_Einleitung
_Die Filmwelt wird real
Robert Clayton Dean ist ein erfolgreicher Rechtsanwalt, glücklich verheiratet und Vater eines Sohnes. Er hat keine Geldsorgen, lebt im Luxus, all seine Wünsche kann er sich erfüllen. Ein perfektes Leben, bis zu jenem Tag, an dem er für seine Frau ein Geschenk kaufen will und in einem Dessousgeschäft einen Bekannten trifft, der kurz darauf von einem Auto überfahren wird. Ab diesem Zeitpunkt ist nichts, wie es vorher war, schlittert sein Leben in ein totales Chaos. Er verliert seinen Job, seine Frau verdächtigt ihn der Untreue, seine Kreditkarten und Konten werden gesperrt. Der Mann mit Einfluss, Macht und Geld hat die Kontrolle über sein Leben verloren, die plötzlich ein anderer zu haben scheint. Warum?
Der alte Bekannte im Dessousgeschäft hatte ihm ohne sein Wissen eine Diskette in die Tasche gesteckt, auf der der Mord an einem Senator zu sehen war, der sich geweigert hatte, ein neues Gesetz zu verabschieden, das die lückenlose technische Überwachung von Verdächtigen gestattet. Robert ist nun selbst Opfer dieser Technologien. Egal, was er tut, wohin er geht – er ist unter totaler Kontrolle. Er ist der „Staatsfeind Nummer 1“, der im gleichnamigen Hollywood-Streifen verwanzt und ständig abgehört wird, der per Satellit oder per Mobilfunk geortet und über den in wenigen Sekunden jede Information aus einer Megadatenbank abgerufen werden kann.
Mitarbeiter von Geheimdiensten können ob dieses Szenarios, in dem Will Smith und Gene Hackman die Hauptrollen spielen, nur schmunzeln. Filmfans finden den Thriller in manchen Bereichen übertrieben, man habe zu tief in die Trickkiste gegriffen, einiges sei technisch nicht machbar. Für die „anderen“, die Kriminalisten und Geheimdienst-Mitarbeiter, ist der Film nicht nur „sehr realistisch“, sie behaupten sogar, die Realität übertreffe den Film: „Glauben Sie wirklich, dass wir das alles nicht können? Wir können noch viel mehr. Und die Technik kann auch noch viel mehr, als im Film angedeutet ist“, versicherte ein Vertreter dieser Gruppe dem Autor.
Der Film „Der Staatsfeind Nr. 1“ ist, so paradox und absurd dies klingt, ein Pflichtfilm für diverse Agenten aus aller Herren Länder, der Streifen gehört zur Ausbildung von Mitarbeitern des deutschen Bundes-Nachrichten-Dienst (BND) oder des österreichischen Heeres-Nachrichten-Amts (HNA), des britischen MI5, der amerikanische National Security Agency (NSA) sowieso, wobei letztere den Filmemachern in Hollywood Tipps gegeben hat. Gene Hackman, einer der Hauptdarsteller, hat sich von NSA-Agenten beraten lassen, wie er bestimmte Dinge richtig darstellen könne und was realistisch sei. Es gibt keinen Spion auf dieser Welt, der diesen Film nicht kennt.
_Die (Überwachungs)-Welt hat sich geändert
Seit dem 11. September 2001, dem Tag der Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington, ist die Welt nicht so, wie sie vorher war. Nach den Attentaten ist die Diskussion um Sicherheitsvorkehrungen, die solche Attentate verhindern hätten können, neu entbrannt. Dabei werden immer wieder Methoden genannt, die einen schweren Angriff auf die Privatsphäre der Bürger darstellen und die jenen gleichen, die im Film „Der Staatsfeind Nr. 1“ verwendet werden. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung wollen einige Staaten nun Überwachungssysteme installieren, die einer Totalkontrolle gleich kommen und mit der auch unschuldige, unbescholtene Bürger überwacht und kontrolliert werden.
Die für die Installierung solcher Systeme zuständigen Behörden (Innenministerien, Justizministerien, Verkehrsministerien, EU-Kommission) nutzen dabei die derzeitige Angst und Stimmung in der Bevölkerung – der Terrorismus müsse mit allen Mitteln bekämpft werden – um ihre ohnehin schon lange geplanten Überwachungssysteme quer durch alle Bereiche zu realisieren. Der Staat wird – und das hat nichts mit Panikmache, Verfolgungswahn oder Hysterie zu tun – zum Big Brother, der uns Bürger ständig unter Kontrolle haben will. Er arbeitet an der völligen Transparenz – von Bürgern und Unternehmern, oder, anders formuliert: von Gesellschaft und Wirtschaft.
Die staatliche Kontrolle hat in den vergangenen Jahren kräftig zugenommen. Ein schleichender Prozess. Lauschangriff und Rasterfahndung sind heute ebenso „state of the art“ wie Videoüberwachung, DNA-Analyse, das Durchleuchten von Geldflüssen oder die Kontrolle der Kommunikation.
_Misstrauen und Angst dominieren unser Leben
Dieses Buch zeigt auf, warum es Regierungen und bestimmte Behörden bei der Realisierung ihrer Überwachungspläne so leicht haben. Unter anderem deshalb, weil es derzeit nur wenig Widerstand in der Bevölkerung gibt. Zitate wie „Mir egal, was die von mir wissen“ oder „Ich habe nichts zu verbergen“ sind Indizien dafür, dass man die staatliche Überwachung nicht fürchtet. Die persönliche Sicherheit ist Menschen wichtiger geworden als die persönliche Freiheit. Man lässt sich offenbar lieber in die Privatsphäre schauen als sich unsicher zu fühlen. Und einen weiteren Grund gibt es: Wer sich heute gegen Überwachungsmethoden ausspricht, macht sich offiziell verdächtig, weil er damit ja indirekt auf der Seite des Bösen, auf der Seite von Verbrechern oder Terroristen steht.
Denn die Angst vor Terrorismus und Verbrechen ist größer geworden, weil sich seit dem 11. September 2001 die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer von Gewalttaten zu werden – zumindest in den Köpfen der Menschen – vergrößert hat. Weil in den Medien seit dem 11. September 2001 immer wieder propagiert wird, dass das Böse in Form von „Schläfern“ – Terroristen, die erst aktiv werden, wenn sie der Ruf des Terroristenchefs ereilt – perfekt getarnt mitten in unserer Welt lebt. Mit dieser bewusst geschürten Angst wurde gleichzeitig auch das Misstrauen anderen Menschen gegenüber größer. Hinter jeder schönen Fassade kann sich das Verbrechen verstecken.
Doch die totale Kontrolle könnte nach hinten losgehen und genau das Gegenteil dessen bewirken, was damit erzielt werden soll, nämlich der „Sicherheit“ des Staates und der Bürger zu dienen. Das hat der 11. September 2001 gezeigt. Es gibt wohl keine Nation, die mehr Polizeiorganisationen und Geheimdienste hat, als die Vereinigten Staaten, ob es sich nun um das FBI, die CIA oder NSA handelt. Mitarbeiter sind über die gesamte Welt verstreut, sammeln mit den neuesten Technologien, vom Mobilfunk über Satellitentechnik bis zu komplizierten Analyse-Programmen und Software, Informationen über Informationen. Überwacht werden „brave“ europäische Wirtschaftskonzerne, um amerikanischen Unternehmen Aufträge zuzuschanzen, ebenso wie terroristische Organisationen – ob sie nun Al Kaida, PKK, HAMAS oder Hizbullah heißen. Die Bulletins, die dabei zusammen getragen werden, sind detailliert und umfassend. In vielen Bereichen so informativ, dass man europäischen Unternehmen Aufträge wegschnappen konnte. Im manchen Bereichen aber auch so umfassend, dass sich aus der Fülle der Daten gute und hinweisgebende Informationen nicht mehr herausfiltern ließen.
_Datenjagd kann nach hinten los gehen
Die USA sind Opfer der eigenen Datenjagd geworden. Vor lauter Wald sieht man die Bäume nicht mehr. Anders formuliert: Vor lauter Daten bleiben die wahren, guten Informationen verborgen. Quantität ist nicht Qualität. Quantitative Überwachung sämtlicher Bürger ist qualitativ nicht gut genug, um Verbrechen verhindern oder gar voraus sagen zu können.
Was nützt es, wenn mit modernsten Technologien Telefongespräche abgehört, Persönlichkeits-, Bewegungs- oder Nutzerprofile gemacht, der E-Mail-Verkehr und die Internet-Nutzung mitgeloggt werden? Wer soll diese Daten auswerten, wer soll die Nadel im Heuhaufen suchen?
Pro Tag werden 10 Milliarden SMS verschickt, 4 Milliarden E-Mails mit Millionen von Attachments, von der Datei über die Grafik bis zum Bild, versendet. Es werden 3 Milliarden Telefonate von Festnetzapparaten und einer Milliarde Handys aus geführt sowie einige Milliarden Internet-Seiten aufgerufen. Man müsste mit einem Heer von Tausenden, nein Hunderttausenden Mitarbeitern diese Daten sortieren, durchleuchten und analysieren. Nicht nur nach menschlichem Ermessen unmöglich, sondern technisch auch mit den besten Software-Programmen nicht machbar.
Dem deutschen BND ist es im Zuge der Fernmeldeaufklärung erlaubt, den gesamten Telefonverkehr von und nach Deutschland zu überwachen, was beinahe zehn Millionen Gespräche pro Tag sind. Hochkomplizierte Wortscanner überprüfen dabei die Gespräche und schalten sich automatisch ein, wenn bestimmte Reizworte fallen. Diese „Hit-Wörter“ stammen aus den Bereichen Drogen- und Waffenhandel, Menschenschmuggel und Terrorismus. Da man davon ausgehen kann, dass vor allem um den 11. September in vielen Telefonaten die Worte „Bin Laden“, „Al...