Zunächst möchte ich den Begriff des Raumes ganz allgemein betrachten. Das Umfeld in dem sich ein Mensch bewegt hat Einflüsse auf physische Belange des Körpers, wie auch auf seine Psyche.
Die beiden Basisdimensionen, die man sich zunächst verdeutlichen muss, sind die Unterscheidung von Außen- und Innenraum. Otto Friedrich von Bollow beschreibt:
„Das eine ist die weite Welt, in der der Mensch in der Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen seine Arbeit zu leisten hat […], das andere ist der engere Raum, in dem er sich zurückziehen, an dem er sich ausruhen und nach den Anstrengungen des Lebens wieder zu sich selbst kommen kann.“[9]
Was bedeutet nun der Außen- und der Innenraum in der Schule?
Ein Klassenraum sollte meiner Meinung nach eigentlich beide Dimensionen in sich vereinen. Er sollte sowohl ein Raum der Gemeinschaft sein, wie auch Rückzugsmöglichkeiten bieten, aber das wird in den späteren Kapiteln noch ein genauer behandelt werden.
Zurück zum Raum im Allgemeinen: Man muss sich bewusst sein, dass man den Raum nicht als neutrales Feld betrachten kann. Oft heißt es, man befände sich in einer neutralen Umgebung. Eine neutrale Umgebung kann nie gegeben sein, denn
„ er ist stets vom Mensch erlebter und gelebter Raum.“[10]
Selbst ein völlig leeres Zimmer, ohne Einrichtung oder Gegenstände jeglicher Art, ist nicht neutral. Schon diese Leere selber nimmt die Neutralität bereits wieder. Das so viel gebrauchte Sprichwort: „Wir bewegen uns auf einem neutralen Raum.“, kann also niemals gegeben sein. Neutrale Räume gibt es nicht! Dass immer eine Wechselwirkung zwischen menschlichem Verhalten und dem allgemeinen Wohlbefinden eines Menschen und dem Faktor „Raum“ besteht, erlebt jeder von uns ständig am eigenen Leib. Manchmal fühlen wir uns in einer bestimmten Umgebung nicht wohl. Sei es nun die Wohnung eines/r Freundes/in, ein Hotelzimmer im Urlaub, der Arbeitsplatz oder eine ganze Stadt. Otto Friedrich von Bollow sieht den Raum als einen Faktor, der sowohl positiv, wie auch negativ beeinflussen kann und sich auch so auf die Befindlichkeit auswirkt, auch wenn der Mensch das vielleicht nicht möchte oder es nicht bewusst merkt.
„Der Mensch befindet sich nicht in einem Raum, so wie sich etwa ein Gegenstand in einer Schachtel befindet und er verhält sich auch nicht so zum Raum, als ob er zunächst etwa wie ein raumloses Subjekt vorhanden wäre, das sich dann hinterher auch zu einem Raum verhielte, sondern das Leben besteht ursprünglich aus diesem Verhältnis zum Raum und kann davon nicht einmal in Gedanken abgelöst werden.“[11]
Jeder Mensch hat natürlich seine Vorlieben und auch seinen eigenen Geschmack, aber in den Grundlagen hat der Mensch doch einen Anspruch an seine Umgebung, der sich nicht sehr von denen in seiner Gesellschaft herrschenden Gepflogenheiten unterscheidet.
Dieser Umstand wurde schon von einigen verschiedenen Blickrichtungen untersucht. Hier erläutere ich einige dieser Betrachtungen:[12]
den erkenntnistheoretischen und anthroposophischen Aspekt
den verhaltenstheoretischen Blickwinkel
die psychotherapeutische Betrachtung
die psychosomatische Ansicht
die Sozialpsychologie
So sah Imanuel Kant beispielsweise den erkenntnistheoretischen und anthroposophischen Aspekt. Er beschreibt den Raum als die Grundkategorie des menschlichen Seins. Er bietet den Menschen Entfaltungsmöglichkeiten zur Auslebung ihrer Interessen und Wünschen und ihrer psychischen Angelegenheiten, denn
„Jede Veränderung im Menschen bedingt eine Änderung seines gelebten Raumes.“[13]
Kennen wir das nicht auch aus unserem Alltag? Findet eine wesentliche Veränderung in unserem Leben statt oder hat sich etwas an unserem allgemeinen Gefühlszustand verändert, so tendieren wir Menschen doch oft dazu auch unsere Umgebung zu verändern. Sei es nun die extreme Variante, dass wir umziehen oder in ein anderes Land auswandern oder dass wir im kleineren Rahmen einfach unseren Wohnraum verändern und umgestalten. Das ist ein Vorgang, der vielen von uns bekannt sein dürfte.
Verhaltenstheoretisch wird beschrieben, dass die Wahrnehmung von Raum von drei Faktoren abhängt: Die Wahrnehmung mit allen Sinnen, die Veränderbarkeit bzw. Fixierung des Raumes und die Gestaltung der Raumdistanz vom Menschen. Die Sinneswahrnehmung, den Raum betreffend, beschäftigt sich besonders mit dem Geruchssinn, dem Gesichtssinn, dem Tastsinn und dem Wärmeempfinden. Bei der Fixierung des Raumes geht es um die Festlegung einer Funktion in einem Zimmer. Sei es nun Küche, Bad, Wohnzimmer, Arbeitszimmer, Werkstatt oder auch das Klassenzimmer. Räume, die eine bestimmte Funktion haben, sind ähnlich aufgebaut und man findet sich grob, auch ohne ihn zuvor schon einmal betreten zu haben, darin zu Recht. Wir wissen auch, dass im einem bestimmten Raum, eine bestimmte Verhaltensweise von uns erwartet wird, sei es nun in einem Restaurant, eine Kirche oder auf einem Fest. Wir kennen die Erwartungen an unser Verhalten in diesem Rahmen und richten uns meistens danach. Diese dem Raum zugeschriebenen Verhaltensweisen gelten im Übrigen auch für das Klassenzimmer. Kinder lernen dieses Verhalten früh und richten sich ebenfalls danach, was ein später genanntes Beispiel noch mal verdeutlichen wird.
Die Raumdistanz beschreibt die emotionale Distanzierung des Menschen von bestimmten Räumen, wenn sie beispielsweise überfüllt sind oder einfach eine Abneigung im Menschen hervorrufen. Auch das ist ein Vorgang, den wir alle kennen. Es gibt Umgebungen, die mögen wir einfach nicht und können oft nicht einmal erklären, warum.
Bruno Bettelheim stellte die Theorie auf, dass psychotherapeutisch gesehen der Raum und dessen Einrichtung Stützfaktoren sein können. Diese Faktoren können mit für das Gefühl, sich als wertvoller Mensch zu fühlen, verantwortlich sein. Ganz subjektiv aus eigenen Beobachtungen betrachtet, kann ich mir das gut vorstellen. Wie oft berufen wir Menschen uns auf die materielle Umgebung, auf unsere sog. Statussymbole. Oft konkurrieren Menschen oder ganze Gesellschaftsschichten damit untereinander und fühlen sich dadurch in ihrem Umfeld besser anerkannt. In der Schule habe ich Sätze dieser Art auch von Kindern schon gehört: „So was hat nur unsere Klassenzimmer, sonst kein anderes hier in der Schule.“ Einerseits ist das eine ganz natürliche Eigenschaft des Menschen, andererseits muss man aufpassen, dass diese nicht zu sehr gefördert wird und der Stellenwert der materiellen Dinge in einer Klassengemeinschaft nicht zu hoch bewertet wird. Deswegen würde ich es als sinnvoll ansehen, wenn die Klassenzimmer in einer Schule nicht zu unterschiedlich sind und das Lehrerkollegium da vielleicht mehr Hand in Hand arbeiten würde.
Unmenschliche Architektur hat eine Auswirkung auf unsere Lebensprozesse und beeinträchtig sie negativ. So sieht das die Psychosomatische Theorie. Seien es nun zu kleine, zu dunkle oder zu unübersichtliche Räume. Es gibt grundlegende Gegebenheiten, die der Mensch in seinem Umfeld nicht besonders mag und sie meidet.
Die Sozialpsychologie beschäftigt sich bereits direkt mit den Lernumwelten und legt vier Kriterien zu ihrer Gestaltung fest:
Ermöglichung des Wechsels der Handlungsperspektiven (Perspektivenprinzip)
straffreie Erkundung (Autotelisches Prinzip)
selbstständige Problemlösung (Produktivitätsprinzip)
Rückmeldung der eigenen Handlungen (Personalisierungsprinzip)
All das sind Gesichtspunkte, die die Lernumwelt, das Lernverhalten und somit auch den Lernerfolg der SchülerInnen beeinflussen und möglichst optimal strukturiert sein müssen.
Der Begriff der „veränderten Kindheit“ wird in Zusammenhang mit dem Leben von heutigen Heranwachsenden nicht selten genannt. Kinder erleben ihr Erwachsenwerden heute anders, als noch die Generationen zuvor. Zum einen entwickelten sich ihre materiellen Gegebenheiten weiter, denn Kinder haben heute mehr und anderes Spielzeug, Zugänge zu technischen Geräten und die modernen Medien zur Gestaltung ihres Tagesablaufes. Vergleicht man das Leben eines Kindes mit dem Leben vor ca. 30 Jahren, so stellt man fest, dass vieles anderes geworden ist, wie beispielsweise:
die Modernisierung des Alltags
die Wohnbedienungen
die Ausstattung der Kinderzimmer
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