3 Kapitel 1
AKIM WALTA Das erste Mal, dass ich deutschsprachigen Rap gehört habe, war 1989 von Torch, auf einer der vielen Jams, die zu dieser Zeit vermehrt stattfanden. Er war meiner Meinung nach der Erste, der konsequent demonstriert hat, dass Rap in deutscher Sprache funktionieren kann und eine eigene Authentizität erzeugt. Entweder zeitgleich oder etwas später habe ich dann auch von Toni-L und Linguist bzw. ihrer Crew Advanced Chemistry gehört. Von da an war mir klar, dass sich deutschsprachiger Rap durchsetzen wird.
EIZI EIZ Ich habe das Demo von Advanced Chemistry auf dem Walkman gehört. Als Elfjähriger habe ich beim Basketballspielen Stefan Fabinger kennengelernt, den Cousin von Torch. Fabinger und Torch waren ziemlich eng. So war alles, was in Heidelberg passiert ist, zwei Tage später bei uns in Hamburg auf dem Tisch: Fotos von Zügen, Jam-Flyer oder eben das Demo von Advanced Chemistry. Ich kann noch heute jede einzelne Strophe von diesem Tape auswendig. Da war eine Demoversion des Songs »Heidelberg« und ein unglaublicher Freestyle drauf. Torchs Strophe auf diesem Freestyle ist unfassbar gut. »Die Pudelmütze ist meine Krone«, das war so die erste Metapher … Als dieses Tape kam, war plötzlich alles klar. Für uns war das der Urknall.
TONI-L Jeder wusste, dass es nur funktioniert, wenn man selbst etwas macht. Genau aus dem Grund haben wir nicht darauf gewartet, dass jemand kommt und uns entdeckt, sondern schon früh die Stadt verlassen, um den Leuten zu zeigen, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir wollen. So konnten wir uns schon über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen machen, ohne etwas veröffentlicht zu haben. In Deutschland gab es schon englischsprachige Produktionen von Rock Da Most oder Moses P., und dann kamen urplötzlich LSD mit diesem krassen Album um die Ecke. Man wusste also, dass es geht. Meine erste eigene Rap-Aufnahme werde ich nie vergessen. Ich stand in Torchs Zimmer, er hat das Instrumental angemacht, die Aufnahme gestartet, und ich habe angefangen zu rappen, während er mich angefeuert hat. Ich habe mich das erste Mal richtig auf Kopfhörer gehört. Ich dachte, mir gehört die Welt!
AKIM WALTA Advanced Chemistry waren meiner Meinung nach aus verschiedenen Gründen wichtig. Vor allem war die Gruppe das authentische Sprachrohr der damaligen Szene und hat diese auch bei ihren späteren Konzerttouren präsentiert. Torch war ein ewig Reisender mit Tramperticket, und das gesamte AC-Umfeld in Heidelberg war ein Schmelztiegel für HipHop-Talente, die jede Jam bereicherten.
MARTIN STIEBER Eine ganz wichtige Figur für uns in Heidelberg war der Gonzalo Maldonado Morales. Das war unser absolutes Idol. Der konnte in jungen Jahren schon wahnsinnig gut zeichnen, weil die Mutter ihm und seinem Bruder immer Malstifte geschenkt hat. Der konnte zum Beispiel alle »Star Wars«-Flügeltypen aus dem Kopf zeichnen. Wir haben unseren Kunstlehrer immer so lange belabert, bis der Gonz uns im Unterricht etwas an die Tafel malen durfte: Der kam dann runter, hat was gemalt und dafür frenetischen Applaus geerntet. Totaler Irrsinn! Er hat uns auch das Graffiti-Ding authentisch weitergegeben und konnte Windmills, Swipes und Headspins, als noch keiner so getanzt hat. Er hatte das HipHop-Ding verinnerlicht, als noch kein Mensch wusste, was eigentlich gerade passiert. Er war auch Gründungsmitglied von AC, unter dem Namen Gee-One. Erst als die angefangen haben, deutsch zu rappen, ist er ausgestiegen. Er kam aus Nottingham nach Heidelberg und war eher amerikanophil. Der konnte gar nicht verstehen, dass AC sich der deutschen Sprache ermächtigen.
TONI-L In meiner Kochausbildung kam ich auf die Schule nach Calw und lernte dort unter anderem den Tänzer James aus Mannheim kennen, der später mit dem unvergessenen Freeze La Roc (R.I.P.) bei den Unique Wizzards tanzte. Wir machten dort viel Action, tanzten und spielten uns auf, wo wir nur konnten. (lacht) Bekannte aus der Region sagten immer wieder, ich müsse unbedingt mit diesem DJ zusammenkommen. So lernte ich DJ Mike MD kennen. Er war ein King aller Elemente und hatte für damalige Verhältnisse schon ein cooles Studio und vor allem heftige Produktionen am Start. Wir freundeten uns an, und so entstanden einige Songs. Klaro dauerte es nicht lange, bis ich meine Heidelberger Posse mitbrachte, um gemeinsamen Sound zu machen. Das waren Torch, Gee-One und Korporal K, der sich dann später Linguist nannte. In der Formation gründeten wir 1987 gemeinsam Advanced Chemistry. Die Idee für den Namen kam aus dem extrem kreativen Familienumfeld von Gee-One. Der bewegte sich mit der Zeit dann mehr auf dem Graffiti- und Tanzfeld, und DJ Mike MD verfolgte andere Projekte. Somit basierte Advanced Chemistry mit allem, was folgte, auf Torch, Linguist und Toni-L.
AKIM WALTA Ich kann mich gut erinnern, wie mich Torch Ende 1989, Anfang 1990 angerufen hat und seine bis dahin noch relativ unbekannte Gruppe auf meinen Jams unterbringen wollte. Wir führten ein dreistündiges Gespräch. Ich habe ihn und die Stieber Twins – die damals noch AC-Posse waren – dann auf irgendeiner Jam gesehen. Ich war fasziniert von den deutschen Rhymes, der Bühnenpräsenz und dem Humor untereinander.
TONI-L Wir traten auf einigen Jams auf und lernten immer mehr Leute aus der Szene kennen, und das Netzwerk vergrößerte sich. Irgendwann trafen wir auch B-Boy Akim, auch bekannt als der Maler Zebster. Es entwickelte sich dahin, dass er sich anbot, uns in Sachen Management zur Seite zu stehen. So wurde aus dem Pfad zur Geschichte ein Weg, den wir zu pflastern begannen, und alles bekam mehr Struktur.
AKIM WALTA Dann ging alles Schlag auf Schlag. Mit Torch analysierte ich in stundenlangen Gesprächen – meist auf Bahnreisen zu Jams von Kiel bis Biel – die französische HipHop-Szene, die bereits Veröffentlichungen in ihrer Muttersprache sowie HipHop-Radio und TV-Sendungen hatte. Das war unser Vorbild. 1991 kritzelte ich ein Diagramm auf einen Zettel, um zu sehen, was man brauchte, um HipHop-Kultur in Deutschland groß zu machen.
MARTIN STIEBER Der Akim wusste ganz früh, was für ein Potenzial in einzelnen Menschen steckt, und hat sich das zunutze gemacht. Er war Connector, aber auch Organisator, und hatte es gut raus, andere für sich und seine Sache zu gewinnen.
AKIM WALTA Ralf Kotthoff aka Topic arbeitete bei der NATO in der Grafikabteilung und half uns bei der ersten Presseinformation zu AC. Wir arbeiteten in einer Garage im Haus der Eltern von Roman, später DJ Pimp Valium. Ich hatte den Computer finanziert, den nur Kotthoff bediente. Ich war damals noch analog. Im gleichen Jahr wurde schließlich die Erstausgabe des MZEE HipHop Magazine gefeiert.
MARTIN STIEBER Die Infos darüber, wie man ein Label gründet, wie man jemanden bei der GEMA anmeldet und dergleichen, hatten die Zülpicher Brüder Rick. Der Akim hat die interviewt, sich die Infos besorgt und das Label MZEE gegründet. Akim hat viel geleistet. Der hat die Platten produziert und auch vorfinanziert.
RICK SKI MZEE Records hätte es sicher nicht so früh gegeben, wenn wir Akim nicht unser Wissen weitergegeben hätten. Akim war jemand, der etwas machen wollte, aber noch nicht genau wusste, wie das funktioniert. Er hatte keine Ahnung, was ein Musikverlag ist, wie man seine Veröffentlichung promotet oder welchen Vorlauf man bei der Pressung einer Platte braucht. Wir hatten das ja alles schon einmal erlebt und konnten ihm da wertvolle Tipps geben.
AKIM WALTA Unterstützung hatte ich von Ale Sexfeind von Buback und André Luth von Yo Mama, die beide ihr eigenes Label hatten, aber noch keinen deutschsprachigen Rap veröffentlichten. Ale hat auch den Kontakt zu unserem Vertrieb EFA hergestellt. Im November 1992 wurde dann die erste AC-Maxi »Fremd im eigenen Land« veröffentlicht.
TONI-L »Fremd im eigenen Land« war für viele so etwas wie die Ur-Single. Aber eigentlich ging es ja schon früher los. Es waren zum Beispiel schon Tapes im Umlauf, ein superwichtiges Format. Eißfeldt erzählt ja heute noch, dass er diese Kassette mit unseren deutschen Raps hatte, die ihn dazu inspiriert hat, es selbst zu probieren … Meinen Song »Toni der Koch« habe ich auch 89/90 schon gekickt, doch veröffentlicht wurde er erst 1995 auf dem Advanced-Chemistry-Album.
TUAREG Torchs Eltern hatten ihn damals aus Heidelberg auf ein Internat in Bonn verfrachtet, wahrscheinlich wegen zu vieler illegaler Graffiti-Aktivitäten. Das hat ihn aber nicht wirklich davon abgehalten, sondern eher noch seinen Horizont erweitert. Dadurch kam es, dass er mehr oder weniger oft bei uns im Studio abhing. Dort wurde auch »Fremd im eigenen Land« aufgenommen – und eigentlich ist der Track dort auch von Scope produziert worden.
SCOPE Advanced Chemistry konnten damals produktionstechnisch eigentlich gar nichts. Die hatten ihre Samples auf Musikkassette dabei und meinten: Bau da mal was draus! Dann haben wir drei Wochenenden daran rumproduziert.
TUAREG Torch hatte ein sehr einnehmendes Wesen. Der konnte Leute schnell für sich gewinnen und mit sich ziehen.
MC RENE Torch war so etwas wie ein Anführer,...