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Jerusalem Pages

Ein Reise-, Geschichts- und Lesebuch über die Heilige Stadt

AutorRainer Uhlmann
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl576 Seiten
ISBN9783848250646
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
"Reise nach Jerusalem" ist nicht nur ein Spiel, sondern ein Abenteuer, eines, das kein Ende findet. Trotz zahlreicher Aufenthalte entdeckt der Autor immer wieder Neues, Unerwartetes, Spannendes, Erhellendes. Eine Reise durch die Geschichte und die historischen Stätten der Heiligen Stadt mit den biblischen Texten als »Guide« führt zum Quellgrund der Offenbarung Gottes, aus dem das Heil in Jesus Christus fliesst. Der Text folgt den besonderen Orten Jerusalems in alphabetischer Reihenfolge und ermöglicht dadurch ein leichtes Auffinden der einzelnen Beschreibungen vor Ort. Genauso eignet er sich als Lesebuch, das diese einmalige Stadt wie eine neue Welt eröffnet.

Dr. Rainer Uhlmann ist Theologe und Soziologe. Er war bis zu seinem Ruhestand Pfarrer und Dekan in der Württembergischen Landeskirche. Neben zahlreichen Besuchen in Israel publizierte er verschiedene Bücher über Jerusalem, biblische Stätten sowie alttestamentliche Themen, u.a. unterhält er die website "Israel Geo Guide".

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Leseprobe

"Wenn ich deiner nicht gedenke"


Kann und darf man über Jerusalem in deutscher Sprache schreiben? Verbietet nicht die Scham gegenüber der Geschichte, diese Sprache auf Israel, das Zufluchtsland vor den Deutschen, anzuwenden? Es sei denn, Jerusalem würde den Anfang machen und für die deutsche Sprache eine Tür öffnen? - Unvergleichliche Aphorismen habe ich gelesen, sie waren von Elazar Benyoëtz. Aufgewachsen in der hebräischen Sprache hat er irgendwann die Tür aufgemacht und ist in einem anderen Sprachraum geblieben, paradoxerweise bei Deutsch. Nicht nur zufällig, nicht einmal nur bewusst, sondern - man mag es kaum glauben - aus Liebe: "Ich kann nur in Jerusalem schreiben; es ist seltsam zu denken, daß mein Deutsch auch mein Jerusalem ist. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, hier aber steht's". Unfassbar, Jerusalem streckt die Hand aus, zur deutschen Sprache. Ebenso unfassbar, dass hier sogar Liebe den Ausschlag gegeben hat. Doch muss es nicht Liebe sein, wenn Berge von Hass angegriffen, überwunden werden sollen? Wer hat sonst dem Bösen und seiner schieren Allmacht etwas entgegenzusetzen, wenn nicht die Liebe? Also doch, Jerusalem lässt Deutsch nicht nur zu, es gibt auch so etwas wie Liebe zwischen der deutschen Sprache und der Stadt der Städte. Wenngleich eine scheue, schamhaft tastende, sich selbst noch nicht wahrhaben wollende Liebe. Schraffurhaft, unfertig, kryptisch wie Elazar Benyoëtzs Aphorismen, ihre Wahrheit befragende und verbergende, und gerade darin sich offenbarende Liebe!

Warum Jerusalem? Ursprünglich eine kleine Siedlung im kargen Bergland, die sich um eine ganzjährig sprudelnde Quelle geschart hat. Erste menschliche Spuren reichen in das Chalkolithikum, den Übergang vom 4. bis 3. Jahrtausend v. Chr. zurück. Doch schon bald darauf ziehen die halbnomadischen Bewohner aus unerfindlichen Gründen wieder ab. Während in den fruchtbaren Ebenen Stadtstaaten einen Kulturaufschwung nehmen, bleibt Jerusalem für 800 Jahre eine menschenleere »Geisterstadt« in den Bergen.

Apropos: Jerusalem ist die einzige Weltstadt in den Bergen, 800 Meter hoch. Die bedeutenden Weltstädte der Geschichte und Gegenwart liegen in der Ebene, an großen Flüssen oder nahe am Meer: Memphis, Alexandria, Ninive, Babylon, Athen, Rom, Karthago, Paris, Berlin, London, New York, Hongkong, Singapur, Seoul. "Reiner Himmel, klare Luft, weite Aussicht auf ferne Gebirge, all das verleiht der Stadt etwas von jenem Zauber, der die Menschen immer berührt, wenn sie aus den Niederungen der Erde auf die Höhen kommen."1

Die Wirren, die im ausgehenden 3. Jahrtausend v. Chr. den Alten Orient heimsuchten, brachten neue Eindringlinge mit sich, rohe Gesellen, die der gewachsenen Kultur der Stadtstaaten ein jähes Ende setzten. Danach waren es Flüchtlinge aus dem nordsyrischen Raum, die vor den akkadischen Eroberern in das südliche Bergland flohen und in der frühen Mittelbronzezeit (2100 - 1900 v. Chr.) Jerusalem neu besiedelten, - nicht ihre Wunschheimat, eben ein Notbehelf. Nach Zeiten dumpfer Stagnation kommt ein weiterer Einwandererstrom aus der hochentwickelten syrisch-libanesischen Küstenregion, aus der Gegend um die Metropole Byblos. Sie importieren mithin eine sorgfältig ausgebildete Kultur, und zwar die kanaanäische2, die für das spätere Israel Herausforderung und Anfechtung zugleich werden sollte. Demnach waren die Kanaanäer keine »Ureinwohner«, wie heute im israelisch-palästinensichen Streit immer wieder behauptet wird, sondern ebenfalls Einwanderer; dazuhin besteht keine historische Verbindung zwischen ihnen und den heutigen Palästinensern.

Jerusalem kennt keine Ureinwohner, es ist ein Ort für Wanderer, Flüchtende und Heimatlose, keine Wahlheimat, eher ein notgedrungener Zufluchtsort. Warum sich Gott ausgerechnet diesen unattraktiven Flecken Erde ersehen hat? Sucht er gleichfalls Heimat? Als Flüchtiger, Heimatvertriebener? Nicht seine Wunschheimat, aber eine Notheimat? Die einmal zur Wunschheimat wird? Für ihn und alle Welt! Sowohl die Stadt Jerusalem als auch das Land und Volk Israel werden in der biblischen Offenbarung als Gottes besondere Heimat und sein Eigentum beschrieben. Besonders einfühlsam wird dieser erbärmliche Zustand Jerusalems von Hesekiel aufgenommen, der die Stadt als ausgestoßenes Findelkind, das von Gott aufgezogen wird (Hes 16,5-14), umschreibt:

"Denn niemand sah mitleidig auf dich und erbarmte sich, daß er etwas von all dem an dir getan hätte, sondern du wurdest aufs Feld geworfen. So verachtet war dein Leben, als du geboren wurdest. Ich aber ging an dir vorüber und sah dich in deinem Blut liegen und sprach zu dir, als du so in deinem Blut dalagst: Du sollst leben! Ja, zu dir sprach ich, als du so in deinem Blut dalagst: Du sollst leben und heranwachsen; wie ein Gewächs auf dem Felde machte ich dich. Und du wuchsest heran und wurdest groß und schön. Deine Brüste wuchsen, und du bekamst lange Haare; aber du warst noch nackt und bloß. Und ich ging an dir vorüber und sah dich an, und siehe, es war die Zeit, um dich zu werben. Da breitete ich meinen Mantel über dich und bedeckte deine Blöße. Und ich schwor dir's und schloss mit dir einen Bund, spricht Gott der HERR, daß du solltest mein sein. Und ich badete dich mit Wasser und wusch dich von deinem Blut und salbte dich mit Öl und kleidete dich mit bunten Kleidern und zog dir Schuhe von feinem Leder an. Ich gab dir einen Kopfbund aus kostbarer Leinwand und hüllte dich in seidene Schleier und schmückte dich mit Kleinoden und legte dir Spangen an deine Arme und eine Kette um deinen Hals und gab dir einen Ring an deine Nase und Ohrringe an deine Ohren und eine schöne Krone auf dein Haupt. So warst du geschmückt mit Gold und Silber und gekleidet mit kostbarer Leinwand, Seide und bunten Kleidern. Du aßest feinstes Mehl, Honig und Öl und wurdest überaus schön und kamst zu königlichen Ehren. Und dein Ruhm erscholl unter den Völkern deiner Schönheit wegen, die vollkommen war durch den Schmuck, den ich dir angelegt hatte, spricht Gott der HERR."

Auch die Zion-Hymnen der Psalmen sprechen über dieses ganz persönliche Hingezogensein Gottes und klingen wie Liebeserklärungen an seine Stadt. Zion wird als Gottes "Tochter" bezeichnet (Ps 9,15), sie wird die Mutter der Völker (Ps 87), "Israel freue sich seines Schöpfers, die Kinder Zions seien fröhlich über ihren König" (Ps 149,2). "Ach daß die Hilfe aus Zion über Israel käme und der HERR sein gefangenes Volk erlöste! So würde Jakob fröhlich sein und Israel sich freuen" (Ps 14,7). "Lobet den HERRN, der zu Zion wohnt; verkündigt unter den Völkern sein Tun" (Ps 9,12). Unter den Völkern? Auch meinem? Ist doch Jerusalem mein Deutsch, mein Hebräisch, mein Englisch, meine Welt, mein Heute und Morgen, meine Heimat. Warum Jerusalem? Allein Gott kennt und liebt Jerusalem, begehrt und versteht es nicht nur. Finde ich bei Gott Heimat, dann auch in Jerusalem.

Beim Landeanflug auf Tel Aviv liegt ein Vibrieren in der Luft, ein erregtes und angespanntes »Kaum-noch-erwarten-können«, eine Atmosphäre wie bei der Ankunft auf einem anderen Stern. Manche, vor allem einheimische Fluggäste stellen ihr Äußeres auf die neue Umgebung ein, frisch gestylt im mediterranen look erwarten sie die Sonne und strahlen sie Leichtigkeit aus - beim Betreten eines Landes voller Belastungen. Unter uns die Strandpromenade, die anbrandenden Wellen mit ihren weißen, verebbenden Kronen, die Perlenkette an glänzenden Hotelfassaden. Die Luft flimmert vor Wärme, empfangsbereit, die Sehnsucht wächst. Hat sie doch lange geschlummert, gewartet und sich getröstet, ist vom flauen Druck des Tagtäglichen zugedeckt, aber nie erstickt worden. Wenn auch bisweilen am seidenen Faden hängend war die Sehnsucht immer stärker als alles, etwa all die besserwissenden »Nivellierer« mit ihrer räsonierenden politischen Moral, so einleuchtend wie unrealistisch. Scheinbar plausibel und dennoch nervend langweilig. Jetzt ist die Stunde der Sehnsucht, jetzt tritt sie aus dem Dunkel, kann nicht mehr weggeredet werden, - und lässt dieses Gefühl aufsteigen, gleich zu Hause zu sein. Zurück aus der Fremde, mit der man sich abgefunden, aber nie vollständig arrangiert hat, und die gottlob keine ewige Heimat sein muss. "Israel ist kein Land, es ist Heimweh."3 Selbst ein hoher Politiker wie Dimitri Medwedew, russischer Premier, bekennt: "Jedesmal, wenn ich Israel besuche, fühle ich mich zu Hause." (November 2016). Apropos: der Premier aller Premiers, ER hat sich dieses Land nicht nehmen lassen, selbst nach Jahrtausende anhaltenden Anläufen nahezu aller Mächtigen. Es gibt tatsächlich, ja ER gibt ein Zuhause.

Ist man zuhause, ist das Haus zweitrangig. Ganz sicher ist Israel ein Haus voller Lücken, Provisorien und Baufehlern, oft mühsam, mehr schlecht als recht aufgebaut und aufrecht erhalten, teils unentschuldbar verkommen teils überkandidelt herausgeputzt, ungepflegt und übergepflegt. Ein Land, das nicht in irgendeine Vorstellung passt, zu rätselhaft und unbegreiflich, zu sperrig und widerständig. Israel tut sich schwer, so zu sein wie von ihm erwartet wird, besonders von seinen Nachbarn: nämlich am besten gar nicht mehr...

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