Was ist Homeschooling?
Wenn ich Leuten begegne und ihnen erzähle, dass ich mit einigen meiner Kinder Homeschooling mache, sind die Reaktionen nicht besonders sensationell. Manchmal wird genickt, man hat keine Meinung dazu oder äußert diese zumindest nicht. Dass Kinder nicht zur Schule gehen, scheint außerhalb der Vorstellungskraft des durchschnittlichen Menschen zu sein.
Wenn sich dann doch eine Person findet, die ein wenig Interesse zeigt, kann es vorkommen, dass sie dazu Fragen stellt. Ich mag es, wenn Leute Fragen stellen. Ich habe dann die Möglichkeit, ein wenig von dem weiterzugeben, was wir leben. Es bleibt für den Gesprächspartner dabei nicht mehr beim Unvorstellbaren und Unbekannten.
Interessierte Leute sind auch fähig, Vorurteile abzubauen und den eigenen Horizont zu erweitern.
Warum stellen die Menschen nicht mehr Fragen? Haben wir das Fragen, wie es kleine Kinder tun, verlernt?
Wer keine Fragen stellt, lernt nicht und kommt nicht weiter. Vielleicht wurde vielen Menschen das Fragestellen und damit die Neugier, welche für das Lernen notwendig ist, durch den jahrelangen Schulzwang ausgetrieben.
Seit wann existiert Homeschooling?
Homeschooling im eigentlichen Sinne gibt es seit Menschengedenken, denn das Lernen zu Hause gehört zum Natürlichsten, das es gibt. Seit Urzeiten haben Kinder in der Familie gelebt und den Eltern abgeschaut, was zum Leben und Überleben notwendig war. Eltern haben ihren Kindern beigebracht wie man jagt, sammelt, Kleider herstellt, Tiere hält, Häuser baut, Nahrung haltbar macht usw. Bis ins vorletzte Jahrhundert war es üblich, dass junge Männer den Beruf ihres Vaters übernahmen. Aber auch während der Zeit, in der öffentliche Schulen existierten, gab es weiterhin Familien, die ihre Kinder sich zuhause bilden ließen. Wir hören immer wieder von Kindern des Adels oder wohl situierter Familien, für welche Hauslehrer hinzugezogen wurden oder die von Vater oder Mutter unterrichtet wurden, damit sie einen vorzüglichen privaten Fachunterricht erhielten. (Beispiel: Wolfgang Amadeus Mozart und seine Schwester erhielten vom Vater Musikunterrichtet.) Der Unterricht zu Hause ist also keine Neuerfindung unserer Zeit. Erst nach der Einführung der allgemeinen Schulpflicht, resp. Bildungspflicht (in der Schweiz setzt dies keinen Schulbesuch voraus), die es seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt, entstand der Begriff Homeschooling. Homeschooling bildet quasi einen Gegenpol zum Schulbesuch. Anfangs waren es einige wenige Familien, die Homeschooling praktizierten. In den letzten 20 Jahren hat Homeschooling aber rapide zugenommen. Und heute findet sich in den USA sogar ein Staat, nämlich North Carolina, in dem es mehr Homeschooler als Privatschüler gibt.1
Verschiedene Formen und Ansätze
Der Verein für Homeschooling in der Schweiz nennt sich »Verein Bildung zu Hause«. Das Positive daran ist die Verwendung des Wortes »Bildung«, denn Bildung hört sich nicht nur gut an, Bildung ist grundsätzlich gut.
Viele Eltern wünschen ihren Kindern eine gute Bildung. Bildung zuhause impliziert, dass man sich auch zuhause bilden kann. Die im Prinzip unnötige Anlehnung an die Schule mit dem Wort »schooling« entfällt dabei. Trotzdem verwende ich im Buch hauptsächlich das Wort »Homeschooling«, weil es sowohl auf Englisch wie auf Deutsch der gebräuchlichste Ausdruck ist.
Homeschooling kann man aber nicht so einfach in eine einzige Schublade stecken. Es gibt nämlich diverse Methoden und Herangehensweisen. Dazu gehören Freilernen/Unschooling, Homeschooling nach bestimmten pädagogischen Konzepten, Schulunterricht zuhause, thematisches Lernen und dann noch alles Mögliche dazwischen oder Kombinationen davon.
Einige Eltern sind durch ihren christlichen, jüdischen oder anderen Glauben motiviert, einige legen Wert auf liberales Lernen, und einige suchen einfach etwas Besseres als die aktuelle Schule. Die Familien vernetzen sich in Organisationen und Gruppierungen, die zu ihrem pädagogischen, philosophischen oder religiösen Ansatz passen. Eines haben aber alle gemeinsam: Sie wünschen sich Freiheit in der Wahl der Bildung und schätzen die wertvolle Zeit, die sie mit ihren Kindern verbringen.
Zu dieser Vielfalt kommt hinzu, dass jede Familie ihren eigenen Stil hat. Keine Homeschool-Familie ist identisch mit einer anderen. Die Begegnungen und Interviews mit den verschieden Homeschool-Familien haben mir dies bestätigt. Zudem wandelt sich innerhalb derselben Familie, oftmals auch die Ansatzweise. Homeschooling ist vergleichbar mit einer spannenden Reise, auf der immer wieder Veränderungen und Überraschungen auf dem Weg lauern.
Kinder, die schon eine Schule besucht haben und dann erst auf Homeschooling umsteigen, brauchen in der Regel eine Umgewöhnungszeit. Diese Umgewöhnungsphase kann Monate oder gar Jahre dauern. Während dieser Phase lösen sich das Kind sowie die Eltern allmählich von Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die vom Schulsystem stammen und zuhause entbehrlich sind.
Der Begriff »Homeschooling«
Homeschooling oder Home Education versteht sich als Oberbegriff für private Bildung aller Art, die nicht in der Schule stattfindet, wohl aber von ihr in einzelnen Fächern ergänzt werden kann (z. B. im Sprach- oder Musikunterricht). Weitere Begriffe für Homeschooling, die häufig oder gelegentlich angewendet werden, sind: Privatschulung, Hausunterricht, Homelearning, Home Education, Lernen ohne Schule, Unschooling, Freilernen, Bildung zu Hause, Hausschulung, Privatunterricht, häuslicher Unterricht, Heimunterricht und Domizilunterricht. Deschooling, auf Deutsch Entschulung, bezeichnet eine Umgewöhnungsphase, welche Kinder und Eltern durchlaufen, die vom Schulbesuch auf eine Bildung zu Hause umsteigen.
Homeschooling geschieht im Kreise der Familie und wird in der Regel von den Eltern geleitet bzw. begleitet. Gelegentlich ergänzen Lehrer, Fachexperten oder andere Menschen diese Form von Unterricht.
Klassisches Homeschooling
Unter dem Begriff »klassisches Homeschooling« versteht man, dass der Unterricht statt in einem Schulgebäude zuhause stattfindet. Gemeint ist damit eben eine Art »Schule zuhause«, die ähnlich wie Schule im herkömmlichen Sinn abläuft: Stundenpläne, strukturierter Unterricht, geregelte Lektionen, Schulbücher, Tests usw. Es werden Lehrpläne verwendet, in denen der Unterrichtsstoff für ein Semester oder das ganze Jahr vorgeplant ist. Diese Ansatzweise kann auch privater Unterricht genannt werden.
Unschooling oder Freilernen
Als ich das erste Mal im Internet auf den Ausdruck »Unschooling« stieß, wusste ich gar nicht, dass sich Unschooling vom klassischen Homeschooling unterscheidet. Unschooling klang für mich jedoch ein wenig rebellisch, sich gegen die Schule auflehnend.
Beim näheren Hinsehen erfuhr ich, dass Unschooling ein ganz spezifischer Homeschool-Stil ist. Der deutsche Ausdruck »Freilernen«, ist dasselbe, wobei hier die Negation »Un-« entfällt. Unschooler lassen ihre Kinder selbst bestimmen, wo es beim Lernen lang geht. Diese Kinder werden aber nicht einfach völlig sich selbst überlassen. Eltern, die Unschooling praktizieren, begleiten ihre Kinder aufmerksam – womöglich sogar aufmerksamer als klassische Homeschool-Eltern. Nur gehen sie nicht methodisch vor, sondern unterstützen die Interessen und Stärken des Kindes, wo sich diese zeigen. Das können spontane Interessen sein oder Fähigkeiten, die ein Kind über längere Zeit entwickelt.
Freilerner sind eher Leute aus der alternativen Szene, aber nicht nur. Man trifft z. B. auch auf gläubige Christen, die diesen Ansatz wählen.
Ein bekannter Freilerner im deutschsprachigen Raum ist André Stern. Der Franzose, der fließend Deutsch spricht, ist Autor des Buches »… Und ich war nie in der Schule« und Protagonist in »alphabet«, einem schulkritischen Kinofilm von Erwin Wagenhofer.
Weitere bekannte Freilerner sind Thomas und Moritz Neubronner. Ihre Eltern veröffentlichten das Buch »Die Freilerner« – in dem es um den Weg ohne Schule der Söhne geht – in ihrem eigenen Verlag. Die deutsche Familie hat immer wieder Zuflucht im Ausland gesucht, um das deutsche Verbot von Homeschooling zu umgehen. Erst kürzlich hat Moritz Neubronner einen erfolgreichen Schulabschluss erlangt, nachdem er die meiste Zeit seines Lebens keine Schule besucht hatte.
Charlotte-Mason-Pädagogik
Charlotte Mason kam Mitte des 19. Jahrhunderts in England zur Welt und wurde hauptsächlich von ihren Eltern unterrichtet. Später absolvierte sie eine Ausbildung als Pädagogin und investierte ihr Leben, um die Qualität der Bildung in der Zeit um die Jahrhundertwende zu verbessern. Ihre Methoden und Ansichten haben bis heute nicht an Aktualität verloren. Einer ihrer pädagogischen Ansätze besteht darin, lebendige Bücher anzuwenden. Kinder sollten im Fach Geschichte statt historische Daten auswendig zu lernen, lebendige Erzählungen und Abenteuergeschichten lesen. Ebenso war sie der Meinung, dass bei Kindern der größte Teil der Zeit dem freien Spiel gewidmet werden sollte. Sie betonte, wie wichtig es sei, viele Stunden in der Natur zu verbringen und direkt von ihr zu lernen.
Waldorfpädagogik des Rudolf Steiners
Rudolf Steiner kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im heutigen Kroatien zur Welt. Er ist Gründer der Anthroposophie, einer esoterischen Weltanschauung, die sich u. a. an die Theosophie und idealistische Philosophie anlehnt. Es gibt weltweit viele Schulen (Rudolf-Steiner-Schulen oder Waldorf-Schulen genannt), die sich nach seiner Pädagogik...