30 Jahre familienorientierte Hilfen in Heidelberg – eine Entdeckungsreise zu den Ressourcen der Familie
30 Jahre ist es her, da schlossen sich in Heidelberg die Jugendämter der Stadt Heidelberg, des Rhein-Neckar-Kreises und die Fachhochschule für Sozialwesen der Stiftung Rehabilitation zusammen, um Hilfen für Familien zu entwickeln und zu erproben. Anlass war die im Rahmen der Jugendhilferechtsreform anstehende Diskussion um die stärkere Beachtung der familienorientierten Hilfen.
So entstand im Laufe von 30 Jahren das Heidelberger Modell der Sozialpädagogischen Familien- und Erziehungshilfe, das seiner hohen Effizienz wegen immer mehr Anhänger findet.
Das SGB VIII gibt den familienunterstützenden und familienergänzenden Hilfen eindeutigen Vorrang vor den familienersetzenden Hilfen. Das beruht auf einem Einstellungswandel, der überfällig war – denn die Familie ist die »Keimzelle« der Gesellschaft. Sie bietet das Fundament für den Erhalt der Gesellschaft. Hier werden die Werte vermittelt für das Zusammenleben, für Miteinander oder Gegeneinander, für konstruktives oder destruktives Verhalten, für Motivation oder Interessenlosigkeit.
Wer vermittelt der jungen Generation die Werte, die für das Wie und für das Ob des Weiterbestehens einer humanen Gesellschaft entscheidend sind? Kann diese Aufgabe den Eltern alleine überlassen werden oder brauchen sie Hilfe und Unterstützung bei dieser bedeutenden und spannenden Aufgabe?
In vielen Familien sind genügend Ressourcen und Fähigkeiten vorhanden, um den Alltag auch für die Kinder »familiengerecht« zu gestalten. Aber nicht immer schaffen es die Eltern alleine.
Welche Hilfen brauchen sie?
Sie brauchen die Hilfe der gesamten Gesellschaft, sie brauchen Mit-Menschen, die durch Vorbild und Liebe den Erziehungsprozess begleiten, das Hineinwachsen der jungen Generation in diese Welt – sie brauchen uns alle! Besonders aber sind die Kräfte gefragt, die in pädagogischen Bereichen jedweder Provenienz tätig sind.
Sozialpädagogische Familienhilfe ist nicht das Produkt von »Machen«, sondern von »Zulassen« dessen, was vorhanden ist, denn jeder Mensch ist etwas Einzigartiges und Besonderes. Die Frage ist, welche Hilfestellung können wir leisten, damit das Einzigartige zur Entfaltung kommen kann.
Was also können wir dazu beitragen, dass die Eltern ihre verantwortungsvolle Aufgabe auch erfüllen können? Eltern brauchen mit unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichen Formen Begleitung und Unterstützung bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe.
Das SGB VIII bietet »Hilfen zur Erziehung« an. Die gesetzlichen Grundlagen stehen fest, aber ihre Ausfüllung bedarf der Interpretation und vor allen Dingen der Mit-Menschlichkeit und des Verantwortungsbewusstseins der »Beauftragten«.
Gegenüber den familienersetzenden Hilfen sparen die familienunterstützenden Hilfen in der Tat Kosten und das ist auch nicht unwichtig bei der heutigen Finanzlage. Aber sie sparen nicht nur Kosten, sondern sie fördern auch das Verantwortungsbewusstsein und das Engagement der Eltern. Sie bieten bei richtiger Handhabung die Chance, »den Eltern zu helfen gute Eltern zu sein«.
Die Erfahrung mit diesen Hilfen zeigt erfreulicherweise, dass – fast – alle Eltern gute Eltern sein wollen. Viele Eltern schaffen es aber nicht alleine, weil sie in ihrer Kindheit und Jugend nie erfahren haben, wie man das macht. Hier gilt es, die Lernbereitschaft der Eltern zu wecken und ihre vorhandene Liebe zu den Kindern in Handeln umzusetzen.
Um unsere Zukunft und vor allen Dingen die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen zu sichern, müssen wir über den Tellerrand des Eigeninteresses hinausschauen und zur Kenntnis nehmen, dass die Zeit reif ist! Wir müssen gemeinsam handeln mit Politikern, Schulen, Jugendhilfe und im Gemeinwesen engagierten – ehrenamtlichen – Kräften, mit Vereinen und anderen Gruppierungen. Ziel ist die Integration von Eltern, Kindern und Jugendlichen in das Gemeinwesen. Voraussetzung dafür ist das Entdecken und Fördern ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Wir müssen unsere fachliche Kompetenz, unser Knowhow, austauschen, bündeln und umsetzen. Wir müssen aber auch unternehmerisch, d. h. kostenbewusst, handeln, und wir müssen auch – und nicht zuletzt – politisch denken.
Dann wird mit unserer vor Ort gesammelten Erfahrung die Familienpolitik in die richtige Richtung gehen.
Alle in den familienorientierten Hilfen Engagierten sind in herausragender Weise Gestalter und Erhalter der Zukunft. Deshalb sollten wir nicht zu bescheiden sein, unsere Aufgabe darzustellen und zu vertreten. Aber wir sollten es gemeinsam tun! Nur im Miteinander sind wir stark. Kooperation statt Konkurrenz, das muss die Devise sein!
Die theoretischen Grundlagen und die in vielen Jahren entwickelten Grundsätze und Methoden des Heidelberger Modells haben sich in der Praxis bewährt. Sie finden in der Sozialpädagogischen Familienhilfe und in der Familienorientierten Schülerhilfe ihre Praktische Umsetzung.
Aufgabe der Sozialpädagogischen Familien- und Erziehungshilfe ist es nicht nur, verschüttete Ressourcen und Fähigkeiten zu entdecken, sondern auch – und besonders – die Zielorientierung der Ressourcen und Fähigkeiten zu verändern: weg von Ausgrenzung und Isolation, hin zur Integration.
Dies muss mit sehr viel Einfühlungsvermögen und Geduld geschehen, denn diese Veränderungen sind nur dauerhaft, wenn sie nicht nur auf Druck von außen beruhen, sondern auf der – gemeinsam erarbeiteten – Erkenntnis über die Attraktivität der »neuen« Ziele. Das gilt sowohl für Ziele, die sich der Einzelne setzt, als auch für Ziele, die sich die Familie gemeinsam z. B. im Selbsthilfeplan setzt.
Die Netzwerkintervention und die Soziotop-Analyse (Rothe 2013, 7. Auflage, Seite 68ff.) sind hervorragende Mittel zum Entdecken von Ressourcen und Fähigkeiten und für das Einbeziehen von »Verbündeten«, die in der Lage sind, verschüttete oder fehlgeleitete Ressourcen und Fähigkeiten der Familie zu ergänzen und zu aktivieren. Die Verbündeten werden in die Planung einbezogen und erhalten einen Platz im Selbsthilfeplan. Die Ziele der Familie können nicht im Schnellverfahren umprogrammiert werden. Hierzu bedarf es der auf einer Einstellungsänderung basierenden Einsicht. Die Ziele sollten sich immer an dem orientieren, was für die Familie einen hohen Wert darstellt, also an dem, was auch bisher Motivation zum Handeln war.
Eine von außen aufgegebene Zielsetzung, die zudem noch im Gegensatz steht zu den Werten und Zielen der Ursprungsfamilie, der Jetzt-Familie und/oder des sozialen Umfel des, legt nicht genügend Selbsthilfekräfte frei, um sie später auch ohne Begleitung weiterzuverfolgen.
Viele Ressourcen, Fähigkeiten und Aktivitäten von Familienmitgliedern gehen ohne böse Absicht, aber durch Unerfahrenheit oder in Unkenntnis des »richtigen Weges« in falsche Kanäle. Diese falschen Kanäle sind regelrechte »Ressourcenschlucker«. Das »Recycling« ist – wenn überhaupt – nur mit viel Einfühlungsvermögen und nur langfristig möglich. Eine fachlich noch so »abgesicherte« Hilfe unter Zeitdruck kann enorme Folgekosten verursachen, weil sie eine Lösung des Problems nur vorgaukelt. Je länger der »Ressourcenschlucker« schon in Aktion ist, je länger die in die Isolation führenden Verhaltensweisen schon praktiziert werden, umso länger dauern die Verhaltensänderungen.
»Powern« bringt nur kurzfristige, situative Veränderungen, aber keine Einstellungsänderungen. Diese sind aber unabdingbar, wenn langfristige »Erfolge« erzielt werden sollen. Alles andere ist nur ein »Aufschub«, der vorgibt, es sei eine Lösung gefunden. Weder das Problem noch die Kosten sind dadurch auf Dauer »bereinigt«. Ein orientalisches Sprichwort sagt: »Alte Gewohnheiten sollte man nicht zum Fenster hinauswerfen, sondern wie gute Bekannte langsam zur Türe hinausgeleiten«.
Der Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshelfer ist Wegbegleiter bei der Alltagsbewältigung und Integration
Der Bedeutung der Alltagsbewältigung als Voraussetzung für eine dauerhafte Integration wurde bisher zu wenig Beachtung geschenkt. Keine noch so fundierte Beratung kann auf die Alltagsbewältigung als Voraussetzung für die Umfeld-Akzeptanz und Integration verzichten. Die »logische Kette« ist relativ simpel und an einem Beispiel zu verdeutlichen:
Die Kinder dürfen bei der Integration nicht durch mangelnde Körperhygiene oder ungepflegte Kleidung erheblich von den anderen abweichen. Eine gelingende Integration geht immer mit Akzeptanz der Person einher. Weil Kinder allein durch die äußeren Umstände schon sehr früh Ablehnung erfahren, haben sie später häufig den ganzen Tag ihren Radar eingeschaltet »Wer will mir was …«. Dieser Radar verhindert jede natürliche Kommunikation, fördert die Aggression und führt so ohne jedes weitere Zutun zu Isolation und Ausgrenzung. Damit schließt sich, wegen mangelnder Fähigkeit der Eltern, den Alltag zu bewältigen, ein schwer zu durchbrechender Teufelskreis. Die nicht beherrschte Alltagsbewältigung der Eltern, die dadurch erzeugte Ablehnung und mangelnde Bestätigung führen zum grundsätzlichen Kampf gegen die als feindlich erlebte Umwelt. Der Ursprung dieser Ablehnung wird häufig später nicht mehr erkannt. Oft werden die Folgen bearbeitet mit teuren sozialarbeiterischen oder psychologischen und/oder strafrechtlichen Mitteln, ohne dass die einfache Verursachung...