1 Bildung vor Ort gestalten
Expertinnen und Experten unterschiedlicher Felder und Ebenen kennen in der Regel die Herausforderungen, die sich ihnen stellen. Sie erkennen Ursachen und können Lösungen anbieten. Allerdings müssen sie oft genug feststellen, dass ihr vereinzeltes Fachwissen nicht genügt, um gute Lösungen für die komplexer werdenden Probleme zu finden. In den Gemeinden, Städten und Kreisen gerät man da schnell an die Grenzen der unterschiedlichen Zuständigkeiten innerhalb und außerhalb der eigenen Verwaltung. Dann wird klar, dass es ohne eine systematische interne Zusammenarbeit und Einbindung der Akteure vor Ort nicht gelingen wird, etwa dem demographischen Wandel und seinen Folgen zu begegnen.
Auch inklusives Zusammenleben zu ermöglichen und frühkindliche Bildung und Betreuung so zu gestalten, dass die Kinder gut gerüstet die nächsten Stufen bewältigen können, bedarf gemeinsamer Anstrengung. Wenn es dann um Schule geht, stellt sich die Frage, wie in Zusammenarbeit mit dem Land über den Sachaufwand hinaus eine gemeinsame Verantwortung für die Bildung vor Ort wachsen kann.
Erfolgreiche Kommunen brauchen ein abgestimmtes Bildungsmanagement: Dazu gehören ein ebenso wirkungsorientiertes wie nachhaltiges Konzept, abgestimmte Strategien und eine klar geregelte Steuerungsverantwortung. Sie sichern ressortübergreifendes Planen und Handeln. Die örtliche Politik wird dabei systematisch einbezogen. Schulen, Institutionen der Erwachsenen- und Weiterbildung sowie Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft intensivieren ihre Zusammenarbeit. Das gemeinsame Ziel heißt, Bildung besser zu koordinieren, die Qualität von Bildung zu verbessern und regionale Bildungsmöglichkeiten für die Menschen auch sichtbar zu machen.
1.1 Kommunale Bildungslandschaften: Ursprung und Idee
Die Idee regionaler Bildungslandschaften tauchte zum ersten Mal prominent in der Bildungskommission von Johannes Rau auf, dem damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen (Bildungskommission NRW 1995: 284–285). Darin heißt es: »Die Kommission möchte mit ihrem Vorschlag regional gestalteter Bildungslandschaften dazu anregen, in den Regionen eine Infrastruktur miteinander vernetzter Bildungsangebote zu entwickeln und zu sichern, die für den Nutzer transparent und als System ökonomisch ist. Dabei geht es um
•die Aufgabe, die verschiedenen Bereiche von Bildung, die sich nach Aufgaben, Trägerschaften, Strukturen und Organisationsformen unterscheiden, zusammen zu sehen und aufeinander zu beziehen,
•Entwicklungskonzepte, die dezentral gesucht, verabredet und verantwortet werden,
•die Vielfalt der Angebotsformen, um spezifische Konturen und Profile, um verschiedene Möglichkeiten und Lösungen für je unterschiedliche Situationen und Bedürfnisse, die langfristige Entwicklung.«
Zusammenfassend heißt es: »Die Entwicklung gleichwertiger, aber differenzierter Bildungslandschaften in den Bildungsregionen soll dazu beitragen, die Bildungschancen der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse herbeizuführen sowie lokale und regionale Eigengestaltung zu fördern« (ebd.: XXII).
1.2 Erläuterungen der Wissenschaft
Steuerung im Bildungsbereich gelingt umso besser, je stärker sich lokale Akteure an ihr beteiligen. Trotz regionaler Kooperation bleiben die Akteure aber in erster Linie ihrem jeweiligen Herkunftsbereich verpflichtet und agieren dort in einer fachlich und hierarchisch festgelegten Position. Regionale Bildungsarbeit muss also berücksichtigen, dass das Engagement ihrer Partner durch verschiedene Handlungslogiken, Strukturen, Vorgaben sowie inhaltliche Ziele geprägt wird.
Der deutsche Rechtssoziologe Ernst-Wilhelm Luthe erläutert, worin eigentlich der Kern einer Bildungslandschaft besteht: »Die Idee kommunaler Bildungslandschaften beruht auf der einfachen, wenngleich in der praktischen Durchführung schwierigen Einsicht, dass Wohlstand und sozialer Zusammenhalt in entwickelten Gesellschaften maßgeblich vom Bildungsniveau der Bevölkerung abhängen. Bildung ist in ökonomischer Hinsicht ein Standortfaktor, in sozialer Hinsicht eine wesentliche Bedingung für die gesellschaftliche Integration der Bevölkerungskreise und in politischer Hinsicht eine Grundvoraussetzung für gelebte Demokratie« (Luthe 2009: 27).
»Neben die Steuerungsressourcen des Staates und des Marktes«, so Luthe weiter, »tritt nunmehr der Gedanke der Netzwerkbildung und Kooperation zugunsten eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses, das sich nicht auf die herkömmlichen Formen institutionalisierter Bildung beschränkt und in einer grundsätzlich entwicklungsoffenen Perspektive einen Ebenenwechsel von zentraler Steuerung auf die lokalen Bedingungen von Bildung eingeleitet hat.«
Der Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers stellt hier die Schlüsselfrage, wie sich auf dieser Ebene überhaupt steuern lässt: »Denkt man vom Ort der Bildung, also den Kommunen und Regionen her, dann hat man im übertragenen Sinne keinen Riesentanker vor Augen, sondern bewegliche Flottillen, eine Gruppierung von nicht aneinander geketteten Schiffen, die in die gleiche Richtung fahren, ohne über nur eine Form oder Spezialisierung zu verfügen. (…) Unabhängig von der Schiffsmetapher: Gemeint sind Ziele, kommunikative Abstimmungen und Entscheidungen quer zu den Behörden, Schulen und sonstigen Bildungsanbietern vor Ort. Das nennt man neudeutsch auch ›governance‹« (Oelkers 2012).
Die Sozialwissenschaftler Thomas Olk und Thomas Stimpel analysieren, dass angesichts der Komplexität öffentlicher Aufgaben und begrenzter staatlicher Steuerungsressourcen »drängende gesellschaftliche Probleme in modernen Gesellschaften mit den herkömmlichen Mitteln der Exekutive und der Verwaltung – Gesetze, Erlasse, Dekrete und Verordnungen – kaum mehr zielgerichtet bewältigt werden können.« Aus der Governance-Perspektive stelle sich deshalb die Frage, wie unter der Bedingung wechselseitiger Abhängigkeit zwischen verschiedenen Akteursgruppen »Regelungsstrukturen so gestaltet werden können, dass kollektive Güter effektiv und effizient in Koproduktion erstellt werden können«. Es gehe also darum, wie im Zusammenwirken »von Akteuren in Mehrebenensystemen« adäquate Lösungen gefunden werden (Olk und Stimpel 2011: 176–177).
Der österreichische Pädagoge Herbert Altrichter (2014: 31) beschreibt die Wirkung von »Akteurskonstellationen« am Beispiel von Innovationen im Schulalltag. Damit diese auch in der Praxis spürbar würden, müssten
•»Lehrpersonen und Schulleitungen Innovationsideen aufgreifen und in Handlungen und Organisationsarrangements übersetzen …
•Schülerinnen und Schüler die Neuerungen verstehen und ihr Handeln partiell umstellen …
•Vermittlungsinstitutionen – wie Schulaufsicht, Fortbildungseinrichtungen, Schulbuchverlage usw. – Unterstützung anbieten.«
Der Begriff des Mehrebenensystems macht laut Altrichter deutlich, dass »nicht alle Akteure in gleicher Weise interagieren«. Vielmehr hätten bestimmte Akteurskonstellationen eigene Handlungslogiken, die sich von denen anderer unterscheiden können. Damit werden die Schnittstellenprobleme angesprochen, die sich aus den unterschiedlichen Handlungslogiken, Werthierarchien, Sprachen und Prioritäten ergeben. Zugleich stellt sich die Frage nach grenzübergreifender Handlungskoordination. Die Art und Weise, wie die verschiedenen Akteure ihre Handlungen koordinieren, lenke den Blick auf ihre jeweils typische Handlungslogik sowie auf ihre Strukturen und Instrumente. Dabei können »Diskrepanzen und Interferenzen im System deutlich werden, z. B. dass von manchen Akteuren Handlungen erwartet werden, für die ihnen kaum Handlungsressourcen zur Verfügung stehen« (ebd.: 32).
1.3 Positionen kommunaler Spitzenverbände und Organisationen
•1995 diskutierte der Bildungskongress des Deutschen Städtetages den Begriff der Erweiterten Schulträgerschaft. Die Städte wollten nicht länger nur Sachaufwandsträger sein, sondern das System Schule mit den kommunalen Einrichtungen wie Bibliotheken, Museen, Medienzentren, Integrationsstellen, Schulsozialarbeitern, Schulpsychologen usw. unterstützen. »Dieses Verständnis von Erweiterter Schulträgerschaft ist inzwischen in unseren Städten Standard« (Rombey 2012).
•Aachener Erklärung – 22./23.11.2007. Der Deutsche Städtetag betrachtet Bildung als zentralen Bereich der Daseinsvorsorge. Städte müssten diesen Bereich aber noch stärker in den Fokus nehmen und eigene Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Leitbild des Engagements der Städte sei die kommunale Bildungslandschaft als...