In diesem Kapitel geht es um die verschiedenen Erzählstrukturen in Unternehmensfilmen. Das heißt, wie gelingt es den Filmemachern bzw. den Unternehmen ihre Botschaften in eine logische und interessante Handlung zu verpacken. Der Begriff Handlung bezieht sich dabei nicht zwangsläufig auf das Erzählen einer Geschichte wie man es aus dem klassischen Spielfilm kennt, sondern kann auch durch andere Elemente z.B. Grafiken oder Animationen erreicht werden. Übergeordnet wird auch der Frage nachgegangen ob, bzw. in wie weit sich die Erzählweise im Unternehmensfilm im Laufe der Zeit verändert hat. Welche Einflüsse aus dem Kinofilm, Dokumentarfilm oder Musikvideo beeinflussen den Unternehmensfilm? Diese und andere Fragen werden in Kapitel zwei beantwortet.
Die frühen Industriefilme waren, wie bereits erwähnt, oft Auftragsproduktionen für große Konzerne. Den Auftraggebern ging es meist darum, ihre komplexen Fertigungsabläufe sowie die entstehenden Produkte zu zeigen. Zudem sollte durch eine ansprechende Präsentation des Unternehmens im Film ein Imagegewinn erreicht werden. Der Managementfilm, der später folgte, hatte wie eben gehört, etwas andere Ziele. Ich möchte deswegen noch einmal kurz zurückgehen zum klassischen Industriefilm. Anhand des Films Philips Radio zeigt sich ein typischer Handlungsablauf eines frühen Industriefilms. Der Film Philips Radio entstand 1931 und wurde von Joris Ivens für den niederländischen Konzern Philips umgesetzt. Das Ziel des Unternehmens war, die komplexe Fertigung der Philips Radios zu zeigen. Die Struktur des Films orientiert sich dabei an der Arbeitsstruktur im Industriekonzern. Die hohe Rationalität in den Fertigungshallen von Philips drückt sich darin aus, dass die Herstellung der Radios ausdifferenziert wurde. Die Herstellung des Radios wurde in Teilprozesse zerlegt, die jeweils von Spezialisten erledigt werden. Die Produktion der Radios läuft also nicht in einem linearen Prozess ab, sondern ist aufgegliedert in komplexe Teilbereiche. So lässt sich individuelle Fachkompetenz optimal nutzen und die Produktion optimieren. Genau dieser Logik folgt auch der Film in seiner Handlung bzw. Struktur. Es wird nicht der lineare Prozess der Herstellung gezeigt, also wie entsteht nach und nach aus Einzelkomponenten ein fertiges Radio, sondern der ausdifferenzierte hochspezialisierte Fertigungsprozess. Schwerpunkte des Films sind: Die Arbeit des Glasbläsers, die Feinarbeit beim Zusammenbau der Glühlampen, die Präzision bei der Verschweißung, die akkurate Qualitätskontrolle.[34] Joris Ivens hat versucht, die hohe Komplexität der gesamten Produktionskette zum Ausdruck zu bringen. Dafür opfert er die lineare Aufzählung eines Produktionsablaufs. Diese Herangehensweise findet sich in vielen Industriefilmen der damaligen Zeit und zum Teil auch heute noch. DasPublikum und die Reaktionen der Presse waren jedoch zweigeteilt. So lautete etwa eine Pressereaktion „too fragmentarly".[35] Ivens erhielt zwar Lob für die fotografische Qualität seines Films, doch bei der Handlung und Struktur des Films gab es Bedenken. Anders sah das die Firma Philips. Ihre Reaktion lautete: „a good modern film".[36] Doch scheinbar war auch Ivens nicht ganz von seinem Film überzeugt. Jahre später sagte er, Restriktionen von Philips haben ihn bei der Struktur des Films beeinflusst. Er versuchte auch, eine Anlehnung seines Films an das Werk Modern Times von Chaplin herzustellen. [37] Diese Verbindung scheint jedoch weit hergeholt, da Chaplin vor allem die Auswirkungen der Fließbandarbeit kritisch betrachtet. Eine derartige Auseinandersetzung gibt es im Film von Ivens nicht. Weder wird die Situation der Arbeiter näher beleuchtet, noch die Auswirkungen eines nach Produktivitätskriterien optimierten Arbeitsablauf auf die sozialen Gefüge im Unternehmen. Der Film lebt durch die sichtbare Faszination für die Geräte, insbesondere die Faszination für die HighTech-Produktion. Dieser Umstand ist durchaus legitim, da der Film konsequent das Funktionsprinzip eines High-Tech Elektrokonzerns filmisch umsetzt. Der Film von Ivens ist dabei nicht nur auf visueller Ebene in Fragmente zerteilt sondern auch auf der Tonebene. Ohne erklärenden Kommentar besteht der Soundtrack des Films aus Fragmenten von Musik, Geräuschen und Sprachfetzen. Die Fragmentierung der Handlung ist also ein typisches Erzählmuster früher Industriefilme.
Mittlerweile sind die Handlungsabläufe und auch die gesamte Machart von Unternehmensfilmen wesentlich vielschichtiger geworden. „Storytelling gilt heute den meisten Unternehmen als Kernstück ihrer Repräsentationskultur. Mit dem Erzählen von Geschichten betreiben Unternehmen Markenkommunikation und versuchen, sich mit Markenstories konkurrenzstrategische Vorteile zu verschaffen".[38] Die gesellschaftliche- und wirtschaftliche Entwicklung hin zu einer globalisierten Welt hat auch Einfluss auf die Unternehmens- bzw. Imagefilme genommen. Unternehmen treten heute als Global Player auf und müssen diesem Anspruch auch in ihren Filmen gerecht werden. Reichert sagt dazu, Unternehmen müssen ihre Erzählungen auf „universell gültige Sujets und interkulturelle Motive, Bilder und Werte erweitern".[39]
„ What is necessary in sensemaking is a goo story”
Doch nicht nur durch die Globalisierung haben sich die Unternehmensfilme im Vergleich zu den 50er und 60er Jahren geändert. Auch die Entwicklung im Bereich Markenkommunikation hat daran wesentlichen Einfluss. Es geht nicht mehr darum, rationale Argumente oder Produkteigenschaften zu vermitteln, sondern zielgruppenspezifische Identitätswelten zu schaffen. Die Unternehmen wollen also den Zuschauern nicht mehr Fakten über z.B. die Produktion eines Radios näherbringen, sondern ihn für die eigene Unternehmenswelt begeistern. Die angesprochene Zielgruppe soll Teil des Unternehmens werden, sie soll sich zugehörig fühlen. Deswegen sind Unternehmen heutzutage an Medienformaten interessiert, die für Crosspublishing geeignet sind. So werden heute „Handy- Commercials wie Musikclips und Imagefilme wie Action-Blockbuster gedreht".[40] Insgesamt haben sich in Imagefilmen die visuellen Codes des Kinos durchgesetzt. Aus Sicht der Unternehmen durchaus verständlich. Das kommerzielle Kino steht für ein Medienformat, das weltweit rezipiert wird und über eine global verständliche Bildsprache verfügt. Diese Mischung aus Erzählen (die Geschichte bzw. Handlung) und erzählendem Medium (das Kino) ist für Unternehmensstrategien besonders interessant. Ähnlich wie HollywoodBlockbuster wollen global agierende Unternehmen mit ihren Imagefilmen weltweit präsent sein und auch weltweit verstanden werden. So liegt es nahe, dass sich Imagefilme an die filmische Strategie, die Erzählfiguren oder die Rhetorik der Populärkultur anlehnen. Die öffentliche Wahrnehmung und der Wiedererkennungswert der Marke werden so gesteigert. Durch das Einbetten des Corporate Images in einen etablierten Filmtypus soll die mediale Aufmerksamkeit für die eigene Marke gesteigert werden.[41]
Nachfolgend möchte ich anhand von zwei Beispielen zeigen wie es gelingen kann, durch raffiniertes Storytelling mit Stilmitteln des Kinos einen modernen Imagefilm zu inszenieren. Zum einen handelt es sich dabei um die BMW Filmreihe The Hire aus dem Jahre 2001, zum anderen um die aktuelle 2009er Kampagne Soundcheck von Opel. BMW erstellte im Rahmen der Hire-Kampagne mehrere Imageclips bzw. Kurzfilme. Mit dem Opel Soundcheck soll die Markteinführung des neuen Astra begleitet werden. Er ist ähnlich angelegt wie ein Kinotrailer, nur dass er keinen kommenden Kinofilm bewirbt, sondern ein neues Auto. Zwei Varianten des Spots gibt es: Eine dreiminutige Online-Variante und einen zweiminutigen TV- und Kinospot.[42]
Zur Handlung von Soundcheck
Die Filmhandlung entspricht der eines Action-Films. Drei Protagonisten versuchen den Coup ihres Lebens zu landen. Sie alle sind Spione, die versuchen an geheime Unterlagen eines Casino Besitzers heranzukommen. Nachfolgend beziehe ich mich auf die dreiminutige Online-Fassung des Spots. Die Kino- und TV-Variante beträgt nur zwei Minuten und ist etwas anders aufgebaut.
Zu Beginn des Films wird kurz der wichtigste Handlungsort, das Casino, vorgestellt. Anschließend erhalten die drei Protagonisten einen Anruf mit dem Hinweis sich für den Coup bereit zu machen. Bereits zu Beginn gibt es ausgedehnte Fahrszenen, die das Auto von allen Seiten zeigen. Kurz bevor die weibliche Hauptdarstellerin am Zielort eintrifft, zeigt sich auch das Objekt der Begierde. In einem separaten Raum, der durch Bewegungsmelder und Laser geschützt ist, bewahrt der Casino-Besitzer die geheimen Dokumente auf. In der Parallelhandlung liefern sich die beiden männlichen Spione eine Verfolgungsjagd. Dabei werden verschiedene Funktionen des neuen Astra gezeigt und auch als Text-Inserts eingeblendet. Bei einem inszenierten Zusammenstoß mit dem Casino-Chef verpasst ihm die Spionin eine kleine Kamera. So können ihre beiden Komplizen im Opel Astra mit Hilfe eines Laptops, jederzeit das sehen, was auch der Casino-Chef sieht. Mit Hilfe einer ferngesteuerten Kamera und dem Blick des Casino-Besitzers gelingt es den Spionen dann, im Auto sitzend mit einem Laptop die Alarmanlage zu deaktivieren und die geheimen...