Der Raum Oberbayern
München und Oberbayern
Oberbayern ist der flächenmäßig größte und bevölkerungsreichste Regierungsbezirk des Freistaats Bayern. An Wirtschaftskraft zählt er zu den stärksten und fortschrittlichsten Regionen der gesamten Bundesrepublik Deutschland – und nimmt damit einen Spitzenplatz innerhalb der Europäischen Union ein. Das Herz der bayerischen Wirtschaft schlägt hier. Hochmoderne Einrichtungen aus IT, Hightech, Kommunikation und internationalen Medien bestimmen das Bild. Mehr als ein Drittel aller Beschäftigten arbeitet im Regierungsbezirk Oberbayern und erwirtschaftet über 40% der bayerischen Wertschöpfung. Selbstverständlich spielt dabei die Großstadt München und ihr urbaner Einzugsbereich von insgesamt zweieinhalb Millionen Menschen eine tragende Rolle.
Nicht der ganze oberbayerische Regierungsbezirk, aber doch bedeutende Teile sind wirtschaftlich nach München ausgerichtet. Eine halbe Million Pendler strömen tagtäglich von Rosenheim, Landsberg oder Pfaffenhofen in die City. München repräsentiert bereits ein Oberzentrum, das weit über Bayern hinaus wirkt und über Tirol und die Alpenländer bis in die italienischen Zentren Venedig, Verona und Mailand ausstrahlt. Und Münchens Bedeutung wird innerhalb der nach Mittel- und Südosteuropa erweiterten Europäischen Union noch weiter zunehmen. Als einziger Millionenstadt im Süden Deutschlands mit einem prognostizierten Zuwanderungsgewinn wird ihr eine Zentralfunktion in der europäischen Metropolregion zwischen Stuttgart, Frankfurt, Prag, Mailand und Zürich zukommen. Und Oberbayern profitiert davon. „Zu Hause in Bayern – erfolgreich in der ganzen Welt.“
Aber, bei aller Wertschätzung Münchens, Oberbayern ist beileibe kein Anhängsel der Stadt München oder gar nur seine ländliche Peripherie. Und es gibt neben der Landeshauptstadt durchaus noch andere Städte mit reicher geschichtlicher Vergangenheit, mit kulturellen Einrichtungen und einem intakten Wirtschaftsgefüge: Ingolstadt, Oberbayerns zweitgrößte Stadt, war lange Zeit Mit-Hauptstadt unseres Raumes und beherbergte die erste bayerische Universität. Und um seine heutige Bedeutung wissen nicht nur Audi-Fahrer! Rosenheim, an dritter Stelle in der oberbayerischen Städtereihe stehend, ist eine quirlige Metropole am Alpenrand, die den Strukturwandel von der Eisenbahndrehscheibe des 19. Jahrhunderts zum modernen Einkaufs- und Dienstleistungszentrum bravourös gemeistert hat. Dann folgt Freising an vierter Stelle der Einwohnerzahl. Gemessen an der geschichtlichen Bedeutung aber müsste es an erster Stelle stehen! Freising ist die heimliche Hauptstadt Oberbayerns. Urkundlich bereits im 8. Jahrhundert als Stadt erwähnt, übertrifft es den Parvenü München um ein halbes Jahrtausend an Alter und war bis ins 19. Jahrhundert Sitz des Bischofs über unsere Region. Die Moderne hat hier mit dem Airport Munich (MUC), auf Freisinger Gebiet gelegen, Position bezogen. Dachau war lange Zeit herrschaftliche Sommerresidenz und im 19. Jahrhundert ein beliebter Treffpunkt für Künstler. Im letzten Jahrhundert hat sich Dachaus Nähe zu München, zur „Hauptstadt der Bewegung“, nicht gut ausgewirkt, wurde hier doch das erste NS-Konzentrationslager eingerichtet. Die sechstgrößte Kommune ist Germering, eine typische urbane Agglomeration der Nachkriegszeit, entstanden aus dem Zusammenschluss der Gemeinden Germering und Unterpfaffenhofen im Umfeld der modernen Betriebe, die sich im Münchner Westen angesiedelt haben.
Oberbayerns politische und regionale Entwicklung ist nicht kontinuierlich verlaufen und war mehreren Brüchen unterworfen. Wir wollen diesen Zusammenhang anhand von mehreren Städten anschaulich machen, die zwar im heutigen Oberbayern gelegen, historisch gesehen aber keine „oberbayerischen Städte“ sind. Wie das? Burghausen an der Salzach war die längste Zeit seiner Geschichte neben Landshut eine der Hauptstädte Niederbayerns. Seine gewaltige Burganlage ist von niederbayerischen Herrschern aufgetürmt worden. Zu Oberbayern kam es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts qua königlichen Federstrich. Und als „oberbayerische Stadt“ erfuhr sie auch jenen wirtschaftlichen Aufstieg, den ihr die Wacker-Werke und das südostoberbayerische Chemie-Dreieck bescherten. Die Städte Tittmoning, Laufen und Freilassing an der Salzach wären noch vor etwas über 200 Jahren schwer beleidigt gewesen, hätte man sie überhaupt als bayerisch bezeichnet. Sie waren salzburgisch (aber beileibe nicht österreichisch!) und sind auch heute noch auf diese Metropole ausgerichtet. Neuburg an der Donau ist die Residenz eines eigenständigen, von Oberbayern unabhängigen Ländchens gewesen. Im 19. Jahrhundert wurde es Bayerisch-Schwaben angegliedert, was historisch korrekt war. Doch im Zuge der Landkreisreform 1972 kam es an Oberbayern. Auch die Bischofsstadt Eichstätt in der Altmühlschleife ist eine „Neuerwerbung“ Oberbayerns von 1972, obgleich sie historisch ein Teil Frankens ist.
Unser Oberbayern repräsentiert also eine eigenständige Landschaft und eine historisch gewachsene politische Einheit, die freilich einen langen Weg zurücklegen musste. Und das rechtfertigt auch eine Geschichte Oberbayerns.
Abb. 3: Die im 8. Jahrhundert gegründete Domstadt Freising ist der historische Mittelpunkt Oberbayerns. – Kupferstich von Matthaeus Merian, 1657.
Obere Bayern und Niedere Bayern?
Der Begriff „Ober“-Bayern hat schon zu manch süffisanter Bemerkung geführt, besonders gegenüber „Nieder“-Bayern, schließlich scheint beiden Attributen eine deutliche Wertung eigen zu sein, die fast an den „Ober“ und „Unter“ des in ganz Bayern beliebten Kartenspiels erinnert. Aber mit hierarchischer Ober- und Unterordnung haben diese beiden Regionalbezeichnungen überhaupt nichts zu tun! Ihre Erklärung ist überraschend einfach: Die Isar ist der Fluss, der diese beiden genannten Regierungsbezirke in der Gesamtheit durchfließt. Und der „obere Teil“ ihres Einzugsgebiets, also die Region, die näher zur Flussquelle hin sich erstreckt, ist eben Ober-Bayern, und der niedere Teil, den die Isar zur Mündung hin durchmisst, bezeichnet Nieder-Bayern. Auch im Sprachgebrauch drückt sich das aus, der Passauer oder Landshuter fährt nach München „auffe“ (hinauf), wie umgekehrt der Münchner sich dorthin „obe“ (hinab) begibt.
In dieser Weise und damit durchaus nachvollziehbar sind anno 1255 in der ersten Landesteilung des Herzogtums Bayerns die zwei Regionen festgelegt worden. Als Kernzonen bildeten sich in der Folgezeit für Oberbayern die Achse Ingolstadt–München–Traunstein, und für Niederbayern der Raum Landshut–Straubing–Vilshofen heraus. Die Grenzen beider Verwaltungseinheiten waren demgegenüber jahrhundertelang nicht genau festgelegt und veränderten sich. Burghausen und Moosburg z. B. kamen erst im 19. Jahrhundert zu Oberbayern.
Abb. 4: Die monumentale Burg zu Burghausen sollte den letzten niederbayerischen Herzog Georg den Reichen (1479–1503) vor seinem oberbayerischen Vetter Herzog Albrecht dem Weisen (1460–1508) schützen.
Die Grenzen Oberbayerns
Werfen wir einen Blick auf den modernen, im Rahmen des Freistaats liegenden Regierungsbezirk Oberbayern: Erkennen wir natürliche Grenzen? Gegen Süden hin bildet die Alpenkette die Grenze zu den österreichischen Bundesländern Tirol und Salzburg. Die Linie folgt dabei nicht den Tälern sondern den Graten und Bergkämmen, welche die Berggipfel verbinden. Die Geografen nennen dies eine „orografische Grenze“.
Die Gebirgsgruppen werden dabei meist zerteilt und erstrecken sich über bayerisches wie österreichisches Gebiet. Von West nach Ost sind dies zu Tirol hin das Ammergebirge, das Wettersteinmassiv mit dem höchsten Berg der deutschen Alpen, der Zugspitze (2964 m), das Karwendelgebirge und die Tegernseer Berge. Die Chiemgauer Alpen bilden eine sanfte Grenze zum schroffen Tiroler Kaisergebirge. Gegen Salzburg hin steigt die Berchtesgadener Bergwelt dann dramatisch in die Höhe und erreicht im Steinernen Meer eine Durchschnittshöhe von 2500 Metern. Der Watzmann ist mit 2713 Höhenmetern der zweithöchste Berg der deutschen Alpen. Am sagenumwobenen Untersberg hat Oberbayern noch mit dem Hochthron (1972 m) Anteil.
Nach Süden offen: Die Alpen sind kein Hindernis!
Es mag eine überraschende Tatsache sein, dass die Alpen für die Menschen nie trennend gewirkt haben. Von frühester Menschheitsgeschichte an lassen sich enge Verbindungen von Süd nach Nord und vice versa nachweisen. Hirten und Händler querten die Berge. Der „Ötzi“, der um 5800 v. Chr. sein Ziel leider nicht erreicht hat, ist nur ein Beispiel für die Bedeutung der Alpen als Kultur-Brücke, nicht etwa als Kulturscheide, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. Nicht nur Handelsgüter fanden ihren Weg, sondern auch Ideen, und Gene, also ganze Stämme und Völker. Im nördlichen und südlichen Alpenvorland haben seit jeher eng verwandte Völker gelebt, zwar durch Sprache geschieden, aber mit weitgehend gemeinsamer Kultur und Religion. Die nonchalante Wertung von München und Oberbayern als „nördlichster Vorposten Italiens“ hat durchaus seinen kulturgeschichtlichen Hintergrund! Vergleichbar beginnt für die Italiener das eigentliche teutonische und protestantische Deutschland erst nördlich der Mainlinie.
Viele Pässe und Flusstäler ermöglichen den Übergang ins südliche Nachbarland. Die junge Isar durchbricht im Scharnitzpass (948 m) den...