Dieser Abschnitt verschafft einen Überblick über den Wissensstand von Controlling-Kennzahlen sowie ihre Grenzen und bildet somit eine theoretische Grundlage für die vorliegende Arbeit.
Kennzahlen und Kennzahlensysteme lassen sich zu der Koordinationsfunktion der Informationsversorgung des Controllings und insbesondere ins Berichtswesen einordnen.[41] Aus diesem Grund können wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich Controlling auf Kennzahlen und Kennzahlensysteme übertragen werden. Kennzahlen werden definiert als jene Zahlen, „[…] die quantitativ erfassbare Sachverhalte in konzentrierter Form erfassen.“[42] „In Kennzahlensystemen werden verschiedene Kennzahlen im Hinblick auf eine bestimmte Zielsetzung zueinander in Beziehung gesetzt.“[43] Indikatoren „[..] sind im engeren Sinne keine über Verdichtung gewonnenen qualitativen Informationen. Sie sind Ersatzgrößen, deren Ausprägung oder Veränderung den Schluss auf die Ausprägung und Veränderung einer anderen als wichtig erachteten Größe zulassen.“[44]
Die in der einschlägigen Fachliteratur diskutierten Kennzahlen lassen sich unterscheiden in: Absolute Kennzahlen (Einzelwerte, Summen, Differenzen, Mittelwerte) und Verhältniskennzahlen (Gliederungskennzahlen, Beziehungskennzahlen, Indexkennzahlen).[45] Darüber hinaus werden bestimmte Anforderungen an ihre Eigenschaften gestellt. Zweckeignung, Genauigkeit, Aktualität, Kosten-Nutzen-Relation, Einfachheit und Nachvollziehbarkeit, Markt-, Ziel- und Strategiespezifität, Skalierbarkeit und Normierung, Objektivität, Sensitivität, Stetigkeit, Verfügbarkeit, Akzeptanz, Beeinflussbarkeit werden von Autoren angeführt.[46] Besondere Bedeutung kommt auch der Dokumentation von Kennzahlen zu. Hierfür eignen sich zum Beispiel Kennzahlen-Steckbriefe, in denen die Beschreibung, Datenermittlung, Datenaufbereitung und Präsentation jeder einzelnen Kennzahl festgehalten werden kann.[47] Ferner erfüllen Kennzahlen vielfältige Funktionen, die für etablierte Unternehmen genauso wie für Start-ups gelten. Zu diesen Funktionen gehören: Operationalisierungsfunktion, Anregungsfunktion, Vorgabefunktion, Steuerungsfunktion, Kontrollfunktion, Frühwarnfunktion, Verdichtung von Information und Überwachungsfunktion.[48]
Dennoch entsprechen Controlling-Kennzahlen und Kennzahlensysteme nicht allen den an sie gestellten Anforderungen. Fueglistaller/Wiedemann (2003) argumentieren, dass Controlling-Kennzahlen vergangenheitslastig sind, sich nur an monetären Größen ausrichten, wenig Vernetzung untereinander haben, keine gegenseitige Einflussnahme berücksichtigen und schließlich über einen unzureichenden Strategiebezug verfügen.[49] Ebenfalls besteht die Gefahr nur quantitative Kennzahlen zu erheben, wodurch qualitative Ziele nicht berücksichtigt werden.[50]
Wie bereits in Kapitel 2.2 erwähnt, der besondere Vorteil des E-Business liegt in der Möglichkeit Benutzerverhalten unmittelbar zu messen und zu analysieren. Hierbei fungieren Webanalyse-Kennzahlen, auch Web-Metriken genannt, als Erfolgsmessgrößen.[51] Webanalyse-Kennzahlen werden im Rahmen von Webanalyse erhoben. „Web Analytics hat zum Ziel, den Empfänger einer übers Internet gesendeten Botschaft besser […] zu verstehen und zukünftig Botschaften präziser auf ihn abzustimmen.“[52]
Im Gegensatz zu Controlling-Kennzahlen werden Webanalyse-Kennzahlen automatisch generiert und sind außerdem in Echtzeit verfügbar. Dies begegnet dem Problem der Vergangenheitsorientierung von Controlling-Kennzahlen. Darüber hinaus wird der Kaufentscheidungsprozess des Kunden transparent gemacht und ein kundenindividuelles Marketing wird möglich.[53] Auf der anderen Seite beinhalten Webanalyse-Kennzahlen häufig technische Probleme, sodass sie keine exakten Ergebnisse liefern. Verschärft durch die Definitionsvielfalt von Webanalyse-Kennzahlen, werden Branchen- und Unternehmensvergleiche erschwert. Ein weiterer Nachteil liegt in der eingeschränkten Aussagekraft in Bezug auf den Gesamterfolg. Folglich kann weder die Finanzierung noch die Liquidität des Web-Auftritts festgestellt werden.[54] Nichtdestotrotz stellen die Webanalyse-Kennzahlen eine wertvolle Informationsgrundlage für E-Business dar.
Bischoff (2002) argumentiert, dass vor allem junge Wachstumsunternehmen, bei denen sich der Erfolg nicht so schnell im Umsatz manifestiert, andere kontrollfähige Größen benötigen.[55] Daher eignen sich besonders die Webanalyse-Kennzahlen für die Unternehmenssteuerung in der Gründungsphase (s. Kapitel 5.1). Andererseits konzentrieren sich viele E-Business-Unternehmen aufgrund der Nähe zur Geschäftstätigkeit ausschließlich auf die Webanalyse-Kennzahlen.[56] Allerdings beleuchten sie somit nur ihre operativen Geschäfte und vernachlässigen die langfristigen strategischen und finanziellen Ziele.[57] Für die Gründungsphase reicht also die Verwendung von Webanalyse-Kennzahlen für eine erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung nicht aus (s. Kapitel 5.2). Die webbasierten Kennzahlen können in der Wachstumsphase als Indikatoren (s. Definition) fungieren, während die Controlling-Kennzahlen die langfristigen finanziellen Auswirkungen überwachen.
Für die spätere Ableitung von Webanalyse-Kennzahlen müssen die Grundbegriffe „Besucher“, „Besuche“ und „Seitenaufrufe“ definiert werden. Besucher oder „Unique Visitor“ „[…] gibt die Anzahl einzelner Personen an, die eine Website innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens besuchen.“[58] Beim Besuch, Visit oder Session „ […] führt ein und derselbe Besucher ein oder mehrere Seitenaufrufe nacheinander durch.“[59] „Als Seitenaufrufe wird jede von einem Besucher nachgefragte Seite bezeichnet.“[60]
Webanalyse-Kennzahlen lassen sich aufgrund ihrer inhaltlichen Aussagekraft klassifizieren. Hassler (2012) unterscheidet zwischen Quellen-, Besucher-, Verhaltens- und Inhaltsanalyse. Die Quellen-Analyse stellt fest, woher die Besucher kommen. Die Besucher-Analyse untersucht die Eigenschaften der Besucher, um sie später zu segmentieren. Die Verhaltens-Analyse ergründet das Verhalten der Besucher auf der Website. Schließlich identifiziert die Inhaltsanalyse für welche Inhalte sich Besucher besonders interessieren.[61] Folglich enthält jede Analyse entsprechende Kennzahlen, die in Kapitel 5.2.2 behandelt werden.
Im folgenden Kapitel werden auf Basis der in Kapitel 2 beschriebenen Merkmale von Internet-Start-ups Anforderungen für das im Rahmen dieser Arbeit zu entwickelnde Kennzahlensystem abgeleitet. Anforderungen für Kennzahlensysteme gelten auch für einzelne Kennzahlen und umgekehrt.
Aufgrund der hohen Wachstumspotentiale von Start-ups (s. Kapitel 2.1), muss die Anpassungsfähigkeit des Kennzahlensystems an die Größe des Unternehmens gewährleitet sein. Auch die Immaterialität digitaler Güter, welche eine hohe Produktvariation und Personalisierung erlaubt (s. Kapitel 2.1), erfordert ein flexibles und anpassungsfähiges Kennzahlensystem. Die Auswirkungen häufiger Verbesserungen und Änderungen des digitalen Angebots, (Features, Inhalt, grafische Benutzeroberfläche u.a.) auch im Falle des E-Commerce, erfordern regelmäßig die Aufnahme neuer und die Aufgabe nicht mehr aktueller Kennzahlen.
Achlietner/Bassen (2003) gehen von einem zentralisierten Controlling aus, da das Start-up stark unternehmergeprägt ist. Dies bedeutet auch, dass der Gründer bzw. das Gründerteam nur eine begrenzte Anzahl an Kennzahlen aufnehmen können. Die vorgeschlagene Anzahl von Kennzahlen, die in der Literatur als angemessen betrachtet wird, schwank zwischen drei und fünf[62] über zehn[63] und 20[64] als Höchstgrenze für ein Kennzahlen-Monitoring. In dieser Arbeit wird die Anzahl der Kennzahlen zu Gunsten der Vollständigkeit nicht eingeschränkt. Durch hohe anfängliche Aufbauinvestitionen vor allem in immaterielle Vermögensgegenstände muss die Abbildung der Immaterialität sichergestellt werden. Cashflows und Gewinne sind beispielsweise nicht als Erfolgsgrößen für die Gründungsphase geeignet, weil keine Erlöse generiert werden. Daher muss das Kennzahlensystem andere nicht-monetäre Größen zur Erfolgsmessung einschließen.[65] Tabelle 1 fasst die resultierenden Anforderungen an das Kennzahlensystem zusammen.
Tabelle 1 Anforderung an ein Kennzahlensystem für Start-ups (in Anlehnung an Wittenberg (2006) S. 100)
Neben den allgemeinen Anforderungen, die in Kapitel 3.1 zusammengetragen wurden, werden im Folgenden die Anforderung an einzelne aufzunehmende Kennzahlen im Hinblick auf die Merkmale von Start-ups des E-Business aufgestellt. Das...