3 Warum arbeitsintegriertes Training bei der Kompetenzentwicklung wichtig ist
Kompetenzbildendes Lernen erfordert deutlich mehr Lernaufwand als wissensvermittelnde Trainings. Es geht darum, neues Wissen nachhaltig umzusetzen. Deshalb bedarf es eines Konzepts dafür, wie die Maßnahme in das Arbeitsgeschehen der Teilnehmer integriert werden kann, weil Umsetzung fern vom Arbeitsfeld nur schwer möglich ist und keine Kompetenzen entwickelt, die im Arbeitsfeld von hoher Bedeutung sind. Alle Elemente kompetenzbildender Trainings in klassischen Tagungsräumen durchzuführen, ist daher gar nicht möglich und der Arbeits- und Zeitaufwand für das Wenige, das man dadurch erreicht, wäre kaum gerechtfertigt.
Betrachten wir deshalb noch einmal die vier Stufen eines kompetenzbildenden Trainingsansatzes (vgl. Abb. 6). In der ersten Stufe (Wissensvermittlung) geht es darum, Fakten und Begründungen für Sachverhalte zu liefern, um diese dann in der Stufe 2 (Wissensverarbeitung) anwenden zu können. Fakten- und Begründungswissen kann in Selbstlernphasen erworben werden, für die unter vielfältigen Möglichkeiten, wie Printmaterialien, Web Based Trainings (WBT), Webinaren etc. ausgewählt werden kann. Die Selbstlernphase kann aus zeitlich gestreckten Lernnuggets oder aus komprimierten Veranstaltungen über das Netz erfolgen (z. B. Webinare). Es bietet sich an, in diesem Teil der Maßnahme den inhaltlichen Schwerpunkt auf Verkaufstechniken und Verkaufsmethodik zu legen (z. B. den Einsatz von Argumentationstechniken).
Die zweite Stufe (Wissensverarbeitung) besteht zusätzlich aus teilnehmeraktiven Elementen (Activ-Learning). Es bieten sich die Möglichkeiten, praxisnahe Fallbeispiele und Situationsaufgaben von den Teilnehmern in Kleingruppen lösen zu lassen. Die Ergebnisse der Gruppen werden dann im Anschluss im Plenum diskutiert. In firmeninternen Veranstaltungen bietet es sich an, konkrete Praxisfälle in Kleingruppen lösen zu lassen. Von einigen Teilnehmern (Fallgeber) werden konkrete Praxisfälle eingebracht, die anderen Teilnehmer der Kleingruppe entwickeln Lösungen. Die vorgeschlagenen Lösungen werden dann im Plenum diskutiert. In Gesprächsübungen versuchen die Fallgeber daraufhin die vorgeschlagenen Lösungen in Form von Rollenspielen umzusetzen. Diese Rollenspiele können aus ökonomischer Sicht auch in Form von Online-Rollenspielen erfolgen. Das bedeutet, die Fallgeber vereinbaren mit dem Trainer einen Online-Termin und führen dann das Verkaufsgespräch. Hierzu ist eine Webcam dringend erforderlich, um eine starke Reduktion von Kommunikationskanälen zu vermeiden.
Danach erfolgt die Stufe 3 (Transfer in die Praxis). Die Fallgeber setzen die in den Kleingruppen vereinbarten Lösungskonzepte im realen Kundentermin um und informieren die anderen Teilnehmer und den Trainer über das Ergebnis des Kundengespräches. Die Information und der Austausch über die geführten Kundengespräche können in Stufe 4 (Corporate Learning) erfolgen. In den installierten Lerncommunitys tauschen sich die Teilnehmergruppen über die durchgeführten Verkaufsgespräche der Fallgeber aus. Das geschieht sowohl im Erfolgsfall als auch im Misserfolgsfall. Im Falle des Misserfolges wird gemeinsam darüber nachgedacht, was es in der konkreten Situation zu tun gibt. Im Erfolgsfall wird darüber debattiert, wie sich der Erfolg auch auf andere Praxisfälle ausdehnen lässt. Dieser Lernprozess sollte als ständig wiederkehrende Maßnahme installiert und die in Lerncommunitys organisierten Selbstlerngruppen sollten weiter bestehen bleiben. In diesem Beispiel wird zur Gestaltung von Weiterbildungsmaßnahmen für Verkaufsmitarbeiter schon in der Stufe 2 (Learning near the job) auf die Phasen 3 und 4 (arbeitsintegriertes Lernen) vorbereitet. Das macht diese Form des Trainings besonders attraktiv und effizient. Davon abgesehen, dass die Weiterbildungsarbeit wirklich in allen Fällen und zielgerichtet in die Praxis umgesetzt wird, besteht auch eine hohe Transparenz bezüglich des Trainingserfolges. Es kann sehr leicht festgestellt werden, in wie viel Prozent der Fälle die Umsetzung erfolgreich war. Es lassen sich daneben auch sehr einfach Rentabilitätsrechnungen anstellen, die dem Wunsch des Top-Managements nach Bildungscontrolling entgegenkommen.
In der Vertriebspraxis werden zur Sicherung des Transfers (in Abb. 6 rechts unten) Lernbegleitungsphasen angeboten, in denen der oder die Trainer die Seminarteilnehmer in der Praxis begleiten und vor Ort den Umsetzungsprozess unterstützen. Diese Maßnahmen sollen in erster Linie dem Transfer des Erlernten in die Praxis dienen. In nicht allen Fällen tragen sie aber zur Kompetenzentwicklung bei. Wenn ein Trainer zu sehr darauf besteht, dass das im Seminar von ihm vermittelte Vorgehen genau so in der Praxis umgesetzt werden soll, ist das im Sinne der Kompetenzentwicklung kontraproduktiv, weil der Seminarteilnehmer dadurch gar nicht die Möglichkeit hat, seine eigenen Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln und einzubringen. Kompetenzen kann er aber nur entwickeln, wenn von ihm Selbstgedachtes einfließt und anschließend mit dem Trainer besprochen wird.
Der Lernende muss für eine nachhaltige Kompetenzentwicklung die Möglichkeit erhalten, sein Wissen selbst zu konstruieren. Die Begleitung durch einen Trainer im Arbeitsfeld kann immer als arbeitsintegriertes Training bezeichnet werden. Aber nicht immer ist es wie oben dargestellt im Sinne der Kompetenzentwicklung und im Sinne des Praxistransfers sinnvoll.
Überlegen Sie einmal für sich, was passiert, wenn ein Trainer versuchen würde, den Verkäufer zu etwas zu veranlassen, wovon dieser ganz und gar nicht überzeugt ist, etwas, was er gar nicht will und was er völlig ablehnt. Wie viel Transfer wird in diesem Falle stattfinden, wenn der Trainer wieder weg ist?
Bei arbeitsintegriertem Training lernen die Teilnehmer absolut praxisnah. Es wird auf einfache Art und Weise möglich, neues Wissen und neue Methoden in das Arbeitsfeld einzubringen und somit die Kompetenzentwicklung schnell voranzutreiben und die Problemlösefähigkeit zu verbessern. Arbeitsintegriertes Training hat den entscheidenden Vorteil, dass die Transferstrecke in die Praxis sehr kurz ist. Als Regel kann gelten, je kürzer die Transferstrecke in die Praxis, umso höher der Umsetzungsgrad – vorausgesetzt, die innere Haltung des Verkaufsmitarbeiters als Umsetzer ist entsprechend. Diese Form des Mitarbeitertrainings muss deshalb zu einem integralen Bestandteil der Lernkultur eines Unternehmens werden.
Viele größere Unternehmen haben inzwischen Lernwerkstätten oder Lerninseln für Auszubildende eingerichtet, um praxisnahes Lernen zu ermöglichen. Als bekanntestes Beispiel dafür gilt die Firma John Deere in Mannheim, die nach der Schließung der Gießerei Mitte der 1990er-Jahre freigesetzte Mitarbeiter für andere Tätigkeiten im Betrieb qualifizieren wollten und dazu in den betroffenen Werken Lerninseln einrichteten. Hier wurden unter fachlicher Betreuung Realaufträge gefertigt, in diesem Falle Traktorenbestellungen, die dann auch an die Kunden ausgeliefert wurden. John Deere berichtet von vielen positiven Effekten, die während der Arbeit mit Lerninseln entstanden sind, bei denen Kompetenzentwicklung im Vordergrund stand. Die Arbeit in der Lerngruppe führte nach Angaben von John Deere zu hoher Mitarbeiterzufriedenheit, zu höherem Selbstbewusstsein der Mitarbeiter und zu größerer Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Durch die Lerninseln entstand außerdem ein Anreiz für einen Teil der Mitarbeiter, sich zum Meister oder zum Techniker weiterzuentwickeln.
Im Vertrieb kann arbeitsintegriertes Lernen auch durch die Vergabe von Projektarbeiten oder die Teilnahme an Projektgruppen, durch Jobrotation, durch Mitgliedschaft in Task-Forces, durch Mitgliedschaft in Selling- oder Buyingcentern, durch Begleitbesuche bei Kunden durch Spezialisten oder durch viele andere Maßnahmen erfolgen. Wichtig ist es dabei, dass die Maßnahmen so gestaltet werden, dass Kompetenzentwicklung im Vordergrund steht und nicht Wissensvermittlung.
Wie schon erwähnt, wird besonders durch Begleitbesuche versucht, im Seminar vorgedachtes Wissen mit Unterstützung des Vordenkers in der Praxis umzusetzen. Das führt aber nur selten zur Kompetenzentwicklung, sondern in den meisten Fällen zu Frustration und sollte deshalb besser unterlassen werden. Begleitbesuche können allerdings durchaus sinnvoll sein, wenn sich der Begleiter wie ein Lernbegleiter verhält, in die Gespräche beim Kunden nicht eingreift und im Nachhinein den Gesprächsverlauf mit dem Verkäufer debrieft oder analysiert. Denn arbeitsintegriertes Lernen dient der Kompetenzentwicklung ja nur dann, wenn der Lerner seine Fähigkeiten selbst konstruieren kann, wenn er statt einer Belehrungsdidaktik eine Ermöglichungsdidaktik erfährt.
Vermittlungsdidaktik und Belehrungsdidaktik sind also weder der Weg zum Erfolg noch zu nachhaltigem Lernen oder zur Kompetenzentwicklung. Auch hier können ebenso wie beim vermittelnden Lernen im Seminarraum die Lernleistung und der Lernerfolg gegen null gehen.
Die Lernkultur eines Unternehmens entwickelt sich in der Regel parallel zur Unternehmenskultur, sie ist meist in den Jahren seit Bestehen des Unternehmens entstanden und lässt sich nicht von...