II. Saint Steve – der Heilige der letzten Tage des Kapitalismus oder Wie sich die populäre Kultur eine Ikone erstellt
Bei Joseph Vogl oder Giorgio Agamben, unter anderem, kann man nachlesen, wie sich die Ökonomie aus der Theologie entwickelte: nicht nur als ideologische Glaubenslehre des Kapitalismus mit dem Markt als Natur (des Menschen) und der »unsichtbaren Hand« als göttlichem Wirken, das alle, aber gerade auch die negativen Impulse (»Gier«, »Konkurrenz«, »Materialismus«) zu einem positiven Ganzen zusammenführt. Nun scheint es, als habe dieses Phantasma durch die Finanz- und Schuldenkrisen im Großen einen gewissen Knacks bekommen. Zeitgleich aber ist die religiöse Aufladung des Kapitalismus in kleinere Narrative abgesunken. Vor allem im Fernsehen wird der Kapitalismus zunehmend als Schicksal, Soap Opera und Quiz verkauft. Und kürzlich zelebrierte die Welt den Abschied von Steve Jobs als heilige Handlung, die einen Menschen betraf, der »mehr war als ein erfolgreicher Unternehmer«. Eine mythische Gestalt, die alles, was in der Krise auseinandergefallen ist, wieder zusammenbringt. Die Heilsversprechungen des Neoliberalismus erfüllen sich nicht mehr unbedingt realwirtschaftlich, aber nach wie vor in der Gestalt von Waren, Design sowie Personen wie Steve Jobs. Die Antwort auf die Krisen des Kapitalismus ist ein iPhone. Und die unsichtbare Hand darin die von Steve Jobs. Der jetzt im Himmel ist.
Die Maschine im industriellen Kapitalismus, und dann – unter veränderten Bedingungen – im digitalen, hat vier »Herren«, die auch Diener sind (und die, obschon eher »patriarchal« abgeleitet, inzwischen durchaus weiblichen Geschlechts sein dürfen): 1. den Erfinder (dem eine Problemlösung geglückt scheint), 2. den Besitzer (der sie für die Mehrwert-Erzeugung einsetzt), 3. den Maschinisten (der die Maschine zu behandeln weiß und ihr Funktionieren durch seine symbiotische Arbeit an ihr garantiert) und 4. den Verkäufer (der ihr Ästhetik und Sinnwert gibt, sie in die öffentlichen Bilder und Narrative einspeist). In einer Vor- oder Gründerzeit des industriellen Kapitalismus kam es vor, dass alle vier Rollen – die ihre ökonomischen und technischen Impulse ebenso entwickeln wie ihre religiösen und sexuellen – in einer Person vereint waren, und ein solcher Herr über die Maschine durfte damals, vor anderthalb Jahrhunderten etwa, durchaus als »gottgleich« gelten. Später wurden dann schon Fälle, in denen zwei dieser Rollen sich in einer Person vereinen ließen, Gegenstände großer Erzählungen: ein Erfinder, der auch Besitzer seiner Maschine blieb, oder ein Besitzer, der sich noch um jede Schraube kümmerte. Doch im Wesentlichen funktioniert die Vernetzung von Maschine und Kapital, Technik, Markt und »Fortschritt« gerade durch die Trennung, und ganz nebenbei bringt man damit auch die Verantwortung zum Verschwinden: Erfinder, Besitzer, Maschinist und Verkäufer haben heute so ganz und gar andere Beziehungen zu ihren Maschinen, dass es uns nicht wundert, dass zum Beispiel eine erfundene Wunderheilmaschine als Lustmaschine verkauft, als Ordnungsmaschine behandelt und am Ende als Zerstörungsmaschine profitträchtig wird. Die Ausdifferenzierung in Erfinder, Besitzer, Maschinist und Verkäufer vernichtet zwar den heroischen Mythos des prometheischen Gründers, der der Natur die Macht und den Reichtum entreißt, um sie in seiner Maschine zu bändigen und zu kultivieren, beschleunigt aber wundersam die Kreisläufe von technologischer Innovation, Profit, Konsum und sozialer Praxis. Von Zeit zu Zeit jedoch muss der Einheitsmythos wiederauferstehen, muss eine Person sich selbst erfinden und erfunden werden, die Erfinder, Besitzer, Maschinist und Verkäufer zugleich ist. So einer war Steve Jobs. Im Leben stand er für eine besondere Methode der Unternehmungsführung und Marktmanipulation; nach dem Tod wurde er als »Ikone«, »Guru«, »Lichtgestalt«, »Michelangelo des 21. Jahrhunderts«, »Messias«, »Befreier« des digitalen Kapitalismus gerühmt, um nur ein paar noch vergleichsweise nüchterne Nachrufe zu zitieren.
Dass Apple-User zu ihren iMacs, iPods, iPhones oder iPads ein eher kultisches als rationales Verhältnis haben, ist mittlerweile schon Klischee, und dass sie in Steve Jobs mehr sahen als eine weitere Erfüllung des amerikanischen Traums (wie nebenan Bill Gates), ebenso: »Seine Jünger nannten ihn ›iGod‹. Das war nur halb ironisch‹, hieß es in der Münchener Abendzeitung. Und: »Die Produktvorstellungen im kalifornischen Cupertino glichen Andachten, wenn nicht Technik-Messen.«
Das Geheimnis besteht zunächst darin, Nähe zu dem großen Mann herzustellen. Darin ist Bild naturgemäß unschlagbar: »So grausam starb Computer-Milliardär Steve Jobs« titelt man.9 Und Franz Josef Wagner wendet sich in seiner Kolumne direkt an den Verstorbenen im Himmel, um über die Passion – »die beiden Knochen unter den Augen ragen raus« – zur Apotheose zu gelangen: »Fliegen Sie weiter, Steve Jobs. Denn der Krebs kann Ihren Geist nicht besiegen.«
Heiligenlegenden entstehen aus einschlägigen Elementen: Auserwählung, Lehre, Sammlung der Jünger, Wunder/Erlösung, Prüfung/Verrat, Vollendung, Passion, Tod und Wiederauferstehung, Vermächtnis, Gemeinde. Und es ist nicht überraschend, mit welchem Feuereifer populäre Medien an so einem Mythos arbeiten:
Die Auserwählung: Das Kind einer amerikanischen Studentin und eines syrischen Gastprofessors, das zur Adoption freigegeben wird und in den »bitterarmen« Verhältnissen eines Arbeiterhaushalts aufwächst, ist ein Selfmademan ohne College-Abschluss, dessen Tätigkeit natürlich in der Garage der (Stief-)Eltern beginnt. Immerhin wird auch in den boulevardesken Nachrufen seine Hippie-Zeit (komplett mit Indienreise und LSD-Trip) erwähnt: »Wer das nie erlebt hat, wird mich nie ganz verstehen.« Wir müssen glauben, dass Steve Jobs die Wiedergeburt des Kapitalismus aus dem Geist der jugendlichen Dissidenz ist, Erneuerung schlechthin in allen Belangen. Die erste Phase dieses Messianismus beschreibt der einstige Mitarbeiter Andy Herzfeld: »Steve wollte aus den Computern, einst Instrumente der Autorität, Instrumente der Befreiung machen, zugänglich für jeden.« Eines der wichtigsten Mittel dazu war das, was man als »Benutzerfreundlichkeit« bezeichnet, eine Entspezialisierung, Entintellektualisierung, am Ende Enttextualisierung des Gebrauchs. Steve Jobs, das war der Mann, der uns das Wischen statt des Schreibens bringen würde.
Die Lehre: Jobs wird zum Propheten des »menschlichen Faktors«. Er gibt den Menschen, was ihnen hilft. Die Erlösungslehre von Steve Jobs ist denkbar einfach: digitale Technologie »benutzerfreundlich« und mit einladendem Design von einem Anbieter mit »charismatischer Führung« und »sektenähnlicher« Kundenbindung. »Mit ihm«, heißt es im Gastkommentar von René Obermann im Handelsblatt,
»kam der ›digitale Lifestyle‹, graue Elektronik wurde durch Design verzaubert. Apple wurde zur Kultmarke, zum unverzichtbaren Statussymbol für viele. Und Steve Jobs verringerte die digitale Kluft zwischen den Generationen. [...] Bedeutende Innovationen werden oft nur gegen viele Widerstände und Skeptiker geschaffen. Ich habe in meinem Leben bisher keinen Innovator kennengelernt, der so konsequent seinen Weg gegangen ist wie Steve Jobs. Und keinen, der eine so starke Unternehmenskultur erschaffen hat. Seine Handschrift wird das Unternehmen Apple noch lange prägen.«
Titel dieses Gastnachrufes: »Der Verzauberer«. Und wir wissen, wo solche Botschaften, außerhalb der Apple-Stores, gut ankommen.
Die Sammlung der Jünger: »Man trifft ihn und man hört ihm zu. Und dann will man so oft wie möglich in seiner Nähe sein«, zitiert man Jobs’ Biografen Alan Deutschman.11 Mit Jobs bekam das Onkel-Dagobert-Hafte, das Sinnliche des Kapitalismus noch einmal ein Gesicht, ein Kerl, der sich nichts aus Äußerlichkeiten macht, einen, an dessen Turnschuhen den Blogger-Fans die »tagealten Grasspuren« auffielen, wie die Augsburger Allgemeine berichtet,12 der allerdings nicht dem Bild des üblichen Wohltäters entsprach: »Auch Investmentlegende Warren Buffett habe Jobs nicht für seine Milliardärs-Spendeninitiative gewinnen können.« Man muss Mitglied der Gemeinde sein, um diesen Menschen zu verstehen. Auf dem Blog Tech Republic liest man: »In 100 Jahren werden die Leute immer noch Steve Jobs dafür bewundern, wie er die Welt verändert hat, indem er die Technik humanisiert hat.«
Prüfung/Verrat: Kaum ein längerer Nachruf ohne die Geschichte der großen Prüfung: Mit dem Pepsi-Cola-Manager John Sculley holt sich Steve Jobs den Judas ins Haus, der ihn aus dem Unternehmen drängt, bis er 1997 triumphal zurückkehrt und die Firma von einem Erfinder- zu einem Lifestyle-Zentrum umformt. Schon weniger gern hört man, dass Jobs dann mit Gil Amelio, dem Mann, der ihn zurückholte, genauso verfuhr. Doch dieser Heilige muss aus dem Tempel des digitalen Kapitalismus eben all jene vertreiben, die die reine Lehre und den einzigen wahren Herrscher infrage stellen. Und dazu gehört eben auch die Rolle des strafenden Gottes, die wir in einer Reportage aus dem »Allerheiligsten« erahnen dürfen, als der Online-Dienst MobileMe beim Vorführen versagt, was in eine »Beschimpfungsorgie« mündet; Jobs war derjenige, der alles »bis zur letzten Schraube« kontrollierte und der seine Mitarbeitet oft mit »brachialen Mitteln« beherrschte. Wie aus schlechten Filmen wirken die Geschichten von den Demütigungen vor versammelter Mannschaft: Jede »Liebe« zu Steve Jobs musste masochistisch sein. Der Demokratisierer und Befreier war selbst ein gewaltiger Tyrann, der...