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»Jetzt geht es um mich«

Die Depression besiegen - Anleitung zur Selbsthilfe

AutorJosef Giger-Bütler
VerlagBeltz
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl249 Seiten
ISBN9783407222718
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Dieses Buch hilft beim eigenständigen Ausstieg aus der Depression. Ganz allmählich baut der Leser bei der Lektüre neue Denkmuster für sich auf, die helfen, die depressive Spirale zu überwinden. Ein Leben zu führen, in dem es endlich einmal um einen selbst geht und man nicht immer nur versucht, die Erwartungen anderer zu erfüllen. »Ein Wegweiser und Mutmacher - auch für Menschen, die nicht depressiv sind, aber unter hohem Erwartungsdruck leiden.« Tages-Anzeiger

Dr. Josef Giger-Bütler ist Psychotherapeut mit eigener Praxis in Luzern. Seit vielen Jahren ist er auf die Therapie und Heilung von Depressionen spezialisiert.

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Leseprobe

2
Der Ausstieg


Erste Orientierungspunkte: Worum es geht


Wer den Ausstieg aus der Depression allein macht, muss wissen, was ihn erwartet, und hat auch ein Anrecht darauf, zu erfahren, was das Besondere eines solchen Ausstieges ausmacht, um sich besser darauf einstellen zu können. Verstehen und Wissen reduzieren Unsicherheiten und schaffen den Boden, auf dem Vertrauen und Zuversicht wachsen können. Der depressive Mensch soll nicht nur wissen, worauf er sich einlässt, sondern es soll ihm auch klar sein, was er selbst zu einem guten Gelingen beitragen kann. Verstehen, wo er steht, was abläuft, nimmt Angst und unterstützt sein Bemühen, dem Leben und Leiden nicht mehr nur ausgeliefert zu sein, sondern aktiv und effektiv etwas zur eigenen Zufriedenheit beizutragen. Verstehen, wie er in seinen depressiven Zustand hineingeraten ist, und wissen, wie er sich auch selbst wieder daraus befreien kann, gibt ein gutes Gefühl und nimmt der Depression den Charakter des Schicksalhaften, Unausweichlichen und Definitiven. Er hat es in seiner Hand, dafür zu sorgen, dass es ihm besser geht. Das gibt schon einmal ein gutes Gefühl. Andererseits lehrt die Erfahrung auch, dass derjenige, der einen solchen Weg allein beschreitet, mit der Zeit gar nicht mehr weiß, welchen Weg er denn eigentlich gehen muss oder will. Er verliert die Orientierung, und wenn es nicht gelingt, sich an einem starken und festen Seil festzuhalten, fällt er und gibt auf. Ich möchte versuchen, auf die wichtigsten Punkte hinzuweisen. Sie sollen wie Wegweiser oder Leitplanken sein, wie Fix- und Orientierungspunkte auf dem Weg aus der Depression.
Aussteigen aus der Depression heißt für den depressiven Menschen:
  1. Die Muster des Denkens und Handelns, die belasten, überfordern und ermüden, zu erkennen und zu vermeiden.
  2. Verhaltensweisen, die ihm entsprechen, für ihn stimmig sind, sich zu erlauben und einzuüben.
  3. Sich eine Haltung und einen Umgang mit sich anzueignen, die geprägt sind von Achtung, Wohlwollen und Verständnis.
Oder anders formuliert geht es beim Ausstieg aus der Depression darum, dass der depressive Mensch einerseits neue und für ihn ungewohnte Verhaltensweisen einübt und anderseits lernt, vertrautes Verhalten auf eine ihm entsprechende und für ihn gute Weise auszuleben, die auch Rücksicht nimmt auf die jeweils aktuelle Situation und seine physische und psychische Verfassung.
Diese Veränderungen des Denkens und des Handelns sind für den depressiven Menschen dann machbar und erfolgreich, wenn er das umsetzt, worum es beim Ausstieg ganz entscheidend geht:
Das, was er macht, immer so zu machen, wie es für ihn in diesem Moment stimmt, und sich nur so viel vorzunehmen, wie er sich zutraut.
Nur darum geht es, nur auf diese Weise gelingen Veränderungen, die zum Ausstieg aus der Depression führen. Darauf, wann und wie er seine eingeschliffenen Verhaltensweisen verändern könnte, kommt er, wenn er sich fragt: »Was will ich jetzt, wonach ist mir zumute, was stimmt im Moment am meisten und was ist für mich überhaupt möglich?« Indem er sich so befragt und sein Handeln danach ausrichtet, macht er schon die ersten und entscheidenden Schritte. Er verhält sich anders als bisher, er geht anders mit sich um und macht damit schon etwas Neues. Um das geht es und um nichts anderes, die Verhaltensweisen, die belasten, überfordern und ihm schaden, zu verändern. Und zuallererst geht es darum, sich zu erlauben, so zu denken, dann entsprechend zu entscheiden und sich zu sagen, dass man sich aus der Verantwortung für sein Leben heraus ein solches Denken und Handeln schuldig ist. Das Neue und Entscheidende auf dem Weg der Veränderung und des Ausstieges kann in einem kurzen Lern- und Leitsatz zusammengefasst werden:
Lernen, sich wichtig zu nehmen, machen, was man will und kann, und sich um sich kümmern.
Telefonieren zum Beispiel ist für den depressiven Menschen etwas Vertrautes und Selbstverständliches. Aber nur dann zu telefonieren, wann er will, und so lange, wie es ihm passt, und zu entscheiden, was und wie viel er sagen will, das ist neu und darum geht es bei den Lernprozessen.
Wenn der depressive Mensch auf dem Weg des Lernens sich an diese Grundsätze hält, geht er nicht fehl mit diesem Verhalten, weil in ihnen das neue Grundthema zum Tragen kommt. Denn alle Verhaltensweisen oder Haltungen, die den depressiven Menschen auf seinem Weg näher zu sich bringen, sind Umsetzungen und Konkretisierungen des neuen Lebensmottos:
»Es geht um dich«, das ist der Dreh- und Angelpunkt des Ausstieges und des zukünftigen Lebens. Um ihn dreht sich alles, bei seinen neuen Einstellungen ebenso wie bei seinen neuen Verhaltensweisen:
Nimmt dich ernst. Erlaube dir, wichtig zu sein und sorge dich um dich. Es gibt nichts, was du machen musst. Du bist derjenige, der entscheidet. Mache, was du gerne machst, was du dir zutraust und was dich freut. Das ist deine Aufgabe beim Ausstieg aus der Depression, das ist dein Weg zu dir selbst und deine Verantwortung für dein weiteres Leben.
Oder auf eine Kurzformel gebracht:
Mache, was du willst, kannst und dir zutraust. Sich das zu erlauben, daran zu glauben und im Alltag umzusetzen ist die schwierige Aufgabe, die der depressive Mensch für den Ausstieg zu leisten hat. Nur darum geht es, nicht um raffinierte Strategien, auch nicht um ausgeklügelte Programme, sondern ganz einfach: Mache, was du kannst und was du willst.
Das ist neu auf dem Weg des Ausstieges, dass der depressive Mensch sich bewusst ist, dass es darum geht, zu versuchen und zu lernen, etwas nur dann zu tun, wenn er dazu bereit ist, und es auch noch auf eine Weise zu tun, die ihm entgegenkommt und auf ihn abgestimmt ist. Das muss er sich langsam angewöhnen und in sein Denken und Handeln aufnehmen. Das klingt so einfach und ist in der konkreten Situation dann doch so schwierig und so anspruchsvoll, auch deshalb, weil es so fremd und neu ist. Sich bei jedem selbst gewählten Schritt zu befragen »Geht es jetzt auch um mich und bin ich dabei?« ist die Aufgabe, die der depressive Mensch zu erfüllen hat, wenn er sich treu bleiben und auf seinem Weg weitergehen will. Die Antworten auf seine Fragen »Was will ich verändern, welche Haltungen und Verhaltensweisen schaden mir und schwächen mich?« bekommt er, wenn er innehält, auf sich hört und in sich hineinhorcht. Dort und auf diesem Weg spürt und erfährt er, was für ihn stimmt, was er will und was ihm entspricht:
»Will ich das? Stimmt das für mich? Will ich es wirklich und hilft es mir und ist es gut für mich? Mache ich das für mich und nicht doch für oder wegen andern? Traue ich es mir zu, fühle ich mich dazu imstande? Gibt mir der Gedanke daran ein gutes Gefühl?«
Es geht um ein neues Bewusstsein und um eine neue Einstellung sich selbst gegenüber. Nicht mehr einfach nur automatisch handeln und sich dabei übergehen, sondern bei allem, was der depressive Mensch macht, sich einzubeziehen ist das Ziel beim Aufbau der neuen Grundhaltung. Das ist neu, dass er angesprochen wird und mitreden soll und darf. Das ist fundamental anders, als er bisher gelebt hat. Sich dessen immer wieder zu vergewissern ist eine wesentliche Aufgabe auf dem Weg zum Ausstieg. Es sind verschiedene Aspekte, die man im Zusammenhang mit dem Ausstieg nennen könnte, es sind verschiedene Themen, aber es gibt ein Grundthema, das in allen Schritten vorkommt:
Der depressive Mensch hat sich im Laufe seiner depressiven Entwicklung verloren. Deshalb geht es für ihn darum, sich wieder zu finden und heimisch zu werden in sich. Alle Veränderungen, die er beim Ausstieg angeht, haben dieses eine Ziel: wieder zu sich zu finden, sich in seinem Denken und Handeln zu erfahren. Und das geschieht, indem er sich bewusst ist, dass es bei allem immer auch um ihn geht, dass er bestimmt und entscheidet, was er macht, was er lernen oder neu machen will, wo er etwas verändern oder mit neuer Einstellung angehen will. Zu sich findet er, wenn er auf sich hört, von sich ausgeht und sich fragt, ob er im Moment etwas machen oder verändern will oder kann.
Das ist das eigentliche Thema jedes erfolgreichen Ausstiegs: sich finden, wichtig werden für sich, auf sich schauen und auf sich aufpassen, sich einbeziehen und bei sich sein. Der depressive Mensch hat sich im Laufe des Lebens so viel Leid angetan, sich geschwächt und geschadet, sich schlecht behandelt und misshandelt, dass es jetzt nur einen Weg geben kann, wie er aus diesem Zustand wieder herauskommt, indem er sich ins Zentrum stellt, für sich Thema wird und sich Bedeutung gibt und nicht zuletzt, indem er anständig und fair mit sich umgeht. Das zu lernen und zu leben ist der Weg und das Ziel des Ausstieges. Deshalb gilt für ihn in jedem Moment:
Nimm dich ernst – Du bist wichtig – Es geht um dich – Kümmere dich um dich
Auf sich hören, sich treu bleiben und keinem sturen Programm folgen wollen ist das Kernpostulat jeder Veränderung. Ich muss nichts. Ich darf das, was mir möglich ist, mir passt, stimmt und guttut. Nur darum geht es. Jede Entscheidung für ein neues Verhalten folgt dieser Leitlinie. Ich muss nicht etwas Bestimmtes lernen und keine neue Strategie anwenden, sondern ganz einfach versuchen, das zu machen, was mir im Moment möglich ist. Das zu lernen und auch zu leben ist meine Aufgabe. Das sind die Schritte aus der Depression. Um das geht es und um nichts anderes.
Ich bin wichtig und deshalb will ich mich ernst nehmen, für mich sorgen und mir all das erlauben, was mich stärkt und bestätigt. Zuerst geht es um mich und erst dann um den Weg und darum, Neues...
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