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E-Book

Feindliche Gewalten

Das Ringen um Gustav Klimts Beethovenfries

AutorSophie Lillie
VerlagCzernin Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783707605891
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
2018 jährt sich der Todestag Gustav Klimts zum hundertsten Mal. Ein guter Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen: über erfolgte und nicht erfolgte Rückgaben seiner Werke an die rechtmäßigen Eigentümer und deren Erben. 'Feindliche Gewalten' zeichnet einen prominenten Fall exemplarisch nach - den des Beethovenfrieses. Der Beethovenfries, ein für eine Ausstellung in der Wiener Secession 1902 gemalter monumentaler Bilderzyklus von Gustav Klimt, befand sich ab 1915 im Besitz des Sammlerehepaares August und Szerena Lederer, das 1938 von den Nationalsozialisten enteignet wurde. Deren Erbe Erich Lederer war der Beethoven- fries nach Kriegsende zwar zurückgegeben worden, eine Ausfuhrgenehmigung erhielt er allerdings nicht. Und das jahrzehntelang: 1972 verkaufte er den Fries schlussendlich für bescheidene 15 Millionen Schilling an den österreichischen Staat. Selbst viele Jahre später, 2015, nach Inkrafttreten des sogenannten 'Kunstrückgabegesetzes', wurde der Zusammenhang zwischen Ausfuhrverbot und Verkauf bewusst ignoriert. Der Fries ging nicht an die Erben nach Erich Lederer zurück.

Sophie Lillie, geboren 1970, Dr. phil., ist Kunst- und Zeithistorikerin in Wien. Zahlreiche Publikationen zum Thema Privates Sammeln in Wien vor 1938, Kunstraub und Kunstrestitution. Ihr Buch 'Was einmal war' wurde 2003 mit dem Bruno-Kreisky-Preis ausgezeichnet. Förderungspreis der Stadt Wien 2009 in der Sparte Wissenschaft und Johanna-Dohnal-Förderpreis 2013.

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Leseprobe

Die Beethoven-Ausstellung von 1902


Auf einem Gerüst, dicht unter dem Plafond stehend, setzte Klimt noch letzte Pinselstriche. Der Künstler war ganz in seine Arbeit vertieft, als man zwei Tage vor der feierlichen Eröffnung Mitte April 1902 eine kleine Gruppe erlesener Gäste durch die Beethoven-Ausstellung führte. Die angespannte Stille durchbrach der bekannte Kunstsammler Karl Lanckoroński, der mit schriller, spitzer Stimme sein Urteil ausstieß: »Scheußlich!« hallte es »wie der Knall einer Kapselpistole« durch den Saal, so der Bericht des Wiener Feuilletonisten Felix Salten.1

Ausstellungsansicht mit der Beethoven-Statue von Max Klinger, 1902. Foto: Moritz Nähr [Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek]

Die vierzehnte Ausstellung der fünf Jahre zuvor, 1897, gegründeten Künstlervereinigung Wiener Secession war als Hommage an den Komponisten Ludwig van Beethoven konzipiert.2 Im Zentrum stand die Beethoven-Statue des deutschen Künstlers Max Klinger, der den Komponisten auf einem Bronzethron sitzend als Zeus der Kunst inszenierte.3 Fünfzehn Jahre soll Klinger an der über viertausend Kilogramm wiegenden Plastik aus Onyx, Marmor, Opalen und Halbedelsteinen gearbeitet haben. Um das Monumentalwerk gruppierte man Arbeiten von 21 zeitgenössischen Künstlern, die dessen Wirkung im Sinne des Gesamtkunstwerks steigern sollten. Das Raumprogramm konzipierte Josef Hoffmann.

Die erste Station des Ausstellungsrundganges war Gustav Klimt vorbehalten: ein allegorischer Bilderzyklus zu Beethovens Neunter Symphonie.4 Klimt hatte mit dem 34 Meter langen Fries bereits im vorhergehenden Sommer begonnen,5 wobei die voranschreitenden Arbeiten im linken Seitenschiff der Secession den Besuchern mittels Stellwänden und textilen Abhängungen verborgen geblieben waren.

l.: Mitglieder der Secession vor der Eröffnung der Beethoven-Ausstellung, 1902.
Hintere Reihe (v. l. n. r.) Anton Stark, Gustav Klimt (sitzend), Adolf Böhm, Wilhelm List, Maximilian Kurzweil, Leopold Stolba, Rudolf Bacher. Vordere Reihe: Kolo Moser, Maximilian Lenz (liegend), Ernst Stöhr, Emil Orlik, Carl Moll. Foto: Moritz Nähr

r.: Gustav Klimt, Beethovenfries. Ausstellungsansicht 1902. Foto: Moritz Nähr

[beide: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek]

Nun, im Frühjahr 1902, sah man erstmals die raumfüllende Komposition. Sie erzählt vom einsamen Kampf der nach Freude ringenden Seele, die allen Widerständen trotzt, um letztendlich in der Kunst jene erlösende Kraft zu entdecken, die der Menschheit ein besseres Dasein ermöglicht. Links an der ersten langen Seitenwand die Bildfolge Die Sehnsucht nach dem Glück, darstellend Die Leiden der Schwachen Menschheit und Der Goldene Ritter. An der zentralen Schmalwand Die Feindlichen Gewalten mit dem Giganten Typhoeus und den drei Gorgonen sowie den Todsünden Wollust, Unkeuschheit, Unmäßigkeit und Nagender Kummer. Schließlich an der rechten Längswand Mein Reich ist nicht von dieser Welt mit Die Poesie, Die Künste, Chor der Paradiesengel sowie, als letzte Steigerung, Umarmung (auch bezeichnet Diesen Kuss der ganzen Welt).6

Klimt und Klinger – beide Namen garantierten der Secession ein volles Haus. Über den Andrang bei der Eröffnung berichtete das Extrablatt: »Die Balustraden, von denen man einen so herrlichen Ueberblick über die Mittelhalle und das große Monument selbst genießt, waren beständig von Beschauern occupirt, die über die Brüstung gelehnt, das fesselnde Gesammtbild mit seiner beweglichen Staffage von Besuchern auf sich wirken ließen.«7 Als Aufmacher des Tages fing die Zeitung das rege Treiben ein.8 Eine weitere Illustration erschien in der Wochenzeitschrift Wiener Bilder9 – ein auffallender Blickfang in jener Ära bildarmer Medien, der die Besonderheit der Ausstellung unterstrich.

Illustrirtes Wiener Extrablatt, 18. April 1902 [Austrian Newspapers Online (ANNO)]

Die Kritik war zweigeteilt, wobei die Urteile von Euphorie bis hin zu hämischer Verachtung reichten. Ludwig Hevesi sprach von einem »Raum der Weihe, der Tempelstimmung für einen Gottgewordenen«.10 Berta Zuckerkandl, Klimts loyalste Fürsprecherin, würdigte das Zusammenwirken der Künstler als »Wunder nachfühlender Feinfühligkeit«, die Secessionisten hätten sich dank der »Spannung ihrer Erregsamkeit« über die Grenzen des Könnens und Wollens emporgehoben.11 Auch Franz Servaes, Kunstkritiker der Neuen Freien Presse, zeigte sich ergriffen: die Klinger-Statue sei ein »über alle Naturerfahrung hinausgewachsenes Götterbilde«.12 Das Projekt Gesamtkunstwerk lobte Servaes in höchsten Tönen: »Ein Hauch von warmer inniger Verehrung, von idealer Liebe zum Schönen (das als ein Heiliges empfunden wird) durchzieht diese Raumschöpfung, an deren Einzeldurchbildung die mannigfaltigsten Hände, zum Ganzen wirkend, betheiligt waren.«13

Das Extrablatt fand ebenfalls nur Lob für den »tempelartig aufgebauten und effectvoll gegliederten Raume, den die selbstlose, unbedingter Verehrung entspringende Hingabe Wiener Künstler mit malerischem und plastischem Wandschmuck stimmungsvoll geziert hat«.14 Die renommierte Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration widmete der Ausstellung einen langen, reichbebilderten Artikel; Klimt fuße »auf unserer ganzen modernen Kultur als eine ihrer feinsten Blüten«.15

Im Neuen Wiener Tagblatt hingegen mokierte sich Friedrich Stern über Klingers Beethoven und warf Klimt vor, die Scharte vertieft zu haben, die dieser seinem künstlerischen Ansehen geschlagen habe.16 Eduard Pötzl, der seine Eindrücke zwischen »Empörung, Kummer und Heiterkeit« ansiedelte, lieferte die vernichtendste Polemik. Die Secession gleiche einer »altassyrischen Badeanstalt«, so der Kritiker des Neuen Wiener Tagblatts; Klimts Beethovenfries nannte er eine »barbarische Zumuthung«.17 Auch seine Kunstfigur Herrn Nigerl, als Prototyp des Wiener Spießers, ließ Pötzl hemmungslos gegen den Beethovenfries ätzen.18

Das Deutsche Volksblatt stieß sich beim Beethovenfries an der vorherrschenden Nacktheit, »in bisher nicht gestatteten Ausmaße«, Klimt leiste hierin »das Unglaublichste«.19 Die antisemitische Zeitung stellte Klinger unter Verdacht, Jude zu sein20 – eine Meldung, die der Künstler mit großer Heiterkeit aufgenommen haben soll.21 Auch die Zeitschrift Kikeriki hetzte gegen den »jüdischen Schweinestall Secession«, dessen Devise sie ummünzte in »Der Judenzeit ihre Judenkunst«.22 Wiens humoristische Blätter zogen die Ausstellung überhaupt ins Lächerliche.23

Der ambitionierte Plan, anlässlich der Ausstellungseröffnung eine Festaufführung von Beethovens Neunter Symphonie im Musikverein zu veranstalten, konnte nicht umgesetzt werden. Die Secession hatte angeregt, die Einnahmen dem Pensionsfonds der Philharmoniker zufließen zu lassen. Der Vorschlag fand bei Hofoperndirektor Gustav Mahler Unterstützung, ebenso wie beim Opernchor, dessen Mitglieder sich einstimmig bereit erklärten, honorarfrei aufzutreten. Das Orchester aber lehnte seine Mitwirkung ab.24

Ein von Stadtrat Roderich Krenn im April 1902 gestellter Initiativantrag, die Stadt Wien möge 25.000 Kronen beisteuern, um den Erwerb von Klingers Beethoven-Statue für Wiens Moderne Galerie zu ermöglichen, scheiterte ebenfalls.25 Man möge sich lieber notleidender Wiener Künstler annehmen, hieß es; auch von »Dekadenz« und »jüdischer Effecthascherei« war die Rede.26 Vizebürgermeister Strobach drohte gar mit Entziehung der städtischen Subvention.27 Die Budgetkommission des Herrenhauses nahm die Beethoven-Ausstellung ebenfalls zum Anlass für scharfe Kritik: die von der Secession propagierte Kunstrichtung sei »ungesund«, »verderbt« und »krankhaft«, so die Ausführungen eines Grafen Montecuccoli, der sein Urteil in dem »die Sittlichkeit tief verletzenden« Beethovenfries bestätigt sah.28 Die Freiheit der Kunst gegen diese Angriffe zu verteidigen, oblag dem liberalen Unterrichtsminister Wilhelm von Hartel, einem geübten Fürsprecher der Wiener Moderne. Als Minister sei es seine Pflicht, »Alles zu unterlassen, was die Kunstentwicklung hemmen könnte«.29

l.: Kikeriki, 24. April 1902

r.: Persiflage auf Klimts Philosophie. Wiener Caricaturen, 16. April 1905

[beide: Austrian Newspapers Online (ANNO)]

Der Konflikt um die Beethoven-Ausstellung brachte ein volles Haus und ließ die Kassen klingeln. Am ersten Sonntag verzeichnete die Secession dreitausend Besucher, der Andrang soll laut Extrablatt »stürmische Dimensionen« angenommen haben, der Verkehr in den kleinen Verbindungsgängen zwischen dem rechten und linken Teil des Saales hätte sich »geradezu beängstigend« gestaltet.30 Dafür sorgten auch prominente Besucher wie Bürgermeister Karl Lueger und der Kronprinz von Siam, Maha Vajiravudh, die den Zeitungen jeweils Kurzmeldungen wert waren.31 Innerhalb der ersten zwei Wochen wuchs der Besucherstrom auf...

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