2 »Von einsichtigen Menschen wurde sein Leben bald gepriesen, bald getadelt«
Augustus’ Selbstdarstellung und sein Bild bei der antiken Mit- und Nachwelt
»Mit neunzehn Jahren habe ich aus eigenem Entschluß [ privato consilio] und eigenen Mitteln [ privata impensa] ein Heer aufgestellt, mit dem ich das Gemeinwesen [res publica], das durch die Gewaltherrschaft einer Clique [dominatio factionis] unterdrückt wurde, befreite.« (RG 1)
»In meinem sechsten und siebten Consulat habe ich, nachdem ich die Flammen der Bürgerkriege gelöscht hatte und mit der einmütigen Zustimmung aller in den Besitz der Allgewalt gelangt war, das Gemeinwesen aus meiner Machtbefugnis wieder der Entscheidungsfreiheit des Senates und des römischen Volkes überantwortet. Für dieses mein Verdienst wurde ich durch einen Senatsbeschluß Augustus genannt.« (RG 34)
So lauten jene beiden Passagen, die in keiner Untersuchung zu Augustus fehlen. Zu verwundern braucht das nicht, ist doch der Mensch, der hier in der ersten Person spricht, niemand anderes denn der Kaiser selbst, der den Text zudem damit schließt, er habe ihn im sechsundsiebzigsten Lebensjahr (also kurz vor seinem Tod) vollendet (RG 35). Welche Bedeutung er ihm zumaß, tritt bereits darin zutage, daß er ihn frühestens Ende September 13, vielleicht aber sogar erst im Juni oder Juli 14 n. Chr. (RG 4) versiegelt bei der Priesterschaft der Vestalinnen hinterlegte, wo bereits in zweifacher Ausfertigung sein auf den 3. April 13 n. Chr. datiertes Testament lagerte (Suet. Aug. 101,1). Daß Augustus in der solcherart gesicherten Buchrolle praktisch eine Gesamtbilanz seiner Existenz, genauer: eine Bilanz seiner politischen Erfolge zog, ist in diesem Fall keine reine Metapher. Sueton nennt das Werk einen index rerum a se gestarum, ein Verzeichnis von Augustus’ Taten oder besser seiner Leistungen als Politiker. Zugleich teilt der Biograph mit, Augustus habe verfügt, die vorher im Senat verlesene Schrift in Bronzetafeln zu gravieren und vor dem Grabbau (schon zeitgenössisch als »Mausoleum« bezeichnet), in dem bereits einige seiner Angehörigen bestattet waren und er seinerseits jetzt seine letzte Ruhestätte fand, öffentlich aufzustellen (Aug. 101,4).
Die Bedeutung dieser Information beschränkt sich nicht darauf, daß sie uns darüber unterrichtet, wie Augustus für die permanente Sichtbarkeit seiner Ausführungen sorgte und in welchen Kontext er sie einbettete. Vor allem nämlich erlaubte sie der Forschung, seinen »Index« wiederzuentdecken, obschon die Bronzetafeln längst dem Metallhunger nachantiker Zeiten zum Opfer gefallen und – wie die meisten derartigen Hinterlassenschaften der Römer, die speziell die Beschlüsse politischer Gremien, der Bürgerschaft und des Senates, stets in dieser Weise publizierten – eingeschmolzen worden waren. Denn ein zweisprachiger Text, der erstmals im 16. Jahrhundert an drei Wänden eines damals noch nicht identifizierten Gebäudes im türkischen Ankara (lateinisch: Ancyra) entdeckt worden war, trug in der lateinischen Fassung die Überschrift, er sei eine Kopie jener politischen Aktionen und finanziellen Aufwendungen des postum vergöttlichten Augustus, die sich im Original an Bronzepfeilern in Rom befänden. Nach diesem frühesten Zeugnis hieß Augustus’ Werk lange Zeit »Monumentum Ancyranum«. Daß diese Bezeichnung heute dem Titel Res Gestae (= RG) oder zu deutsch »Der Tatenbericht des Augustus« gewichen ist, hat damit zu tun, daß 1828/1930 und 1914/24 Bruchstücke von einer weiteren Übersetzung und einer weiteren Abschrift in Apollonia (rein griechisch) und Antiocheia (nur Latein) auftauchten. Dadurch wurde zum einen die Authentizität des Dokuments erhärtet und die Erkenntnis gewonnen, daß die griechische Version zentral angefertigt worden war. Zum anderen lieferte besonders der Neufund in Antiocheia wichtige Ergänzungen zum lateinischen Text, der in Ankara stärker als der griechische beschädigt und daher partiell lückenhaft war.
Wer Augustus’ »Verzeichnis« heute bequem als kleines Buch benutzt, sollte nicht vergessen, daß die Wiedergewinnung des Wortlauts ein kompliziertes und teils sogar abenteuerliches Unterfangen war. Konsequent betrieben wurde sie erst im 19. Jahrhundert, als sich auch für den Umgang mit derartigem antiken Material, welches die Altertumswissenschaften als Inschriften bezeichnen, wissenschaftliche Standards entwickelten. Sie umzusetzen gestaltete sich indes in Ankara durch Lage wie Ausmaß des zu sichernden Textes besonders schwierig. Anders als die später in Apollonia und Antiocheia bei Ausgrabungen entdeckten Fragmente befand sich das »Monumentum Ancyranum« in situ, das heißt noch an seinem ursprünglichen Platz. Das waren freilich für die lateinische Fassung die Innenwände dessen, was in der Antike die Vorhalle des Tempels der Göttin Roma und des Augustus dargestellt hatte, für die griechische Übersetzung die rechte Außenwand des Heiligtums. Da letztere Bestandteil angebauter neuzeitlicher Wohnhäuser geworden war, der Eingangsbereich des Tempels nach Verlust der Überdachung aber zum Friedhof einer Moschee, bedurfte es einiger Verhandlungen, um den Zutritt genehmigt zu bekommen. Eine weitere Herausforderung ergab sich aus der Dimension der Inschrift. Obwohl dafür jeweils der untere Teil der Mauer benutzt worden war, bedeckte sie innen pro Wand eine Fläche von 22 Quadratmetern, in der Länge je 4 Meter, in der Höhe 2,7 Meter, wobei der Text auf je drei Spalten verteilt war; außen lagen die Maße bei 1,88 Meter Höhe und 21 Meter Länge mit neunzehn Spalten. Von all dem wurden sogenannte Abklatsche genommen, indem die in den Marmor eingetieften Buchstaben, die in der Antike einst durch rote Farbe verstärkt worden waren, in insgesamt 194 angefeuchtete Löschpapierbögen von 60 Quadratzentimetern gedrückt wurden, ein Verfahren, das auch heute noch in der Inschriftenkunde (Epigraphik) Verwendung findet. Eben dadurch konnte Theodor Mommsens Ausgabe des »Monumentum Ancyranum« in der zweiten Auflage von 1883 wesentlich verbessert werden.
Seither hat Augustus’ Index die Forschung in vielfältiger Weise beschäftigt. Nicht immer gelang es dabei, die Tatsache im Auge zu behalten, daß das historisch fraglos ungemein wichtige Dokument weder ein Geschichtswerk noch eine Autobiographie darstellte. Gerade die Beachtung dieses Faktums bildet freilich eine wesentliche Grundlage für das Verständnis der Schrift. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um die Frage größerer oder geringerer Objektivität, wurden doch Memoiren sogar dezidiert zum Zweck der Rechtfertigung der eigenen Politik verfaßt und das Ideal der Unparteilichkeit und Verpflichtung zur »Wahrheit« von der Historiographie keineswegs immer erreicht. Der entscheidende Unterschied besteht vielmehr darin, daß bei einem auf eine Geschichtsdarstellung hin angelegten Text das gesamte Geschehen hätte einbezogen werden müssen, Auslassungen dem Autor also vorzuwerfen wären. Demgegenüber ist es nicht bloß realitätsfern zu monieren, Augustus habe die verlorene Varus-Schlacht oder andere gescheiterte Projekte in den Res Gestae nicht thematisiert – es ist eine Kritik, die schlechterdings ihr Ziel verfehlt. Denn der Gegenstand des Index ist eben nicht Augustus’ Leben oder seine Regierung; es sind seine von Erfolg gekrönten materiellen und immateriellen Leistungen für die Gemeinschaft sowie die Ehrungen, mit denen die Römer (üblicherweise reaktiv) seinen Einsatz honorierten.
Sich diesen Charakter des »Tatenberichts« in vollem Umfang bewußt zu machen, hilft noch an anderen Punkten der wissenschaftlichen Diskussion weiter. So vermiß(t)en einige Gelehrte eine explizite Erwähnung des imperium proconsulare, das heißt jener (in Kapitel 4 eingehend vorzustellenden) Befehlsgewalt, auf deren Grundlage Augustus ab dem Jahr 27 einen Teil des römischen Untertanengebiets sowie einen Großteil der Armee kontrollierte. Sobald man hier jedoch ebenfalls nach Leistungen (!) Ausschau hält, wird man mühelos fündig werden und nicht nur von Kriegstaten lesen, die in den Provinzen Hispania und Gallia einen guten Ausgang nahmen (RG 12), sondern auch von militärischen Operationen, die »auf meine Anordnung und unter meiner Verantwortung« gegen »Äthiopien« (den heutigen Sudan, im Jahr 23) und Arabien (in den Jahren 26/25) durchgeführt wurden und in die Eroberung von Städten mündeten (RG 26), vom Sieg über Pannonien durch Unterfeldherrn, der Erweiterung des Gebiets der Provinz Illyrien bis an die Donau, von der durch »mein Heer« (!) gewonnenen indirekten Herrschaft über die Daker jenseits des Stroms (RG 30, Kämpfe vom Jahr 6 bis 9 n.Chr.) sowie von einundzwanzig Ausrufungen als siegreicher Feldherr (RG 4) und der Weihung von Beute (RG 21). Von der in Forschungstexten gerne postulierten ›Verschleierung‹ der militärischen Komponente kaiserlicher Macht kann demnach keine Rede sein, viel eher von einer Behandlung der Oberkommandantenrolle als einer derartigen Selbstverständlichkeit, daß jede nähere Erläuterung überflüssig erscheint. Die gleiche Deutung bewährt sich an jenen Stellen, an denen die zivile Befugnis des Kaisers, die tribunicia potestas (auch ihr werden wir uns in Kapitel 4 ausführlich widmen) vorkommt. Wo Augustus sie nennt, geht es ihm nämlich ebenfalls nicht darum zu betonen, er sei zu den dargestellten Handlungen legitimiert gewesen und habe sich korrekt verhalten. Vielmehr gliedern sich die Passagen ihrerseits perfekt in die Rubriken...