2 Was ist Biotechnologie?
- Details zur Geschichte und Entwicklung der Biotechnologie.
- Wichtige Meilensteine und wissenschaftliche Durchbrüche.
- Das A und O: die genetische Sprache verstehen.
- Der Sprung in die moderne Biotechnologie mit Beispielen.
- Branchen mit wachsendem Einfluss durch die Biotechnologie.
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2.1 Zur Geschichte der Biotechnologie
Wir haben im ersten Kapitel erfahren, dass die Biotechnologie erst seit dem Jahr 1980 eine Rolle an den Aktienmärkten spielt. Doch ist dieses Jahr auch gleichzusetzen mit dem Beginn der Biotechnologie? Was glauben Sie? Gab es bereits biotechnologische Errungenschaften vor der Erfindung des Taschenrechners 1974, des Telefons 1876, der Dampfmaschine 1690, der tragbaren Uhr um 1500, des Vergrößerungsglases um 1200, der Schubkarre um 200 nach Christus oder der Erfindung des Kompass um 1200 vor Christus?
Ja, es gab sie in der Tat. Biotechnologische Errungenschaften nutzten die Menschen schon vor rund fünftausend Jahren. Die Erfindung des Rades Dreitausend vor Christus dürfte in die gleiche Ära gefallen sein. Der entscheidende Punkt: Man nutzte die Biotechnologie ohne zu wissen, was sich dahinter verbarg – aus einer Zelle bestehende Kleinstlebewesen, sogenannte Mikroorganismen. Es mag den einen oder anderen befremden, aber Brot backen und Käse, Joghurt, Quark, Kefir, Sauerkraut oder Essig herstellen, all das ist Biotechnologie. Wenn Sie sich jetzt gerade, während Sie überlegen, welche Investments in die Biotechnologie die besten sind und was Biotechnologie ist, ein Glas Bier, Wein oder vielleicht Bionade einschenken, so sind auch diese Getränke Produkte der Biotechnologie.
Ein biologisches Verständnis dafür, worum es sich bei diesen Alltagsphänomenen handelte, gab es jedoch noch nicht und so herrschte in der Mitte des 19. Jahrhunderts diesbezüglich noch finsteres Mittelalter. Die Menschen nutzten zwar die Erfahrung, dass saure Milch den Brotteig lockerer und verdaulicher macht, wussten jedoch nichts von der nützlichen Arbeit der sich dahinter verbergenden, für das menschliche Auge unsichtbaren Milchsäurebakterien. Dass lebende Einzeller wie Hefepilze oder Bakterien für biotechnische Prozesse verantwortlich sind, war noch ein Geheimnis. Erst im Jahr 1856 entdeckte der Franzose Louis Pasteur die Mikroben, wies die hilfreichen Stoffwechselprodukte dieser Kleinstlebewesen nach und begründete damit die Mikrobiologie.
Biotechnologie und Gentechnologie
Biotechnologie ist die Anwendung von Wissenschaft und Technik auf lebende Organismen, Teile von ihnen, ihre Produkte oder Modelle von ihnen, zwecks Veränderung lebender und nichtlebender Materie zur Erweiterung des Wissensstandes, zur Herstellung von Gütern und zur Bereitstellung von Dienstleistungen.
Quelle: Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD)
Gentechnologie ist ein Teilgebiet der Biotechnologie, das sich insbesondere der Charakterisierung, Isolierung und Neukombination von Erbmaterial – auch über Artgrenzen hinweg – widmet.
Anmerkung: Weitere Definitionen finden Sie im Glossar. Die Begriffe biotechnologisch und biotechnisch verwenden wir in diesem Buch synonym.
Pasteur, Darwin, Mendel und Schrödinger
Pasteurs Entdeckung war ein wichtiger Schritt in der wissenschaftlichen Erkenntnis. Allerdings dauerte es noch rund einhundert Jahre bis die Biotechnologie das wurde, was wir heute darunter verstehen: Die großtechnische Nutzung von Mikroorganismen, um für den Menschen beispielsweise Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel, chemische Grundstoffe oder Energieträger zu produzieren. Weitere Fortschritte brachten die Erkenntnisse des englischen Naturforschers Charles Darwin im Jahr 1859 über die Entstehung der Arten. Danach führen Fehler oder sogenannte Mutationen zu einer Auslese und nur Lebewesen mit überlegenen Eigenschaften in der Evolution setzen sich durch. Hinter dieser These verbirgt sich ein Prinzip, das heute in vielen Laboratorien zur Entwicklung von Biomolekülen für einen bestimmten Zweck genutzt wird. Durch das Ausüben eines sogenannten Selektionsdrucks, zum Beispiel durch die Zugabe bestimmter chemischer Stoffe (Moleküle), passen sich Mikroorganismen an ihre Lebensumstände an. Auch die Entedeckungen des österreichischen Augustinermönchs Gregor Mendel im Jahr 1865 brachten Fortschritte. Er fand heraus, dass Erbmerkmale nach bestimmten Regeln weitergegeben werden. In die dadurch von ihm begründete Genetik kam aber erst post mortem, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Bewegung, als Mendels Naturforschung eine Renaissance erlebte.
Um 1900 etablierten sich dann die Begriffe Gen für einen Erbfaktor, Genom für die Gesamtheit aller Erbfaktoren und Mutation für eine Veränderung in den Genen. Sie treten an einem Lebewesen entweder genotypisch (äußerlich nicht sichtbar) oder phänotypisch (äußerlich sichtbar) auf. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse nahmen weiter zu. So fand der britische Arzt Archibald Garred 1909 heraus, dass bestimmte menschliche Erbkrankheiten auf Stoffwechseldefekte zurückzuführen sind, bei denen bekannte biochemische Reaktionen ausfallen. Der britische Wissenschaftler Thomas Hunt Morgan bewies um 1915, dass sich die Gene der Taufliege Drosophila melanogaster einzelnen Chromosomen zuordnen lassen. Doch die Begriffe Gen oder Mutation blieben weiterhin abstrakt. Es fehlte die chemische Struktur der sich hinter diesen Phänomenen verbergenden Moleküle.
Wenngleich Erwin Schrödingers 1945 erschienenes Buch Was ist Leben? die molekulare Natur der Gene nicht entscheidend erhellte, so inspirierte der österreichische Physiker dennoch mit seinen Ausführungen zahlreiche Forscher, die sich nach ihm mit der Sache befassten. Bereits im Jahr 1869 hatte der Schweizer Friedrich Miescher Nukleinsäuren isoliert. Deren Analyse ergab ein Rückgrat aus Zuckermolekülen und Phosphat sowie die vier, später so bezeichneten, Stickstoffbasen A, T, C und G. Anfangen konnten die Wissenschaftler jedoch damit noch nichts.
Übrigens!
Die Taufliege Drosophila melanogaster spielt auch heute noch als Organismus in der Forschung eine wichtige Rolle. So verwendete sie zum Beispiel die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard für ihre Arbeiten. Die Taufliege, der Zebrafisch Danio rerio und der Fadenwurm Caenorhabditis elegans sind drei Modellorganismen, an denen Wissenschaftler gern die Funktionen von Genen und die Einwirkung von Medikamenten studieren. Durch die strukturelle Ähnlichkeit vieler Gene (homologe Gene) lassen sich Rückschlüsse auf den Menschen ziehen.
Durchbruch mit der Doppelhelix
Der entscheidende Durchbruch gelang den Briten Francis Crick, James Watson, Rosalind Franklin und Maurice Wilkins. Sie lösten 1953 die Struktur der Erbsubstanz auf: Diese bildet eine Doppelhelix aus zwei DNA-Strängen, die über die sich wechselseitig verbindenden Basenpaare A und T sowie C und G miteinander verknüpft sind. Erst die Entdeckung dieses Bauprinzips – ähnlich einer gewundenen Strickleiter – erklärte die Weitergabe von Erbinformationen auf die Nachkommen: Bei jeder Zellteilung wird die aus zwei Strängen bestehende Doppelhelix geteilt und in jeder der beiden entstandenen Zellen wieder ergänzt. So überträgt sich eine Doppelhelix mit all ihren Informationen auf jede neue Zelle und verbleibt gleichermaßen in der alten.
Abb. 2.1: Das Modell der Doppelhelix
Die Erbinformation an sich ist in der Basenfolge jeder DNA abgelegt. Dabei codieren jeweils drei hintereinanderfolgende Basen, sogenannte Basentripletts, welche aus den 20 in der Natur vorkommenden Aminosäuren ausgewählt werden, um in die wachsende Kette eingebaut zu werden. Diese molekularen Perlen bilden chemisch aufgefädelt zunächst eine Kette von Peptiden (Polypeptid). Die Kette formt ein Protein, das sich wiederum in einer für jedes Protein typischen Art und Weise in eine dreidimensionale Struktur faltet. Der genetische Code erwies sich als nahezu universell für alle Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen und den Menschen. Wie einem Computer, der mit den Symbolen 0 und 1 und deren Abfolge jede beliebige Information speichern kann, gelingt es der Natur mit den vier Basen A, T, G und C die komplexen Baupläne der Lebewesen zu erfassen.