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E-Book

KatastrophenGlück

Krisen bewältigen - befreit leben. Stark ergänzte Neuauflage '10 Jahre später'

AutorTamara Hinz
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783775173506
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Vom Glück der Katastrophen - wie man Krisen bewältigt und wieder ins Leben zurückfindet. Die meisten Menschen werden im Laufe ihres Lebens mit schweren Zeiten und Schicksalsschlägen konfrontiert. Mitten in einem geregelten Leben scheint plötzlich die gesamte Existenz in Frage gestellt. Auch Tamara Hinz hat das erlebt und erzählt ihre Geschichte mit Schwung und Humor. Sie fragt, wie man wieder Boden unter den Füßen und neue Perspektiven für Alltag und Glauben gewinnen kann. In der Neuauflage werden die damaligen Erkenntnisse reflektiert und ergänzt. Außerdem erzählt die Autorin, wie es weiterging.

Tamara Hinz lebt mit ihrem Mann und zwei von vier (fast) erwachsenen Kindern in Schwalmtal am Niederrhein. Die ausgebildete Erzieherin und theologische Mitarbeiterin ist freie Mitarbeiterin beim SCM-Bundes-Verlag und Buchautorin. Darüber hinaus bietet sie Vorträge und Seminare zu Lebens- und Glaubensfragen an.

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2 | Wenn die Mauern Risse bekommen


Wenn Sie auf dem nicht besonders stabilen und tragfähigen Fundament, das ich beschrieben habe, Ihr Lebenshaus bauen, gibt es vielleicht schon recht früh Probleme. Vielleicht haben oder hatten Sie Menschen an Ihrer Seite, die diese Mängel rechtzeitig erkannt und Ihnen geholfen haben, hier einiges auszubessern oder dort etwas abzustützen. Das ist optimal. Oft sind diese Menschen aber nicht vorhanden oder aber Sie selbst wissen nicht genau, welches Ihre Mängel und Bedürfnisse sind, geschweige denn, dass Sie diese genau benennen könnten. Dann laufen Sie immer mit dem dumpfen Gefühl herum, dass irgendetwas nicht stimmt, überreagieren in manchen Situationen und stolpern von einer Krise in die andere. Oder aber – und das kommt recht häufig vor – Sie kommen recht gut durchs Leben und plötzlich, ungefähr in der Lebensmitte, kommt die große Krise, der große Einbruch. Auf einmal geht nichts mehr. Dann gibt es die Depression, den Burn-out, die unerklärlichen Angstzustände und Panikattacken, die Essstörung, die Krankheit, die kein Arzt erklären kann, weil sie ihre Wurzeln in der desolaten psychischen Situation hat, oder den totalen Zusammenbruch. Das hängt damit zusammen, dass sich unsere Seele nicht endlos strapazieren lässt, mit zunehmendem Alter immer weniger.

Im körperlichen Bereich ist uns das ja sehr vertraut. Da hat man jahrelang nichts für seine Fitness getan, getreu dem Motto »Sport ist Mord«, und dem Körper immer einseitige Belastungen zugemutet. Mitte vierzig kommen dann auf einmal die Rückenprobleme und der Arzt stellt ein Bandscheibenproblem fest. Da rächen sich die Zähne für die vielen Süßigkeiten und die Beine werden wegen des ständigen Übereinanderschlagens von hübschen roten Krampfadern geziert. Die Haut nimmt das häufige Sonnenbaden übel und weigert sich hartnäckig, ihren ursprünglichen, prallen Zustand wieder anzunehmen, und wenn es beim Feiern mal etwas spät geworden ist, spüren Sie diesen Mangel an Schlaf noch tagelang. Unser Körper streikt irgendwann wegen permanenter Über- und Fehlbelastung und dasselbe tut unsere Seele auch. Dann bricht plötzlich all das auf, was wir jahrelang und vielleicht mit viel Anstrengung unterdrückt haben. Es fehlt uns einfach die Kraft, diesem enormen Druck, der da aus der Tiefe unserer Seele nach oben drängt, standzuhalten. Zudem bietet die Lebensmitte in sich schon ausreichend Krisenpotenzial. Die Auseinandersetzung mit unserer Vergänglichkeit, das Nachlassen der Kräfte und das eindeutige »vorbei« reicht an sich schon aus, unsere Seele über alle Maßen zu strapazieren. Wenn diese schon mit anderen Dingen belastet ist, schafft sie es irgendwann nicht mehr, mit all dem zurechtzukommen.

Wenn die Seele streikt

Bei mir geschah das, nachdem ich die anstrengende und oft recht schlaflose Zeit mit vier kleinen Kindern eigentlich ganz erfolgreich hinter mich gebracht hatte. Zudem war ich Frau eines Pastors, jenes selbstlos dienende Wesen an seiner Seite, bereit, ihm den Rücken freizuhalten und sich mehr oder weniger allein um Haushalt und Kinder zu kümmern und auch die Gemeinde mit meiner Anwesenheit und Mitarbeit zu beglücken. Nachdem wir wieder einmal die Gemeinde, den Wohnort und lieb gewordene Freunde verlassen und in eine andere Gemeinde gewechselt hatten, drehte sich das Rad aufs Neue. Bis es auf einmal knirschte im Getriebe. Immer häufiger bekam ich Kreislaufprobleme und in allen möglichen und unmöglichen Situationen überfiel mich Panik, weil ich meinte, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Ich nahm die ersten Anzeichen nicht weiter ernst. Bis ich eines Nachts eine richtige Angstattacke bekam: Ich hatte den Eindruck, ich bekäme keine Luft mehr. Mein Herz raste und ich hatte Todesangst. Diese Attacken wiederholten sich und immer häufiger wurden Depressionen ihre Begleiter. Ich war abgestürzt. Ich fühlte mich wie ein Vogel, der in der Luft abgeschossen wurde, in rasendem Tempo auf die Erde gestürzt ist und nun unten hilflos und zerbrochen liegt. Der Arzt diagnostizierte eine Erschöpfungsdepression, die auch heute noch, wenn ich in altes Fehlverhalten zurückfalle, wieder auftritt. Ich bekam Medikamente verschrieben und begann mit einer Gesprächstherapie.

Wenn ich Ihnen im Folgenden berichte, was ich in dieser Zeit und auch später noch über die Zusammenhänge zwischen meiner Kindheitsgeschichte, meiner geistlichen Prägung, meiner Persönlichkeitsstruktur und meinen Problemen im späteren Leben lernte, so ist all dies sehr persönlich. Mit dem einen oder anderen werden Sie vielleicht nicht viel anfangen können, aber ich habe in Gesprächen mit anderen gemerkt, dass sich die Folgeschäden bei Menschen mit ähnlicher Vorgeschichte oft erschreckend ähneln. Von daher hoffe ich, dass Sie sich hier und da wiederfinden und dann aufatmen können mit dem Wissen: Sie sind nicht allein.

Der zerbrochene Spiegel


Es ist naheliegend, dass jemand mit einer Kindheitsgeschichte, wie der anfangs beschriebenen, kein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen kann. Unsere Eltern sollten die ersten Vermittler der Botschaft sein: »Du bist wertvoll, geliebt, begabt und wunderbar gemacht.« Wenn die Eltern diese Botschaft nicht transportieren können, weil sie selbst an diesem Punkt massive Defizite haben oder alle Energie brauchen, ihr eigenes Leben irgendwie unter Kontrolle zu bekommen, können sie das, was ihre Kinder so dringend brauchen, nicht geben. Die Eltern sind für das Kind wie ein Spiegel, in dem es sich wahrzunehmen lernt. Hat dieser Spiegel Risse, Sprünge oder ist gar ganz zerbrochen, kann sich das Kind nicht richtig sehen und bekommt ein verzerrtes Selbstbild. Dieses verzerrte Selbstbild haben die entwickelt, die zu Hause nur Kritik, Nörgelei oder Desinteresse erfahren haben, genauso wie die, die immer im Mittelpunkt standen und die nie gelernt haben, im Leben auch mal auf Platz zwei zu rangieren. Dabei waren nicht unbedingt die Worte der Eltern entscheidend, sondern das, was sie als Modell vorgelebt haben. Meine Eltern haben durchaus zu mir gesagt, dass sie mich lieb hätten, und sie lobten mich auch. Verbal stimmten diese Dinge im Großen und Ganzen. Aber ich fand vor allem in meiner Mutter kein Modell, das mir zeigte, wie man sich annimmt und wie ein Leben aussieht, das von der Gewissheit, ein von Gott geliebter und wertgeschätzter Mensch zu sein, geprägt ist. Kinder lernen mehr von dem, was ihnen zwischen den Zeilen vermittelt und vorgelebt wird, als von hundert Worten.

Als ich später selber Mutter wurde, habe ich das an einigen Stellen für mich sehr ernüchternd erlebt. Unsere dritte Tochter war in der Grundschule sehr ehrgeizig (eine Eigenschaft, die sich heute, im beginnenden Teenageralter, irgendwie in Luft aufgelöst hat). Besonders beim Diktat erstrebte sie immer das Ziel, keinen einzigen Fehler zu haben und war am Boden zerstört, wenn sie dieses Ziel nicht erreichte. Ich redete mit Engelszungen und erklärte ihr immer wieder, dass Fehler gar nicht schlimm seien, dass man doch nicht immer die Beste sein müsse und auch ein »Befriedigend« eine Leistung sei, über die wir uns freuen würden. Weil ich aus meiner eigenen Geschichte wusste, wie fatal ein ständiges Antreiben der Kinder zu besten Leistungen ist, achtete ich sehr bewusst darauf, dass ich das meinen Kindern nicht zumutete. Als mir der Mund vom vielen Ermutigen und Loben schon fast in Fransen hing, sprach ich auf einem Elternabend mal einen Schulpsychologen auf dieses Thema an. Was er sagte, traf den Punkt so genau, dass es mir die Sprache verschlug und ich mich den Rest des Abends in Schweigen hüllte.

Wissen Sie – das hat jetzt mit diesem Thema nichts zu tun, ich muss es aber trotzdem kurz einschieben –, das fasziniert mich an Jesus total und immer wieder. Er redet zu mir durch Menschen, die ihn gar nicht kennen, durch alltägliche Situationen, die scheinbar mit Glauben nichts zu tun haben, und in einer Sprache, die so gar nichts Frommes an sich hat. Er liebt mich so sehr, dass er diesen Extraservice für mich eingerichtet hat, weil er weiß, dass meine frommen Ohren – na ja, sagen wir mal, etwas geschädigt sind.

Dieser Psychologe jedenfalls sagte: »Sehen Sie, Ihr Kind lernt nicht in erster Linie durch Ihre Worte, sondern durch das, was Sie ihm vorleben, Ihr Modell. Wie gehen Sie mit Versagen und Fehlschlägen um? Sieht es bei Ihnen, dass man Fehler machen kann und dass das nicht weiter schlimm ist? Können Sie denn locker damit umgehen?« Bingo, dachte ich. Am Morgen hatte ich noch gestöhnt und gejammert, weil der Kuchen nichts geworden war, und als mir dann noch die Spiegeleier anbrannten, hatte ich laut und für alle vernehmlich zu mir gesagt: »Du kriegst aber auch gar nichts auf die Reihe. Nicht mal so etwas Simples wie Spiegeleier bekommst du hin.« Darauf krähte meine jüngste Tochter vergnügt vom Sofa: »Mama, du sagst doch immer, dass wir uns selber nie beschimpfen dürfen. Jetzt machst du’s selber.« Ein tolles Modell hatte ich da abgegeben. Welches Modell stand für Sie Pate und welches Modell sind Sie selber jetzt für Menschen, die auf Sie sehen und von Ihnen lernen?

Ob Ihr Selbstwert stabil oder eher schwach ausgeprägt ist, hat auch nichts mit dem realen Istzustand Ihrer Person zu tun. Egal, ob hübsch oder hässlich, dick oder dünn, arm oder reich, gebildet oder eher einfach gestrickt: Die tiefe Überzeugung, liebenswert und angenommen zu sein, hat mit diesen Attributen nur wenig zu tun. Einschlägige Frauenzeitschriften wollen uns das weismachen: Wenn du nur zehn Kilo weniger wiegst, wenn du nur die richtige, absolut...

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