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Kindergarten statt Kummergarten!

So geht's: Wie Kinder, Eltern und Erzieher froh werden und warum unsere Gesellschaft davon profitiert

AutorAntje Bostelmann, Benjamin Bell
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783104009643
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Zukunft Deutschlands entscheidet sich im Kindergarten Keine Institution ist für die Zukunft unserer Gesellschaft so wichtig wie der Kindergarten: Ob Bildung, Integration oder die Vermittlung von grundlegenden Werten, dort werden die Weichen gestellt. Doch der Kindergarten bereitet uns Kummer: Auf der einen Seite stehen die hohen Erwartungen und Forderungen der Eltern und Politiker, auf der anderen Seite wird gestrichen und gespart, und Erzieherinnen sind miserabel bezahlt. Grund genug in einer von Fachfremden und Theoretikern bestimmten Debatte, den wirklichen Experten und Praktikern eine Stimme zu geben. Die langjährigen Erzieher und Pädagogen Antje Bostelmann und Benjamin Bell machen deutlich, welche Potentiale in der Institution Kindergarten stecken. Sie zeigen ganz konkret, wie Betreuung und Erziehung gelingen kann und was sich verändern muss, damit wir den Kindern, den Eltern und den gesellschaftlichen Anforderungen besser gerecht werden. Für unsere Zukunft und die unserer Kinder.

Antje Bostelmann, 1960 in Rostock geboren, ist ausgebildete Krippenerzieherin und arbeitete einige Jahre als Erzieherin. 1990 gründete sie KLAX, ein pädagogisches Dienstleistungsunternehmen, welches äußerst erfolgreich Krippen, Kindergärten und Schulen betreibt, Pädagogen aus- und fortbildet und im europäischen Rahmen an der Entwicklung pädagogischer Programme und Methoden beteiligt ist. Antje Bostelmann hat drei Kinder und lebt in Berlin.Benjamin Bell hat Erziehungswissenschaften und Germanistik an der Freien Universität Berlin studiert. Er ist Autor mehrerer pädagogischer Fachbücher und leitet die KLAX-Schulen, deren Umsetzung selbstorganisierter Lernformen einzigartig ist. Benjamin Bell hat zwei Kinder und lebt in Berlin.

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Leseprobe

Diagnose: Fehlendes Selbstbewusstsein


In der Hierarchie des gesellschaftlichen Ansehens steht der Beruf der Erzieherin weit unten. Wer in der oberen Liga mitspielen möchte, wird Rechtsanwalt, Arzt, Manager, Universitätsprofessor, Filmemacher oder wählt einen anderen angesehenen Beruf. Erzieherin, so der verbreitete Irrglaube, wird, wer nichts Besonderes kann, denn erziehen kann jeder.

Gut, dass sich selbstlose Frauen finden, die sich mit diesem Beruf zufriedengeben, denn sie werden gebraucht. Schließlich muss jemand auf den Nachwuchs aufpassen, während man die Brötchen verdient …

Das sei übertrieben? Weit gefehlt, man muss sich nur einmal entsprechende Internetforen ansehen, dort wird kein Blatt vor den Mund genommen. Anstatt mit den Erzieherinnen offen zu sprechen, wird dort hemmungslos gelästert, teilweise werden die Erzieherinnen sogar namentlich genannt. Abgesehen davon, dass dies keine Art ist, miteinander umzugehen und Kritik auf diese Weise indiskutabel ist, wird auch immer wieder übersehen, dass es nicht jedem Menschen gegeben ist, die großartigen Entwicklungsschritte Heranwachsender zu erkennen und zu würdigen. Nicht jeder verfügt über das nötige Wissen, die nötige Geduld und Empathie – auch nicht jede Erzieherin.

Doch unsere Gesellschaft hat sich noch nicht einmal entschieden, was die Erzieherinnen nun wirklich sind: Aufpasserinnen in Kinderbewahranstalten – Kinderobvang heißen tatsächlich einige Kinderbetreuungseinrichtungen in den Niederlanden –, oder sind sie Lehrerinnen für die Jüngsten, wie die schwedische Berufsbezeichnung »Vorschullehrer« suggeriert?

Zwar hat der deutsche Kindergarten vor einigen Jahren einen Bildungsauftrag erhalten, aber in den Köpfen der meisten Menschen ist das noch nicht angekommen. Sie respektieren den Erzieherinnenberuf vor allem, weil es so anstrengend ist, seine Zeit mit Kindern zu verbringen – und dann auch noch mit vielen. »Mit Tschingderassa und Bum Bum Bum, ziehn wir im Kreis herum …« – solchen Kinderkram können nur Erzieherinnen den ganzen Tag lang aushalten. »Kinderquatsch mit Kati« möchte man zu Hause nicht haben. Und dann das Gewusel, der Lärm und die Unordnung! Kinderhorden toben auf dem Gartengelände so geräuschvoll herum, dass die Nachbarn die Fenster schließen. Dazwischen eine Erzieherin, die gleichzeitig Streit schlichten, Wunden versorgen, Puppen reparieren und Windeln wechseln kann.

So stellen sich ernsthafte Erwachsene den Kindergartenalltag vor und staunen allenfalls über das schier unverwüstliche Nervenkostüm der Erzieherin und ihr breites Repertoire an Kinderliedern. Beides wundersame Fähigkeiten, über die dem Volksglauben nach alle Erzieherinnen verfügen.

Es lohnt sich, einen Blick in die jüngere Geschichte zu werfen, um zu verstehen, woher dieses ambivalente Berufsbild stammt.

Zweihundert Jahre Erzieherinnenberuf – ein Rückblick


Die mit dem Zeitalter der Industrialisierung über die kleinen Leute hereinbrechende Not brachte es mit sich, dass sie ihre Kinder betreuen lassen mussten, um den Lebensunterhalt für die Familie zu sichern. Der Vorläufer des Kindergartens verstand sich als soziale Einrichtung, die die Kinder vor Verwahrlosung retten wollte. Ordensschwestern, Hauslehrerinnen ohne Stellung und berufslose Frauen sorgten dafür, dass die Kinder der zunehmend verelenden Unterschicht halbwegs unversehrt aufwachsen konnten.[13]

Der Gedanke, dass die Betreuung und Bildung von Kindern eine gesellschaftliche Aufgabe ist, kam erst mit Friedrich Fröbel auf, der Mitte des 19. Jahrhunderts den ersten Kindergarten eröffnete und damit ein Bewusstsein für die Notwendigkeit pädagogischer Bildung schuf. Ihm ist es zu danken, dass erstmals Kindergärtnerinnen in der »Anstalt für allseitige Lebenseignung durch entwickelnd-erziehende Menschenbildung« ausgebildet wurden. Fröbel wusste, dass eben nicht jeder Kinder erziehen kann. In seinen Kindergärtnerinnen-Seminaren wollte er Frauen dafür qualifizieren, Kinder in ihrer Entwicklung adäquat zu begleiten und zu bilden.

In der Weimarer Republik gab es zahlreiche pädagogische Neuansätze zur Professionalisierung des Kindergartenpersonals. Während der Zeit des Nationalsozialismus drängte sich der Staat zunehmend in die Familien, was mit ein Grund war, warum man nach dem Krieg seine Kinder selbst erzog. Im westlichen Teil Deutschlands sorgte aber auch besonders das Wirtschaftswunder dafür. Jeder wollte zeigen, was er sich leisten kann. In einer ordentlichen Familie musste die Frau nicht arbeiten, berufstätige Frauen waren entweder nicht unter die Haube gekommen oder stammten aus armen Verhältnissen. In der jungen Bundesrepublik pflegte man ein Familienbild, in dessen Zentrum die Mutter und fürsorgliche Ehefrau stand. Erwerbstätigkeit wurde zur Männersache erklärt, Frauen kehrten – nachdem sie die Wirtschaft während des Zweiten Weltkriegs mit aufrechterhalten hatten – wieder ins Heim und an den Herd zurück. Franz Wuermeling, erster Bundesfamilienminister, wurde nicht müde, das Bild der behütenden Mutter zu beschwören: »Für Mutterwirken gibt es nun einmal keinen vollwertigen Ersatz.«[14] Dieses Bild lebt heute in vielen Köpfen unangefochten weiter und beeinflusst die Politik.

Wuermelings Streben, institutionalisierte Erziehung und Bildung für Kinder im Vorschulalter abzulehnen oder höchstens als Notlösung gelten zu lassen, muss vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen des Kalten Krieges gesehen werden: In den kommunistischen Ländern setzte man darauf, Kinder so früh wie möglich in institutionelle Obhut zu geben, weil man hoffte, sie ideologisch beeinflussen zu können, und weil der Arbeitskräftemangel sowie die angestrebte Gleichberechtigung von Frauen und Männern es erforderten, die Männerdomäne Berufswelt für Frauen zu öffnen. »Liebe Genossinnen, wir können den Sozialismus nicht nur mit Friseusen aufbauen«, sagte Walter Ulbricht 1962, »ich bin auch für schöne Frisuren, aber das Wichtigste und Interessanteste sind gerade die technischen Berufe.«[15]

Selbstverständlich waren Frauen und Männer in der DDR berufstätig. Selbstverständlich gingen die Kinder in Krippe und Kindergarten. Und selbstverständlich war man sich einig, dass dafür qualifiziertes Personal nötig war.

Die politisch verordnete Öffnung vieler Berufe für Frauen brachte es allerdings mit sich, dass Frauen ökonomische Selbständigkeit und ein neues Selbstbewusstsein erlangten. Im Westen Deutschlands sorgte die Kraft und Vehemenz einer Emanzipationsbewegung, die auch Männer erfasste, erst Jahre später dafür. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer kann ein Lied von dem Widerstand singen, den politische Kreise in der BRD der Forderung entgegensetzten, dass Frauen unabhängig und selbständig werden wollten. Erst 1976 wurde das Ehe- und Familienrecht in der BRD auf Druck der Frauenbewegung reformiert. Danach wurde den Frauen das Recht auf Berufstätigkeit zugestanden.

Bis zur Wiedervereinigung stand der Kindergarten in der Schusslinie der Systemauseinandersetzung. Die Entwicklung und Bedeutung des Berufs der Erzieherin kann nicht unabhängig davon betrachtet werden.

Erzieherinnen sind arbeitende Frauen. Erzieherinnen ermöglichen es Frauen, sich beruflich zu verwirklichen. Das heißt: Die Emanzipation der Frauen war und ist immer mit dem Ausbau der Kinderbetreuung verbunden. Dass institutionelle Kinderbetreuung jedoch allein den Frauen aufgetragen wurde – und zwar in beiden Systemen –, ist ein Makel, den es endlich zu beheben gilt.

Verantwortung und Geld


Wer die Betreuung und damit auch die rechtlich geregelte Aufsichts- und Fürsorgepflicht für eine Gruppe von Kindern übernimmt, trägt eine große Verantwortung. Gemessen an dieser »ist das Gehalt einer Erzieherin eher gering, obwohl es gerade in dieser Berufssparte zu großen Differenzen kommen kann, je nach Einsatzort und natürlich auch abhängig von der Berufserfahrung. Gerade am Anfang ist mit Gehältern unter 1000 Euro zu rechnen, und auch mit mehrjähriger Berufserfahrung ist die 2000-Euro-Grenze nicht automatisch erreicht. Erst Leiter einer Kindertagesstätte können auch Gehälter über 3000 Euro erzielen.«[16]

Hinzu kommt, dass sich auch im Erzieherinnenberuf der Trend zur Teilzeitbeschäftigung manifestiert. »Etwa die Hälfte der Erzieherinnen ist teilzeitbeschäftigt, wobei dieser Anteil nach Arbeitsbereichen stark variiert. […] Den einen kommt die Teilzeitarbeit zwar aufgrund ihrer familiären Situation gelegen, etwa wenn sie eigene Kinder zu betreuen und zu versorgen haben. Dennoch berichtet etwa ein Drittel der teilzeitbeschäftigten Erzieherinnen davon, dass der Arbeitsmarkt nur Teilzeitbeschäftigungen bereithält oder dies vom Arbeitgeber so gewünscht ist. Dieser Befund zeigt zweierlei: Bei vielen Erzieherinnen, die bereits Familie haben, stimmen Nachfrage und Angebot überein. Ihnen kommt die Teilzeitarbeit entgegen. Für Erzieherinnen jedoch, die keine oder noch keine eigene Familie haben oder zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes auf das Einkommen aus einer Vollzeiterwerbstätigkeit angewiesen sind, scheint es zunehmend schwieriger zu werden, den eigenen Lebensunterhalt aus der Erwerbstätigkeit zu bestreiten.«[17]

Unverschämtheit!

Für eine Erzieherin gibt es genau vier Karrierestufen: Erzieherin, Gruppenleiterin, stellvertretende Leiterin und Leiterin einer Einrichtung.

Stufe 1 bis...

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