EIN PAAR WORTE VORAB
Ich denke, jeder Hundebesitzer wünscht sich einen Hund, der ihm absolut vertraut und dem er absolut vertrauen kann. Mit diesem Buch möchte ich Ihnen zeigen, wie Sie dieses Ziel gemeinsam erreichen.
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich nie vor, ein Buch über Hundeerziehung zu schreiben. Ich bin nämlich der Meinung, dass sich von ganz allein eine glückliche Beziehung einstellt, wenn man Hunde als das akzeptiert, was sie sind: Hunde. Wenn man ihre Natur respektiert und sich selbst so verhält, wie sie es von »ihrem« Menschen erwarten, werden sie automatisch zu den ausgeglichenen, sicheren und ruhigen Tieren, die wir uns wünschen. Und nur dann wird man mit seinem Vierbeiner zu dem eingeschworenen Team, von dem die meisten Hundehalter träumen, wenn sie sich das Leben mit Hund vorstellen.
Damit diese Idee Wirklichkeit wird, muss man jedoch erst einmal wissen, wie Hunde ticken. Denn auch wenn die Vierbeiner uns in vielen Dingen sehr ähnlich sind, dürfen wir nicht einfach unsere eigenen Wünsche auf sie projezieren und erwarten, dass sie reagieren wie ein Mensch es tun würde. Im Gegenteil. Wenn wir sie nicht als Hunde erkennen, kann das der Harmonie ziemlich zusetzen. Denn anders als unter unseresgleichen üblich werden Differenzen zwischen Mensch und Hund nicht mit Worten ausgefochten – zumindest nicht von beiden Seiten. Stattdessen treten immer mehr Probleme im Zusammenleben auf: Wenn Frauchen oder Herrchen so handeln, dass ihr Hund sie nicht versteht, benimmt der sich immer öfter so, wie es seinen Besitzern gar nicht gefällt. Nicht selten schaukeln beide sich gegenseitig immer mehr auf – bis am Ende gar nichts mehr funktioniert und bei mir das Telefon klingelt...
Die Natur des Hundes
Man kann heute mit Sicherheit sagen, dass der Hund vom Wolf abstammt. Und so sehr der Mensch bei der Züchtung immer neuer Rassen ihn über die Jahrtausende auch »geformt« hat, ist es ihm doch nicht gelungen, seine Wurzeln vollständig zu kappen. In jedem seiner »Schöpfungen« schlummert noch immer ein kleiner Wolf. Das bedeutet nicht nur, dass Hunde nach wie vor Fleischfresser sind oder sich gern in der freien Natur aufhalten. Sie haben auch Sinne, die weit jenseits unserer Vorstellungskraft liegen: Sie können mit ihren über 2 000 Millionen Geruchsrezeptoren die Botenstoffe, die unser Körper Sekunde um Sekunde ausschüttet, wie ein biochemisches Informationsnetz dechiffrieren und sogar Krebszellen erschnüffeln. Sie registrieren noch die kleinste unserer Bewegungen, weil ihr Auge pro Sekunde 80 Einzelbilder schießt. Und sie hören Töne, die so hoch sind, dass unsere Ohren sie nicht einmal andeutungsweise wahrnehmen. Vor allem aber verfügt jeder Hund bis heute über ein wölfisches Instinktverhalten – angeborene, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen, die sich diese Tiere wie jede andere Spezies auch im Laufe der Evolution angeeignet haben. Um unter allen Umständen ihr Überleben zu sichern.
Die meisten dieser Wolf-Instinkte sind dazu da, das Überleben in der freien Wildbahn zu sichern. Sie werden nicht bewusst gesteuert, sondern durch bestimmte Situationen und Reize ausgelöst und aktivieren ihrerseits eine Kette ganz spezifischer Reaktionen. Der Jagdinstinkt zum Beispiel sichert die Nahrung, der Territorialinstinkt das Jagdrevier und den Lebensraum des gesamten Rudels. Der Sexualinstinkt wiederum hält den Rudelbestand aufrecht.
Ein Instinkt gilt dabei quasi als »Basisinstinkt«, weil er im Prinzip die Voraussetzung fürs Überleben schafft: der soziale Rudelinstinkt. Ohne ihn können Wolfswelpen nicht sicher aufwachsen und lernen, die Nahrungssuche wäre um vieles schwieriger und das Territorium nicht sicher vor Eindringlingen. Wölfe sind eben Rudeltiere. Ein einsamer Wolf, so heroisch dieser Begriff auch klingen mag, ist ein ausgestoßenes, ganz und gar unglückliches Tier.
»Die wölfischen Instinkte sind im Zuge der Domestizierung nicht abhandengekommen und stecken selbst im kleinsten Hund.«
DIE GRUPPE BEDEUTET SICHERHEIT
Auch Hunde sind keine Einzelgänger. Wenn sie wie Wild- oder Straßenhunde nicht bei Menschen leben, bilden sie mehr oder weniger große Rudel. Und in diesen gibt es – was ein Rudel vom lockeren Verband einer Herde unterscheidet – hierarchische Strukturen: Wie bei ihren Ahnen, den Wölfen, gibt es einen Anführer, der die Verantwortung für den Rest der Truppe übernimmt. Dieses Leittier sorgt dafür, dass Regeln und Grenzen innerhalb der Gruppe eingehalten werden. Denn nur dann kann sich jedes einzelne Rudelmitglied sicher fühlen und seine ihm zugedachte Aufgabe erfüllen, zum Beispiel den Nachwuchs aufziehen, Essen aufspüren oder das Revier bewachen. Und das wiederum ist wichtig, um das Überleben des gesamten Rudels zu sichern.
Es wäre allerdings falsch zu denken, der Rudelführer würde für Ruhe und Ordnung sorgen, indem er Angst und Schrecken verbreitet – eine Theorie, die bis weit ins letzte Jahrhundert übrigens auch unter manchen Hundehaltern verbreitet war. Das Gegenteil ist der Fall. Anführer sind gerade jene Tiere, die besonders ruhig, sicher und besonnen handeln. Und die in der Lage sind, diese innere Ruhe und Sicherheit auch an ihr »Team« zu vermitteln und auf jedes einzelne Rudelmitglied zu übertragen.
Hunde wollen mit uns leben und suchen von sich aus unsere Nähe. Das macht es eigentlich ganz einfach.
Die Verantwortung liegt bei uns
Unsere Hunde müssen sich heute nicht mehr darum kümmern, Nahrung zu finden. Sie müssen ihr Territorium nicht vor Eindringlingen schützen, die ihnen ihren Schlafplatz oder ihr Jagdgebiet streitig machen wollen. Sie müssen sich nicht vermehren, um den Bestand zu sichern. Sie müssen all das nicht tun, weil wir für sie sorgen. Dennoch verfügt selbst der kleinste Chihuahua noch heute über die natürlichen Instinkte, die seiner Art über Jahrtausende den Erhalt sicherten. Und diese Instinkte können an die Oberfläche kommen, wenn wir Menschen die natürlichen Bedürfnisse unserer Hunde vergessen – allen voran ihren tiefen Wunsch nach Sicherheit.
Was das bedeutet, erlebe ich tagtäglich bei meiner Arbeit: Die Tiere hören nicht, gehen schlecht an der Leine, kläffen ununterbrochen, bleiben nicht allein oder haben zum Beispiel ständig Ärger mit anderen Hunden und Menschen. Kurzum: Sie haben Stress und sind nicht ausgeglichen, verhalten sich genau so, wie wir es nicht möchten und sorgen damit für Unzufriedenheit auf beiden Seiten.
Um zu verhindern, dass es so weit kommt, müssen wir für ein Umfeld sorgen, in dem sich ein Hund wohlfühlt. Und damit meine ich nicht ein bequemes Körbchen, irgendein besonders teures Futter oder ein Haus mit Garten. Erst recht nicht ein schickes Halsband und die passende Leine. Sicher, all das stört den Vierbeiner vermutlich nicht, unter Umständen genießt er es sogar (okay, die Farbe von Halsband und Leine ist ihm wirklich egal). Aber was er wirklich braucht, ist, dass wir ihn als echtes Familienmitglied bei uns aufnehmen, damit er in einer Gruppe leben kann, wie er es von Geburt an gewohnt ist – und wie es seiner Natur entspricht. Der soziale Rudelinstinkt sorgt schließlich nicht nur dafür, dass Welpen in den ersten Lebenswochen sicher und wohlbehütet heranwachsen und von ihrer Mutter oder den Geschwistern, später auch von den Menschen um sie herum, lernen können. Er ist ganz maßgeblich auch dafür verantwortlich, dass das Mensch-Hund-Team funktioniert und der gemeinsame Alltag ohne Komplikationen verläuft. Nur in der Gruppe können Jungtiere sicher aufwachsen und von den Älteren lernen, was sie zum (Über-)Leben brauchen. Und zu diesen »Älteren« zähle ich auch uns Menschen. Er braucht uns, damit es ihm gut geht. Wir sind seine Familie.
Von Anfang an lernen Hunde durch andere: erst von der Mutter und Geschwistern, später auch von uns.
»Nur wenn sich die einzelnen Rudelmitglieder sicher fühlen, fühlen sie sich unbeschwert, angstfrei und entspannt.«
Wenn ein Hund spürt, dass wir uns für ihn verantwortlich fühlen und ihm Sicherheit geben, geht es ihm gut.
BINDUNG IST DIE BASIS FÜR ALLES
Natürlich müssen wir die ein oder anderen Regeln aufstellen, damit ein Hund sich bei uns sicher fühlt. Das Wichtigste aber ist, dass wir uns bewusst werden, dass wir die Verantwortung für ihn haben. Damit beschränken wir ihn nicht in seiner Freiheit und Individualität, sondern respektieren seine Natur. Sehr viele Menschen tun sich trotzdem schwer damit zu akzeptieren, dass sich ein Hund wohlfühlt, wenn er nicht »selbstständig« handeln darf und wir für ihn die Verantwortung tragen. So wie Eltern die Verantwortung für ihre Kinder tragen. Wir helfen unseren Hunden, wenn wir das Ruder in die Hand nehmen und sagen, wo es langgeht. Weil sie sich dann sicher und geborgen...