Denkmal oder lebendiger Begegnungsort?
Jüdische Museen zwischen gestern und morgen
von Danielle Spera
Weltweit reflektieren und diskutieren Museen ihre Zukunft. Als oft von öffentlicher Hand finanzierte Kultureinrichtungen müssen sie ihre Leitbilder neu definieren, innovative Konzepte entwickeln, ihr Profil schärfen und Strategien entwickeln, um sich dem Wettbewerb nicht nur mit Kunst- und Kulturunternehmen, sondern auch mit Freizeitbetrieben zu stellen und dabei zu reüssieren. Als große Herausforderung gelten dabei vor allem die sich massiv verändernde Gesellschaft und die rasante technologische Entwicklung.
Vor diesem Hintergrund befinden sich besonders jüdische Museen in Europa in einem spannenden Entwicklungsprozess. Im 21. Jahrhundert und 25 Jahre nach der Gründungsphase jüdischer Museen in Europa gilt es, die Raison d’être und die tatsächlichen Erscheinungsformen jüdischer Museen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu beleuchten.
In ihrer Gründungsphase in den 1980er Jahren übernahmen die jüdischen Museen die Aufgabe, Erinnerungsorte zu sein. In Ermangelung einer kritischen Auseinandersetzung mit dem kollektiven Gedächtnis im Hinblick auf die Schoa wurde vor allem in Österreich das Jüdische Museum Wien zu einem Gedächtnisort. Ihm kam daher die Aufgabe zu, sich als einzige kulturelle Institution mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Während in den USA Zielsetzungen jüdischer Museen klar definiert sind und deren Spektrum von Holocaust-Museen bis hin zu jüdischen Museen, Museen der Geschichte der amerikanischen Juden oder Museen des jüdischen Erbes reicht, sollten jüdische Museen in Europa bei ihrer Gründung in den 1980er Jahren all diese Aspekte vereinen und unter anderem als Feigenblatt dafür dienen, dass historische Museen – besonders in Österreich – die Zeit von 1938 bis 1945 ausblendeten.
Heute gilt es, diese Gründungsphilosophie kritisch zu hinterfragen und neu zu überdenken. Welche Aufgaben hat ein jüdisches Museum im deutschsprachigen Raum im 21. Jahrhundert? Vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen BesucherInnenschichten, die noch bunter werden, wie es Oliver Rathkolb in seinem Beitrag konstatiert. Wie sehr kann gerade ein jüdisches Museum in den aktuellen Diskussionen für heutige Migrationsgruppen die jüdischen Erfahrungen als Erkenntnisse in den öffentlichen Diskurs einbringen?
Im Fokus steht in diesem Zusammenhang auch die soziale Funktion eines jüdischen Museums. Ist es ausschließlich ein Ort des Bewahrens? Ein Ort des Zurückblickens in die Vergangenheit, ein Ort der Einkehr, des Gedenkens? Oder soll es auch ein inspirierender Ort der Begegnung, der Auseinandersetzung, des Dialogs sein? Ein Ort, an dem Zukunft thematisiert wird, ein jüdischer Begegnungsort, Verhandlungsund Lernort? Wie jedes Museum muss sich auch ein jüdisches Museum den gesellschaftlichen Veränderungen stellen.
Wer das Jüdische Museum verlässt, soll nicht nur sagen: „Ich habe heute interessante Dinge gesehen“, sondern vielmehr: „Ich habe heute interessante und spannende neue Eindrücke gewonnen“. Museen können helfen, die Vergangenheit, die Geschichte besser zu vermitteln und damit Gegenwärtiges besser zu verstehen. Sie können damit auch einen Beitrag leisten, ein Stück Zukunft mitzugestalten. Museen können Isolation leben oder sich in viele Richtungen öffnen. In Zukunft gilt es, neue Verbindungen zu schaffen. Ein Museum kann auf Objekte fokussiert sein oder es kann darauf fokussiert sein, was mit den Menschen im Museum passiert. Aber es sollte nicht vergessen, die Geschichten, die in Objekten stecken oder sich verstecken, seinen BesucherInnen zu vermitteln. Damit bekommt der Mensch, der Besucher als Dialogpartner des Museums einen neuen und wichtigen Stellenwert.
Der Philosoph und Historiker Dan Diner berichtet in diesem Buch, dass er jüdische Museen früher ausschließlich als Grabmäler wahrgenommen und sie mit entsprechender Distanz aufgenommen habe. Daher sei er auch nicht gern in jüdische Museen gegangen (siehe Seite 100).
Jüdische Museen waren in den 1980er Jahren als Monumente für das Verschwundene geplant gewesen, als Stätten der Erinnerung anstelle des vielschichtigen, lebendigen Judentums, wie es vor 1938 an vielen Orten präsent war. Insofern war das „Alte Jüdische Museum“, 1895 aus den Reihen der Wiener Juden gegründet, ein jüdisches Museum, wie es manchen heutigen Zielsetzungen vermutlich gerecht würde. Ein Ort des Sammelns, Bewahrens und Ausstellens, aber auch des spannenden Diskurses zwischen Juden und der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft, ein Ort der Orientierung für die zu diesem Zeitpunkt bereits äußerst assimilierten Wiener Juden. Nach mehreren Ortswechseln von der Rathausstraße über die Praterstraße wurde die Malzgasse im 2. Wiener Gemeindebezirk Heimstätte des Jüdischen Museums, bis es 1938 von den Nationalsozialisten geschlossen wurde.
Erst 50 Jahre später – 1988 und mitten in der Affäre um den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim, der seine Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg verschwiegen hatte – wurde auf Betreiben der Stadt Wien ein jüdisches Museum (wieder-)gegründet. Anfangs ohne fixe Heimstatt, dienten vorerst Räumlichkeiten der Israelitischen Kultusgemeinde als Unterkunft für die neu gegründete Institution. Erst fünf Jahre nach der Gründung und nach langen Diskussionen wurde das ehemalige Kunstpalais des Auktionshauses Dorotheum in der Dorotheergasse 11 als Ort für das Jüdische Museum ausgewählt. Ein Haus mit einer bewegten Geschichte, das im Lauf der Jahrhunderte auch einen jüdischen Besitzer vorweisen konnte: Das Bankhaus Arnstein und Eskeles firmierte um 1825 kurz als Eigentümer der Liegenschaft. Kurzerhand wurde das Gebäude 1993 in „Palais Eskeles“ umbenannt, auch wenn Bernhard von Eskeles, der Mitbegründer der Österreichischen Nationalbank, dort nie gewohnt hatte. Diskussionen gab es allerdings nicht nur um den Ort für das Museum, sondern vor allem um die Gründung selbst. So stieß der damalige Bürgermeister Helmut Zilk mit seiner Idee in der jüdischen Gemeinde in erster Linie auf Skepsis. Dort stand die Sinnhaftigkeit eines jüdischen Museums im Mittelpunkt der Diskussionen, bis sich schließlich nach der Eröffnung des Museums im Palais Eskeles im November 1993 die Wogen glätteten.
Heute geht es um eine Neudefinition: ein Museum für jüdische Geschichte, für die Präsenz der Juden in Wien. Die Brüche in der Wiener jüdischen Geschichte sind in vielen Epochen, die in der neuen permanenten Ausstellung des Jüdischen Museums Wien präsentiert werden, ein Gesichtspunkt. Erstaunlicherweise beschäftigt sich mit diesem Aspekt kein anderes Museum in Wien, was wiederum Anlass für die Frage gibt, warum sich gerade und ausschließlich ein jüdisches Museum damit auseinandersetzen soll.
In Vorbereitung seiner neuen permanenten Ausstellung hat das Jüdische Museum Wien in dieser Diskussion im Jahr 2011 eine Vorreiterrolle übernommen. Auf dem Weg zu seiner Neupositionierung hat das Museum sich und seinen BesucherInnen kritische Fragen gestellt. Wie lassen sich die jüdische Geschichte, Kultur, Religion, aber auch die Schoa bald 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vermitteln? In Ausdehnung der Selbstreflexion auf den Dialog mit den BesucherInnen wurde zu diesem Thema eine Ausstellung gestaltet: „WIEN. JÜDISCHES MUSEUM. 21. JAHRHUNDERT. Sieben Fragen auf dem Weg zu einer neuen Dauerausstellung“. Die Bandbreite der Fragen reichte von Grundsätzlichem (Was bringt Sie hierher? Warum gibt es jüdische Museen?) über die Rolle der Religion oder Kunst in einem jüdischen Museum bis hin zur Schoa und der Herausforderung, diesen massivsten Bruch in der jüdischen Geschichte begreifbar zu machen.
Die Ausstellung mit ihrem Spektrum an Fragen entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zum spannenden Diskursraum und ließ BesucherInnen, MitarbeiterInnen und Gäste an dem komplexen und dynamischen Entwicklungsprozess des Hauses und seiner Neupositionierung teilhaben. Alle waren gleichermaßen zur Interaktion eingeladen und konnten ihre Kommentare und Gedanken hinterlassen. Die laufenden Ergebnisse des Prozesses wurden digitalisiert, ausgedruckt und ähnlich einem Blog auf vertikalen Ideenbändern befestigt. Welchen Stellenwert haben jüdische Geschichte, Kultur, Tradition, Religion aus Sicht der Bevölkerung? Was zeichnet jüdische Museen im 21. Jahrhundert aus? Und was motiviert die Menschen zum Besuch eines jüdischen Museums?
Das Atrium im Erdgeschoß des Museums verwandelte sich durch diesen Diskurs für knapp zwei Jahre in einen „Space in Progress“. Die generellen Fragen eröffneten die Diskussion über die Bedeutung eines jüdischen Museums im Wien des 20. und 21. Jahrhunderts: Warum gibt es eigentlich jüdische Museen, wer besucht sie und warum? Was wurde und wird hier gesammelt? Was bedeutet ausstellen? Wie kann man Religion vermitteln? Wie die Wiener jüdische Geschichte mit all...