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E-Book

Kälter als die Nacht

Gefangen im Keller eines Serienmörders

AutorJosefina Rivera
VerlagbeTHRILLED
Erscheinungsjahr2018
ReiheTrue Crime - Echte Fälle, wahre Verbrechen 
Seitenanzahl301 Seiten
ISBN9783732571826
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR

Als Josefina Rivera in einer regnerischen Nacht in den Wagen von Gary Heidnik steigt, ahnt sie nicht, dass sie sich damit einem Psychopathen ausliefert. Heidnik überwältigt die junge Frau und kettet sie in seinem Keller an. Doch Josefina soll nicht die letzte sein. Nach und nach bringt Heidnik weitere Mädchen in das von ihm geschaffene Verlies, wo sie Hunger, Folter und Missbrauch erleiden. Mit der Zeit wird ihr Peiniger immer brutaler - er hängt sie mit den Armen an der Decke auf und zwingt sie in ein Erdloch, das er mit Wasser füllt und danach mit Holzplatten abdeckt. Mit einem Kabel versetzt er den Mädchen Stromschläge. Zwei von den fünf Frauen überleben die Torturen nicht. Doch Josefina gibt die Hoffnung auf Freiheit nicht auf: Schritt für Schritt erlangt sie das Vertrauen Heidniks - und ihr gelingt das Unmögliche. Mit einer riskanten Aktion kann sie sich und ihre Mitgefangenen befreien.


True Crime bei beTHRILLED: Nichts ist so grausam wie die Realität

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Leseprobe

1


Verschleppt


Ich hielt meinen winzigen Jungen in meinen Armen, strich ihm über den Kopf und flüsterte ihm zu: »Wie geht’s dir, mein kleiner Mann? Geht’s dir heute gut?«

Er schlief tief und fest in meiner Umarmung. Ich berührte mit der Spitze meines Zeigefingers zärtlich seine Stupsnase und umkreiste dann langsam seine Lippen, die genauso voll waren wie meine.

Er sah in seinem himmelblauen Strampelanzug vollkommen aus, einfach vollkommen. Ich seufzte. Erst eine Stunde zuvor war ich zur Neugeborenenintensivstation des Pennsylvania Hospital im Stadtzentrum von Philadelphia gekommen, wo er bleiben sollte, bis er etwas zu Kräften gekommen war. Er war ein Frühchen genau wie meine anderen Kinder und daher winzig wie eine kleine Puppe. Ich hatte ihn gebadet und ihm die Windeln gewechselt, während er sich unruhig in meinen Armen wand.

Als er rundum sauber und trocken war, gab ich ihm ein Fläschchen, und nachdem er es zur Hälfte geleert hatte, schlief er ein. Ich legte ihn behutsam in sein durchsichtiges Plastik-Babybett, und er streckte die Beine in völliger Glückseligkeit. Ich deckte ihn mit seiner weichen Baumwolldecke zu und blickte ihn einfach nur an.

Jetzt, in der fünften Lebenswoche, wurden Rickys dünne Ärmchen allmählich fülliger, und seine kleinen, vertrauensvollen Finger legten sich unbewusst um meine eigenen.

Ricky war mein drittes Kind, aber ich wusste, dass die Entscheidung, ob ich ihn nach Hause würde nehmen können, nicht länger bei mir lag. Ich würde dem Jugendamt beweisen müssen, dass ich eine gute Mom war, eine Frau, die bereit war, die Bedürfnisse ihrer Kinder über ihre eigenen zu stellen.

Sie müssen wissen, dass Ricky mit Drogen in seinem Organismus zur Welt gekommen war.

Tränen traten mir jetzt in die Augen, als ich meinem schlafenden Kind ein tief empfundenes, stilles Versprechen gab.

Ich werde das Richtige für dich tun, Ricky. Ich werde mich bessern. Ich werde meine anderen Kinder zurückbekommen. Wir werden alle eine Familie sein. Versprochen. Momma wird alles wiedergutmachen. Du wirst sehen.

Er war so zufrieden, so unschuldig, dass ich unwillkürlich von Schuldgefühlen und Schmerz über die Art und Weise, auf die ich ihn in diese Welt gebracht hatte, überwältigt wurde.

Er hatte nicht darum gebeten, so geboren zu werden – es war meine Schuld. Das wusste ich.

Noch vor einem Jahr lief alles so gut: Ich war seit einer Weile clean, hatte meine beiden Mädchen bei mir, und ich lebte mit dem Mann zusammen, den ich liebte.

Wie schnell das alles auseinanderbrach. Da ich tagsüber arbeitete, ließ ich die Kinder in der Obhut meiner Schwester Iris. Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass sie die meiste Zeit irgendwo außer Haus war und high wurde. Als die Nachbarn sahen, wie Iris’ Kinder unbeaufsichtigt durch die Straßen liefen, hielten sie den ältesten Jungen an und fragten ihn, wo seine Mom sei.

»Ich weiß nicht«, kam seine aufrichtige Antwort. Das war der Moment, in dem die Kinderschutzbehörde aktiv wurde. Sie nahmen Iris ihre drei Kinder und mir meine jüngste, erst ein Jahr alte Tochter Zornae weg, und ich musste mir eine neue Bleibe suchen.

Zum Glück ließen sie mir LaToya, meine fünfjährige Tochter aus einer früheren Beziehung. Aber Monate später wurde Toya, oder Bookie, wie ich sie nannte, von ihrem Vater entführt. Zu dieser Zeit war meine Beziehung zu Zornaes Vater ebenfalls dabei, in die Brüche zu gehen, und ich war mit Ricky schwanger. Alles war irre chaotisch. Zu meiner ewigen Schande verfiel ich wieder in die alten Gewohnheiten, die mich schon während meiner Teenagerzeit geplagt hatten: Crack rauchen und auf den Strich gehen.

Ich werde später noch in allen Einzelheiten darauf eingehen, wie es zu diesem traurigen Durcheinander kam, aber vorläufig müssen Sie nur wissen, dass ich ein verletzliches Kind war, das in einer Umgebung lebte, in der Drogen an der Tagesordnung waren. Ich hatte in ihnen etwas gefunden, womit sich die ganze Schlechtigkeit der Welt ausblenden ließ, und ich war süchtig danach. So süchtig, dass es mich davon abhielt, die Mutter zu sein, die ich sein wollte. Meine Sucht war mir wichtiger als alles andere. Könnte ich die Uhr zurückdrehen, würde ich Crack niemals auch nur anrühren. Es hat mein Leben ruiniert – auf die schlimmstmögliche Weise.

Jetzt sah ich auf Ricky hinunter und sagte mir: Du wirst das hinkriegen, Josefina. Du musst das hinkriegen.

An jenem Tag verließ ich das Krankenhaus und kehrte zurück zu meiner neuen Wohnung. Diese Wohnung bedeutete mir alles. Sie würde der Ort sein, an dem ich meine Familie wieder zusammenbringen konnte. Ich hatte sie wirklich schön hergerichtet, mit Etagenbetten für die Mädchen und einem Gitterbett für Ricky. Das Gericht hatte einen Termin festgesetzt, zu dem mir die Kinderschutzbehörde einen Besuch abstatten würde, um mein neues Zuhause zu genehmigen.

Jetzt brauchte ich nur noch ein bisschen Zeit, um von den Drogen loszukommen, und alles würde gut werden. Ich machte mir ein Schinken-Käse-Sandwich, und dann nahm ich ein Bad.

Es war der 26. November 1986, der Tag vor Thanksgiving. Mir fehlte bloß noch ein bisschen Bargeld, um über die Feiertage zu kommen und um mir über die Runden zu helfen, damit ich nicht zappelig würde. Ich schaltete also den Fernseher und das Licht aus und verließ die Wohnung.

»Gehst du anschaffen?«, fragte der Mann.

Es war gegen neun Uhr abends, und ich ging auf der Suche nach einem Kunden die Straßen auf und ab, also ja: Ich ging anschaffen.

Ich trug wie üblich meine schwarze Jeans, Lederjacke, ein schwarzes T-Shirt und Turnschuhe. Ich musste mich nie in Schale werfen, um Typen aufzugabeln. Von Natur aus schlank, mit vollen Lippen und ausgeprägten Wangenknochen, fiel es mir immer leicht, Arbeit zu kriegen. An diesem Abend hatte ich mir eine toupierte Perücke über meinen Pferdeschwanz gezogen und meine Jacke fest um mich gewickelt, um mich vor der frühwinterlichen Kälte zu schützen.

Dieser Abend unterschied sich in nichts von irgendeinem anderen Abend der Woche, abgesehen davon, dass es der Abend vor Thanksgiving war und daher nicht viele Autos die Front Street in Philadelphia auf und ab fuhren. Trotzdem konnten nicht mehr als zehn Minuten verstrichen sein, bevor ich einen Wagen an mir vorbeifahren und dann am Ende der Straße umkehren sah.

Das ist gut, dachte ich, vermutlich kam er zurück, um mich anzuheuern. Mir gefiel die Vorstellung nicht, noch lange hier draußen in der Kälte zu sein.

Ein hellbrauner Cadillac Seville hielt neben mir an – ein schöner Wagen, ein teurer Wagen.

Dann ging das Fenster herunter, und der Typ fragte mich, ob ich anschaffen ginge.

Es war mein allererster Blick auf Gary Heidnik.

Und das Einzige, was ich bemerkte, war ein Paar helle, sehr durchdringende blaue Augen – so blass und durchschimmernd, dass man das Gefühl hatte, genau durch sie hindurch und in seinen Schädel sehen zu können. Nur dass man selber nicht der war, der Heidnik ansah. Er hatte dich in seinem starren Blick.

Abgesehen von diesen Augen war an diesem Typen nichts Ungewöhnliches. Überhaupt nichts.

Er war ein Weißer, mit einem gewöhnlichen Gesicht – gerade Nase, kantiger Kiefer, gewelltes braunes Haar und ein gestutzter Bart. Er war schlank und trug eine braune Rindslederjacke mit Fransen an den Ärmeln. Ein ganz normaler Typ.

»Ja?«, fragte ich.

»Ich will ein bisschen Spaß haben. Kommst du mit zu mir?«

»Ich gehe nicht zu anderen Leuten nach Hause«, sagte ich. Ich musste ein paar Grundregeln haben, und das war eine davon.

»Na ja, ich bin eins achtzig groß, da ist es für mich irgendwie schwer, im Auto rumzumachen«, sagte er, und ich äugte in den Wagen. Ledersitze, und es roch sauber und frisch. Es stimmte, er hatte lange Beine, aber es widerstrebte mir trotzdem. Ich hatte nicht viele Regeln in meiner Branche, aber das war eine, an die ich mich im Allgemeinen streng hielt. Schließlich will man keine Zeit damit verschwenden, zu jemandem nach Hause und wieder zurück zu fahren, wenn man ihnen das, was sie wollten, auf einem Parkplatz geben und in zehn Minuten wieder draußen bei der Arbeit sein konnte.

Aber ich konnte spüren, wie die Temperatur um mich herum abfiel.

»Na los«, drängte er mich. »Ich gebe dir fünfzig Dollar.«

»Wie weit ist es?«, fragte ich.

»Nur etwa eine Viertelstunde mit dem Auto. Komm schon, wir sind in einer halben Stunde fertig, und dann setze ich dich wieder hier ab.«

»Okay.«

Fünfzig Dollar – damit hätte sich mein Abend bereits gelohnt, und dann konnte ich wieder zurück in meine warme Wohnung. Ein bisschen Crack rauchen, high werden und mich entspannen. Und am Morgen darüber nachdenken, meine Kinder zurückzubekommen. Hätte ich das bloß nicht getan. Hätte ich doch bloß versucht, an diesem Abend clean zu werden. Es wäre für uns alle besser gewesen.

Ich rutschte neben ihn auf den Beifahrersitz, und als wir losfuhren, fragte er mich, ob ich Kinder hätte.

»Na klar«, sagte ich. »Deshalb kann ich nicht lange wegbleiben – die Babysitterin passt bei mir zu Hause auf meine Kinder auf, und wenn ich mich verspäte, flippt sie aus.«

Das stimmte zwar nicht, aber ich wollte von Anfang an klarstellen, dass ich danach nicht noch bei ihm herumhängen würde.

»Wie heißt du?«, fragte ich, während wir durch die dunklen, leeren Straßen schossen.

»Gary«, sagte er. »Und du?«

»Ich bin Nicole«, antwortete...

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