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E-Book

Kinder mit Sprachauffälligkeiten

Förderung in inklusiven Schulklassen

AutorKathrin Mahlau
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl175 Seiten
ISBN9783170338340
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Kinder mit einer auffälligen Sprachentwicklung brauchen innerhalb des inklusiven Grundschulunterrichts spezifische sprachlernunterstützende Methoden und Materialien, damit sie altersgerechte Lernziele erreichen. Um diese Maßnahmen und Methoden genau planen zu können, müssen Lehrkräfte schnell und übersichtlich Informationen über den Sprachentwicklungsstand der Kinder ihrer Klasse erhalten. Im Buch wird dargestellt, wie Lehrkräfte von der Feststellung sprachlicher Auffälligkeiten zur Zielableitung und zur Festlegung von Fördermaßnahmen kommen. Die Darstellung der Fördermaßnahmen geht ausführlich auf Materialien und Umsetzungsstrategien ein, die sich unkompliziert in den Unterricht der ganzen Klasse implementieren lassen.

Dr. Kathrin Mahlau ist Professorin an der Universität Greifswald und hat mehrere Jahre als Sprachheilpädagogin gearbeitet.

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Leseprobe

2          Die Sprachentwicklung und ihre Bedeutung für das weitere Leben und Lernen


 

 

 

Eine besonders bedeutsame Entwicklungsaufgabe im Kindesalter ist der Erwerb der sprachlichen Fähigkeiten. Die meisten der monolingual aufwachsenden Kinder durchlaufen eine ungestörte Sprachentwicklung, jedoch ist mit einer Häufigkeit von 5 bis 8 % kein anderer Bereich so oft von Störungen betroffen, wie die Sprachentwicklung (Grimm, 2003). Da das Erlernen der Sprache auch für weitere Entwicklungsbereiche grundlegend ist, zeigen sich eine Vielzahl von nachfolgenden oder begleitenden Problemen, die besonders die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung betreffen. Lehrkräfte sollten wissen, dass das schulische Lernen durch eine Sprachentwicklungsstörung umfassend beeinträchtigt sein kann (u. a. Gasteiger-Klicpera & Klicpera, 2005; Mahlau, 2008; Ritterfeld, Starke, Röhm, Latschinske, Wittich & Moser Opitz, 2013; Schröder & Ritterfeld, 2014). So zeigen sich bei gut 50 % der Kinder mit umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen Probleme beim Erlernen der Schriftsprache (Arand, 1998; Gasteiger-Klicpera & Klicpera, 2005), der Mathematik (Ritterfeld et al., 2013) und im allgemeinen Erwerb und Anwenden von Wissen (Dannenbauer, 2009; Mahlau & Jeschke, 2014). Viele der Kinder sind doppelt oder sogar dreifach beeinträchtigt (Mahlau & Jeschke, 2014). Bei ein und demselben Kind können sowohl die Sprachentwicklung als auch der Schriftspracherwerb als auch das allgemeine schulische Lernen als auch der emotional-soziale Bereich betroffen sein.

Zudem sind Kinder mit umschriebenen Sprachentwicklungsproblemen einem erhöhten Risiko für soziale und emotionale Störungen ausgesetzt. Davon ist nach Angabe von Grimm (2003) ein erheblicher Anteil – zwischen 40 % und 80 % – betroffen. Die Kinder zeigen neben den Sprachentwicklungsproblemen Auffälligkeiten in der Aufmerksamkeit, im Sozialverhalten und in der emotionalen Grundstimmung (Amorosa, 2008). Lehrkräfte sollten weiterhin wissen, dass Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen Schwierigkeiten haben, Freunde zu finden und Freundschaften zu halten (Durkin & Conti-Ramsden, 2007). Sie gehören zu den sozial am wenigsten integrierten Kindern (Mahlau & Salzberg-Ludwig, 2015).

Im Folgenden soll nun der normale sprachliche Entwicklungsstand von Kindern im Grundschulalter beschrieben werden, anschließend wird vergleichend auf den gestörten Sprachentwicklungsverlauf eingegangen.

2.1       Die normale Sprachentwicklung


Der Erwerb der Sprache ist ein äußerst komplexer Vorgang. Es werden nicht nur Fähigkeiten zur Bildung aller Laute der Muttersprache erworben, sondern auch viele Wörter der Umgebungssprache, Kenntnisse darüber, wie Sätze korrekt gebaut werden, und Kompetenzen des Erzählens und Beschreibens. Ziel der Sprachentwicklung ist es, mit anderen Personen verbal in Beziehung zu treten, also zu kommunizieren. Damit ist es möglich, Wünsche und Informationen anderen mitzuteilen, sich als sozial kompetent und anerkannt zu erleben und sich selbst zu verwirklichen.

Die sprachliche Umgebung des Kindes hat einen hohen Einfluss auf seine Sprachentwicklung. Studien zeigen, dass Kinder mit weniger oder ungünstiger Sprachanregung, z. B. aus bildungsfernen Elternhäusern oder mit Migrationshintergrund, später mit dem aktiven Spracherwerb beginnen, weniger Wörter erwerben und damit ein höheres Risiko haben, sprachliche Störungen zu entwickeln, als andere Kinder (Grimm, 2003).

In der Linguistik (Braun, 2005) differenziert man »Sprache« in vier Ebenen ( Tab. 1). Diese bilden die Grundlagen, um Sprache hinsichtlich ihrer Struktur und Funktion zu beschreiben, und dienen gleichzeitig dem Ableiten von diagnostischen und von Fördermaßnahmen (Mahlau & Herse, 2017; Reber & Schönauer-Schneider, 2017; 2014).

Sprache lässt sich in die Ebenen der Aussprache, des Wortschatzes, der Grammatik und der Kommunikation systematisieren. Jede Ebene teilt sich nochmals in zwei weitere Unterebenen sowie in die aktive (produktive) und passive (rezeptive) Dimension. Bei der aktiven Sprachverwendung, der Sprachproduktion, geht es darum, was das Kind selbst aktiv zu äußern vermag. Wie groß ist der von ihm beim Sprechen verwendete Wortschatz, welche Laute kann es produzieren, welche Satzformen bildet es schon? Das Sprachverständnis, die rezeptive Seite der Sprache, gibt uns Hinweise darauf, ob das Kind versteht, was andere Personen sagen.

Tab. 1: Die Sprachebenen – Inhalt und Beispiele

Kenntnisse über die sprachlichen Ebenen sind bedeutsam, wenn beurteilt werden soll, ob Kinder über eine altersgerechte Sprachentwicklung verfügen, oder ob möglicherweise Probleme im Spracherwerb vorliegen. Was sollte ein Kind sprachlich können, wenn es in die Schule kommt? Ein körperlich und psychisch altersgerecht entwickeltes Kind, das in einer entwicklungsgünstigen Umwelt aufgewachsen ist, sollte mit sechs Jahren seine Muttersprache im Wesentlichen produktiv und rezeptiv verinnerlicht haben. In der Infobox 1 wird das zu erwartende sprachliche Können von Schulanfängern zusammengefasst, bevor im nächsten Abschnitt auf die umschriebene Spracherwerbsstörung eingegangen wird.

Infobox 1: Sprachliche Fähigkeiten von Schulanfängern

•  Auf der Ebene der Aussprache sollten alle Laute und Lautverbindungen korrekt gebildet werden können. Auch Zischlaute und schwierige Konsonantenverbindungen wie [kr] oder [gl] müssen die Kinder korrekt aussprechen. Laut(fehl)bildungen, die offensichtlich durch den Zahnwechsel verursacht sind ([s]-Laute), werden erst nach dem vollständigen Auswachsen der vorderen Schneidezähne beurteilt.

•  Im Bereich des Wortschatzes haben die Kinder ca. 2.500 bis 3.000 Wörter durch Wissenszuwachs und die Anwendung von Wortbildungsregeln erlernt. Sie sollten sich differenziert ausdrücken können, also auch Wörter, die semantisch aus einem Wortfeld kommen und sich nur gering unterscheiden (laufen, rennen, schlendern, wandern, gehen), aktiv korrekt verwenden.

•  Im Bereich der Syntax kann ein ca. sechsjähriges Kind in seiner Muttersprache komplexe Satzkonstruktionen verstehen und bilden. Dazu gehören längere Hauptsätze sowie Nebensatzstrukturen. Auch im Bereich der Morphologie sind Wortableitungen der Pluralbildung, der Akkusativ- und zunehmend auch der Dativbildung zu erwarten.

•  Auf der Ebene der Kommunikation und Pragmatik sollte es eigene Gedanken für andere nachvollziehbar ausdrücken und Geschichten nacherzählen können. Weiterhin kann es – abhängig von individuellen Erfahrungen – abstrakte Bedeutungen und sprachliche Hintergründigkeiten (Witz, Ironie, Sarkasmus) verstehen (Rosenkötter, 2008).

2.2       Welche sprachlichen Probleme erschweren Kindern mit Sprachentwicklungs-störungen das Lernen? – Die gestörte Sprachentwicklung


2.2.1     Umschriebene Spracherwerbsstörungen


Definition und Prävalenz


Die umschriebenen Spracherwerbsstörungen werden nach der ICD-10-GM (International Classification of Diseases and Releated Health Problems, 10. Revision; Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information [DMDI], 2017) als eine Entwicklungsstörung definiert, bei der die Fähigkeit des Kindes, die expressiv und rezeptiv gesprochene Sprache zu gebrauchen, deutlich unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt. Dabei sind die normalen Spracherwerbsverläufe von frühen Entwicklungsstadien an beeinträchtigt. Unter der Kennnummer F80.- wird eine Reihe von Ausschlusskriterien benannt. So werden Kinder ausgeschlossen, bei denen die Ursache für ihre Sprachstörung nicht direkt mit neurologischen Beeinträchtigungen in Verbindung gebracht werden kann (z. B. Aphasien), im sensorischen Bereich (z. B. hör- oder sehbeeinträchtigte Kinder) oder in den nonverbalen kognitiven Fähigkeiten (z. B. durch eine kognitive Beeinträchtigung) oder in auffälligen emotionalen Störungen bzw. Problemen in den zwischenmenschlichen Beziehungen (z. B. eine schwere Verhaltensstörung) begründet ist. Die ICD-10-GM unterscheidet die Artikulationsstörung, die expressive und die rezeptive Spracherwerbsstörung. Umschriebene Spracherwerbsstörungen können von auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen begleitet werden. Für den deutschsprachigen Raum konnte Grimm (2003) anhand unterschiedlicher linguistischer Analysen zeigen, dass betroffene Kinder strukturell abweichende Sätze produzieren, die im normalen Sprachentwicklungsverlauf nicht...

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