1 Eine Topografie der Krankenhauslandschaft
1.1 Dauerbaustelle Krankenhaus – Fünf Reformentwicklungen im Bereich der stationären Versorgung
Sophie Dannenfeld
Der große Reformwurf ist in einem Politikfeld, das Norbert Blüm einst mit einem »Wasserballett im Haifischbecken« verglich, nicht zu erwarten. Vielmehr weist die Fülle an größeren und kleinen Reformen darauf hin, dass die Akteure des Gesundheitswesens auf einer »permanenten Reformbaustelle« (Knieps 2017, S. 12) arbeiten, auf der sie kontinuierlich Löcher stopfen und flicken, an schon vorhandenen Regularien schrauben sowie überholte Strukturen prüfen. Die Baumannschaft besteht aus staatlichen Akteuren, Individualakteuren, Organisationen und Institutionen der Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie aus »freien« Organisationen und Institutionen (Gerlinger und Noweski 2012). Auch in der 19. Legislaturperiode wird auf der Reformbaustelle aller Voraussicht nach wieder vollbesetzt und im 24/7-Takt Hand angelegt.
Als Einstieg in den Sammelband Krankenhauslandschaft in Deutschland gibt dieses Kapitel einen Überblick über bisherige Reformbemühungen in der stationären Versorgung, denn spätestens seit den 1970er Jahren ist der Krankenhausbereich Gegenstand zahlreicher Gesetzesvorhaben geworden. Die Intention dieses Beitrags ist es nicht, eine detaillierte Abhandlung über alle bisherigen Reformen zu verfassen. Vielmehr werden fünf Entwicklungen skizziert, die die stationäre Versorgung (bis) heute im Kern prägen und in den nachfolgenden Kapiteln von Experten aus Wissenschaft und Praxis im Detail aufgegriffen werden.
1.1.1 Die Finanzierung der Bereithaltung von Krankenhäusern als öffentliche Aufgabe
Im Jahr 1972 wurde mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) der Pfad eingeschlagen, dem die Finanzierung der Krankenhäuser bis heute folgt. Ausgelöst durch Debatten um eine unzureichende Finanzausstattung wurde im KHG erstmals festgeschrieben, dass die Finanzierung der Bereithaltung von Krankenhäusern eine öffentliche Aufgabe darstellt. Seit Anfang der 1970er Jahre ist – neben den Krankenkassen, die die laufenden Betriebskosten eines Krankenhauses zu tragen haben – der Staat für die Finanzierung der Investitionen zuständig1. Die Voraussetzung, diese staatlichen Gelder zur Investition (z. B. Neubau, Umbau oder Erstausstattung) zu erhalten, wurde an die Aufnahme in den jeweiligen Landeskrankenhausplan geknüpft. Das KHG übertrug den Ländern die Aufgabe, diese Krankenhauspläne zu entwickeln und zukünftig fortzuschreiben. Abbildung 1.1 zeigt, dass die Länder ihrer Investitionsverpflichtung mit der Zeit immer weniger nachkommen. Laut aktuellem Krankenhaus Rating Report 2017 belief sich der Investitionsbedarf im Jahr 2015 (ohne Universitätskliniken) auf mindestens 5,4 Milliarden Euro. Über die exakte Höhe des Investitionsbedarfs herrscht unter Experten keine einheitliche Meinung. Fest steht jedoch allemal, dass den Krankenhäusern von staatlicher Seite immer weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um ihre Investitionskosten zu bestreiten. Krankenhäuser stehen daher zunehmend unter finanziellem Druck und sind infolgedessen immer stärker auf Mittel der Krankenkassen angewiesen, um die fehlenden Investitionskosten auszugleichen. Neben der Entwicklung der Investitionsquoten weist die Abbildung ( Abb. 1.1) daher die Entwicklung der GKV-Ausgaben für Krankenhausbehandlungen seit Anfang der 1990er Jahre aus.
Insbesondere die Kostenträger, aber auch andere Experten fordern seit Jahren die Abkehr von der dualen Finanzierung (SVR 2007, S. 57 f.). Doch nicht nur der gescheiterte Versuch der rot-grünen Bundesregierung2 im Jahr 2000, die Krankenhausfinanzierung schrittweise auf eine monistische Finanzierung durch die Krankenkassen umzustellen zeigt, wie schwierig das Verlassen eines eingeschlagenen Pfades sein kann. Weitere Meilensteine der Krankenhausfinanzierung stellen neben der gesetzlich geregelten Einbindung des Staates die Einführung der Selbstkostendeckung und später des DRG-Fallpauschalensystems dar. Im nächsten Abschnitt werden diese beiden Vergütungssysteme sowie die aktuelle Diskussion um Fehlanreize im stationären Sektor näher skizziert.
1.1.2 Vom Selbstkostendeckungsprinzip zum pauschalierten Vergütungssystem
Das KHG führte im Jahr 1972 das Selbstkostendeckungsprinzip im Krankenhausbereich ein. Die Krankenhäuser erhielten, sofern sie als bedarfsnotwendig im Krankenhausplan aufgenommen waren, einen gesetzlichen Anspruch auf die volle Erstattung aller Kosten, die bei einem sparsamen Betrieb anfallen. Die Vergütung der Krankenhäuser bemaß sich fortan an der Anzahl der Tage, an denen Patienten stationär im Krankenhaus behandelt wurden (tagesgleiche vollpauschalierte Pflegesätze). In den folgenden Jahren stiegen die Kosten der stationären Versorgung in einem Maße, dass der Gesetzgeber alsbald weitere
Abb. 1.1: Entwicklung der Investitionsquoten der Länder sowie der Ausgaben der GKV für Krankenhausbehandlungen (Deutsche Krankenhausgesellschaft 2017; Statistisches Bundesamt 2017) Index: 1993 = 100
Reformen veranlasste. Im Jahr 1986 wurde die prospektive Selbstkostendeckung eingeführt, um den kostensteigernden Mechanismen entgegenzuwirken. Die Kostenträger verhandelten die Betriebskosten mit den Krankenhäusern von nun an im Vorhinein. Gleichzeitig wurde das flexible Budget eingeführt, sodass Krankenhäuser erstmals sowohl Gewinne erwirtschaften, als auch Verluste einfahren konnten (Gerlinger 2012).
Das GSG (Gesundheitsstrukturgesetz) setzte im Jahr 1993 die schrittweise Ablösung des Selbstkostenprinzips fort. Mit der Einführung von Fallpauschalen und Sonderentgelten für einige Leistungen der stationären Versorgung setzte die Politik erstmals nicht mehr allein auf rein kostendämpfende Maßnahmen, sondern auf Regelungen, die die Grundlage der Vergütungssystematik verändern sollten – weg von der Erstattung aller tatsächlich entstandenen Kosten hin zu einer Vergütung von Leistungen auf Grundlage medizinischer Diagnosen, Operationen und Prozeduren. Einen weiteren Schritt in Richtung diagnosebezogener Fallpauschalen ging die rot-grüne Bundesregierung mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000, in dem die Einführung eines »durchgängigen, leistungsorientierten und pauschalierenden Vergütungssystems« (§ 17 Abs. 1 KHG) für die Abrechnung von Krankenhausleistungen beschlossen wurde3. Das Fallpauschalengesetz (FPG) führte die DRGs nach australischem Vorbild ab 2003 schließlich ein – zunächst mit einer budgetneutralen Phase von zwei Jahren und anschließend mit einer mehrjährigen Konvergenzphase. In ihrer Gesamtheit betrachtet, führten die gesetzgeberischen Maßnahmen einen ordnungs- und strukturpolitischen Wandel herbei. Bis zum GKVRefG2000 existierten Krankenhäuser in einer nahezu wettbewerbsfreien Umwelt. Dies wurde durch die Einführung der Fallpauschalen grundlegend geändert. Ein zentraler Zielparameter der Reformen war die weitere Verkürzung der Verweildauern. Die folgende Abbildung ( Abb. 1.2) zentraler Krankenhausindikatoren legt den Schluss nahe, dass dieses Ziel positiv erreicht wurde (SVR 2007).
Neben der kontinuierlichen Absenkung der Verweildauer weist die Abbildung 1.2 einen Anstieg der Fallzahlen aus. Es wäre zu kurz gegriffen, diesen Anstieg seit 2005 allein auf die Umstellung des Vergütungssystems zurückzuführen. Andere Faktoren, wie der medizinische Fortschritt und der demografische Wandel, spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle. Allerdings bietet das Vergütungssystem unumstritten Anreize für die Krankenhäuser, ihr Kodier- und Abrechnungsverhalten zu ändern, sodass in Konsequenz die Fallzahlen steigen (Schelhase 2017, S. 319). Das Fallpauschalensystem wurde als ein lernendes System eingeführt und steht kontinuierlich auf dem Prüfstand. Dabei wird immer deutlicher: Für die Angestellten im Krankenhaus hat die Systemumstellung deutliche Folgen. Der nächste Abschnitt nimmt daher das Krankenhauspersonal und die gesetzlichen Änderungen der letzten Jahre näher in den Blick.
Abb. 1.2: Zentrale Indikatoren des Krankenhausbereichs (Stand 2017) (Statistisches Bundesamt 2017)
1.1.3 Die Personalsituation in den Krankenhäusern – Ein »Mega-Thema« der aktuellen Legislaturperiode
Im Jahr 2015 arbeiteten 5,3 Mio. Menschen im deutschen Gesundheitswesen, wovon 1,1 Mio. in einem...