1.2 Wissenswertes
„Ich weiß nicht, mit was für Waffen der Dritte Weltkrieg geführt wird, aber der Vierte wird mit Stöcken und Steinen ausgetragen.“
(Albert Einstein)
Es gibt viele Informationen, die zu dem Themenbereich „Gewalt“ gehören. Vielleicht ist nicht jeder Ansatz für Sie interessant. Jedes Kapitel kann aber auch für sich alleine stehen, d.h. Sie können Kapitel überspringen und den Rest des Buches trotzdem verstehen.
1.2.1 Aggressivität ist ein Fehler im Gehirn
„Es könnt´ alles so einfach sein – isses aber nicht.“
(Die Fantastischen Vier)
Der Mensch entwickelte sich vor ca. 200.000 Jahren in Afrika. Die letzten Veränderungen an den menschlichen Genen und am Gehirn wurden vor ca. 100.000 Jahren vorgenommen. Damals gab es noch nicht so viele Autos, Fastfood oder chronischen Stress. Deshalb kommt es heute manchmal zu Problemen. Die Evolution hat über Jahrmillionen das Gehirn zu einem perfekten Werkzeug geformt – perfekt für Jäger und Sammler in der Savanne. Seit dieser Zeit gab es für unsere Gesellschaft kein Update. Es existiert immer noch das Gehirnbetriebssystem 1.0. Da es einfach nicht optimal an die heutigen Bedingungen angepasst ist, hat man manchmal das Gefühl, dass es auch von Microsoft entwickelt worden sein könnte.
Das menschliche Gehirn hat zwischen 100 Milliarden und einer Billion (12 Nullen) Gehirnzellen (Neuronen). Jede einzelne Zelle ist mit bis zu 10.000 anderen verbunden. Unser Gehirn verbraucht 20% unserer Energie. Täglich strömen 1.200 Liter Blut durch das Gehirn und liefern so 75 Liter reinen Sauerstoff. Wird der Sauerstoff für zehn Minuten vorenthalten, kommt es zu dauerhaften Schäden. Das Gehirn wiegt ca. 1,4 kg und damit um die 2,3% der Körpermasse. Bei Hunden sind es 0,72%, bei Kaninchen 0,48% und bei Pottwalen 0,02% der Körpermasse. Menschen sind nun mal Kopftiere. Die Natur hat es so eingerichtet, dass der Kopf so groß wie möglich ist, und trotzdem noch (unter großen Schmerzen) durch den Geburtskanal passt.
Unsere Großhirnrinde macht uns zur flexibelsten Art dieser Erde. Die alte Legende, dass Menschen nur in der Kindheit lernen, wurde mittlerweile von der Gehirnforschung (Neurowissenschaft oder Neurobiologie) widerlegt. Täglich kann das Gehirn um bis zu 40.000 Neuronen wachsen. Auch das erwachsene Gehirn ist in der Lage, sich zu verändern, sich zu reparieren oder zu wachsen.
Das Gehirn funktioniert wie ein Muskel. Benutze ich einen Bereich oft, so wird dieser immer stärker. Spreche ich also regelmäßig mehrere Sprachen, so werden diese Regionen im Gehirn öfter angesprochen und die Verbindungen zwischen den betroffenen Gehirnzellen werden stärker. Benutze ich einen Bereich selten, so wird dieser kleiner und kann verkümmern. Meide ich Musik und Rhythmus in jeglicher Form, so werden die Verbindungen zwischen diesen Gehirnzellen langsam abgebaut. Ich werde dadurch immer „unmusikalischer“. Bestimmte Informationen werden in bestimmten Teilen des Gehirns gespeichert. Zum Beispiel ist der Hippocampus im Gehirn für das Speichern von Orten zuständig. Diese Region ist wichtig, um sich in der Welt zurecht und Orte wieder zu finden. Bei Taxifahrern in London hat man deshalb einen überdurchschnittlich großen Hippocampus festgestellt. Jeder, der schon mal in London war, weiß warum.
In unserer Gesellschaft wird es gerne gesehen, dass man sich auf eine Sache konzentriert und diese richtig macht. Doch hierbei werden nur wenige Regionen im Gehirn angesprochen. Dies kann zu einer Schrumpfung des Gehirns führen. Der Neurologe Lionel Feuillet (Universität Marseille) entdeckte z.B. einen 44-jährigen Beamten einer Steuerbehörde, der nur über 10% der üblichen Gehirnmasse verfügte. Der IQ war zwar unterdurchschnittlich, aber er kam ganz gut zurecht. Die „Gehirngröße“ fiel nur auf, weil der Mann aufgrund eines Beinleidens unter den Kernspin- und Computertomographen durfte. Unsere Gesellschaft mag einfach Fachidioten und fördert diese. Wir brauchen einfach nur weniger Gehirn, um in dieser Gesellschaft gut zurecht zu kommen.
Auch das Phänomen Aggressivität wurde immer wieder von Gehirnforschern untersucht:
Der präfrontale Kortex, auch Stirnlappen genannt, ist unser „Betriebsrat” im Gehirnbetrieb. Er ist unser „schlechtes Gewissen” und auch unser “Hemmungsmechanismus”, der uns eine Faust in der Tasche machen lässt, bevor wir unseren Chef als „A...loch” beschimpfen. Ohne den Stirnlappen würden wir uns „hemmungslos“ verhalten.
Der bekannteste Mensch ohne Stirnlappen hieß Phineas Gage. Er galt als fleißig, zielstrebig, klug und energisch. 1848 wurde er durch eine Explosion stark am Kopf verletzt. Eine Eisenstange schlug ein Loch in den Kopf und zerstörte große Teile des Gehirns. Hauptsächlich den vorderen Teil, welcher für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig ist. Phineas Gage überlebte und war danach wie ausgewechselt. Er war nun launisch, respektlos, erzählte Lügengeschichten und war aggressiv. Bekannte berichteten, dass er ein ganz anderer Mensch geworden sei.
Der amerikanische Hirnforscher Antonio R. Damasio schreibt von jungen Menschen, die Verletzungen am Stirnhirn erlitten und sich zu Soziopathen entwickelten. Nach Prof. Richard Davidson (Universität Wisconsin) stecken hinter der Aggressivität „Fehler in jenen Schaltkreisen des Gehirns, mit denen wir unsere Gefühle regulieren.“
Doch nicht nur solche Unfälle, sondern auch chronischer Stress kann die Nervenzellen bestimmter Hirnregionen schädigen. Je länger Kriegsveterane an der Front waren, desto kleiner sind Hirnregionen, wie z.B. der präfrontale Kortex. Ähnliche Ergebnisse fand man auch bei Missbrauchsopfern.
Prof. Adrian Raine (Universität Südkalifornien) untersuchte 1998 die Hirnaktivität von 41 Mördern. Teile des präfrontalen Kortex waren auffallend gering aktiv. Sie erinnern sich: Der Kortex ist der Betriebsrat im Kopf. Das „Glückshormon“ Serotonin wurde bei aggressiven Männern im Stirnhirn nur in sehr geringen Mengen nachgewiesen. Ist dieses Hormon in zu geringen Mengen vorhanden, so geraten die Gefühle „außer Kontrolle“. Teile der Amygdala (Mandelkern) waren hingegen sehr aktiv. Dieser Bereich ist u.a. für die Verarbeitung von negativen Gefühlen wie Angst oder Furcht zuständig.
In der Pubertät ändert sich auch die Hirnstruktur. Der präfrontale Kortex wird dabei zerstört und wieder aufgebaut. Aufgrund von Umbauarbeiten vorübergehend geschlossen. Deshalb geraten auch einige Jugendliche „außer Kontrolle“. Viele Verhaltensweisen in der Jugend sind durch diesen „Hirnschaden“ zu erklären, z.B. auch einige meiner Erlebnisse. Mit 25 Jahren ist die Baustelle Gehirn meist fertig und da setzt dann oft auch erst langsam der „Verstand“ ein.
Fazit: Gewalttäter und Jugendliche haben einen „Hirnschaden“!
1.2.2 Bauch schlägt Kopf
„Und im Zweifelsfalle, mein Herr Meriadoc, sollte man immer seiner Nase folgen!“ (Gandalf aus „Herr der Ringe“)
Der Mensch hat drei Intelligenzen:
- Gehirn – Darm – Immunsystem
Alle drei sind durch Gefühle miteinander verbunden. Ärger im Kopf ist Gift für den Darm und das Immunsystem. Das haben Sie wahrscheinlich auch schon beobachtet oder am eigenen Leib erfahren.
Im Darm befindet sich das „enterale“ Nervensystem. Dort wird selbstständig gedacht. Es ist sozusagen das zweite Gehirn. Erforscht wird der Darm seit dem 19. Jahrhundert und 1981 bewies der Neurobiologe Michael Gershon, dass dieser komplett eigenständig arbeitet. Der Darm ist so eigenständig, dass dieser erst 24 Stunden später den Tod des Menschen bemerkt und aufhört zu arbeiten. Er besitzt die gleichen Neuronen (ca. 100 Millionen) wie das Kopfgehirn. Zudem wirken die gleichen Neurotransmitter und Neuromodulatoren. Fast alle chemischen Vorgänge, die im Kopf fürs Denken, Erinnern und Planen sorgen, finden auch im Verdauungstrakt statt. 95% des „Glückshormons“ Serotonin befinden sich im Darm. Der Bauch „spricht“ mit unserem Bewusstsein über Gefühle. Auch wenn sich der Mensch für ein „Kopf-Wesen“ hält, so ist er doch vornehmlich ein „Bauch-Wesen“. Viele Tests zeigen, dass die meisten Entscheidungen gefühlsmäßig entschieden werden und der Kopf dies nachher nur begründet. Selbst beim Einkauf werden über 90% der Waren gefühlsmäßig ausgesucht. Das Gefühl ist für jede Entscheidung sehr wichtig.
Gerade Belohnungs- und Glücksempfindungen sind da entscheidend. Der Psychologe und Glücksforscher Mihaly Csikszentmihaly prägte den Begriff „Flow“. Es ist...