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E-Book

Kinder psychisch kranker Eltern

AutorAlbert Lenz
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl259 Seiten
ISBN9783840925702
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis32,99 EUR
Die neuen Erkenntnisse der Coping- und Familienforschung liefern ein differenziertes Verständnis dafür, wie Kinder psychisch kranker Eltern und ihre Familien mit den multiplen Belastungen und besonderen Anforderungen im Alltag umgehen. Das Wissen um die Bedeutung persönlicher, familiärer und sozialer Schutzfaktoren hat wesentlich zur Weiterentwicklung der Hilfen für die betroffenen Kinder und ihren Familien beigetragen, die in der Neubearbeitung des Buches ausführlich beschrieben werden. Der Band stellt Belastungen, Erkrankungsrisiken und Interventionen über die gesamte Altersspanne vom Säuglingsalter bis zum Jugendalter dar. Er spannt dabei einen Bogen von Störungen in der frühen Mutter-Kind-Interaktion und postpartalen Erkrankungen bis hin zu Parentifizierung und Trennungsschuld bei jugendlichen Kindern. Weiterhin wird auf die diagnostische Einschätzung der familiären Belastungen und Gefährdungen, bindungsbezogene Interventionen, familienorientierte Hilfen, die Förderung der Bewältigungskompetenz bei älteren Kindern bzw. Jugendlichen sowie die Psychoedukation bei Kindern eingegangen. Schließlich nimmt das Thema Kooperation und Empowerment einen großen Raum ein. Die vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage des Buches vermittelt damit einen fundierten und anschaulichen Überblick zum Thema Kinder psychisch kranker Eltern.

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Kapitelübersicht
  1. Kinder psychischkranker Eltern
  2. 1Risiken und Folgen für Kinder psychisch kranker Eltern – Zum Stand der Forschung
  3. 2Genetische und psychosoziale Einflüsse als Belastungsfaktoren
  4. 3Elternschaft und psychische Erkrankung
  5. 4Kinder als Angehörige psychisch kranker Eltern – eine empirische Studie
  6. 5Möglichkeiten und Grenzen der Ein­beziehung der Expertensicht – eine empirische Studie
  7. 6 Resilienz – Widerstandsfähigkeit entwickeln
  8. 7 Coping – Belastungen konstruktiv begegnen
  9. 8 Familie – Schutzfaktor und Risiko fu¨r Kinder psychisch kranker Eltern
  10. 9 Diagnostik – Erkennen von familiären Belastungen, Gefährdungen und Ressourcen
  11. 10 Multimodale Interventionsprogramme – ein Überblick
  12. 11 Bindungsbezogene Interventionen
  13. 12 Mutter-Kind-Behandlung – Ein spezifisches stationäres Angebot fu¨r junge Mu¨tter
  14. 13 Familienorientierte Interventionen
  15. 14 Kooperation als Voraussetzung fu¨r wirksame Hilfeleistungen
  16. 15 Kooperation zwischen den Systemen des Gesundheitswesens und dem System der Jugendhilfe – eine empirische Studie
  17. 16 Ausgestaltung der Kooperationsbeziehungen – eine empirische Studie
  18. 17 Interinstitutionelle Kooperation und Mitwirkung der Familien
  19. Anhang
Leseprobe
Im deutschen Sprachraum gilt das auf der ICD-Systematik beruhende multiaxiale Klassifikationsschema für psychische Erkrankungen im Kindesund Jugendalter von Rutter (WHO, 1997) als einschlägig. Für die Bestimmung, ob eine psychische Störung vorliegt oder nicht sind wesentlich:
• die Stärke und Anzahl der Symptome,
• die mit den Symptomen einhergehenden psychosozialen Beeinträchtigungen und
• Leistungsbeeinträchtigungen, die auch durch mögliche Ausgleichsprozesse nicht mehr verhindert werden können sowie
• die Dauer der Symptomatik und der Beeinträchtigung. Bei der Ermittlung der Art, Häufigkeit und Verteilung psychischer Störungen im Kindesund Jugendalter ist zu berücksichtigen, dass eine Einschätzung psychischer Störungen und damit eine eindeutige Abgrenzung zum Gesunden in diesem Altersbereich schwieriger ist als im Erwachsenenalter (Petermann et al., 2013). Es gibt hierfür eine Reihe von Gründen:
• die schnelle und umfassende Veränderung von Physis, Fähigkeiten, Verhalten und Emotionen in der kindlichen Entwicklung;
• die meisten Störungen im Kindesalter fallen nicht in den Bereich klar abgrenzbarer diagnostischer Kategorien;
• die meisten Symptome, die als Kriterium für Diagnosen dienen, sind auch bei gesunden Kindern vorhanden, allerdings in quantitativ anderer Ausprägung;
• eine Verhaltensweise kann je nach Alter und Entwicklungsstand normal oder pathologisch sein (z. B. Einkoten, Trennungsängste oder Trotzreaktionen);
• bestimmte Störungen im Kindesalter (z. B. oppositionelles Verhalten) zeigen sich unter Umständen lediglich in bestimmten Umgebungen (z. B. im Kindergarten) oder gegenüber bestimmten Personen (z. B. ausschließlich gegenüber den Eltern);
• die altersund entwicklungsabhängig eingeschränkte Fähigkeit der Kinder zur Krankheitswahrnehmung, -bewertung und Selbstauskunft;
• Fremdurteile (z. B. von Eltern, Erziehern oder Lehrern) werden wiederum von der Subjektivität und den Eigeninteressen der Beurteiler, aber auch vom Bildungsniveau und von der Beziehung zum Kind etc. beeinflusst;
• in sehr jungen Jahren sind körperliche und seelische Störungen nur schwer zu trennen (z. B. Bauchschmerzen).

1.1.1 Gesamtprävalenz psychischer Störungen im Kindesund Jugendalter

Zuverlässige Prävalenzdaten liefert eine Messung der „wahren“ Prävalenz. Dazu müssen psychische Störungen im Feld repräsentativer Bevölkerungsstichproben untersucht werden. Als Erhebungsverfahren werden meist Fragebögen, wie z. B. die Child Behavior Checklist (CBCL) oder der Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) von Goodman (1997), verwendet.

Barkmann und Schulte-Markwort (2004) haben alle 30 repräsentativen empirischen Studien zur Gesamtprävalenz, die seit 1952 in Deutschland durchgeführt wurden, vergleichend gegenübergestellt und deskriptiv analysiert. Die ungewichteten Prävalenzen in diesen Studien, die überwiegend mit einem einstufigen Querschnittsdesign durchgeführt wurden, schwanken zwischen 10,3 % und 29,9 % mit einem Mittelwert von M = 17,2 % (SD = 5,54). Die mit der Stichprobe gewichteten Ergebnisse sind ähnlich (M = 17,2 %, SD = 5,07). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Ihle und Esser (2002), die in einer Überblicksarbeit, in die 19 nationale und internationale repräsentative Studien mit genügend großen Stichproben einbezogen waren, eine mittlere Prävalenzrate von 18 % herausfanden: In der aktuellen BELLA-Studie, an der 2863 zufällig ausgewählte Familien aus der KiGGS-Studie mit Kindern zwischen 7 und 17 Jahren teilnahmen, zeigen 21,9 % aller Kinder und Jugendlichen Hinweise auf psychische Störungen (Ravens-Sieberer et al., 2007). Die Zahlen in der repräsentativen Substichprobe der KiGGSStudie liegen also etwas höher, bewegen sich aber im Rahmen der bislang vorliegenden Studien und bestätigen das hohe Niveau der Auftretenshäufigkeit psychischer Störungen im Kindesund Jugendalter.

9,7 % aller in der BELLA-Studie einbezogenen Kinder und Jugendlichen werden als „auffällig“ klassifiziert, bei weiteren 12,2% liegen deutliche Hinweise auf psychische Störungen vor. Getrennt nach Alter und Geschlecht zeigt sich insgesamt ein leichter Anstieg der Auftretenswahrscheinlichkeit mit zunehmenden Alter, wobei bis zu einem Alter von 13 Jahren eine höhere Gesamtprävalenzrate bei Jungen festzustellen ist, wogegen nach den Ergebnissen der Analyse von Ihle und Esser (2002) im Zuge der Adoleszenz eine Angleichung der Gesamtraten bei Jungen und Mädchen erfolgt. Da die befragten Familien mit Migrationshintergrund keine repräsentative Auswahl der in Deutschland lebenden Migrantenfamilien darstellen, musste in der BELLA-Studie auf eine Differenzierung nach Migrationshintergrund verzichtet werden.

Eine Gegenüberstellung der Ergebnisse zeigt, dass eine Zunahme oder Abnahme der mittleren Gesamtprävalenz psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland über die letzten 50 Jahre aus den bislang vorliegenden Studien nicht ableitbar ist. Die sowohl in der Fachöffentlichkeit als auch in der Presse – vor allem in medialen Sensationsberichten über jugendliche Amokläufer oder Selbstmörder – immer wieder vertretene These, Kinder und Jugendliche würden psychisch immer auffälliger, lässt sich also zumindest nach dem bisherigen empirischen Kenntnisstand nicht belegen. Allerdings muss hierbei berücksichtigt werden, dass bis auf eine Ausnahme die in die Analyse einbezogenen Studien weder mit vergleichbarer Methodik noch an vergleichbaren Stichproben durchgeführt wurden. Die Ergebnisse können daher auch auf Designeffekte rückführbar sein (Barkmann & Schulte-Markwort, 2007). Interessanterweise konnten aber auch Roberts et al. (1998) in einer Analyse von 52 Forschungsarbeiten zur Bestimmung der Gesamtprävalenz psychischer Störungen im Kindesund Jugendalter aus 20 verschiedenen Ländern keinen aufoder absteigenden Trend in der mittleren Prävalenz über die Zeit feststellen.

1.1.2 Prävalenz spezifischer psychischer Störungen im Kindesund Jugendalter

Bezogen auf die spezifischen psychischen Störungen kommt die BELLA-Studie (Ravens-Sieberer et al., 2007) zu folgenden Ergebnissen: Angststörungen treten bei 10 % der Kinder und Jugendlichen auf. Am häufigsten betroffen ist hierbei die Altersgruppe zwischen 11 und 13 Jahren. Deutliche Hinweise für Störungen im Sozialverhalten finden sich bei 7,6 % der Kinder und Jugendlichen, wobei sich eine größere Auftretenswahrscheinlichkeit von aggressiven im Vergleich zu dissozialen Auffälligkeiten zeigt. Depressive Störungen werden bei 5,4 % und hyperkinetische Störungen (ADHS) bei 2,2 % der Kinder und Jugendlichen festgestellt. Während bei depressiven Störungen in der Auftretenshäufigkeit weder ein bedeutsamer geschlechtsspezifischer Unterschied noch ein Unterschied für verschiedene Altersgruppen festzustellen ist, zeigt sich bei den hyperkinetischen Störungen eine deutlich größere Häufigkeit bei Jungen und bei den jüngeren Kindern.

Durchgängig zeigt sich in der BELLA-Studie bei allen erfassten spezifischen psychischen Störungen, dass Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status deutlich häufiger betroffen sind. Die Ergebnisse der BELLA-Studie zur Prävalenz spezifischer psychischer Störungen zeigen eine hohe Übereinstimmung mit den bisherigen nationalen und internationalen Studien, wie die deskriptive Analyse von Ihle und Esser (2002) zeigt. Als häufigste Störungen zeigen sich hier ebenfalls Angststörungen mit 10,4 %, gefolgt von Störungen des Sozialverhaltens mit 7,5 % sowie depressiven Störungen und hyperkinetischen Störungen mit jeweils 4,4 %.

Diagnosenspezifische Verläufe psychischer Störungen

Alle Studien kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass bei allen Altersstufen des Kindesund Jugendalters die Persistenzrate psychischer Störungen konsistent hoch ist. Sie liegt bei Zeiträumen von 2 bis 5 Jahren in der Regel über 50 %. Das heißt, dass die psychischen Störungen im Kindesund Jugendalter zu einem beträchtlichen Teil keine vorübergehenden und entwicklungsbedingten Auffälligkeiten sind, sondern gravierende und gesundheitspolitisch relevante Krankheiten (Esser et al., 2000).
Inhaltsverzeichnis
Kinder psychischkranker Eltern1
Vorwort7
Inhalt11
1Risiken und Folgen für Kinder psychisch kranker Eltern – Zum Stand der Forschung19
2Genetische und psychosoziale Einflüsse als Belastungsfaktoren40
3Elternschaft und psychische Erkrankung63
4Kinder als Angehörige psychisch kranker Eltern – eine empirische Studie85
5Möglichkeiten und Grenzen der Ein­beziehung der Expertensicht – eine empirische Studie142
6 Resilienz – Widerstandsfähigkeit entwickeln151
7 Coping – Belastungen konstruktiv begegnen170
8 Familie – Schutzfaktor und Risiko fu?r Kinder psychisch kranker Eltern192
9 Diagnostik – Erkennen von familiären Belastungen, Gefährdungen und Ressourcen219
10 Multimodale Interventionsprogramme – ein Überblick238
11 Bindungsbezogene Interventionen251
12 Mutter-Kind-Behandlung – Ein spezifisches stationäres Angebot fu?r junge Mu?tter260
13 Familienorientierte Interventionen281
14 Kooperation als Voraussetzung fu?r wirksame Hilfeleistungen327
15 Kooperation zwischen den Systemen des Gesundheitswesens und dem System der Jugendhilfe – eine empirische Studie335
16 Ausgestaltung der Kooperationsbeziehungen – eine empirische Studie348
17 Interinstitutionelle Kooperation und Mitwirkung der Familien359
Anhang371
Literatur373
Sachregister393

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