Kiel als Mitglied der Hanse
Von Heringen, Koggen und Piraten
Graf Adolf IV. hinterließ seinen Söhnen Johann I. und Gerhard I. ein »gut bestelltes Haus«. Seine Holstenstadt Kiel war gegründet, seine Vision vom Landesausbau und die Anbindung an das Fernhandelsnetz waren auf den Weg gebracht. Einzig seine Heiratspolitik mit Dänemark führte nicht dauerhaft zum Erfolg: Immer wieder gab es in der Folgezeit kriegerische Auseinandersetzungen mit Dänemark um die Vorherrschaft im Herzogtum Schleswig (Süder-Jütland), die für die Schauenburger Grafen auch finanziell ein Desaster wurden, dem sie mit städtischen Anleihen und Verpfändungen entgegenzuwirken versuchten.
Mit der Gewährung der Zollfreiheit 1261 und der Verleihung einer »Vitte«, eines Privilegs für die Schauenburger Städte Hamburg und Kiel, in den Häfen der südschwedischen Küste von Schonen Grundstücke zu erwerben und zu bebauen, um am Fang und der Verarbeitung von Heringen teilzuhaben, gelang es den Kieler Kaufleuten, Zugang zu den Handelswegen auf der Ostsee zu bekommen. Kiels Beitritt zu einem Solidarpakt mit bereits ausgewiesenen Hansestädten 1284 berechtigte die Stadt, sich ebenfalls als Hansestadt bezeichnen zu dürfen.
Kiels Solidarität wird gefordert
Die Mitgliedschaft in der Hanse brachte jedoch nicht nur Vergünstigungen mit sich, sondern auch Verpflichtungen. Der Bündnisfall trat 1361 ein, als der Dänenkönig Waldemar IV. Atterdag (1321–75) die Hansekontore auf Gotland überfiel und plünderte. Kiels bescheidener Beitrag zur Kriegsflotte der Hanse, die mit 27 Koggen und 25 Begleitschiffen auf dem Weg nach Dänemark war, bestand aus einem Schiff, 30 Mann und zehn Schützen. Alles fiel vor Helsingborg in die Hände Waldemars. Einen Teil des Gesamtschadens bekam Kiel zwar von seinen Bündnisbrüdern unter Führung Lübecks erstattet, aber eben nicht alles. Immer wieder wies Kiel auf seine prekäre finanzielle Lage hin und hoffte auf die Solidarität der Hansestädte; sogar vor der Beschlagnahme Hamburger Waren schreckte die Stadt nicht zurück, um die Außenstände einzutreiben. Als 1384 eine weitere Auseinandersetzung mit Dänemark drohte, verweigerte Kiel der Hanse die Gefolgschaft. Die Stadt befand sich in einem Interessenkonflikt, denn ihr Landesherr Graf Adolf VIII. (1401–1459) paktierte mit Waldemar, und Kiel wollte außerdem seine guten Handelsbeziehungen mit dem dänischen Südschleswig nicht aufs Spiel setzen. Diese Haltung lief wiederum den Interessen des Hansebundes zuwider, der dafür sorgte, dass Kiel schließlich »verhanst« wurde, d. h. aller Privilegien beraubt und aus dem Bündnis ausgeschlossen. Und weil Kiels Nichtbeteiligung an den Hansekriegen wohl nicht genug für Empörung gesorgt hatte, schob man den Vorwurf des Münzbetruges wegen zu geringen Silbergehalts ihrer Münzen hinterher. Zwar war Kiels Ausschluss zunächst nur von kurzer Dauer, denn die Stadt war in der Folgezeit regelmäßig auf den Hansetagen vertreten; sein Verhältnis zur Hanse blieb aber dennoch schwierig, denn es musste zwischen der Solidarität zur Hanse, der Treue zum jeweiligen Landesherrn und den Interessen des immer selbstbewusster auftretenden Landadels, der sich gerne auf Beutezügen an Hansewaren bereicherte, eine Balance finden. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen, wie etwa 1386, als die Kieler ihr Stadttor für Lübecker Söldner geschlossen hielten, die von marodierenden Banden Adliger in einen Hinterhalt gelockt wurden. Prompt protestierte Lübeck auf das Schärfste und verlangte eine weitere »Verhansung« Kiels, doch wiederum zunächst vergeblich. Auch den Handel mit Dänemark hielt Kiel weiterhin aufrecht, zum Leidwesen Lübecks.
Zudem trieben immer mehr Seeräuber ihr Unwesen auf der Ostsee und brachten den Handelsstädten empfindliche Verluste bei. Der Hansebund reagierte mit neuen Schutzmaßnahmen und ließ seine Koggen nur noch im Verband und mit bewaffneter Begleitung über das Meer fahren. Der dänische König, erklärter Gegner der Hanse, sowie die Schauenburger und damit letztlich auch Kiel verbündeten sich dagegen mit den Freibeutern, gestatteten ihnen, ihre erbeutete Ware in Kiel an Land zu bringen und dort zu verkaufen. Kiel als Hansestadt hatte sich aber auch dazu verpflichten müssen, einen Beitrag aus Steuermitteln zur Bekämpfung der Seeräuber zu leisten. So schädigte die Stadt ihre eigene Kaufmannschaft und brachte die anderen Hansestädte auf den Plan.
HINTERGRUND
Der Hansebund
Von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war die Hanse zunächst eine wirtschaftliche, später auch eine politische und kulturelle Vereinigung von Kaufleuten und Städten. Ein festes Gründungsdatum ist nicht überliefert, wohl aber entwickelte sich mit der Gründung Lübecks 1143, der ersten Hansestadt an der Ostsee, der Ostseehandel. Zur Blütezeit der Hanse waren 70 See- und Binnenstädte Mitglied im Verbund, zusätzlich 130 Orte assoziiert. Regelmäßig stattfindende Hansetage dienten der besseren Absprache und Durchsetzung ihrer Interessen.
Ihr größtes Verdienst ist die Entwicklung und Sicherung des Transportwesens auf dem Meer mit dem Einsatz eines speziell für große Warenmengen neu entwickelten Schiffstyps, der Hansekogge. Die Farben Rot und Weiß sind das Erkennungszeichen der Hansestädte, die Kogge ist ihr Symbol. Der Erfolg der Hanse weckte Begehrlichkeiten und führte 1361 und 1370 jeweils zum Krieg mit Dänemark, und auch gegen die Seeräuber, die Vitalienbrüder unter Klaus Störtebeker, musste die Hanse vorgehen. Mit dem Aufblühen der Kaufmannsfamilien in Süddeutschland und ihrer Orientierung über die Alpen nach Südeuropa sowie durch neue Handelsrouten über den Atlantik nach Amerika verlor sie immer mehr an Bedeutung. 1669 wurde der letzte Hansetag abgehalten. Die Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen verwalten bis heute das Erbe des einstigen Verbundes, der durchaus als Vorläufer der heutigen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gelten kann.
Seit 1983 werden wieder sowohl nationale als auch internationale Hansetage abgehalten. Die Hansetage der Neuzeit versuchen die Erinnerung an die Hanse aufrechtzuerhalten, die Tradition erlebbar zu machen, aber auch neue Impulse zu Wirtschaftsfragen im Verbund zu setzen. Im Jahr 2014 richtete Lübeck den internationalen Hansetag aus. Als historische Geste für Kiel kann man vielleicht den Gedanken des Oberbürgermeisters von Lübeck verstehen, der die Wiederaufnahme Kiels in die Hanse anregte. Das Jahr 2018 wäre ein günstiger Zeitpunkt für den Wiedereintritt, genau 500 Jahre nach Kiels Ausschluss.
Das Ende der Schauenburger Linie und Kiels Hansezugehörigkeit
1460 endete mit Graf Adolf VIII. die Linie der Schauenburger Stadtherrn für Kiel. Sein Nachfolger als Graf von Holstein und Herzog in Schleswig wurde sein Neffe, der Oldenburger Graf Christian I. (1426–81), der gleichzeitig König von Dänemark war. Damit wurden die Beziehungen dorthin noch enger. Zwar bestätigte Christian I. Kiels Privilegien für den dänischen Handel; das enthob die Stadt aber nicht ihrer Verpflichtung, sich an den Kosten zur Sicherung der Hansewege zu beteiligen. 1472 sah sich Graf Christian jedoch gezwungen, Kiel wegen nicht erbrachter Außenstände an Lübeck zu verpfänden. Das wiederum versetzte Lübeck in die Lage, ein Auge auf Kiel und seine Beziehungen zu den Seeräubern zu haben. 27 Jahre stand Kiel unter Aufsicht Lübecks und musste Treue geloben, bis Christians Sohn Friedrich I. (1471–1533) Kiel auslöste. Wegen ungebührlichen Verhaltens und Missachtung der Hansestatuten erfolgte 1518 der endgültige Ausschluss Kiels aus dem Hansebund, zusammen mit 14 weiteren Städten. Ein Antrag auf Wiederaufnahme 1554 wurde abgelehnt.
Der Vertrag von Ripen – Up ewich ungedeelt
Das Jahr 1460 war für die Herzogtümer Schleswig und Holstein von besonderer Bedeutung. Mit der Wahl des Oldenburger Grafen Christian I. zum dänischen König und Regenten über die Herzogtümer verband sich eine 400 Jahre währende enge Beziehung mit Dänemark. Die schleswig-holsteinische Ritterschaft ließ sich die Zustimmung zur Wahl mit dem Vertrag von Ripen »bezahlen«, in dem ihre Privilegien bestätigt wurden, unter anderem der Erhalt der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein, der Wunsch nach stabilen Verhältnissen und Friedenssicherung und die Vermeidung zukünftiger Teilungen. Dieser Teil des Ripener Vertrages konnte in der Folgezeit aus erbrechtlichen Gründen nicht eingehalten werden. Der Wahlspruch des Vertrages »dat se bliven up ewich tosamende ungedeelt« (dass sie ewig zusammenbleiben ungeteilt) entsprang zunächst dem Wunsch nach einem friedlichen Miteinander, erhielt aber im 19. Jahrhundert eine politische Dimension und bezog sich auf eine staatsrechtliche Unteilbarkeit.
Handel und Wandel – Der Kieler Umschlag
Kiel als wirtschaftliches Zentrum der Grafschaft Holstein manifestiert sich in der Ausrichtung des größten Geld- und Tauschmarktes Norddeutschlands und Dänemarks, dem Kieler Umschlag, der seit 1469 schriftlich erwähnt wird. Unter »Umschlag« versteht man so viel wie Tausch, Wechsel, Handel oder Markt; der Begriff ist heute noch in dem Wort »Warenumschlag« geläufig. In jener Zeit war das Reisen beschwerlich, und es empfahl sich nicht, mit größeren Geldmengen durch die Lande zu ziehen. Zur Abwicklung der Geldgeschäfte wurden daher ein verkehrsgünstig gelegener Ort, nämlich Kiel, und eine festgesetzte Zeit, die acht Tage nach dem Drei-Königs-Tag, dem 6. Januar, gewählt. Der Umschlag war zunächst dem Adel vorbehalten, der als Großgrundbesitzer, Gläubiger und Grundherr höriger Bauern zu Reichtum gekommen war; später kamen betuchte Bürger dazu. Der Geldmarkt wurde mit dem Hissen der...