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E-Book

Kein Schritt umsonst

Zu Fuß von Berlin zum Nordkap. Tagebuch einer Wanderung

AutorPhilipp Fuge
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783746087177
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Zu Fuß von Berlin zum Nordkap, 3325 km in 150 Tagen. Anfangs ist das nur eine spinnerte Idee, aber sie lässt Philipp Fuge nicht mehr los. Ohne so recht an sich zu glauben, fängt er an zu planen und zu organisieren - Auszeit auf der Arbeit, nächtelanges Brüten über Landkarten, das Reisebudget zusammensparen und vieles mehr. Am 13. März 2016 ist es endlich so weit. Bei frostigem Vorfrühlingswetter bricht er auf, mit 25 kg auf dem Rücken. Schon kurz hinter Berlin kommen die ersten Zweifel - Kälte, Hunger, Erschöpfung, Einsamkeit. Doch Schritt für Schritt wird er sich seiner Sache sicherer. Ob Sonne, Regen, Sturm, Nebel, Hagel oder Gewitter, Morgen für Morgen schultert er den Rucksack und geht weiter zum nächsten Schlafplatz - meistens das eigene Zelt, hin und wieder ein Unterstand oder eine kleine Hütte, selten mal ein Hostel und in klaren Nächten direkt unterm Sternenhimmel. Ein Leben nur mit dem Allernötigsten und ganz langsam. Oft ist er selbst erstaunt, dass ihm nichts fehlt. Im Gegenteil, er fühlt sich unendlich reich. Er nimmt uns mit auf eine Reise voller farbenprächtiger Sonnenuntergänge, tiefblauer Seen, rauschender Wälder, karger Hochebenen und schroffer Gebirgslandschaft. Er kraxelt über Blockfelder, schlägt sich mit Heerscharen von Mücken herum, überquert eiskalte Flüsse und wandert durch tiefen Schnee. Mit jedem Tag fühlt er sich draußen in der Natur ein bisschen mehr zu Hause. Er schildert sein demütiges Staunen angesichts der Herrlichkeit der Schöpfung. Doch er schwärmt nicht nur, er kritisiert auch - sich selbst und uns alle für unseren energiehungrigen, profitorientierten und zerstörerischen Lebensstil, mit dem wir uns und künftigen Generationen ein Überleben auf diesem Planeten immer schwerer machen. Wiederholt kommt er auf die vielfältigen und verworrenen Probleme unserer Zeit zu sprechen, nicht schulmeisterlich, sondern selbst ratlos. Aber eines hat er gelernt auf seiner Reise: Nicht den Mut verlieren, denn jeder Schritt zählt!

Philipp Fuge, geboren 1981, ist Arzt und lebt in Berlin. Als begeisterter Wanderer ist er süchtig nach Outdoor-Erlebnissen aller Art, sei es der Kurz-Trip übers Wochenende oder die ganz große Langstrecken-Tour. Seit mehreren Jahren reist er regelmäßig nach Skandinavien. Insbesondere die Weite und Einsamkeit jenseits des Polarkreises haben es ihm angetan. Er ist Vegetarier, Fahrradfahrer, Pazifist und, auch wenn das in der heutigen Zeit abgefahren klingen mag, bekennender Christ.

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Leseprobe

Skåne – Schwedens südlichster Zipfel


27. März

Bei der Einfahrt in den Hafen von Trelleborg stelle ich meine Uhr eine Stunde vor. Jetzt ist Sommerzeit! Bestimmt hat das ständige Frieren bald ein Ende hat. Der Himmel ist strahlend blau und die ruhige See glitzert in der aufgehenden Sonne.

So früh am Ostersonntagmorgen ist die Stadt noch ganz verschlafen. Ich jubele innerlich, als ich durch die menschenleere Fußgängerzone wandere: Ich bin in Schweden! Ich fühle mich durch diesen Gedanken derart beflügelt, dass es sich anfänglich wie von selbst läuft, und schon bald liegt Trelleborg weit hinter mir. Viel anders als auf der anderen Seite der Ostsee sieht die Landschaft nicht aus: reichlich Felder, wenig Wald und hier und da Gehöfte und kleine Dörfer zwischen den sanften Hügeln. Nur sind die Häuser meist dunkelrot und aus Holz und überall in den Vorgärten weht die schwedische Fahne.

Gegen Mittag ziehen Wolken auf und der Wind nimmt merklich zu. Ich biete ihm durch den ausladenden Rucksack eine optimale Angriffsfläche und habe alle Mühe, nicht auf die Fahrbahn zu wehen. Das Vorankommen wird immer anstrengender und Erschöpfung macht sich in mir breit. Meine einzige Chance auf eine halbwegs windgeschützte Pause ist der Straßengraben. Hier kauere ich mich auf den Boden neben eine weggeworfene Coladose und verzehre frierend und in aller Eile ein paar Nüsse und etwas Schokolade. Ich möchte ausruhen, aber es ist einfach zu kalt, um länger hier sitzen zu bleiben. Also krieche ich den Abhang wieder hinauf und schleppe mich weiter.

Der Rucksack wird schwerer und schwerer. Die Euphorie von Vorhin ist verflogen und ich fühle mich nur noch mies. Wenn ich jetzt umdrehe, dann bin ich heute Abend wieder in Trelleborg, morgen früh in Rostock und morgen Mittag in Berlin in meinem warmen Zimmer. Es fällt mir schwer, diesen verlockenden Gedanken zu unterdrücken. Ein paar Mal bleibe ich stehen und bin ich drauf und dran kehrtzumachen. Schließlich aber kann ich mich dazu überreden, heute einfach durchzuhalten und abzuwarten, wie es mir morgen geht.

Am Nachmittag taucht endlich in der Ferne ein Haufen wogender Baumwipfel auf. Irgendwo da hinten habe ich Chancen auf einen Schlafplatz. Bei so viel Landwirtschaft war bisher nicht an Zeltaufbau zu denken. Das Allemansrätten (zu Deutsch Jedermannsrecht) erlaubt zwar das Übernachten draußen in der Natur, sieht aber nicht vor, dass man sein Zelt irgendwo mitten auf einem Acker aufstellt.

Nahe bei dem Waldstück entdecke ich einen Trampelpfad, der von der Straße weg zum Havgårdssjön (sjön = See) führt. Eine Infotafel erklärt, dass am Ufer die Reste einer alten Burg zu finden seien. Ich hoffe, irgendwo dort mein Nachtlager aufschlagen zu können und folge dem Pfad einen Hügel hinauf. Oben öffnet sich der Blick auf eine Halbinsel voller kleiner und großer Erhebungen, unter denen sich die vollständig überwucherten Ruinen verbergen. Ich laufe eine Weile umher, um das Gelände zu erkunden. Der Untergrund auf wilden Wiesen, in Wäldern oder im Gebirge ist mit dem kurz geschorenen Rasen eines Campingplatzes nicht zu vergleichen. Es gibt, hohes Gras, dicke Wurzeln, Felsblöcke und alle möglichen Unebenheiten. Schließlich finde ich zwischen Büschen, Bäumen und verwittertem Gemäuer eine halbwegs glatte Stelle, wo ich mich häuslich einrichten kann.

In der Dämmerung laufe ich zum Ufer hinab und hole Wasser. Einen Augenblick halte ich inne und genieße den Blick auf den ruhig daliegenden See. Der Wind hat sich gelegt, der Himmel ist milchig grau und die Luft schmeckt angenehm frisch. Es duftet nach Laub und Erde – noch eher herbstlich als frühlingshaft. Ein leises Lüftchen rauscht durchs hohe Gras, ansonsten ist es vollkommen still. Ich atme tief ein und aus und fühle, wie ich mich innerlich mehr und mehr entspanne. Alles ist gut so wie es ist, und ich bin sehr froh, vorhin auf der Landstraße nicht umgekehrt zu sein.

28. März

Hinter einem Schleier aus Frühnebel schiebt sich die Sonne langsam über den grasbewachsenen Hügel vor meinem Zelt empor. Es verspricht ein herrlicher Tag zu werden. Lautes Rufen und Flügelschlagen kündigt den Abflug der Wildgänse an, die zahlreich am Ufer des Havgårdssjön die Nacht verbracht haben. Vielleicht sind das dieselben Vögel, die ich schon auf der anderen Seite der Ostsee beobachten konnte. Doch im Gegensatz zu mir sind sie aus eigener Kraft über das Meer gelangt. Voller Bewunderung sehe ich ihnen zu. Tiere sind in viele Dingen viel autonomer als wir Menschen. Diese Gänse fliegen jedes Jahr tausende von Kilometern und finden ganz selbstverständlich ohne Kompass, Karte, GPS oder Navi den Weg zu ihren Brutplätzen im hohen Norden. Sie wissen genau, wo sie hin müssen. Welcher Mensch kann das schon von sich behaupten?

Heute ist es so warm, dass ich zum ersten Mal längere Zeit ohne Mütze und Jacke laufen kann. Ein kurzes Stück geht es noch an der Straße entlang, dann erreiche ich den Skåneleden (leden = Weg), der wie die meisten Wanderwege mit leuchtend orangen Punkten an Baumstämmen und Felsen markiert ist. Auf eng verschlungenen Pfaden und zum Teil auch auf breiteren Forstwegen geht es durch sanft hügeligen Buchenwald. Die kahlen Zweige ragen in den blauen Himmel und am Boden leuchtet das Laub des Vorjahres. Es sind einige Ostermontags-Spaziergänger unterwegs, aber keine Massen. Selbst hier in Skåne, dem dicht besiedelten südlichsten Ende Schwedens, ist es im Vergleich zu vielen Ausflugsregionen in Deutschland beinah menschenleer.

Auf einer Lichtung nahe am Wegesrand esse ich zu Mittag. Hinterher strecke ich mich gemütlich im weichen Moos aus, blinzele durch die Baumkronen hindurch in die hochstehende, „heiße“ Sonne und nicke schließlich ein. Es ist die erste Pause auf dieser Reise, die ich nicht wegen Kälte frühzeitig beende.

Erst nach einer guten Stunde breche ich wieder auf. Ich habe ordentlich Durst und muss irgendwo Wasser finden. Doch es ist wie verhext, während der folgenden zwei Stunden komme ich ausschließlich an sumpfigen, eingetrockneten Rinnsalen vorbei, aus denen ich nur im allergrößten Notfall und auch dann nur unter Verwendung einer Reinigungstablette trinken würde. Mit den Dingern kriegt man Wasser, das einem nicht geheuer ist, weitgehend keimfrei. Sie riechen aber schon, wenn man die Schachtel öffnet, so derartig nach Schwimmbad, dass ich es eigentlich unbedingt vermeiden will, sie zu benutzen.

Mein Mund fühlt sich trocken an. Die Sonne knallt schweißtreibend vom Himmel und ich habe heute wirklich noch nicht viel getrunken – vielleicht einen halben Liter. Gerade fange ich an, nervös zu werden, als ich es neben mir im Wald leise Plätschern höre. Ich lausche angestrengt und laufe weiter. Ja, da ist es wieder und diesmal lauter. Ein paar Schritte noch und ich gelange an einen Bach, der durch ein dickes Rohr unter dem Weg hindurch geleitet wird. Ich klettere die Böschung hinab. Das Wasser fließt rasch, ist klar, schäumt nicht und die Steine im Bachbett sind dicht mit Algen bewachsen, alles Zeichen für gute Wasserqualität. Außerdem ist es arschkalt – noch ein Indiz für Sauberkeit. Das Rohr allerdings sieht rostig und oll aus, aber wenn ich das Wasser zapfe, bevor es den Weg kreuzt, kann mir das egal sein. Vorsichtig probiere ich einen kleinen Schluck. Es schmeckt neutral und nicht unangenehm. Ich fülle beide Flaschen und trinke gierig eine Tasse voll. Mehr gibt’s erst, falls ich innerhalb der nächsten Stunde keine Bauchkrämpfe kriege.

Gottseidank bleibe ich bei bester Gesundheit – abgesehen von schmerzenden Füßen, aber für meine Blasen kann ich die Wasserqualität wohl nicht verantwortlich machen. Nachdem ich meinen Durst endgültig gestillt habe, vertiefe ich mich in die Karte. In einigen Kilometern Entfernung ist ein vindskydd (= Windschutz) eingezeichnet. Die gibt es entlang der schwedischen Wanderwege reichlich, und ich werde sie wohl in den nächsten Wochen noch so manches Mal als Schlafplatz nutzen. Es handelt sich um etwa 4-8 m2 große Unterstände aus Holz mit drei festen Wänden und offener Vorderfront. Das Dach ist weit vorgezogen, so dass es nicht hineinregnen kann. Der Boden aus glatt geschliffenen Planken ist etwa einen halben Meter erhöht. Die meisten vindskydds sind zu flach, um darin aufrecht stehen zu können, aber um sich ein bequemes Nachtlager herzurichten, sind sie perfekt. Neben manchen vindskydds gibt es sogar ein Toilettenhäuschen, natürlich kein Wasserklosett, sondern nur einen Donnerbalken, aber immerhin. Mein vindskydd für heute ist ein Luxus-vindskydd der Extraklasse, der obendrein noch eine Mülltonne zu bieten hat. Das ist auf langen Wanderungen kein unwichtiges Detail, denn es kommt vor, dass ich meinen Abfall tagelang mit mir herumtragen muss.

Ich lasse mich samt Rucksack auf den Holzboden plumpsen. Ich bin geschafft, aber nicht im negativen Sinne. Es ist ein angenehmes Gefühl, das sich in mir breitmacht. Wieder habe ich mich ganz aus eigener Kraft ein kleines Stück weiter auf das Nordkap zubewegt.

Meine Behausung liegt mitten im Buchenwald. So ganz einsam ist...

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