedeutung von „Feuchtigkeiten“ übernehmen. Daraus hat sich die allgemeine Bezeichnung „Temperament“ entwickelt, die nun gute oder schlechte Laune beschreiben kann. Erst später hat sich im 18 Jh. in England der Begriff des Humors als literarisher Begriff etabliert, der dem heutigen Begriff zugrunde liegt. Das englische Wort humour bedeutete also eine „besondere Stilgattung, deren Hauptanliegen die Darstellung der verspielten Heiterkeit [war], die von komischen Situationen ausging“[39].
Der Begriff des Humors ist ein höchst interdisziplinärer Begriff, der seine Entfaltung innerhalb von verschiedenen Disziplinen erlebt hat. Es gibt zahlreiche Theorien, die Humor je auf ihre Art definieren, was es besonders schwer macht die exakte Bedeutung von Humor darzulegen. Es gibt auch bis heute keine Untersuchung, an die man bei der Betrachtung des Humors anknüpfen kann. Vorhanden ist eine Menge theoretischer Ansätze, die sich mit Humor beschäftigen.
Um die Unzahl von Theorien zu systematisieren werden sie oft in drei Gruppen unterteilt, unabhängig davon, ob es soziologische, psychologische, linguistische oder literaturwissenschaftliche Ansätze sind: Überlegenheits-, Entlastungs- und Inkongruenztheorien. Diese Vorgehensweise wird auch in dieser Arbeit übernommen, denn mein Ziel ist nicht nur, alle möglichen Humor- bzw. Komik-Theorien chronologisch darzustellen, sonden deren gemeinsame Tendenzen bei der Bestimmung des Humors zu verfolgen.
Der Begriff des Humors wurde nicht immer in positiver Bedeutung gebraucht. Seit der Zeit der griechischen Antike wurden dem Begriff negative Züge zugeschrieben. Diese Einstellung liegt der Überlegenheitstheorie zugrunde, die den negativen Charakter von Humor und Lachen betont. So hat Aristoteles, der Vertreter der Überlegeneheitstheorie, in seiner Poetik die Komik (bei Aristoteles „das Lächerliche“) folgenderweise definiert:
Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht.[40]
So wird in dieser Definition Humor als eine Abweichung vom Richtigen oder Schönen betrachtet, es wird also die negative Seite des Begriffes betont. In Aristoteles’ Definition der Komödie, die er als „Nachahmung von schlechteren Menschen“[41] versteht, sind auch negative Konnotationen zu betrachten. Die Komödie wird als ein abweichendes Handeln betrachtet, mittels dessen ein Mensch sich in den Gegensatz zu einer Norm stellt.[42]
Ein weiterer prominenter Repräsentant der Überlegenheitstheorie ist Thomas Hobbes, der auch die negative Seite des Humors beleuchtete, indem er Lachen als Akt der Selbstbehauptung betrachtete:
Allgemein ist das Lachen das plötzliche Gefühl der eigenen Überlegenheit angesichts fremder Fehler. […] Zur Entstehung des Lachens ist also dreierlei erforderlich: daß überhaupt ein Fehler empfunden wird, dieser ein fremder ist und die Empfindung plötzlich eintritt.[43]
Aus einer solchen Behauptung lässt sich feststellen, dass der Begriff der Komik auf dem Verhältnis von Unterlegenheit und Überlegenheit basiert. Dabei werden auch Kriterien herausgestellt, die für die Entstehung des Komischen verantwortlich sind. Es handelt sich dabei erstens um einen unterwarteten Charakter des Komischen, bzw. um die Plötzlichkeit. Zweitens um die Alterität, d.h. dass die komischen Effekte oft mit Bezug auf das Fremde bzw. das Andere entstehen.[44]
Einen eher philosophisch geprägten Ansatzt vertritt Henry Bergson in seiner Schrift Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. Das Problem des Komischen führt er auf drei zentrale Beobachtungen zurück, die grundlegend für seine Arbeit sind. Erstens geht Bergson davon aus, dass die Komik außerhalb der menschlichen Sphäre nicht existieren kann. Zweitens betont er, dass die Komik „mit einer gewissen Empfindungslosigkeit“[45] verbunden ist; Bergson schreibt, dass „Gleichgültigkeit [...] ihr natürliches Element [ist]. Das Lachen hat keinen größeren Feind als die Emotion“[46]. Seine dritte Beobachtung bezieht sich auf die soziale Funktion der Komik:
Um das Lachen zu verstehen, müssen wir es wieder in sein angestammtes Element versetzen, und das ist die Gesellschaft; wir müssen seine nützliche Funktion bestimmen, und das ist eine soziale Funktion.[47]
Bergson pointiert also, dass das Komische nur innerhalb einer Gesellschaft entstehen kann. Das Lachen in einer Gesellschaft ist eine Bestrafung dafür, dass ein Mensch die Kennzeichen des Komischen hat, die verschiedene Formen annehmen können: Körperkomik, Situations-, Wort- und Charakterkomik. Das Komische ist für Bergson „eine gewisse mechanisch wirkende...