Sympathieprofile
Wie sich die Szenen gegenseitig beurteilen Bernhard Heinzlmaier
Spätestens wenn man nach größeren Marktpotentialen Ausschau hält und damit mehrere Szenen gleichzeitig ansprechen will, muß man sich genau mit den Verwandschaftsverhältnissen der Szenen auseinandersetzen. Der Marketer muß wissen, bei welchen Gruppen von Jugendlichen er Reaktanz bzw. Widerstand produziert, wenn er z. B. auf die Szene der HipHopper oder Technos setzt. Es geht also darum festzustellen, welche Lebensstilgruppen von Kids der Marketer von vorne herein ausschließt oder einschließt, wenn er auf einen ganz bestimmten Lifestyle setzt.
Jugendszenen sind keine scharf voneinander abgegrenzten sozialen Strukturen wie zum Beispiel Parteien, Jugendverbände oder Religionsgemeinschaften. Man kann nicht bei SPD und CDU oder bei SPÖ und FPÖ gleichzeitig Mitglied sein, genauso wenig wie man zugleich evangelisch und katholisch sein kann. Traditionelle Institutionen verlangen nach Entscheidungen, sie sind nach dem Entweder-Oder-Prinzip gebaut. Im Gegensatz dazu ist in der informellen Welt der Szenen so ziemlich alles möglich: Man kann in mehreren Szenen gleichzeitig sein oder sich auf eine Szene konzentrieren. Und es gibt natürlich auch Szenen, die nicht zueinander passen und damit eine „Mehrfachmitgliedschaft“ ausschließen. In der Regel gilt aber: Kleine subkulturelle Szenen (Punks, Skins, Rechte, Linke etc.) funktionieren eher nach dem Entweder-Oder-Prinzip der klassischen Institutionen, die großen Mainstream-Fun-Kulturen wie Snowboarder, Mountainbiker, Beachvolleyballer, Streetballer, HipHopper oder Technos sind offen und durchlässig für die sogenannten Szene-Surfer, also für den Haupttypus des postmodernen Jugendlichen, der sich nicht festlegen lassen will, der eigentlich immer unterwegs ist, der mehrere Heimaten gleichzeitig hat, der Gegensätze virtuos unter einen Identitätshut bringt, der mehrere Szenecodes beherrscht und damit z. B. am Montag Snowboarder, am Dienstag Techno-Freak, am Mittwoch Computerspieler und am Sonntag Junger Christ sein kann.
Man sieht, prinzipiell sind fast alle Kombinationen möglich, aber manche Kombinationen sind häufiger und wahrscheinlicher als andere. Sympathieprofile sind für den Marketer hier das geeignete Instrument, um festzustellen, welche Szenen sich gegenseitig akzeptieren bzw. wo kein Weg zusammenführt.
Sehen wir uns die Sache am besten anhand praktischer Beispiele an. Nehmen wir zuerst die Megaszene der Fußballfans. Die Fußballfans sind in Deutschland wie in Österreich die quantitativ größte Jugendszene. Bei welchen anderen Szenen haben nun die Fußballfans den größten Sympathiebonus? Es sind eindeutig die ebenfalls männlichen Computerszenen gefolgt von den Fun-Sport-Szenen Mountainbiker und Snowboarder. Interessant dabei ist, daß die ebenfalls stark männlich dominierte Szene der Skateboarder den Fußballfans relativ wenig Sympathie entgegenbringt. Bei den Musikszenen HipHop und Techno haben die Fußballfans die schlechtesten Karten.
Relativ homogen zeigen sich die Daten bei den Sympathisanten der verschiedenen Szenen. Mit Ausnahme der Sympathisanten der Computerspieler, deren Sympathie für die Fußballszene relativ deutlich die 50-Prozent-Grenze durchstößt, bewegen sich die Daten der restlichen Szenen in einem Korridor zwischen der 40- und 50-Prozent-Marke. Lediglich die Sympathisanten der House-Szene fühlen sich so wenig zu den Fußballfans hingezogen, so daß die Werte bis knapp an die 40-Prozent-Grenze hinunterfallen. Das Datenbild der Szenesympathisanten deutet auf eine recht große Kompatibilität und Offenheit der Fußballszene. Fußball ist heute eine Zusehersportart geworden, die längst aus dem sozialen Ghetto draußen ist. Die Fußballszene ist eine Szene, die für alle offen ist und kaum jemanden ausgrenzt.
Eine Megaszene mit Everybodies-Darling-Charakter ist auch die Szene der Tierschützer. Mit Ausnahme der HipHopper und Computerfreaks liegen die Sympathiewerte in allen untersuchten Szenen bei über 50 %. Am höchsten ist die Sympathie für den Tierschutz bei den Beachvolleyballern und Mountainbikern, aber auch die Technos stehen der Szene mit großer Zuneigung gegenüber.
Noch einen Stock höher liegen die Werte der Szenesympathisanten. Hier zeigt sich das Meinungsbild ähnlich homogen wie bei der Fußballszene. Wie bei den Fußballfans gilt auch hier: Die Tierschützer polarisieren nicht. Sie grenzen nicht aus, sondern schließen ein. Die Tierschützer sind damit eine Szene für das Mainstream-Marketing.
Die Snowboarder-Szene, eine Megaszene mit Schwerpunkt in alpinen Ländern (Schweiz, Österreich), ist zweifellos eine Szene mit großartigen Sympathiewerten und genauso großartigen Zukunftsprognosen. Das Trendpotential dieser Szenen ist deshalb so groß, weil die Snowboarder-Kultur gerade im Begriff ist, mit ihren Events die Städte zu erobern. War zum Beispiel Air&Style, der größte Snowboard-Event Europas, noch bis vor einigen Jahren auf den Veranstaltungsort Innsbrucker Bergisel-Schanze beschränkt, so ist Air&Style nun auch in den Großstädten Europas, wie etwa in München, zu Hause. Nicht anders in Zürich, wo bereits seit mehreren Jahren im Rahmen des Züri Freestyle Event eine Snowboarder-Competition am Rande des Zürichsees veranstaltet wird. Und auch Wien steht nicht zurück, wo 1998 bereits zum zweiten Mal der Swatch Soul City Event durchgeführt wurde. Das sind klare Belege: Snowboard goes City, Snowboard goes Mainstream.
Snowboarden ist eine urbane Kulturtechnik, es ist nichts anderes als Skateboarden am Schnee. Das Sympathieprofil der Snowboarder-Szene zeigt dies deutlich: Die größte Sympathie ernten die Snowboarder nämlich von den urbanen Kulturen der Skateboarder und der HipHopper. Daß mit der Snowboard-Szene eine urbane Jugendkultur den ländlichen Kulturraum erobert, wurde schon im Jahr 1998 im „Trendpacket 2“ des Österreichischen Instituts für Jugendforschung angesprochen: „[Die Snowboarder] bringen ihren urbanen kulturellen Überbau, ihren städtischen Lifestyle, in die Schigebiete mit. Es beginnt schon bei der Bekleidung. Während sich der traditionelle Schifahrer in seinen braven Schianzug zwängt und die gute alte Schihaube aufsetzt, tragen die Snowboarder urbane ‚Streetwear‘, zum Beispiel die Jacke ‚Performance‘ aus der Markenserie ‚Fanatic‘ oder Shirts aus der ‚Extreme Division‘ von ‚Homeboy‘. Brillen werden als ‚Eyewear‘ bezeichnet und hören auf Markennamen wie ‚Dirty Dog‘, und die guten alten Schihauben werden durch Mützen im Skateboarder-Design ersetzt und stammen aus dem Hause ‚Gimme Five‘.“
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die immer engere Liaison zwischen den verschiedenen Fun-Sports. Die Jahreszeiten werden immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Winter- und Sommersportarten gönnen sich einen gemeinsamen Auftritt. In den nächsten Jahren wird sich die Tendenz zu gemeinsamen Events noch verstärken. Konkret gesprochen heißt dies: Snowboarder gemeinsam mit Skatebordern und BMX-Fahrern bei Events in den Städten und Inline-Skater, Skateboarder und BMX-Fahrer gemeinsam mit Snowboardern bei Events in den Gletscherschigebieten Mitteleuropas.
Interessant ist auch das Sympathieprofil der Inline-Skater. Ein erster Blick zeigt bereits: Die Daten räumen mit dem gängigen Vorurteil auf, daß Inline-Skater und Skateboarder füreinander gravierende Antipathien empfinden würden. Gleich nach den HipHoppern sind es nämlich die Skateboarder, die den Inline-Skatern die größte Sympathie entgegenbringen. Vorbei damit die Zeiten, in denen die seit über dreißig Jahren existierende Skateboarder-Bewegung die Inline-Skater quasi als unbefugte Eindringlinge in ihr Revier betrachteten. Vieles wurde den Inline-Skatern (angeblich) von den Skateboardern vorgeworfen. Ganz an der Spitze die Vorhaltung, daß die Technik des Inline-Skatens im Vergleich zu der des Skateboardens um vieles einfacher zu erlernen sei und sich die Skateboarder öffentlich mit Fahrkünsten wichtig machen würden, die sich auch jeder Rentner in einem Wochenkurs aneignen könnte. Aber auch der Umstand, daß die Inline-Skater rasch zu einem Massenphänomen wurden, stachelte den Zynismus der Skateboarder an, die sich gerne als Underground-Bewegung inszenieren. Nun aber sind die Zeiten des Streits vorbei. Man hat sich angenähert, zollt sich Respekt, akzeptiert sich. Toleranz allen Orts, selbst bei den Aggressive-Skatern auf den Rampen und in den Halfpipes. Um sich nicht gegenseitig zu behindern, teilt man sich die Zeit in den Obstacles brüderlich/schwesterlich: eine halbe Stunde die Inline-Skater, eine halbe Stunde die Skateboarder.
In ihrer Sympathie für die Inline-Skater werden die Angehörigen der Skateboarder-Szene noch von den Szenesympis übertroffen – was nicht weiter überrascht. Einmal mehr zeigt sich, daß die Sympathisanten mit der eigentlichen Szene kulturell kaum etwas gemein...