Deutsche Unternehmen, die eine Expansion in der Türkei anstreben, benötigen neben Informationen über das wirtschaftliche, soziale, politische und rechtliche System des Landes Marktanalysen über den jeweiligen Sektor. Die wirtschaftliche Lage in der Türkei zeichnet seit einigen Jahren einen positiven Verlauf über alle Sektoren hinweg. Die chronische Inflation und die wirtschaftliche Krise der vergangenen Jahre sind mit Hilfe der Reformpolitik überwunden. Im Jahr 2005 konnte die Wirtschaft überdurchschnittlich wachsen. In den Folgejahren wurde durch das stark angestiegene Handels- und Leistungsbilanzdefizits dieses Wachstum etwas geschwächt. Insgesamt gehen Experten davon aus, dass die Wirtschaft bis 2015 jährlich um 5 % anwachsen wird. Der Industriesektor, das Baugewerbe und der Energiesektor sind die wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes und werden nachfolgend näher analysiert.[28]
Die Türkei vollzieht einen Wandel von einer agrarorientierten zu einer dienstleistungsorientierten Wirtschaft. Der Anteil des Dienstleistungssektors an der Bruttowertschöpfung macht etwa 60 % aus, der Anteil an der Beschäftigung etwa 40 %. Knapp 30 % der Beschäftigten sind noch in der Landwirtschaft tätig. Der Industriesektor ist die treibende Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Kapazitäten werden ausgebaut, es entstehen zahlreiche neue Betriebe, bestehende Produktionsanlagen werden erweitert und modernisiert. Vor allem die Automobilindustrie, einschließlich der Zuliefererindustrien, erlebte einen starken Aufschwung, während die relative Bedeutung der Textil- und Bekleidungsindustrie aufgrund der globalen Verschiebungen von Produktionsstandorten in Billiglohnländer abnimmt.
Die Kfz-Industrie zählt mit ihren überdurchschnittlichen und kontinuierlichen Wachstumsraten der letzten Jahre zu den dynamischsten Industriezweigen der türkischen Wirtschaft. Die Anzahl der klein- und mittelständischen Unternehmen nimmt stetig zu und die Qualitätsstandards entsprechen den europäischen Standards. Von 2000 – 2004 wurden in diesem Bereich 2,5 Mrd. USD investiert. Die türkische Kfz-Industrie rangiert hinsichtlich der Exporttätigkeit an erster Stelle, vor den traditionellen Exportgütern des Landes Bekleidung sowie Stahlerzeugnisse.[29]
In der Türkei gibt es 18 Kraftfahrzeughersteller, davon sind fünf PKW Hersteller und 13 Nutzfahrzeughersteller. Hinzu kommen mehr als 1.300 Betriebe, die in der Teileproduktion oder im Servicesektor tätig sind. Insbesondere Unternehmen aus Italien, Deutschland, Frankreich, Japan und Südkorea sind im Automobilsektor aktiv.[30]
Die Kfz-Industrie und ihre Zulieferer haben sich zum zweitstärksten türkischen Industriezweig entwickelt. 2007 wurden in der gesamten Branche 1,1 Mio. Fahrzeuge produziert und davon 641.000 abgesetzt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Absatzrückgang von 4,2 %. Die Automobilindustrie zählt zu den vier größten Exportbranchen und zu den führenden Investitionsbranchen des Landes und trägt erheblich zum Sozialprodukt bei und schafft rund 500.000 Arbeitsplätze.[31]
Die Textilindustrie ist einer der führenden Industriesektoren und belegte im Jahr 2007 hinter der Kfz-Industrie den zweiten Platz bei den Exporten.
In diesem Sektor wurden von 1985 bis 2005 rund 75 Mrd. USD investiert und seit dem 09.03.2006 beträgt der Mehrwertsteuersatz statt 18 % nur noch 8 %. Diese Subvention sollte das ins Stocken geratene Wachstum fördern, denn durch die niedrigeren Produktionskosten verlagert sich die Billigproduktion immer mehr nach Fernost. In 2006 wurde durch das türkische Statistikamt (TÜIK) ein Produktionsrückgang bei Textilien um 17,9 % und bei Konfektionsartikeln um 35,4 % gemeldet. Im 1. Halbjahr 2007 konnte jedoch ein plus von 6,4 % verzeichnet werden, bei den Exporten sogar ein Zuwachs um 18,9 % auf 3,2 Mrd. USD.[32]
Die Türkei ist mit einem Exportanteil von rund 17 Mrd. USD zu einer der wichtigsten Textilhersteller der Welt geworden. Die türkische Textilindustrie, das Rückgrat der türkischen Modebranche, boomt, doch 50 % der Produktion gehen unter fremdem Namen europäischer Markenlabels über den Ladentisch. Doch das Land hat mehr zu bieten als Näh-Fabriken für die Massenproduktion. Seit ein paar Jahren forciert die türkische Textil- und Bekleidungsindustrie einen Imagewandel und setzt auf die Produktion von Markenartikel, fördert junge Designer, baut erfolgreich Marken auf. Denn die Zielsetzung ist ehrgeizig: Istanbul soll bald eine der wichtigsten Modemetropolen der Welt sein. Modern, innovativ und mit frechen und ausgefallenen Kollektionen erobern schon jetzt türkische Designer die Laufstege der Modemetropolen Paris, Mailand, London oder Düsseldorf und die kreativen arbeiten im Zentrum des europäischen Stadtanteils fleißig am neuen Türkei-Modebild. Um eigene, zugkräftige Designer zu fördern, veranstaltet der türkische Bekleidungs- und Textilverband ITKIB seit 15 Jahren einen „Joung Fashion Designers Contest“ in Istanbul. Die Kandidaten sollen das modische Image des Standorts im Ausland verändern und dazu beitragen, dass die türkische Textilindustrie nicht nur als billige Nähstube für ausländische Designer wahrgenommen wird. Auch der türkische Außenhandelsminister setzt auf diese wertvollen Botschafter. Eine Trendwende zeigt sich auch bei den Abnehmern von Textilien. Auf der IF Modemesse 2007 in Istanbul waren doppelt so viele Einkäufer wie in den vergangenen Jahren Vertreten. Darunter auch Einkäufer bekannter Firmen wie z.B. Victorias Secret, Max Mara, La Senza[33]
Mit einer Produktionskapazität von über 20 Mio. Tonnen Rohstahl pro Jahr zählt die türkische Eisen- und Stahlindustrie internatonal zu den Großen der Branche. Gemessen am Produktionsvolumen belegt sie im internationalen Vergleich den zwölften Platz. Darüber hinaus ist die Türkei der weltweit zehntgrößte Exporteur von Stahl. Im Jahr 2007 war die Türkei der drittgrößte Stahlproduzent in Europa hinter Deutschland und Italien. Die türkische Eisen- und Stahlindustrie befindet sich in einer Expansionsphase. Knapp 30.000 kleine Betriebe mit einer Beschäftigtenzahl von ca. 130.000 sind auf dem türkischen Markt vertreten. Wichtigste Abnehmerbranchen sind die Bauindustrie, die Kfz-Branche und der Maschinenbau. Nach Schätzungen des türkischen Verbandes der Eisen- und Stahlhersteller DCÜD, erreichte die Produktion in 2007 ca. 26,0 Mio. t, was gegenüber dem Ergebnis von 2006 mit 23,3 Mio. t einer Steigerung von 11,6% entsprach. Für 2008 erwartet DCÜD - Präsident Bayram Yusuf Aslan eine weitere Expansion um knapp 12% und ein Produktionsvolumen von rund 29,0 Mio. t. Damit wurde das Wachstumsziel für das Jahr 2007 von 10% leicht übertroffen.[34]
Die Chemische Industrie hält einen Anteil von 30 % an der gesamten Produktion der verarbeitenden Industrie im Land. Der Großteil der Produktion wird in den großen Ballungsräumen Istanbul, Kocaeli, Adana und Gaziantep abgewickelt. In den 4.286 offiziell registrierten Betrieben werden ca. 80.000 Arbeitskräfte beschäftigt. Alle Bereiche der chemischen Industrie expandieren kontinuierlich, insbesondere der Bereich für Kunststoffe, der Arzneimittelbereich, der Sektor der chemischen Düngemittel, der Farben und Lacke sowie der synthetischen Produkte und Körperpflege- und Reinigungsmittel.[35]
Die Chemieindustrie in der Türkei profitiert von der günstigen Wirtschaftslage. Der Markt für chemische Erzeugnisse hatte 2007 ein Gesamtvolumen von rund 30 Mrd. USD und soll 2008 um weitere 5% expandieren. Die vorteilhafte Entwicklung begünstigt alle Sparten. Deutsche Firmen genießen hier ein hohes Ansehen und erfreuen sich einer guten Marktposition bei Chemieimporten.[36] Bremsend wirken sich jedoch die hohen Rohstoffpreise aus, da die türkische Chemieindustrie auf den Import von Grundstoffen angewiesen ist. Den größten Anteil an den Importen in dieser Branche haben deutsche Lieferanten.[37]
Die Bauindustrie ist in der Türkei ein wichtiger Wachstumsmotor. Insgesamt sind mehr als 5.000 Firmen im Umfeld der Baubranche tätig, die meisten von ihnen als Zulieferer von Materialien. Der türkische Bausektor ist weit entwickelt und viele türkische Bauunternehmen sind sowohl national als auch international, vor allem in Zentral- und Osteuropa, dem Nahen Osten, Zentralasien und Russland tätig. Die zahlreichen laufenden Projekte in den Bereichen Industrie, Infrastruktur und Wohnungsbau sorgen weiter für eine günstige Branchenkonjunktur mit positiven Auswirkungen auf alle Zulieferindustrien. Im Bereich Infrastruktur stehen umfangreiche Straßen- und Tunnelbauten an, die Erweiterung von Hafenanlagen und der Neu- oder Ausbau von Eisenbahnstrecken schaffen weitere Auftragsvolumina. Insbesondere in der Energiewirtschaft besteht zum einen großer Nachholbedarf bei Anlagen zur Stromversorgung, zum anderen wird das Ziel, eine regionale...