Sie sind hier
E-Book

Konvergente Konstruktionen

Eine Globalgeschichte des Staudammbaus

AutorBenjamin Brendel
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl519 Seiten
ISBN9783593440347
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis54,99 EUR
Im 20. Jahrhundert wurden weltweit etwa 50 000 Staudämme gebaut. Sie veränderten Landschaften grundlegend und irreversibel, sie regulierten das Leben von Millionen von Menschen. Benjamin Brendel arbeitet in seiner Globalgeschichte dieser riesigen Infrastrukturprojekte heraus, dass deren Erfolg und Sicherheit - heute gelten sie als Kraftwerke zur Gewinnung 'grüner' oder 'blauer' Energie - zusammen mit den Bauwerken selbst konstruiert wurden. Seine Fallbeispiele - der Grand-Coulee-Damm in den USA (1933 - 1941), der Damm von Mequinenza in Spanien (1955 - 1961) und der Assuan-Damm in Ägypten (1960 - 1971) - belegen darüber hinaus, dass Dämme unabhängig von politischen Systemen als Herrschaftsinstrumente fungierten.

Benjamin Brendel ist wiss. Mitarbeiter am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) und am Historischen Institut der Universität Gießen.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
Aufbau 1. Projektentwurf Staudämme gelten ihren Befürwortern als paradigmatische Projekte technischen Erfolges; zugleich werden die Konstruktionen von ihren Gegnern verteufelt und als gewaltsamer Eingriff in die Umwelt und in die Gesellschaft wahrgenommen. Diesem Konflikt zum Trotz werden gegenwärtig Staudämme in verstärktem Maß gebaut, in einer Dimension, die bisherige Projekte weit in den Schatten stellt. 'Tadschikistan. Präsident baut Riesen-Staudamm', berichtete der Spiegel Ende Oktober 2016. Mit 'Tajikistan's Rogun: Building the world's tallest dam' steigerte BBC online die Projektbeschreibungen weiter. Zentralasien stehe möglicherweise vor einem regionalen und dammbedingten Wasserkonflikt, dagegen hofften die Initiatoren des Dammes darauf, über Ländergrenzen hinweg zum regionalen Stromversorger aufzusteigen. Zeitgleich war zu lesen, dass auch Afrika mit dem Renaissance-Damm in Äthiopien ein neues Energieprojekt erhalte, dieses Kraftwerk weit über das Land auf den Kontinent ausstrahlen würde und gar der 'Konflikt um Nilwasser' die Anrainer zur Zusammenarbeit ?verdamme? . Historisch sind solche Meldungen keineswegs neu und vorbildlos, sie durchziehen genauso wie die hydrotechnischen Konstruktionen, von denen sie berichten, das 20. Jahrhundert als ein prägendes Element gesellschaftlichen Wandels, denn auch jenseits des politischen Rahmens, auf lokaler Ebene, sind Staudämme konfliktgeladene Bauwerke. Für viele Menschen in unmittelbarer Umgebung zu den Bauwerken und noch weit von ihnen entfernt veränderten Staudämme alltägliche Gegebenheiten, sie formten Lebensweisen grundlegend neu. Als Projekte, die große Investitionen nötig machten, wurden und werden Staudämme in aller Regel staatlich finanziert und vor allem von den staatstragenden Eliten befürwortet und vorangetrieben. Die Attraktivität für staatliche Akteure lag darin begründet, dass die Bauwerke als Erfolgsprojekte galten. Sie sollten Elektrizität generieren, um die Gesellschaft zu ?modernisieren? oder durch Bewässerung das Land und das Leben der darauf siedelnden Menschen umzugestalten. Tiefgreifende Veränderungen waren in den Augen der staatstragenden Elite insbesondere dann wichtig, wenn Krisen sie unter Handlungsdruck setzten. Staudämme boten diesbezüglich ein vielversprechendes Mittel der Agitation. Dabei hatten Staudämme ein ständiges Legitimationsproblem, das sich in drei Ebenen einteilen lässt. Mit den neuen Dimensionen der Projekte, welche die Nutzungsmöglichkeit von Stahlbeton zum Ende der 1920er-Jahre boten, wurde mit jedem Größenrekord wie der höchsten oder längsten Staumauer Unbekanntes erschaffen, von dessen Funktionsfähigkeit die technischen Experten die staatlichen Führungseliten überzeugen mussten. War ein solches Projekt auf die politische Agenda gesetzt, galt es, über den Weg einer medialen Inszenierung der Bauwerke die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen. Schließlich entbrannten lokale Konflikte an dem Ort der Konstruktion. Auch dort musste das Projekt durchgesetzt werden, notfalls durch Gewalt. Das Legitimationsproblem des Dammes traf in Krisenzeiten das der Regierung. Dabei bedingten sich die Rhetorik zur Sinnstiftung des Dammes und der politischen Herrschaft gegenseitig. Die eingangs zitierten Zeitungsmeldungen, die sich auf Informationen staatlicher Pressemitteilungen stützen, sind Teil dieser Strategie der Befürworter der Staudämme, die Konstruktionen und die politische Herrschaft ihrer Erbauer zu legitimieren. Da staudammgetragene Veränderungspläne der gewohnten Lebensweise der örtlichen Bevölkerung zuwiderliefen und sie somit letztlich gegen den Willen vieler Menschen durchgesetzt werden mussten, entspannen sich Diskurse um die Projekte. Staatliche wie nichtstaatliche Protagonisten, die die Bauwerke befürworteten, bedienten sich dabei einer machtvollen Metaphorik, um auch von anderen Gesellschaftsgruppen Unterstützung für die Projekte zu erhalten. Die Idee der Experten, Staudämme zu bauen, und die politische Agenda, die mit ihr verknüpft wurde, mussten dabei ständig aufrechterhalten und erneuert werden, um das Bild des Erfolgsprojektes auch fortan zu erhalten. Das Ensemble an Symbolen und Bedeutungen, das zum Bau des Dammbaus geführt hatte, wurde während der Errichtung der Staumauer zu einem rhetorischen Höhepunkt getrieben und auf geringerem Maß weitergeführt, solange die Staumauer bestand. Ein Blick auf die machtvolle Metaphorik von Staudämmen während ihrer Konstruktion erscheint aus diesem Grund besonders lohnenswert, zumal diese Perspektive in der bisherigen Forschung weitgehend außen vor gelassen wurde. 2. Forschungsstand Die Geschichte des Dammbaus wurde in den vergangenen Jahrzehnten auf vielfältige Art und Weise geschrieben. Der deutschen Historikerin Julia Tischler gelang es, eine imposante Geschichte des Kariba-Dammes am Zambesi vorzustellen, die Entwicklungs(hilfe)organisationen genauso wie koloniale und lokale Akteure miteinbindet. Tischler begreift den Kariba-Damm als Mikrokosmos der Diskurse und Politiken um Entwicklung und Dekolonisierung und geht auf einer lokalen, imperialen und internationalen Ebene vor, wobei sie vielschichtige Akteurs-, Interessen- und Machtkonstellationen aufzeigt. Tischler geht davon aus, dass verschiedene Interpretationen der und Anpassungsstrategien an die Entwicklungskonzepte nebeneinander existiert haben, die zwar kolonial-rassistischen Machtstrukturen gefolgt seien, aber schließlich in verschiedenen Arenen ausgehandelt wurden. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die deutsche Historikerin Birte Förster, die Dekolonisierungsprozesse des britischen und französischen Kolonialreiches mit Blick auf Dammbauten untersucht. Sie vertritt dabei die These, dass Dammbauten als 'Machtspeicher' koloniale Macht speichern und kaschieren sollten, da Macht auch unter neuen politischen Bedingungen, unter dem Denkmantel von technischer Notwendigkeit und der Modernisierungen von Infrastruktur weiterhin ausgeübt werden könnte. Auch wenn beide Arbeiten mit großer Berechtigung wichtigen Fragen nachgehen, so verkürzt ein Ansatz, der diskursive Machtverhandlungen zwischen Europa und Afrika darstellt, die Geschichte des Dammbaus, denn die Idee zu den Konstruktionen war ursprünglich nicht per se postkolonial, sondern stammte aus dem globalen Norden, wurde auch dort angewendet und zirkulierte schließlich global. Dazu sind Dammbauten nicht nur, wie es der US-amerikanische Historiker Christopher Sneddon in seinem vielbeachteten Buch Concrete Revolution annimmt, machtpolitische Instrumente des Ost-West-Konfliktes, sondern fungierten schon früher als politische Werkzeuge in den USA, der Sowjetunion und Europa selbst. Um dieses machtpolitische Werkzeug und die mit ihm verbundenen Topoi zu begreifen, muss der Blick auf die Anfänge der Ideenbildung und auf deren Umsetzung in verschiedenen lokalen Kontexten, in Europa, Nordamerika und Afrika, gerichtet werden. Andere Arbeiten fokussieren hingegen auf einzelne Staudammprojekte im globalen Norden, ohne den Blick über die Baustellen hinweg zu richten. Sie verfolgen zumeist das Ziel, die politischen und ökonomischen Hintergründe sowie technischen Erwägungen darzustellen, die hinter den Bauprojekten standen. Detailreichtum und ?Fakten? der baulichen und politischen Ereignisse aus der Perspektive der Autoren reichern diese Geschichten häufig bis zur Sättigung und darüber hinaus an. Dazu erscheinen diese positivistischen Darstellungen bisweilen als Erfolgsgeschichten entschlossener Männer, die wahlweise über die Natur, politische Widerstände oder technische Unwägbarkeiten obsiegten. Sie liefern zwar hilfreiches Hintergrundwissen, führen bei den hier benannten Zielrichtungen jedoch nicht weiter, denn die verschiedenen Strukturen von Machtausübung werden dabei häufig ausgeblendet. Um den Ursprung dieser Strukturen zu verfolgen, sollte vielmehr der Frage nachgegangen werden, was die Idee des Staudammbaus aufkommen ließ. Auf allgemeinere Weise geschah dies bereits zu Anfang der 1960er-Jahre, als eine Forschungskontroverse um die Beziehung zwischen Technik und Gesellschaft entstand. Von dem US-amerikanischen Wirtschaftshistoriker Robert Heilbroner und anderen wurde in diesem Kontext die Position des technologischen Determinismus vertreten. Die Entwicklung der Technik, so das zentrale Argument, löse sozioökonomische Dynamiken aus, die auf die Gesellschaft verändernd einwirken würden. Auch Dammbauten wurden in diesem Sinn gedeutet. Die Gegner dieser Position, zu denen der US-amerikanische Soziologe Langdon Winner zählte, sammelten sich hinter dem Konzept des Sozialkonstruktivismus. Sie argumentierten, dass soziale Vorbedingungen bzw. die Gesellschaft dafür verantwortlich seien, wie Technik verwendet und weiterentwickelt werde. Technik verändere also nicht die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft sei es, die technische Entwicklungen vorantreibe. Wenig überraschend entstanden daraufhin Arbeiten, die versuchten, beide Ansätze miteinander in Einklang zu bringen und zwischen den Extremen zu vermitteln. Der US-amerikanische Technikhistoriker Thomas Hughes nannte den Drehpunkt zwischen beiden Phänomenen das ?technologische Momentum?. Soziale und kulturelle Entwicklungen würden Technologie formen und im Umkehrschluss von ihr verändert werden. Als archetypisches Beispiel für dieses Modell zog Hughes einen Damm der Tennessee Valley Authority (TVA) heran. Der Muskel-Shoals-Damm sei im Ersten Weltkrieg zur Herstellung von Nitraten als Grundstoff der Sprengstoffproduktion geplant worden, woraufhin die kriegsdynamische Gesellschaft den Damm entwickelt und dessen Bau begonnen habe. Fertiggestellt wurde der Damm jedoch für die TVA und habe so als vorhandener Technologieträger die Gesellschaft geprägt. Statt Sprengstoff seien nun Dünger für den Einsatz auf bewässerten Feldern und Hydroelektrische Energie produziert worden. Gewissermaßen als Produkte des Dammes, hätten sie die Existenz der dort lebenden Menschen tiefgreifend verändert. In den wegweisenden Arbeiten von Hughes stehen einzelne Akteure des öffentlichen Lebens, Politiker, Ingenieure, Planer und Industrielle, an zentraler Stelle. Wie diese Akteure sich in welchen Diskursen verorteten und wie sie ihre Interessen durchsetzten, bleibt dabei häufig eine abstrakte Größe, da Hughes in sozialgeschichtlicher Tradition gesamtgesellschaftliche Phänomene und deren Dynamiken erkennen wollte. Das Modell des ?technologischen Momentums? ist jedoch von grundlegender Bedeutung, da es hilft, Dammbaustellen als Orte verdichteter gesellschaftlicher Mobilisierung durch Infrastrukturbau zu begreifen. Eine Darstellung der Vielschichtigkeit von Dammbauten auf verschiedenen Akteursebenen ist mit diesem Ansatz zwar nicht möglich. Das Modell geht mit den theoretischen Vorannahmen des technologischen Determinismus und sozialen Konstruktivismus an die Quellen heran anstatt darin die Akteure zu befragen, wie sie die sozialen und vor allem kulturellen Änderungen wahrnahmen und darauf reagierten. Allerdings begreift der Ansatz Dämme als gesellschaftliche Drehpunkte und impliziert so die wichtigen Fragen, wie die Idee des Dammbaus implementiert wurde und wie das technische Bauwerk auf die Gesellschaft wirkte. Es liegt dabei der Schluss nahe, dass örtliche Umsetzungen die mit dem Dammbau verbundene Ideenfindung in Planungsstäben und politischen Organen förderten, um sie auf andere örtliche Verhältnisse erneut zu übertragen. Eine Geschichte des Dammbaus muss also auf die örtlichen Gegebenheiten genauso einen Fokus legen wie auf die Ebenen der Ideenfindung und -etablierung. Dabei sollte, um die Frage nach der Wirkungsweise von Dämmen beantworten zu können, die Funktion von Technik weitergedacht werden. Ansätze, welche die Reichweite von Technik durch ihre religiösen Dimensionen, den Technikglauben und die Wirkung von Utopien verstehen wollen, sind dabei in gleichem Maß relevant wie wissensgeschichtliche Zugänge. Eine Vielzahl von Historikern hat, verstärkt seit den 1990er-Jahren, soziale Thematiken mit solchen der Umwelt- oder Naturbelastung verknüpft. Dammbauten als tiefgreifende Eingriffe in gesellschaftliche und biologische Lebenswelten boten sich hierbei als Untersuchungsgegenstand geradezu an. Andere Forscher gingen einen Schritt weiter und untersuchten durch Umweltgeschichten die Auswirkungen der veränderten Natur auf den Menschen und die Gesellschaft. Dabei schrieben sie der Natur selbst die Rolle des Akteurs zu. Die US-amerikanischen Historikerin Lorraine Daston und der argentinische Historiker Fernando Vidal brachten Letzteres auf die griffige Formel: 'Nature strikes back'. Häufig wird die Gegenoffensive der Natur im Kontext von Dammbauten durch Analysen der Diskurse aufgegriffen und wieder an die soziale Dimension des Problems rückgebunden. Die historische Arbeit an weiteren diskursiven Machtlegitimationen und Konflikten kann solche Leistungen gewinnbringend ergänzen und vervollständigen. Gerade die neue Entwicklung des Dammbaus, die entgegen aller durch die Bauwerke verursachten Umweltbelastungen vielerorts zu einer Sicht auf die Konstruktionen als umweltschonende und erfolgreiche Entwicklungsprojekte führt, wirft die Frage nach der Bildung des an Akteursgruppen gebundenen ?Dammbauimages? auf. In der Geschichte des Dammbaus wurden die Bauwerke auf verschiedene Weise neu erfunden. Nur ein breiterer Zugriff kann der Bildung dieser Vorstellungswelten gerecht werden. Die Fragen, in welchem Verhältnis Dammbauten zu Staatsbildungsprozessen stehen und wie durch die Konstruktionen staatliche Macht befördert wird, gehen auf Karl August Wittfogel zurück. Im Kontext des Ost-West-Konfliktes legte er 1957 in den USA ein seitdem wiederholt aufgegriffenes Erklärungsmodell vor. Sein wirkmächtiges Werk 'Oriental Despotism' beschreibt die bereits in der Studie 'Wirtschaft und Gesellschaft Chinas' (1931) vorgestellte Theorie der 'hydraulischen Gesellschaft'. Diese besagt, dass das Entstehen der antiken Hochkulturen von großen Strömen abhängig gewesen sei. Durch die Etablierung von Bürokratien und der damit einhergehenden Spezialisierung hätten die 'Zivilisationen' Flüsse regulieren können. Die daraus erwachsende Macht sei auf langlebige Verwaltungseliten übertragen worden. Aus der Erschaffung und Erhaltung andauernder Strukturen sei schließlich eine Verstetigung und Kumulation von Machtverhältnissen erwachsen, die in der 'hydraulischen Despotie' geendet hätten. Vorbedingung für diese Entwicklung sei die 'asiatische Produktionsweise' gewesen. Durch die Bindung der Theorie hauptsächlich an den chinesischen Fall ließ sich die Theorie lokal zuordnen: Aus der 'hydraulischen Despotie' werde schließlich eine 'orientalische'. Jedoch geht Wittfogel in seiner Theorie einerseits nicht weit genug, da er ?westliche Zivilisationen? nicht in die Analyse miteinbezog und so auf zeitgenössische rassistische Grundannahmen, die ?östlichen?, nicht ?weißen? Gemeinschaften bisweilen eine Unfähigkeit zur Entwicklung unterstellten, rekurriert. Andererseits pauschalisiert er die Ereignisse, wenn er 2500 Jahre Menschheitsgeschichte von den Pharaonen bis ins 20. Jahrhundert mit einer gleichbleibenden Annahme zu fassen sucht. Das Verdienst von Wittfogel liegt jedoch darin begründet, dass er auf bestimmte Machtstrukturen verweist, die aus der Regulierung von Flüssen entstehen können. Dammbauten nahmen dabei offenkundig eine wichtige Rolle ein, auch wenn sie im zeitlichen Kontext betrachtet werden sollten. Dazu verweist Wittfogel auf die konfliktreiche Konstellation von gesellschaftlicher Organisation und der Veränderung der Umwelt durch organisatorische und technische Mittel. Neuere Arbeiten greifen den Gedanken der durch Dämme ausgeübten staatlichen Macht auf und befassen sich mit verschieden gewichteten Dimensionen von Macht, die mit Staudämmen in Verbindung gebracht werden. Der Tübinger Osteuropahistoriker Klaus Gestwa etwa legte eindrucksvolle Arbeiten vor, in denen er den Technikkult und so auch die Inszenierung von Dammbauten in der Sowjetunion unter Stalin nach Herkunft, Intention sowie gesellschaftlicher und umwelthistorischer Wirkung analysiert. Technische Großplanung macht er darin für den Aufstieg und durch eine Fehleinschätzung und -planung der Folgen auch für den ?Untergang? der Sowjetunion verantwortlich. Andere Historiker legen einen stärkeren Fokus auf die symbolische Bedeutung von einzelnen Dammbauten. Allerdings bleibt ein Großteil dieser Arbeiten auf einen Damm beschränkt, sie analysieren dessen Bedeutung und begnügen sich mit fallspezifischen Zuschreibungen. Problematisch ist hierbei die fehlende Einordung in größere Kontexte, denn die symbolische Nationalisierung des Hoover-Dammes in den USA ist genauso wenig eine singuläre Geschichte wie die nationalstaatlichen Narrative beim Bau des Marathon-Dammes in Griechenland. Bestenfalls beantworten diese Studien die Frage danach, wie Symbole und nationalstaatliche Ideen beim Staudammbau zusammenliefen, fragen aber nicht weiter, warum dies geschah und welche Folgen diese Verbindung hatte. Für die US-amerikanische Historikerin Dorothy Zeisler-Vralsted nehmen Staudämme eine mittelnde Funktion ein, da sie an Flüsse gebundene Mythen im 20. Jahrhundert an Erzählungen des nation-building knüpfen würden. Der deutsche Historiker Ewald Blocher macht den Assuan-Damm in Ägypten in diesem Sinn zu einem Projekt des 'Wasserbau-Staates', dessen Werdungsprozess mit dem vollendeten Dammbau abgeschlossen worden sei. Diese Autoren weisen auf den wichtigen Umstand hin, dass Dammbau nicht nur ein örtlich gebundenes und zwischen verschiedenen Ebenen zirkulierendes Konzept war, sondern auch für die nationale Ebene Relevanz besaß und Symbole und Narrative darauf zielgerichtet wirkten. Allerdings wird in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass Staudämme ein Mittel der staatstragenden Eliten waren, um Krisen zu begegnen und alte Strukturen zu reformieren. Staudämme fungierten daher eher Mittel der nationalen Erneuerung als der Nationsbildung. Ebendiese Erneuerung wird von verschiedenen Autoren durch eine dammgetriebene Modernisierungsgeschichte erzählt. Der belgische Geograf Erik Swyngedouw schreibt eine spanische Geschichte der Wasserregulierung, indem er den Dammbau als Motor der Modernisierung begreift, dem sich der Staat bediente, ohne Rücksicht auf das Leid der Bevölkerung zu nehmen. Die aus dieser Strategie entwachsende Dynamik halte bis zum heutigen Tag an und sei ein bestimmendes Thema in der aktuellen spanischen Politik. Moderne wird bei solchen Ansätzen sowohl als bestimmte Zeitspanne als auch als ein Zustand gesellschaftlicher Existenz begriffen. Wirkmächtig in Bezug auf eine Geschichte von Großbauten ist diesbezüglich die Theorie des US-amerikanischen Politologen und Anthropologen James Scott, der in: 'Seeing Like a State. How Certain Schemes to Improve the Human Condition Have Failed' eine Geschichte des Scheiterns von ?hochmodernen? Staaten (ab dem Ersten Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre) vorlegte, die Modernisierungskampagnen starteten. Moderne sei nach Scott eine ?Ideologie? gewesen, basierend auf einem unkritischen Glauben an die Wissenschaft und Technik, die zu den Umgestaltungsmaßnahmen geführt habe. Der hochmoderne Staat habe danach gestrebt, die bisher nicht erfasste Gesellschaft zu 'lesen' und sie zu erfassen, um sie strukturieren und (be)steuern zu können. Großprojekte hätten dabei als Versuche umfassender Veränderung eine Schlüsselrolle besessen. Auch wenn Scotts Ansatz der ?Lesbarmachung? durchaus überzeugend wirkt, leidet die Studie vor allem unter dem Anspruch ihrer Universalität - am Ende erscheint jede größere technische Entwicklung des vergangenen Jahrhunderts als ?hochmodern?, wobei der Begriff als solcher dabei kaum definiert wird. Der US-amerikanische Afrikahistoriker Frederick Cooper bietet einen Ausweg aus der Vielzahl von nebeneinander und gegeneinander stehenden Modernekonzepten. Er verweist darauf, dass ?modern? kein einheitliches Phänomen, sondern in sich widersprüchlich, kreativ, kritisch und subjektiv sei, und fordert, zur genaueren Analyse von Konflikten und Machtstrukturen den Fokus auf die Akteure und Diskurse zu richten. Die wertvollen Überlegungen der Moderneforschung werden in dieser Studie aufgegriffen und ausgeweitet, indem der Ansatz von Scott mit dem von Cooper in Verbindung gebracht werden soll. Die von Cooper vorgeschlagene Herangehensweise bietet den Vorteil, den Diskurs jenseits des Staates zu betrachten und dabei seine Rahmenvorgaben oder ihn tragende wirkmächtige Akteure in die Untersuchung miteinbeziehen zu können. Gleichwohl handelt es sich bei dem Staudammbau um staatlich forcierte Projekte und Scotts Periodisierung der ?Hochmoderne? überschneidet die Hochphase des Staudammbaus, die hier untersucht werden wird. Moderne ist dabei schließlich ein Containerbegriff, der verschiedene Konzepte wie Entwicklung, Fortschritt und Elektrifizierung fasst, die wiederum Machtansprüche in sich tragen, die sich aber nicht selbst legitimieren, sondern diskursiv ausgehandelt werden müssen. Aus den skizzierten Forschungslücken ergibt sich folgende Leitfrage der vorliegenden Arbeit: Wie wurden durch Staudämme Herrschaft und Macht konstruiert? Wie etablierte sich die Idee des Dammbaus im 20. Jahrhundert, wie wurde sie mit der Legitimation von Herrschaft verknüpft und wie wurde Macht am Ort des Dammbaus ausgehandelt? Bevor eine Struktur zur Beantwortung dieser Fragestellungen ausgearbeitet wird, soll ein Schritt zurückgegangen werden, um zu fragen, was ein Staudamm überhaupt ist.
Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Geographie - Wirtschaftsgeographie - politische Geografie

Landschaftsformen

E-Book Landschaftsformen
Unsere Erde im Wandel - den gestaltenden Kräften auf der Spur Format: PDF

Wie entstehen Gebirge, Wüsten, Gletscher oder Vulkane? Welche Naturkräfte haben den beeindruckenden Grand Canyon geschaffen? So vielfältig wie das Gesicht der Erde sind die Antworten in diesem…

Landschaftsformen

E-Book Landschaftsformen
Unsere Erde im Wandel - den gestaltenden Kräften auf der Spur Format: PDF

Wie entstehen Gebirge, Wüsten, Gletscher oder Vulkane? Welche Naturkräfte haben den beeindruckenden Grand Canyon geschaffen? So vielfältig wie das Gesicht der Erde sind die Antworten in diesem…

Alle, nicht jeder

E-Book Alle, nicht jeder
Einführung in die Methoden der Demoskopie Format: PDF

Allein mit der Beobachtungsgabe können wir die soziale Wi- lichkeit nicht wahrnehmen. Wir müssen uns mit Geräten aus- sten, die unsere natürlichen Fähigkeiten verstärken, so wie es für die…

Alle, nicht jeder

E-Book Alle, nicht jeder
Einführung in die Methoden der Demoskopie Format: PDF

Allein mit der Beobachtungsgabe können wir die soziale Wi- lichkeit nicht wahrnehmen. Wir müssen uns mit Geräten aus- sten, die unsere natürlichen Fähigkeiten verstärken, so wie es für die…

Freiraum und Naturschutz

E-Book Freiraum und Naturschutz
Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft Format: PDF

Flächenverbrauch sowie Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft führen für viele Tier- und Pflanzenarten zu einschneidenden Konsequenzen. Erhöhte Mortalität, Dezimierung von Lebensräumen,…

Freiraum und Naturschutz

E-Book Freiraum und Naturschutz
Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft Format: PDF

Flächenverbrauch sowie Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft führen für viele Tier- und Pflanzenarten zu einschneidenden Konsequenzen. Erhöhte Mortalität, Dezimierung von Lebensräumen,…

Freiraum und Naturschutz

E-Book Freiraum und Naturschutz
Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft Format: PDF

Flächenverbrauch sowie Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft führen für viele Tier- und Pflanzenarten zu einschneidenden Konsequenzen. Erhöhte Mortalität, Dezimierung von Lebensräumen,…

Freiraum und Naturschutz

E-Book Freiraum und Naturschutz
Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft Format: PDF

Flächenverbrauch sowie Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft führen für viele Tier- und Pflanzenarten zu einschneidenden Konsequenzen. Erhöhte Mortalität, Dezimierung von Lebensräumen,…

Wissen Hoch 12

E-Book Wissen Hoch 12
Ergebnisse und Trends in Forschung und Technik Chronik der Wissenschaft 2006 mit einem Ausblick auf das Jahr 2007 Format: PDF

Welche Themen bewegten die Welt der Wissenschaft im Jahr 2006? Meilensteine und heiße Diskussionen. Anschaulich, verständlich und übersichtlich ist dieser Überblick über die spannendsten Themen und…

Wissen Hoch 12

E-Book Wissen Hoch 12
Ergebnisse und Trends in Forschung und Technik Chronik der Wissenschaft 2006 mit einem Ausblick auf das Jahr 2007 Format: PDF

Welche Themen bewegten die Welt der Wissenschaft im Jahr 2006? Meilensteine und heiße Diskussionen. Anschaulich, verständlich und übersichtlich ist dieser Überblick über die spannendsten Themen und…

Weitere Zeitschriften

Augenblick mal

Augenblick mal

Die Zeitschrift mit den guten Nachrichten "Augenblick mal" ist eine Zeitschrift, die in aktuellen Berichten, Interviews und Reportagen die biblische Botschaft und den christlichen Glauben ...

Computerwoche

Computerwoche

Die COMPUTERWOCHE berichtet schnell und detailliert über alle Belange der Informations- und Kommunikationstechnik in Unternehmen – über Trends, neue Technologien, Produkte und Märkte. IT-Manager ...

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg) ist das offizielle Verbandsorgan des Württembergischen Landessportbund e.V. (WLSB) und Informationsmagazin für alle im Sport organisierten Mitglieder in Württemberg. ...

ea evangelische aspekte

ea evangelische aspekte

evangelische Beiträge zum Leben in Kirche und Gesellschaft Die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ist Herausgeberin der Zeitschrift evangelische aspekte Sie erscheint viermal im Jahr. In ...