»ER WENDETE DIE BLATTER MIT SEINEN KRALLEN«
Der französische Schriftsteller Théophile Gautier sprach mit seinem Credo »Katzen fühlen sich wohl in der Stille, der Ordnung und der Ruhe, und kein Ort ist ihnen gemäßer als das Arbeitszimmer des Literaten« zahllosen Autoren aus dem Herzen, doch nicht allen. Charles Dickens war zunächst überhaupt nicht dieser Meinung. Seine Tochter Mamie erzählt in ihren Erinnerungen My Father as I Recall Hirn, daß ihre Katze Williamina, nachdem sie Junge geworfen hatte, sich eine Ecke im Arbeitszimmer des Schriftstellers als Lieblingsplatz ausgesucht hatte. Charles Dickens gab Anweisung, die Katze wieder in die Küche zu verfrachten, aber Williamina brachte ihre Jungen kurz darauf abermals in die von ihr favorisierte Ecke. Als sie erneut vertrieben wurde, entwickelte sie eine andere Strategie. Sie trug die Jungen zum Schreibtisch, lagerte mit ihnen neben Dickens Füßen und schnurrte so laut, daß er sich geschlagen gab. Die Katzen durften in seinem Arbeitszimmer bleiben.
In seinem Werk La nature chez elle et ménagerie intime beschreibt Théophile Gautier mit dem weißen Kater Pierrot den Prototyp einer Dichterkatze: »Glücklich nahm er am häuslichen Leben teil. Von seinem angestammten Platz beim Kaminfeuer aus verfolgte er unsere Gespräche, anscheinend voll Verständnis und Interesse. Er guckte die Sprechenden an und räusperte sich manchmal leise, wie um etwas einzuwenden oder auch seine Meinung über die Literatur vorzubringen, von der bei uns tagtäglich die Rede war. Bücher liebte er sehr, und wenn eines offen auf dem Tisch lag, ließ er sich darauf nieder, bestaunte die Seite und wendete die Blätter mit seinen Krallen. Schließlich schlummerte er darüber ein, als hätte er tatsächlich einen Moderoman gelesen. Sobald ich zur Feder griff, sprang er auf meinen Schreibtisch, studierte mit gespannter Aufmerksamkeit, wie der kleine Metallschnabel das Papierblatt vollkritzelte, und drehte bei jedem neuen Zeilenanfang den Kopf mit. Mitunter wollte er sogar mitmachen und mir die Feder aus der Hand nehmen, wahrscheinlich um selber zu schreiben. Denn es war eine schöngeistige Katze wie Hoffmanns Kater Murr. Ich vermute sogar, daß er nächtlicherweile, in irgendeiner Dachrinne, im Schimmer seiner phosphoreszierenden Augen, seine Memoiren hingeschmiert hat. Leider ist dieses Schriftwerk aber verschollen.«
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E.T. A. HOFFMANN UND SEIN KATER MURR
Im Unterschied zu Pierrots verschollenen Memoiren sind E.T.A. Hoffmanns Lebensansichten des Katers Murr im Jahr 1820 tatsächlich erschienen. Dieses zweiteilige, fragmentarisch gebliebene Werk hat der Autor der Inspiration durch seinen getigerten Kater zu verdanken, wie er dem Bamberger Freund Friedrich Speyer in einem Brief vom 1. Mai 1820 anvertraute. Julius Eduard Hitzig, der Herausgeber von E. T.A. Hoffmanns Leben und Nachlaß und langjährige Freund, präzisierte diese private Mitteilung folgendermaßen: »Zu der äußern Form dieses Buches war Hoffmann durch einen ausgezeichnet schönen Kater veranlaßt worden, den er auferzogen hatte und der ihm wirklich mehr als gewöhnlichen Tierverstand zu haben schien; wenigstens war er unerschöpflich in Erzählungen von den Klugheiten, welche von diesem Liebling ausgegangen sein sollten.« Dieser Liebling pflegte übrigens in der Schublade von E.T. A. Hoffmanns Schreibtisch zu schlafen, die er sich selbst mit den Pfoten aufziehen konnte; auch das überliefert Hitzig.
Bei den Lebensansichten des Katers Murr handelt es sich um den ersten großen Roman der Literatur, in dem das Weltgeschehen aus der Sicht eines Katers beschrieben und kommentiert wird. Es waren vor allem zwei Eigenschaften seines Katers, die E.T.A. Hoffmann auf die Idee brachten, als literarische Premiere einen denkenden und sprechenden Kater aus der Welt der Fabeln und Märchen in die der »ernsten« Literatur zu überführen. Zwei Eigenschaften, die allerdings zum Repertoire jeder Katze gehören: Faulheit und Neugierde.
Die Faulheit seines Katers – man kann, freundlich ausgedrückt, auch von einem ausgeprägten Ruhebedürfnis sprechen – erinnerte E.T.A. Hoffmann an die schöpferischen Phasen seines eigenen Schaffens, und deshalb dichtete er diese Eigenschaften auch seinem fiktiven Kater an: »Der Kater Murr träumt nicht allein sehr lebendig, sondern er gerät auch, wie deutlich zu bemerken, häufig in das träumerische Hinbrüten, in das somnambule Delirieren, kurz, in jenen seltsamen Zustand zwischen Schlafen und Wachen, der poetischen Gemütern für die Zeit des eigentlichen Empfanges genialer Gedanken gilt. In diesem Zustande stöhnt und ächzt er seit kurzer Zeit ganz ungemein, so, daß ich glauben muß, daß er entweder in Liebe ist oder an einer Tragödie arbeitet.«
In seinen Lebensansichten kombiniert E.T.A. Hoffmann geschickt die andere Eigenschaft seines Katers, dessen spielerische Neugierde, mit der wissenschaftlich motivierten Entdeckungslust des Romankaters: »Nichts zog mich in des Meisters Zimmer mehr an als der mit Büchern, Schriften und allerlei seltsamen Instrumenten bepackte Schreibtisch. Ich kann sagen, daß dieser Tisch ein Zauberkreis war, in den ich mich gebannt fühlte, und doch empfand ich eine gewisse heilige Scheu, die mich abhielt, meinem Triebe ganz mich hinzugeben. Endlich eines Tages, als eben der Meister abwesend war, überwand ich meine Furcht und sprang herauf auf den Tisch. Welche Wollust, als ich nun mitten unter den Schriften und Büchern saß und darin wühlte. Nicht Mutwille, nein, nur Begier, wissenschaftlicher Heißhunger war es, daß ich mit den Pfoten ein Manuskript erfaßte und so lange hin und her zauste, bis es in kleinen Stücken zerrissen vor mir lag.«
Diese Schlüsselszene mit destruktivem Ausgang markiert den Beginn einer katzenuntypischen Bildungsreise. Der Romankater lernt erst lesen, dann schreiben. Schließlich wird auch aus ihm ein Schriftsteller, er verfaßt das Werk Über Mausefallen und deren Einfluß auf Gesinnung und Tatkraft der Katzheit und die vergleichende Schrift Gedanke und Ahnung oder Kater und Hund, eine philosophische Abhandlung über die gravierenden Unterschiede beider Arten.
In Hoffmanns Roman verfaßt der Kater Murr schließlich kurz vor seinem Tod Lebensansichten, die auf Umwegen und mit der Bitte in die Hände E.T.A. Hoffmanns gelangen, er möge dieses Buch herausgeben. Dies geschieht dann auch, aber versehentlich wird ein fremder Text, die Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler, die der Kater Murr bei seiner Niederschrift als Konzeptpapier benutzte, im Buch mit abgedruckt. So wechselt in den Lebensansichten des Katers Murr ständig die Perspektive zwischen den Einsichten des Katers Murr und den unzusammenhängenden Bruchstükken aus der Biographie des Kapellmeisters, was zu allerhand Umwegen und Verwirrungen führt.
Durch ein weiteres fingiertes Versehen wird auch die vom Herausgeber E.T.A. Hoffmann »Unterdrückte Vorrede des Autors« abgedruckt, in der Kater Murr der Menschheit selbstbewußt mitteilt und sie gleichzeitig eindringlich warnt: »Sollte jemand verwegen genug sein, gegen den gediegenen Wert des außerordentlichen Buchs einige Zweifel erheben zu wollen, so mag er bedenken, daß er es mit einem Kater zu tun hat, der Geist, Verstand besitzt, und scharfe Krallen. Murr, Homme de lettres très renommé.«
Nach Erscheinen des ersten Teils der Lebensansichten stürzte sich E.T. A. Hoffmann wieder in die Arbeit. Im Herbst 1820 berichtete er Johann Daniel Symanski, dem Herausgeber einer Theaterzeitschrift, daß er dabei wäre, die Papiere des Katers Murr zu überarbeiten, um den zweiten und dritten Teil seiner Lebensansichten herausgeben zu können. »Der Gute schreibt zwar eine passable leserliche Pfote, indessen kann er von gewissen Gewohnheiten nicht ablassen, die auf manche Stelle in seinen Manuskripten ein schwer zu durchdringendes Dunkel werfen … Doch – ich bemerke, daß ich, ohne es zu wollen, Ihnen verrate, wie sich der vortreffliche Kater Murr eben bei mir befindet. – Es ist dem so; eben sitzt er am Ofen mit dicht zugekniffenen Augen und spinnt [schnurrt]. Gott weiß, über welchem neuen Werk er brütet. – Ich bitte, Verehrtester! sagen Sie von Murrs gegenwärtigem Aufenthalt nichts weiter. Literatoren, Ästhetiker und wohl auch Naturhistoriker könnten auf die Bekanntschaft des lieben Viehs begierig werden und würden es nur in seinen tiefsinnigen Meditationen stören.«
In diesen sehr privaten Zeilen wird deutlich, wie ungewöhnlich intensiv die Beziehung zwischen dem Dichter und seinem Kater tatsächlich war und wie sehr er sich von ihm inspiriert fühlte.
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EDGAR ALLAN POE: WELTRUHM DURCH »DIE SCHWARZE KATZE«
Edgar Allan Poe hat Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur den modernen Kriminalroman erfunden, sondern 1843 mit einer seiner dunkelsten, unheimlichsten Erzählungen, Die schwarze Katze, auch die erste Kriminalgeschichte geschrieben, in der eine Katze hilft, einen Mord aufzuklären – wenn auch unabsichtlich.
Ihr Handlungsstrang ist schnell erzählt: Ein Mann macht sich daran, seine ungeliebte Katze zu erschlagen, doch seine Frau schreitet ein und wird dadurch selbst zum Opfer der unbeherrschten Wut ihres Mannes. Der Mörder entschließt sich, ihren Leichnam im Keller einzumauern, wie es die Mönche im Mittelalter angeblich taten. Als die Polizei das Haus nach der verschwundenen Frau durchsucht, ist sich der Mörder der Unauffindbarkeit seines Versteckes sicher – und behält zunächst recht. Auch im Keller finden die Beamten keine verdächtigen...