Berkshire Hathaway wuchs und trat mit einem Buchwert von mehreren Milliarden Dollar in die 1990er-Jahre ein. Warren Buffett hatte sich als Investor inzwischen einen Namen gemacht – zuerst unter anderen Investoren, später auch beim breiten Publikum. Zu dieser Zeit investierte er weiter in außerbörsliche Transaktionen und auch in größere, sehr bekannte Unternehmen. Ein wesentlicher Aspekt dieser Periode war, dass er nunmehr entsprechend der enormen Größe investieren musste, die Berkshire erreicht hatte. Die Investition solcher Summen war zwar nicht immer einfach, konnte aber auch Vorteile bringen. Dass mehr Kapital vorhanden war, steigerte nicht nur den Transaktionsfluss, sondern eröffnete auch Anlagemöglichkeiten, bei denen andere passen mussten. In den letzten Jahren dieses Zeitraums war Buffett damit beschäftigt, gute Einsatzmöglichkeiten für große Kapitalbeträge zu finden oder – wie er es formulierte – mit der »Elefantenbüchse« zu schießen. Außerdem konzentrierte er sich weiterhin auf den organischen Ausbau von Berkshires Kerngeschäft – allen voran Versicherungen.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren zwischen 1990 und 2014 sehr unterschiedlich. Gelinde gesagt, war die Zeit ereignisreich. Ende 1990 traten die Vereinigten Staaten in den Ersten Golfkrieg ein und verzeichneten eine ausgewachsene, wenn auch kurze Rezession. Die Aktienkurse purzelten. Auch Berkshire erlitt gegenüber dem Vorjahr spürbare Kursverluste. Es war eine gute Zeit für Käufer, die im klassischen Sinne in die Kriegsangst hinein investierten. Daran beteiligte sich Buffett durch sein Engagement bei Wells Fargo.
Doch bald schon prägte nicht mehr Pessimismus die Dekade, sondern Euphorie. Im Jahr 2000 hatte sich ein Bullenmarkt entwickelt, wie es ihn seit zig Jahren nicht gegeben hatte. Im Zentrum dieser Hausse standen die Entwicklung des Internets und die zugrunde liegende technologische Revolution. Zwar erwiesen sich viele Unternehmen aus diesem Sektor eher als kreativ denn als rentabel, doch das hielt einen delirierenden Markt nicht davon ab, ein neues Zeitalter der Innovation und der vertretbaren Bewertungen einzuläuten.
Auf jede Manie folgt eine Panik, und die Internetblase platzte Anfang der 2000er-Jahre. 2002 befand sich die Wirtschaft in den USA und weltweit mitten in der nächsten Rezession. Im Jahr zuvor, im September 2001, hatten Terroranschläge auf die Twin Towers in New York die Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Auf 2002 folgten Jahre des Aufschwungs. An der Spitze bildete sich eine neue Blase auf dem Häusermarkt. 2007 stand der Dow bei über 14.000 Zählern und damit noch deutlich höher als im Jahr 2000: Damals waren es nur reichlich 11.000 gewesen.
Im Hintergrund zeichneten sich jedoch tiefgreifende Probleme mit der Staatsverschuldung sowie den Folgen der unkritischen Kreditvergabe der Geschäftsbanken an Hypothekenkunden ab. Die Situation kippte schnell, und die Wirtschaft rutschte von den 2007 erreichten Höhen bis 2008 in eine tiefe Rezession. Mit den Verlusten gingen schwere Turbulenzen auf den Finanzmärkten einher. Mit Lehman Brothers fiel eines der größten Finanzinstitute den Tumulten zum Opfer. Nach mehreren aufeinanderfolgenden Rettungsaktionen für die Finanzunternehmen in Industrieländern und gewaltigen Kapitalspritzen, um eine Wirtschaftskrise wie in den 1930er-Jahren zu verhindern, setzte früher als erwartet eine Konjunkturerholung ein.
Ende 2009 stand der Dow bereits wieder über 10.000. Doch verschiedene tiefsitzende Probleme sowie die Folgen der gewaltigen Geldflut waren 2010 noch nicht bewältigt. 2011 herrschte weiterhin große Unsicherheit in der Finanzwelt. Eine der Entwicklungen dieser Phase war der Anstieg der Rohstoffpreise, allen voran bei Gold und Öl. In dieser Zeit versuchte Buffett nach Kräften, vernünftige Anlagechancen zu ergreifen, wenn sie sich boten. Mit Burlington Northern erfolgte eine seiner größten Akquisitionen der jüngsten Vergangenheit während der wirtschaftlichen Turbulenzen von 2009.
Wie bei Salomon investierte Buffett 1988 im Zuge der US-Air-Transaktion in Vorzugsaktien. Er kaufte solche Papiere für 358 Millionen US-Dollar mit zwangsweiser Rücknahme nach zehn Jahren zu einem Dividendensatz von 9,25 Prozent mit dem Recht, sie zum Kurs von 60 US-Dollar je Aktie in Stammaktien umzuwandeln. Die Stammaktien wurden damals zu rund 35 US-Dollar das Stück gehandelt, was einer Marktkapitalisierung von insgesamt circa 1,5 Milliarden US-Dollar für US Air entsprach. Die Investition erwies sich zwar am Ende als gewinnbringend, doch der US-Air-Deal wird häufig als Beispiel für einen Investmentfehler Buffetts angeführt. Selbst in seinen eigenen Jahresbriefen spricht der Investor über die Nachteile dieser Anlage: Es sei ihm in diesem Fall nicht gelungen, die Investmentaussichten richtig zu erkennen. So äußert Buffett beispielsweise in seinem jährlichen Aktionärsbrief Ende 1996:
»Ich mochte und bewunderte den damaligen CEO des Unternehmens Ed Colodny – und das gilt bis heute. Doch meine Analyse des Unternehmens US Air war ebenso oberflächlich wie unzutreffend. Ich ließ mich von der langen Erfolgsbilanz der Firma und von der Sicherheit, die mir das Eigentum an einem erstrangigen Wertpapier zu bieten schien, so blenden, dass ich einen entscheidenden Punkt übersah: Ein unregulierter, starkem Wettbewerb unterliegender Markt würde sich immer mehr auf den Umsatz von US Air auswirken, während die Kostenstruktur des Unternehmens ein Überbleibsel aus den Tagen war, als die Gewinne noch durch Regulierung geschützt waren. Unkontrolliert führten diese Kosten in die Katastrophe – daran änderte auch die Beruhigungspille in Form der früheren Erfolge der Fluggesellschaft nichts.«
Abbildung 15.1
Im Rückblick ist man mit Kritik an Investmententscheidungen schnell bei der Hand. Eine interessantere Frage ist aber, wie ein potenzieller Investor US Air damals realistisch beurteilt hätte. Um sie zu beantworten, müssen wir einen Blick in den Jahresbericht des Unternehmens für 1988 werfen – den letzten Bericht über ein vollständiges Geschäftsjahr, bevor Buffett einstieg.
Der Bericht beginnt mit wichtigen Finanzdaten, die belegen, dass US Air 1988 einen Jahresüberschuss von 165 Millionen US-Dollar erwirtschaftete – bei 5,71 Milliarden US-Dollar Umsatz. Auch das Vorjahr war für das Unternehmen rentabel. Da lag der Jahresüberschuss bei 194 Millionen US-Dollar, der Umsatz bei 3 Milliarden. Als Gesamtbild ergab sich aus diesen Finanzangaben und dem anschließenden Lagebericht von Chairman und President Ed Colodny, dass es sich bei US Air um ein gewinnbringend arbeitendes Unternehmen handelte, das gerade eine neue Größe erreichte. Es hatte soeben die Integration der Übernahme von Pacific Southwest Airlines (PSA) über die Bühne gebracht und war dabei, nach der 1989 erfolgten Fusion auch Piedmont Airlines zu integrieren. Durch diese beiden Akquisitionen hatte sich die Betriebsgröße von US Air mehr als verdoppelt. Es waren Strecken in den gesamten Vereinigten Staaten hinzugekommen. Organisches Wachstum hatte dazu geführt, dass US Air am Jahresende 1988 83 neue Maschinen bestellte (im Auftragswert von 2 Milliarden US-Dollar), die zwischen 1989 und 1991 ausgeliefert werden sollten. Außerdem bestand die Option auf weitere 108 Flugzeuge (Auftragswert: 3 Milliarden US-Dollar). Die erteilten Aufträge allein würden die bestehende Jetflotte von US Air um 20 Prozent vergrößern.
Neben dem rapiden Wachstum lassen sich aus dem Jahresbericht drei weitere aufschlussreiche Schlüsse ziehen. Erstens war der Umsatz 1988 zwar exponentiell gestiegen (gegenüber 1987 um 90 Prozent), doch der Jahresüberschuss war de facto zurückgegangen. Diese Abweichung erklärt sich zum Teil durch die außerordentlichen Kosten im Zusammenhang mit der Fusionsintegration, doch selbst um diese Kosten bereinigt wäre das Betriebsergebnis von US Air (vor außerordentlichen Kosten) nur um 36 Prozent gestiegen – also deutlich langsamer als der Umsatz. Ein genauerer Blick auf die Gewinn- und Verlustrechnung zeigt, dass die betrieblichen Aufwendungen dafür verantwortlich waren. Sie hatten schneller zugenommen als der Umsatz – und zwar um 97 Prozent. In der Kategorie der betrieblichen Aufwendungen war der Anstieg bei Personalkosten, Mieten, Landegebühren und Wartungskosten für die Maschinen am höchsten. Ein drastischer Anstieg der operativen Kosten in einem Jahr weist zwar noch nicht auf ständige Kosteninflation hin, weckt aber dennoch Besorgnis hinsichtlich der Kontrollierbarkeit dieser Kosten. Nahmen Landegebühren, die die Flughäfen berechneten, und Pilotengehälter unkontrolliert zu, weil die rasante Zunahme des Luftverkehrs die Ressourcen belastete? Wie hoch waren die Risiken steigender Kerosinkosten? Waren diese Kosten irgendwie beeinflussbar?
Die zweite Erkenntnis baut auf der ersten auf, denn sie weist auf weitere Risiken und Ungewissheiten hin, über die sich ein potenzieller Investor im Klaren sein sollte: Schulden und Leasingkosten. Um die beiden großen Akquisitionen zu finanzieren – PSA und Piedmont –, nahm US Air 1987 neue Schulden in Höhe von 1 Milliarde US-Dollar auf, und zwar in Form einer Kreditvereinbarung. Ein Teil davon wurde 1988 durch die Ausgabe von Commercial Paper getilgt, doch am Ende desselben Jahres schlugen die Finanzschulden bei US Air immer noch mit rund 1,5 Milliarden US-Dollar1 zu Buche – verbunden mit Klauseln, Tilgungsplänen und all den übrigen Risiken, die mit erheblicher Verschuldung einhergehen. Deutlich riskanter wurde die Lage durch unkündbare Leasingverträge von US Air in Höhe von 6,4 Millionen US-Dollar zusätzlich zu den...