2 Das Erbe: Ein klassischer Konflikt
Bevor Sie mit der Lektüre beginnen, wollen wir die aus unserer Sicht größten Fehler beim Vererben zusammenfassen. Sie werden in ausführlicherer Form in den späteren Kapiteln dieses Buches aufgegriffen.
Die 10 größten Fehler beim Vererben
1. Das Verschieben der Erbregelung. Dann sind Sie eher gestorben, als dies erledigt ist.
2. Vererben als letzte Erziehungsmaßnahme. Was Sie in der Kindheit nicht geleistet haben, leisten Sie mit dem Testament dreimal nicht mehr.
3. Das Vertrauen auf eine gütliche Einigung der Erben. Das Gegenteil ist richtig, denn Trauer kann auch aggressiv machen.
4. Konflikte über das Erbe lösen. Konflikte benötigen Aussprache und Versöhnung, keine vollendeten Tatsachen.
5. Spontane Änderungen des Testaments. Vererben sollte wohlüberlegt geschehen und dabei sollte man nicht das Fähnchen nach dem Wind richten.
6. Das Erbe dem Steuerrecht folgen lassen. Vererben bedeutet Gestaltung und Verantwortung, das Sparen von Steuern ist da nicht die oberste Maxime.
7. Mehrfache Erbversprechen. Vererben ist kein Köder für Gefallen!
8. Beratung vermeiden und Vererben als Familienangelegenheit betrachten. Selbst wenn Sie Ihr Testament nur innerhalb der Familie machen, müssen spätestens Ihre Erben damit zum Familiengericht.
9. Erbkonflikte für unlösbar halten. Jeder Konflikt kann auf eine Art und Weise gelöst werden.
10. Sich für unsterblich halten!
Hand aufs Herz, warum haben Sie sich dieses Buch gekauft? Vermutlich nicht, weil Sie jemanden kennen, der sich einmal dringend um die Gestaltung seines Erbes kümmern muss. Es geht um Sie selbst. Auch wenn das Buch vielleicht doch ein Geschenk an jemanden anderen ist, hat das Thema bei Ihnen eine eigene Bedeutung. Wir möchten Ihnen dabei helfen, sich dieser Bedeutung zu stellen und die Verantwortung für das eigene Erbe zu übernehmen.
Wir fangen ganz einfach an. Wir möchten Sie stufenweise an die Fragen heranführen, über die Sie sich klar werden müssen. Sie werden sehen: Wenn Sie diesen Prozess durchlaufen haben, dann wird die Gestaltung Ihres Erbes ein viel weniger bedrohlicher Zustand sein. Wir sind uns sicher, dass Sie vielmehr das Gefühl haben werden, dass Sie die Dinge so gut es ging geregelt haben.
2.1 Was hält mich eigentlich davon ab, mein Testament zu machen?
In unserer heutigen Gesellschaft ist der Tod in der individuellen Lebensplanung oft noch sehr weit weg und wird hoch abstrakt behandelt. Sogenannte Anti-Aging-Ansätze sind darauf ausgerichtet, die Menschen länger gefühlsmäßig jung, körperlich und psychisch gesund und aktiv zu halten. Das ist an sich nicht falsch und ein größeres Maß an Lebensqualität ist sehr zu begrüßen. Wenn aber die Kehrseite davon ist, dass die Menschen ihren Tod und was sie in diesem Zusammenhang regeln wollen und müssen, immer weiter verdrängen, dann kann die individuelle Lebensplanung Schaden nehmen. Letztendlich ist jedem klar, dass wir sterben müssen, und es will wahrscheinlich keiner sein Erbe ungeregelt lassen. Daher entsteht ein besonderer Typ von Konflikt im Zusammenhang mit dem Vererben.
In der Psychologie spricht man von „Annäherungs-Vermeidungs-Konflikten“, wenn man menschliches Verhalten beschreibt, das dadurch gekennzeichnet ist, dass man sich zu einem bestimmten Objekt hinbewegt als sich auch davon wegbewegt. Sie dürfen den Begriff „Bewegung“ hier nicht zu wörtlich nehmen. Es kann sich hier auch um die Auseinandersetzung mit einem Thema oder um die Verdrängung eines Themas handeln. Der eigene Tod und das Testament sind typische Beispiele für einen solchen Konflikt. Niemand denkt gerne über seinen eigenen Tod nach. Eine Erbplanung, nämlich die Erstellung eines Testaments, erfordert schon fast zwingend, dass wir uns mit unserer eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen. Obwohl wir uns der Notwendigkeit der Testamentserstellung bewusst sind, damit eine rein gesetzliche Erbfolge vermieden wird und unsere Angehörigen nicht der „Verwaltungsmaschinerie“ oder einem Familiengericht „ausgesetzt werden“, verschieben wir oft das Erstellen eines Testaments. „Ich mache das einmal in Ruhe, wenn ich Zeit habe“, ist die häufigste Ausrede. Schaut man sich diese Worte genauer an, wird eines deutlich: Wir wissen, dass ein Testament nicht schnell nebenbei gemacht werden kann. Wir müssen uns Gedanken machen. Zu diesen Gedanken gehören folgende vier Schritte:
1. Ich muss meinen eigenen Tod akzeptieren lernen.
2. Ich muss mich entscheiden, was ich vererben will.
3. Ich muss mich entscheiden, an wen ich etwas vererben will und was jeder erhalten soll.
4. Ich muss meinen letzten Willen so verfassen und kommunizieren, dass meine Erben gut mit ihm Leben können (und dass er rechtlich korrekt ist).
Die amerikanischen Psychologen Larry Vandecreek und Deborah Frankowski (1996) haben untersucht, was Menschen davon abhält, ein Testament zu erstellen. Der Hauptgrund hierfür, so das Ergebnis ihrer Studie, ist, dass es den eigenen Tod bewusst macht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ich das Gefühl habe, dem Tode nicht nahe zu sein, solange ich mein Testament noch nicht gemacht habe. Dies kann als irrational bezeichnet werden, ist aber vermutlich ein verbreitetes Denkschema. Dieses Schema erklärt auch, warum sich viele ältere Menschen bedroht fühlen, wenn jüngere Angehörige, beispielsweise die Kinder, das Thema Testament oder Erbe anschneiden. „Du willst mich wohl ins Grab bringen“, ist die pikierte Interpretation, die den es gut meinenden Kindern vielfach negativ ausgelegt und als Erbschleicherei interpretiert wird. Wir wollen nicht ausschließen, dass solche Fälle auch vorkommen (wahrscheinlich nicht selten), aber das Vorbringen dieses Themas durch jüngere Angehörige ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass ein Regelungsbedarf bezüglich des Erbes besteht. Werfen Sie die Pikiertheit in Hinblick auf das Thema Tod über Bord und nehmen Sie die Verantwortung an. Sie kann Ihnen auch positive Gefühle ermöglichen, selbst wenn es um Tod und Nachlass geht.
2.2 Welche Gründe gibt es, mein Erbe zu regeln?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Hürde des drohenden Todes einmal anders betrachten. In einer Studie hat das israelisch-amerikanische Forschungsteam von Ronit Leichtentritt und Kathryn Rettig (2001) untersucht, was ältere Menschen unter einem guten Tod verstehen. Sehr häufig wurde der Aspekt genannt, die Kontrolle über die letzte Lebensphase zu haben. Hierzu gehört auch das Gefühl, den Moment nach dieser Phase gut geregelt zu haben. Dazu zählt die Frage der Beerdigung ebenso wie medizinische Verfügungen, die sich auf die Lebenserhaltung beziehen (siehe hierzu auch Ditto & Hawkins, 2005), sowie die Umsetzung des Testaments, des letzten Willens. Anekdotisch lassen sich Lebens- bzw. Sterbensgeschichten anführen, denen zufolge ältere Menschen noch nicht verstorben sind, weil das Gefühl, noch etwas regeln zu müssen, sie am Leben erhalten hat. Erst als sich dieses Gefühl der Kontrolle eingestellt hatte, waren diese Personen in der Lage, loszulassen und „zu gehen“.
Der Gedanke an den eigenen Tod, so angsteinjagend und irritierend er auch sein mag, hat auch überraschende Konsequenzen. Die Psychologen um Sheldon Solomon, Jeff Greenberg und Tom Pyszczynski haben dafür ein Erklärungsmodell entwickelt, die Terror-Management-Theorie (siehe den folgenden Kasten). Dieses Modell geht davon aus, dass Menschen in Momenten, in denen sie sich ihrer Vergänglichkeit bewusst werden, eine Reihe von kompensatorischen Verhaltensweisen an den Tag legen, um die entstehende Angst abzupuffern. Eine solche Verhaltensweise ist die Sicherung der Versorgung von uns nahestehenden Menschen. In der Psychologie nennt man dies auch die „Eigengruppe“ (im Gegensatz zur „Fremdgruppe“). Das Wissen um die eigene Sterblichkeit (siehe auch den folgenden Kasten) ist eine starke Triebfeder, überhaupt unser Testament zu machen (um die Eigengruppe, die unser symbolisches Weiterleben sichert, zu stärken).
Terror-Management-Theorie
Die Terror-Management-Theorie hat nichts mit Terrorismus zu tun, obwohl man es bei dem Namen vermuten möchte. Stattdessen beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Menschen mit der Angst (engl.: terror) vor ihrem drohenden Tod umgehen und welche Einstellungen und Verhaltensweisen dieser Gedanke bei ihnen auslöst. Daher also der Terror im Namen. Diese Theorie wurde Ende der 80er Jahre von den US-amerikanischen Sozialpsychologen, Jeff Greenberg, Tom Pyszczynski und Sheldon Solomon (1986; Solomon, Greenberg & Pyszczynski, 2004) entwickelt. Kurz zusammenfasst besagt diese Theorie, dass der Moment, in dem man sich der eigenen Sterblichkeit bewusst wird (auch „Mortalitätssalienz“ oder „Sterblichkeitssalienz“ genannt), ein starkes Angstgefühl auslöst. Diese Angst vor der eigenen Vergänglichkeit wird durch zwei Mechanismen kontrolliert bzw. bewältigt. Diese „kulturellen Angstpuffer“ sind:
• Die kulturelle oder gruppenbezogene Weltanschauung: Diese Weltanschauung umfasst Werte und Normen, aber auch soziale Strukturen. Dadurch wird Sinn und Transzendenz geschaffen und kann einem Individuum das Gefühl von Sicherheit, aber auch Unsterblichkeit geben (zumindest den eigenen Ideen, wenn auch...