GLÜCKSFEHLTRITT NR. 1
Das Glück abwerten
Ich gehe jeden Monat im Schnitt zu etwa zwei bis vier Partys – aus rein akademischen Gründen natürlich, um mich über die neuesten Marketingtrends auf dem Laufenden zu halten. Die Frage, die mir dort am häufigsten gestellt wird, lautet: »Was betrachten Sie als Ihre interessanteste wissenschaftliche Erkenntnis?«
Ich antworte sets mit einer Gegenfrage, der sogenannten »Dschinn-Frage«:
Stellen Sie sich vor, Ihnen erscheint ein Flaschengeist, und er gewährt Ihnen drei Wünsche. Dieser Dschinn ist allwissend und allmächtig, Sie brauchen sich also in keiner Weise einzuschränken. Für welche drei Wünsche entscheiden Sie sich?
Nehmen Sie sich, verehrter Leser, verehrte Leserin, an dieser Stelle ein oder zwei Minuten Zeit, um Ihre Wünsche zu notieren. Sie werden dann, das verspreche ich Ihnen, den Inhalt dieses Kapitels sehr viel besser nachvollziehen können.
1. Wunsch:
2. Wunsch:
3. Wunsch:
Den meisten fällt es nicht weiter schwer, die Dschinn-Frage zu beantworten, und ihre Wunschliste liest sich für gewöhnlich in etwa wie folgt:
1. Wunsch: Eine Menge Geld – genug, um sämtliche Ausgaben zu decken.
2. Wunsch: Riesenerfolg auf allen Ebenen, mitsamt den üblichen Begleiterscheinungen: Ruhm, Macht und Ehre.
3. Wunsch: Erfüllende Beziehungen, insbesondere zu Familienmitgliedern und Freunden.
Ein paar Leute, die sich für besonders schlau halten, »begnügen« sich mit nur einem Wunsch: Der Dschinn möge Ihnen zukünftig alle Wünsche erfüllen. Diese allzu ehrgeizigen Typen weise ich darauf hin, dass ihr Wunsch, obschon durchaus sinnvoll, unseren Zwecken nicht dienlich ist. Ich erkläre ihnen, dass es sich bei der Dschinn-Frage nicht nur um eine intellektuelle Übung handelt, vielmehr soll sie uns einige wichtige Erkenntnisse darüber verschaffen, wie Menschen ihr persönliches Glück sabotieren. Ich fordere sie daher auf, sich für ihren Scharfsinn selbst auf die Schulter zu klopfen und sich im Anschluss daran erneut der Beantwortung der Dschinn-Frage zuzuwenden.
Surprise, Surprise!
Im Laufe der Jahre haben Hunderte von Menschen die Dschinn-Frage beantwortet, manchmal auf durchaus amüsante Weise. Eine Frau etwa wünschte sich eine Mischung aus Michael Jackson und Paul McCartney zum Mann. Ein anderer wollte in das Jahr 1969 zurückreisen und Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Mond mit einem lauten »Buh!« erschrecken. Im Allgemeinen fallen die Antworten jedoch eher verwunderlich als amüsant aus. Am stärksten hat mich überrascht, dass Glück auf den Wunschlisten fehlte. Die meisten Psychologen und sogar viele Ökonomen gehen davon aus, dass wir im Leben vor allem nach Glück streben. Und dennoch bittet kaum jemand den Dschinn darum. Wie kann das sein?
Eine Erklärung ist, dass die Menschen um Dinge bitten, die ihres Erachtens glücklich machen: stabile Beziehungen, Geld, Status und so weiter. Warum aber wünschen sie sich dann nicht gleich, glücklich zu sein? Wenn Sie planen, von New York nach Delhi zu reisen, würden Sie sich schließlich auch kein Ticket zu irgendeinem Ort, der auf der Strecke liegt, (z. B. London) buchen, sondern gleich nach Delhi fliegen.
Vielleicht bitten die Menschen den Dschinn auch deshalb nicht um Glück, weil es für sie, der Ansicht von Psychologen und Ökonomen zum Trotz, keine derartig hohe Priorität hat. Dieser Möglichkeit bin ich zusammen mit meinen Kollegen Sunaina Chugani von der City University in New York und Ashesh Mukherjee von der McGill University auf den Grund gegangen. Wir haben Probanden aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten befragt – von Studenten und Hausfrauen bis hin zu Angestellten und Arbeitern oder Rentnern. Wir präsentierten ihnen 16 Lebensziele (unter anderem Wohlstand, Karriere, körperliche Gesundheit, erfüllende Beziehungen) und forderten sie dazu auf, diese nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren.
»Glücklich und zufrieden sein« stellte sich dabei als das wichtigste Lebensziel der Befragten heraus – gleichauf mit »erfüllende Beziehungen« (siehe Tabelle weiter unten). Anders ausgedrückt: Psychologen und Ökonomen sind sich nicht nur (ausnahmesweise!) einig, sie haben zudem recht.
Zufriedenheit und Glück sind für die meisten Menschen besonders wichtige Ziele im Leben.
Lfd. Nr. | Ziel | Durchschnittliche Bewertung |
1 | Erfüllende Beziehungen | 3.19 |
2 | Glücklich und zufrieden sein | 3.31 |
5 | Ein guter Mensch sein; anderen helfen | 6.23 |
6 | Die Freiheit zu tun was man will | 7.44 |
7 | Berufliche Erfüllung | 8.12 |
8 | Körperliche Gesundheit | 8.86 |
10 | Von anderen respektiert/bewundert werden | 9.56 |
11 | Spirituelles Wachstum | 10.19 |
12 | Etwas meisterhaft beherrschen | 11.23 |
13 | Den Sinn des Lebens erkennen | 11.34 |
14 | Den eigenen Daseinszweck ergründen | 11.79 |
15 | Körperliche Attraktivität | 12.22 |
16 Lebensziele und ihre durchschnittliche Bewertung durch die Befragten |
Doch auch, wenn dies eine beruhigende Erkenntnis ist, bleibt immer noch die Frage: Warum bitten die Menschen den Dschinn nicht direkt um Glück?
Um diese Frage zu beantworten, muss man etwas weiter ausholen.
Das fundamentale Glücksparadox
An einem schwülwarmen Nachmittag Mitte September betrat ich mit meinem Cousin eine Salatbar in Austin. Es handelte sich um eine dieser typischen Salatbars mit großer vegetarischer Auswahl (Zwiebeln, Tomaten, Salat, Oliven, Kichererbsen) und einigen nichtvegetarischen Optionen (Schinken- und Speckwürfel, gegrilltes Hühnchen). Man nahm sich, was man wollte, und bezahlte nach Gewicht.
Mein Cousin ist, wie viele andere auch, sehr preissensibel. Um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu bekommen, hätte er seinen Teller vor allem mit nichtvegetarischen Optionen beladen müssen, da die vegetarischen Optionen in Relation zu ihrem Gewicht teurer waren. Ich wusste aber, dass er nie Speck aß und auch nichts für gegrilltes Hühnchenfleisch übrighatte. Hühnchen mochte er am liebsten gebraten, nicht gegrillt. Außerdem liebte er Kichererbsen.
Was würde er also tun? Würde er die Kosteneffektivität maximieren und zu diesem Zweck mehr gegrilltes Hühnchen nehmen, oder...