2 Führungsorganisation von Krankenhäusern im Wandel – organisatorische Perspektiven und personelle Implikationen
Sylvia Schafmeister
2.1 Einführung
Die Eigentümerstruktur von Krankenhäusern in Deutschland hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten nachhaltig verändert. Dominierten im Jahr 1991 noch öffentliche Träger mit einem Anteil von 46 % des deutschen Krankenhausmarktes, hat sich dieses Übergewicht zu Gunsten der privaten Träger auf gerade noch 30 % im Jahr 2011 reduziert. Aktuell verteilt sich der deutsche Krankenhausmarkt auf öffentliche Träger mit 30 %, freigemeinnützige Träger mit 37 % und private Träger mit 34 % (Statistisches Bundesamt 2013, S. 9; S. 14).
Seit 2002 wird vom Statistischen Bundesamt auch die gesellschaftsrechtliche Gestaltungsform der Krankenhäuser erhoben. Demnach ist zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Rechtsformen zu unterscheiden. Sowohl private als auch freigemeinnützige Träger können ausschließlich privatrechtliche Rechtsformen zur Anwendung bringen. Öffentlich-rechtliche Träger haben jedoch ein Wahlrecht.
Es zeigt sich, dass im dokumentierten Zeitraum ab 2002 öffentlich-rechtliche Träger zunehmend ihre Krankenhäuser einer privatrechtlichen Rechtsform zuführen: der Anteil steigt von 28,2 % im Jahr 2002 auf 56,8 % im Jahr 2011. Auch innerhalb der öffentlich-rechtlichen Rechtsformen steigt die Bedeutung der rechtlich selbständigen Rechtsformen von 14,8 % im Jahr 2002 auf 23,0 % im Jahr 2011 (ebd.).
Es haben sich somit in Deutschland in den letzten 20 Jahren nicht nur die Eigentümerstrukturen zugunsten der privaten Träger verändert, sondern auch die gesellschaftsrechtliche Gestaltung als konstitutives Merkmal der Unternehmensführung und Führungsorganisation: im Jahr 2011 befinden sich gerade einmal noch 114 Krankenhäuser in einer öffentlich-rechtlichen Rechtsform mit rechtlicher Unselbständigkeit. Dies entspricht bezogen auf den gesamten deutschen Krankenhausmarkt gerade noch einem Anteil von 5 % (ebd.)!
Die skizzierten Veränderungen der Eigentümer- und Rechtsformstrukturen von Krankenhäusern in Deutschland zeigen, dass die seit den 1990er Jahren politisch eingeleitete Ökonomisierung der Krankenhäuser nicht nur zu einer Privatisierungswelle geführt hat, sondern ebenso den Druck auf eine gesellschaftsrechtliche Konstruktion erhöht hat, welche den dynamischen Marktbedingungen eher gerecht wird und dem Management eine größere Flexibilität zugesteht. Hieraus resultiert die Fragestellung, inwieweit sich die internen Führungsstrukturen der Krankenhäuser ebenfalls geändert haben.
Der folgende Beitrag stellt die aktuellen Führungsorganisationsmodelle in deutschen Krankenhäusern dar und widmet sich der Frage, welche organisatorischen und personellen Implikationen diese beinhalten. Zum Weiteren wird dargestellt, welche Führungsqualifikationen aktuell im Management deutscher Krankenhäuser überwiegen. Im Anschluss wird diskutiert, wie eine effektive zukünftige Führungsorganisation des Krankenhauses aussehen könnte und welche personellen Anforderungen hieraus resultieren.
2.2 Basismodelle der Führungsorganisation in deutschen Krankenhäusern
Die unternehmensinterne Organisationsgestaltung lässt sich differenzieren zwischen der Aufgabenteilung nach Verrichtung oder Funktionen und der Aufgabenteilung nach Objekten (vgl. Steinmann, Schreyögg 1997, S. 396 ff.). Bei der im Krankenhaus vorherrschenden verrichtungsorientierten Aufgabenteilung werden alle gleichartigen Verrichtungen zusammengefasst, um Spezialisierungs- und Kompetenzvorteile und hieraus Synergievorteile zu erzielen. Eine funktionale Organisation entsteht, wenn die zweithöchste Hierarchieebene eines Unternehmens nach Funktionen gegliedert ist, sodass innerhalb der Unternehmenseinheiten (Bereiche, Abteilungen) alle gleichartigen Verrichtungen gebündelt werden. Im Allgemeinen sind Funktionalorganisationen entlang des Wertschöpfungsprozesses gegliedert, also Beschaffung, Produktion, Absatz/Vertrieb sowie weitere Ergänzungen mit unterstützenden Querschnittfunktionen, wie z. B. Personal, Logistik, Controlling, Marketing, Finanzen.
Voraussetzung dieser Organisationsgestaltung sind homogene Märkte und ein stabiles Umfeld. Je dynamischer und turbulenter das Marktumfeld sich gestaltet, je diversifizierter das Produkt- und Leistungsprogramm des Unternehmens wird, umso mehr entstehen Schnittstellen im Unternehmen, die über die funktionsorientierte Gestaltung immer weniger effektiv und effizient zu gestalten sind.
Die Führungsorganisation von Krankenhäusern kann als funktional ausgerichtete Expertenorganisation bezeichnet werden. Nach Schmidt-Rettig sind »Expertenorganisationen (…) dahingehend gekennzeichnet, dass der einzelne Mitarbeiter infolge seines qualitativ hochwertigen individuellen Fachwissens als sogenannter Experte auch eine hohe Handlungsautonomie hat, wobei sein großes fachliches Spezialwissen Voraussetzung für die Ausübung seiner Expertentätigkeit ist« (Schmidt-Rettig 2008, S. 219).
Aufbauorganisatorisch schlägt sich die Expertenorganisation im Krankenhaus in der tradierten berufsständisch ausgerichteten Funktionalorganisation nieder, welche die Hauptgliederung der Aufgaben nach den Verrichtungen der Berufsgruppen systematisiert. Klassischerweise gliedert sich die Führungsorganisation in drei voneinander getrennten Expertensäulen: Ärztlicher Dienst, Pflegedienst und Verwaltungsdienst (zu verschiedenen Modellen der Krankenhausleitungsstruktur vgl. ebd., S. 228 ff.).
Abb. 2.1: Traditionelles berufsständisches Kollegialorgan als Leitungsorgan Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an v. Werder (2008), S. 180; Schmitt-Rettig (2008), S. 229.
Historisch gewachsen folgte daraus eine führungsorganisatorische Gestaltung, welche in deutschen Krankenhäusern für die erste Hierarchieebene des Top-Managements ein Kollegialorgan dieser drei Berufsgruppen normiert. Die berufsständischen Schnittstellen der Führungsorganisation finden sich in separaten Informations- und Kommunikationskanälen wieder, die selbst im Stationsablauf häufig nicht überwunden werden können.
Führungsorganisatorisch problematisch ist es, wenn die einzelnen Expertengruppen sich »stärker mit ihrer Profession identifizieren und sich auch nur ihr gegenüber verantwortlich fühlen, zum Teil ohne Rücksicht, oft sogar im Gegensatz zu den Interessen und Belangen der Gesamtorganisation« (ebd., S. 220). Eine Abstrahierung der eigenen berufsständischen Interessen zu Gunsten der Gesamtorganisation im Kollegialorgan wird strukturell dadurch erschwert, dass insbesondere der Ärztliche Direktor mehrere Rollen inne hat: Er vertritt die medizinischen Gesamtinteressen im Leitungsorgan, gleichzeitig ist er selbst unmittelbar Teil des medizinischen Leistungsprozesses, in dem er einer Klinik organisatorisch als Chefarzt vorsteht und selbst weiterhin als Leitender Arzt in der direkten Patientenversorgung tätig ist (vgl. hierzu auch Akbulut u. a. 2010, S. 547 f.). Zwar wirkt die Pflegedienstleitung nicht mehr selbst in der Patientenversorgung mit, sie ist jedoch als organisatorische Leitung des Pflegedienstes zusätzlich für die fachliche Leitung der pflegerischen Prozesse und Sicherung der Pflegequalität im Krankenhaus zuständig (vgl. hierzu auch Lieb 2010, S. 150 f.).
Das berufsständische Kollegialorgan kann als traditionelles Modell der Führungsorganisation in deutschen Krankenhäusern beschrieben werden.
Die seit den 1990er Jahren in Deutschland vollzogene Ökonomisierung des Gesundheitswesens2 führte zu einem Paradigmenwechsel in der unternehmensstrategischen Ausrichtung mit nachhaltigen Auswirkungen auf Führungserwartungen. Die Dominanz medizinisch-pflegerischer Zielsetzungen wurde zu Gunsten einer wirtschaftlichen Betriebsführung zurückgedrängt. Selbst öffentliche und freigemeinnützige Krankenhäuser, welche keiner erwerbswirtschaftlichen Zielsetzungen unterliegen, mussten sich für eine wirtschaftliche Betriebsführung strategisch neu ausrichten und in ihren Führungs- und Entscheidungsstrukturen effektiver und effizienter werden.
Empirisch lassen sich mit der wachsenden Durchdringung von privatrechtlichen Rechtsformen, insbesondere der GmbH, neben dem traditionellen Kollegialorgan Fallbeispiele für neue führungsorganisatorische Gestaltungen des Top-Managements finden:
Einzel-Leitungsorgan in Form von Allein-Geschäftsführern oder Geschäftsleitern
Das Einzel-Leitungsorgan hat den großen Vorteil, dass Entscheidungen schneller getroffen werden können und ausschließlich an den...