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Keine Toleranz den Intoleranten

Warum der Westen seine Werte verteidigen muss

AutorAlexander Kissler
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783641174811
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Von der Gefahr falscher Kompromisse!
Schweinefleisch verschwindet aus Schulbüchern, die Moschee von der Seifenpackung - die Selbstzensur des Westens treibt absurde Blüten. Zwar werden Presse- und Meinungsfreiheit beschworen, aber Terror wirkt: Nach den Pariser Anschlägen wird hier und da gefordert, man müsse Blasphemie stärker unter Strafe stellen ...

Muss man wirklich Verständnis dafür haben, dass besonders Fromme besonders reizbar sind? Wollen wir die Freiheit opfern für die Illusion, dadurch die Freiheitsfeinde zu besänftigen?

Alexander Kisslers neues Buch ist ein entschiedener Aufruf, die Meinungs- und Religionsfreiheit selbstbewusst zu stärken.

  • Schluss mit der Illusion, Freiheitsfeinde besänftigen zu können
  • Die Schere im Kopf: Warum zu viel Political Correctness der falsche Weg ist
  • Ein herausfordernder Standpunkt in Zeiten ideologischer Verwirrung


Alexander Kissler, Dr. phil., ist Kulturjournalist und Sachbuchautor. Seit Januar 2013 leitet er das Kulturressort 'Salon' beim Cicero, dem Magazin für politische Kultur. 2015 erschien sein erfolgreiches Buch 'Keine Toleranz den Intoleranten'.

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Leseprobe

1 VORWORT

Ich sehe die Welt mit anderen Augen seit dem 7. Januar 2015. Zehn Minuten vor zehn Uhr am Morgen las ich die erste Meldung. Es habe einen Vorfall gegeben in der Redaktion der Satirezeitschrift »Charlie Hebdo«. Von Verletzten war die Rede, möglicherweise gab es Tote. Ich schluckte schwer, ich wollte es nicht glauben, ich begriff. »Charlie Hebdo« war die Zeitschrift mit den Mohammed-Karikaturen. Der Terror, zunächst noch ohne Adjektiv, hatte das Herz des alten Kontinents erreicht: Paris, die Metropole der Freiheit. Eine Stunde später war die Hoffnung gestorben, da sei nur Glas kaputtgegangen, da seien vielleicht nur Knochen gebrochen, die wieder zusammenwachsen könnten. Gestorben war die Hoffnung im Kugelhagel der Brüder Saïd und Chérif Kouachi. Nichts würde da mehr zusammenwachsen, nichts heilen. Nun konnte es jeden treffen, überall im Westen, jeden, auch mich.

Den 11. September 2001, der bald zu einer Spielmarke des Grauens verkürzt wurde, zu »9/11«, hatte ich in schlimmer Erinnerung. Es waren Bilder am Fernsehschirm von brennenden Hochhäusern, auf die ich schaute, nachmittags, nach einer Rückfahrt im Auto, während der die Meldungen aus New York von Minute zu Minute gespenstischer geworden waren, immer unfassbarer. Keine kleinen Flugzeuge, stellte sich bald heraus, waren abgeprallt an den beiden Hochhäusern, den Twin Towers. Vielmehr hatten mächtige Passagierflieger diese zum Einsturz gebracht. Am Steuerknüppel der fliegenden Selbstmordbomben hatten Mohammed Atta und seine Glaubensbrüder von al-Qaida gesessen. Sie meinten, im Namen ihrer Religion ein gottgefälliges Werk zu tun, dem »Satan« namens USA eine schmerzliche, vor allem angemessene Lektion zu erteilen.

Doch es blieben damals Bilder am Schirm, die mich verstörten. Es blieben Formen, grauenhafte Formen des Terrorismus, aus einem doch sehr fernen Land. Erst später gelang es mir, auch in New York das zu sehen, was Paris von Beginn der schrecklichen Tage im Januar 2015 an für mich sein sollte, ein Symbol der Freiheit. Mit Paris war stärker noch als im Fall New Yorks sofort und unmittelbar der Westen getroffen. Fanatisierte Muslime hatten, das Wort ihres Propheten auf den Lippen, Menschen exekutiert, weil sie in deren tatsächlich respektlosem Tun eine Beleidigung Mohammeds erblickten. So gewaltig erschien ihnen der Angriff mit Wort und Bild, dass sie ihn mit einem Angriff auf Leib und Leben meinten rächen zu müssen. So bekundeten es die Brüder Kouachi durch ihre Tat. »Rache für Mohammed!« riefen sie. Ich bin mir sicher, sie meinten, was sie schrien.

Damit hatten die Stunden des Grauens Anfang 2015 begonnen. Am folgenden Tag war von einem zweiten Pariser Anschlag die Rede. Diesmal hatte es einen jüdischen Lebensmittelladen getroffen. Ein Attentäter, der sich mit den Brüdern Kouachi abgestimmt hatte, wollte Juden töten. Leider gelang es Amedy Coulibaly sogar, ehe er dann selbst von der Polizei erschossen wurde, ehe er sich, wie zu lesen war, den Kugeln geradezu entgegenwarf. Der Tod des Mörders vollendet in der verqueren Logik des radikalen Islam das vermeintliche Glaubenszeugnis. Was war, was ist da nur los in den Hauptstädten des Westens und in den Köpfen solcher Fanatiker? Noch nicht lange liegt es zurück, dass in Brüssel vier Menschen im Jüdischen Museum von Belgien ermordet wurden, im Mai 2014, weil der Täter, ein Muslim mit französischem Pass, Juden hasste. Und in Sydney starben, ebenfalls im Jahr 2014, zwei Menschen bei einer Geiselnahme, bei der der muslimische Geiselnehmer eine Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis ins Schaufenster hängen ließ.

Dem Westen also und den Juden als dessen Exponenten ist der Krieg erklärt worden – nur von einer kleinen Minderheit der Muslime, aber in einem Tonfall der Rechtfertigung und der Anklage, der Brücken baut zum Mehrheitsislam. Mit uns, sagen die enthemmten Attentäter von New York, Brüssel, Sydney und Paris, ist nicht zu spaßen. Wir reden nicht, wir handeln. Unsere Reaktion ist eine Aktion, die euch schachmatt setzt. Denn ihr, ihr Westler, mitsamt euren westlichen Werten und dieser Toleranz, auf die ihr so stolz seid, ihr seid Ungläubige, Abgefallene, ja »denaturierte Menschen« – so, erfuhr ich bald, fasst ein Philosoph den Überlegenheitsanspruch des islamischen Menschenbilds zusammen. Auch ich, der Christ, wäre demnach ein Irrtum der Evolution, eine fatale Unmöglichkeit aus koranischer Sicht.

Um die Welt und mich in dieser Welt ein wenig besser zu verstehen, um jene Sorge zu durchdringen, die mich seit dem 7. Januar 2015 nicht verlässt, musste ich genau wissen, was das Feindbild des militanten Islam auszeichnet, den Westen. Die geistigen Gründungsurkunden las ich, befragte Voltaire und John Locke nach ihrem Bild von Toleranz, aber auch die Bibel. Ich ging in die Schule bei Rémi Brague, Philippe Nemo und Heinrich August Winkler, drei großen Denkern des westlichen Selbstverständnisses unserer Tage. Wohin ich mich auch wendete, überall wurde mir Toleranz als eine Übung in Standhaftigkeit nähergebracht und gerade nicht als gleichförmiges Desinteresse an allem. So aber hat sich der Westen in weiten Teilen in den letzten Jahren entwickelt: zur Vereinigung der Menschen, denen alles egal ist, solange niemand sie beim Lebensgenuss und dessen Verdauung stört. Toleranz aber ist ohne Haltung nicht zu haben.

Das Verhalten von Politik, Medien und Kirchen legt davon ein trauriges Zeugnis ab. Es ist viel zu oft die pure Halt- und Haltungslosigkeit. Aus Angst wie aus Bequemlichkeit regiert in Ansehung des militanten Islam das große Appeasement. Zu den raschesten Äußerungen nach den Attentaten von Paris zählte die quasi regierungsamtliche Beruhigung, derlei habe mit dem Islam nichts zu tun. Islamisten seien letztlich gar keine Muslime. Barack Obama, Präsident der Vereinigten Staaten, äußerte sich kaum klüger; der Islam dürfe nicht diffamiert werden, keine Religion sei für Terrorismus verantwortlich. Welch himmelschreiender Unernst, verstanden sich die Mörder doch als besonders glaubenstreue Fromme auf den Spuren Mohammeds. Vor diesem schlichten Faktum verblasst jede Frage, inwieweit sie sich zu Recht oder zu Unrecht auf diese oder jene Sure beriefen. Es genügt, dass sie es taten, dass sie aus ihrem Bild des Islam die Lizenz zum Mord ableiteten. Also ist es an der Zeit, auch die Gewaltgeneigtheit dieser Religion zu thematisieren.

Das Appeasement des Westens verdient eine mindestens ebenso ernste Anfrage. Was lief da schief in den Schulbänken der Aufklärung zwischen Washington und London, Berlin und Stockholm, wenn der Westen sich zwar sonntags als Wertegemeinschaft begreift, von Montag bis Samstag aber nichts unternimmt, um diese Werte zu verteidigen? Wenn die Selbstzensur fröhliche Urständ feiert und man sich in vorauseilenden Unterwerfungsgesten übt, um weiter an der Illusion festhalten zu können vom friedlichen Nebeneinander von Freiheit und Freiheitsfeindschaft? Lieber ziehen vorgeblich aufgeklärte, in Wahrheit eingeschüchterte Mitteleuropäer potentiell anstößige Karnevalswagen aus dem Verkehr oder sagen Faschingsumzüge wie im Februar 2015 jenen von Braunschweig ganz ab, um den Freiheitsfeinden keine weiteren Angriffsflächen und Anschlagsziele zu bieten, als unverdrossen einzustehen für die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Religion, die Freiheit der Versammlung und, sämtliche Freiheiten überwölbend, die Gleichheit aller Menschen von Geburt an.

Die Terrorbrigade »Islamischer Staat« begreift sich auf einem Eroberungszug über das Mittelmeer hin, Rom fest im Blick. Und Rom ist neben Jerusalem und Athen einer der drei Pfeiler dieses großen zivilisatorischen Projekts namens Westen oder Abendland. Fällt Rom, ist der Westen Geschichte. Damit Rom nicht fällt, muss der Westen sich seines inneren Kompasses neu vergewissern. Eine einmalige Vergangenheit, eine ganz außerordentliche Emanzipationsgeschichte, in Blut und Tränen geschrieben, Tränen der Freude wie Tränen des Schmerzes, muss aktualisiert werden – solange deren Restbestände uns noch zu Gebote stehen, wir noch einigermaßen frei greifen können nach dem Quell unserer Freiheiten.

Massiv aufgerüstet hat eine »dunkle Ideologie«, die alles bedroht, was zu lange für selbstverständlich galt, das freie Denken und Leben in einer weitgehend gewaltfreien Gesellschaft des Gemeinwohls und des besseren Arguments. Die dänische Ministerpräsidentin sprach vom Kampf nicht zwischen Islam und Westen, der angebrochen sei, sondern zwischen »Freiheit und dunkler Ideologie«. Was aber ist diese Ideologie anders als das menschenverachtende Wahngebäude radikalisierter Muslime, die dem Westen kein Pardon geben werden?

Von Helle Thorning-Schmidt müssen wir dennoch reden, denn in ihrem Land, in der Hauptstadt Kopenhagen, ereignete sich keine sechs Wochen nach dem Massaker von Paris ein weiterer Anschlag auf den Westen und auf die Juden. Omar Abdel Hamid el Hussein schoss auf die Teilnehmer einer Konferenz über Meinungsfreiheit und Blasphemie und tötete so den Dokumentarfilmer Finn Nør-
gaard. Später wollte er in das Jüdische Gemeindezentrum eindringen, in dem gerade Bar Mitzwa gefeiert wurde. Der jüdische Wachmann Dan Uzan bezahlte seinen Dienst mit dem Leben. Zwei Morde also hatte der Palästinenser mit dänischem Pass zu verantworten, ehe auch er erschossen wurde – wunschgemäß, vermutlich. Seine Tat trug weiter dazu bei, dass ich die Welt heute mit anderen Augen sehe als in den Jahren vor 2015. Ich frage mich, wie lange ich hier auf den Straßen von Berlin mich noch frei und sicher werde fühlen können, ohne in jedem abweisenden Gesicht einen Attentäter in spe zu sehen und mich nicht aus dem Haus zu trauen. Das nämlich ist das Perfide am Terrorismus: Er kriecht als momentane Sorge...

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