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E-Book

Kriminalpolitik

AutorHans-Jürgen Lange
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl465 Seiten
ISBN9783531908946
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis66,99 EUR
Die Beiträge des Buches bieten eine umfassende Darstellung der historischen, theoretischen und empirischen Forschung zur Kriminalpolitik. Aus interdisziplinärer Sicht werden die Entwicklungsmuster und die Ausdifferenzierung der Kriminalpolitik innerhalb des gesellschaftlichen und politischen Systems herausgearbeitet.

Dr. Hans-Jürgen Lange ist apl. Professor für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg und Wiss. Direktor des Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und Politikberatung (RISP) an der Universität Duisburg-Essen.

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Leseprobe
1 Kriminalpolitik im Kaiserreich (S. 15)

Herbert Reinke

1.1 Der Schulenstreit, Gesellschaftsschutz und die Genese eines spezialpräventiven kriminalpolitischen Programms

1.2 Verbrechertypologien als Kriminalpolitik

1.3 Entwicklungslinien der Jugend-Kriminalpolitik in der Zeit des Kaiserreiches

1.4 Polizeipolitik als Kriminalpolitik

Die Geschichte der Kriminalpolitik in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches ist vor allem eine Geschichte strafrechtlicher Programmdebatten, die unter der Bezeichnung „Schulenstreit" einen herausragenden Platz in der deutschen Strafrechtsentwicklung einnehmen. Diese strafrechtlichen Programmdebatten sind nicht losgelöst von den zeitgenössischen kriminalwissenschaftlichen Deutungsmustern zu beobachten, die wiederum kriminalpolitische Strategien und Zielsetzungen im weiteren Fortgang des 20. Jahrhunderts beeinflusst haben.

Weniger deutlich erkennbar sind die kriminalpolitischen Komponenten der Polizeipolitik in der Zeit vor 1918, die in dieser Zeit noch durch Professionalisierungsbemühungen der Institution „Polizei" geprägt waren. Einige der kriminalpolitischen Fokussierungen der Zeit vor 1918 (Strafrechtsdebatten und Kriminalpolitik, kriminalwissenschaftliche Deutungsmuster und Kriminalpolitik, Jugend- Kriminalpolitik, Polizeipolitik und Kriminalpolitik) sollen im Folgenden stichwortartig skizziert werden.

1.1 Der Schulenstreit, Gesellschaftsschutz und die Genese eines spezialpräventiven kriminalpolitischen Programms

In der rechtswissenschaftlichen Literatur gilt Franz von Liszt, verwandt mit dem gleichnamigen Komponisten, als einer der wichtigsten Strafrechtsreformer in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches. Er wird dort in der Regel als Initiator einer zweckrationalen, präventiven Kriminalpolitik verstanden. Nicht Abschreckung oder Sühne, sondern Prävention durch Besserung, eventuell durch Unschädlichmachung von Verbrechern, abhängig von deren jeweiliger Gefährlichkeit und Besserungsfähigkeit sollte Zweck der Strafe sein und die Gesellschaft vor dem Verbrechen schützen.

Dazu sollten verschiedene Disziplinen zusammengeführt werden: Strafrechtslehre, Kriminalstatistik, Kriminalanthropologie und Kriminalpsychologie sollten in einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft" integriert werden, um die Kriminalitätskontrolle empirisch-naturwissenschaftlich neu zu fundieren. Mit diesen Ansätzen begründete Franz von Liszt die „moderne Schule" der Strafrechtswissenschaft.

Die von ihm propagierte utilitaristische Strafrechtskonzeption löste eine Debatte aus, die als Schulenstreit in die Rechtsgeschichte eingegangen ist. Dabei standen sich die moderne Liszt-Schule und die klassische Strafrechtsschule gegenüber. Letztere vertrat das Modell der Vergeltungsstrafe, das nach der Schwere der Tat die Schuld des Täters bemaß und entsprechend die Strafe bestimmte (vgl. Frommel 1987, Kubink 2002).

Die klassische Schule vertrat nicht unbedingt einheitliche Positionen, wurde aber durch gemeinsame Gegnerschaft zu den Thesen der Liszt-Schule zusammengehalten. Einige unter ihnen verstanden im Sinne der absoluten Straftheorien Kants und Hegels die sich in der Strafe ausdrückende Sühne als sittliches Gebot. Andere wiederum sahen die Vergeltungsstrafe als ein Instrument der Abschreckung zum Zweck des Schutzes positiver Normen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich auch diejenigen Strafrechtler den Gedanken der Generalprävention, d. h. der Sicherung der Rechtsordnung durch allgemein abschreckende Strafandrohungen, zu eigen gemacht, deren Lehrmeinung vorrangig auf dem Sühnegedanken beruhte. Ungeachtet der unterschiedlichen theoretischen Positionen teilten alle Anhänger der klassischen Schule die Grundannahme, dass die Strafe nach der schuldhaften Tat, nicht nach persönlichen Merkmalen des Täters zu bemessen sei.

Der Schulenstreit wurde unter den Zeitgenossen mit großer Intensität ausgetragen. Diese Intensität erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass im Schulenstreit unterschiedliche Ausprägungen staatlicher bzw. kriminalpolitischer Interventionsmöglichkeiten zum Ausdruck kamen. Die Vertreter der klassischen Schule, die cum grano salis in der einen oder anderen Form noch durch die politischen Ideen des klassischen (vormärzlichen) Liberalismus geprägt waren und die Aufgaben des Rechtsstaates vornehmlich in der Einhaltung der Rechtsordnung sahen, verstanden den sich in der modernen Schule manifestierenden sozialen bzw. kriminalpolitischen Interventionismus als den falschen Weg.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Einleitung10
I Kriminalpolitik in Deutschland 1871- 194515
1 Kriminalpolitik im Kaiserreich16
1.1 Der Schulenstreit, Gesellschaftsschutz und die Genese eines spezialpräventiven kriminalpolitischen Programms16
1.2 Verbrechertypologien als Kriminalpolitik18
1.3 Entwicklungslinien der Jugend-Kriminalpolitik in der Zeit des Kaiserreiches19
1.4 Polizeipolitik als Kriminalpolitik21
Literatur24
2 Kriminalpolitik in der Weimarer Republik26
2.1 Strafrechtsreform als Kriminalpolitik27
2.2 Entpönalisierung als Kriminalpolitik: Die Anwendung von Geldstrafen29
2.3 Der „Erziehungsvorrang“ in der (Jugend-) Kriminalpolitik: Das Jugendgerichtsgesetz vom 6. Februar 192329
2.4 Die Diskussion um die Sicherungsverwahrung als spezialpräventive kriminalpolitische Strategie30
2.5 Polizeipolitik als Kriminalpolitik: Die gescheiterte Einrichtung eines Reichskriminalpolizeiamtes34
Literatur36
3 Kriminalpolitik im NS-System38
3.1 Herausbildung und Entwicklung der NS-Kriminalpolitik38
3.2 Politisch-institutionelle Zuständigkeiten40
3.3 Entscheidungsrelevante Akteure und Leitideen42
3.4 Grundzüge der kriminalpolitischen Strategien45
3.5 Verbrechens- und Kriminalitätsbegriff50
3.6 Kriminalpolitik und Grundrechte51
3.7 Die NS-Kriminalpolitik als historisches Modell53
Literatur54
II Kriminalpolitik in der Nachkriegszeit58
4 Kriminalpolitische Vorgaben der alliierten Besatzungsmächte60
4.1 Alliierte Besatzungsplanungen zu Strafjustiz und Polizei in Deutschland60
4.2 Eingriffe in das deutsche Strafrecht63
4.3 Vorgaben für Organisation und Personal der Strafverfolgungsbehörden66
4.4 Vorgaben für die Befugnisse der Polizei73
Literatur76
III Kriminalpolitik in der DDR80
5 Kriminalpolitik im institutionellen System der DDR82
5.1 Gab es eine „Kriminalpolitik“ in der DDR?82
5.2 Kriminalisierungstendenzen in der DDR85
5.3 „Sozialistische Strafrechtspflege“91
Literatur96
IV Kriminalpolitik in der Bundesrepublik Deutschland102
6 Kriminalpolitik im institutionellen System der Bundesrepublik Deutschland104
6.1 Dimensionen des Politikfeldes „Kriminalpolitik“105
6.2 Formale Struktur der Kriminalpolitik im politischen System108
6.3 Kriminalpolitische Diskurse im institutionellen System114
6.4 Besonderheiten der Kriminalpolitik119
Literatur120
7 Problemdefinition und Agendagestaltung in der Kriminalpolitik122
7.1 Problemdefinition und Agendagestaltung – Vorbemerkungen zum analytischen Rahmen123
7.2 Anknüpfungspunkte der Problemwahrnehmung und der Agendagestaltung124
7.3. Akteure der Agendagestaltung129
7.4 Agendagestaltung und die Rationalität von Kriminalpolitik134
Literatur135
8 Formulierung, Implementation und Evaluierung von kriminalpolitischen Programmen138
8.1 Kriminalpolitik als politischer Prozess138
8.2 Neue Steuerungsmodelle bei der Polizei141
8.3 Politikformulierung143
8.4 Implementation146
8.5 Politikevaluierung150
8.6 Die Frage der Wirkung und die der Demokratie153
Literatur154
9 Organisierte Kriminalität156
9.1 OK in verschiedenen Bezugssystemen157
9.2 OK und OK-Wirklichkeiten167
9.3 OK: Alternativen170
Literatur172
10 Rauschgiftkriminalität174
10.1 Entwicklung der Rauschgiftkriminalität174
10.2 Die Konsumenten176
10.3 Drogenhandel und organisierte Kriminalität185
Literatur190
11 Wirtschaftskriminalität192
11.1 Zum Programm „Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität“192
11.2 Die Forschungsaktivitäten zum Thema „Wirtschaftskriminalität“196
11.3 Wirkungsanalyse des Programms „Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität“ – oder was blieb?207
Literatur210
12 Umweltkriminalität218
12.1 Definition von Umweltkriminalität218
12.2 Die Rolle der Polizei220
12.3 Die Bayerische Naturschutzwacht220
12.4 Die Naturschutzwacht im Kampf gegen Umweltsünder227
Literatur229
13 Null-Toleranz232
13.1 Die USA als Vorbild?233
13.2 Die Kriminalität in den USA234
13.3 Das „Wunder“ von New York235
13.4 Community Policing statt Zero Tolerance238
13.5 Erklärungsversuche des Kriminalitätsrückganges239
13.6 Konsequentes Personalmanagement241
13.7 Broken Windows242
13.8 Null Toleranz – für Scharfmacher246
13.9 Grundrecht „Sicherheit“?247
Literatur249
14 Kriminalprävention252
14.1 Begriff252
14.2 Zielsetzung253
14.3 Technoprävention254
14.4 Polizei und Prävention255
14.5 „Repressive Prävention“256
14.6 Kommunale Kriminalprävention257
14.7 Opferforschung, Signale der Unsicherheit und Prävention259
14.8 Lokale Sicherheitsdiagnose, Kriminalitätslagebilder, regionale Kriminalitätsanalysen263
Literatur266
15 Kriminalpolitik und neue Kommunikationstechniken – politikfeldanalytische Betrachtungen270
15.1 Internetnutzung und Kriminalpolitik unter politikfeldanalytischen Gesichtspunkten271
15.2 Charakteristika der neuen Kommunikationstechniken273
15.3 Auswirkungen des Internets auf kriminalpolitische Aushandlungsprozesse278
Literatur287
16 Kriminalpolitik und Entwicklung der Einsatztechniken in der Polizei290
16.1 Einsatztechniken als Gegenstand der Kriminalpolitik290
16.2 Entwicklung der Technik bei der Polizei291
16.3 Aktuelle Tendenzen - Das Beispiel DNA-Analyse296
16.4 Kriminalpolitik und Einsatztechnik303
Literatur304
17 Kriminalpolitik und Strafrecht308
17.1 Verfassungsrechtliche Grundlagen staatlichen Strafens309
17.2 Kriminalpolitik und Strafgesetz310
17.3 Das Strafrecht der Risikogesellschaft – Umwelt- und Wirtschaftsstrafrecht als Beispiele moderner Strafgesetzgebung317
Literatur323
18 Entkriminalisierung und alternative Sanktionen326
18.1 Zwei Begriffe von Entkriminalisierung326
18.2 Alternative Sanktionen335
Literatur340
19 Der Bürger als kriminalpolitischer Akteur: Politische Anstrengungen zur Vergemeinschaftung der Verantwortung für Sicherheit und Ordnung344
19.1 „Kriminogene Unordnung“ – Anmerkungen zum inhaltlichen Wandel der Politik der Inneren Sicherheit345
19.2 Wandel der Politik der Inneren Sicherheit auf der Ebene der beteiligten Akteure348
19.3 Sicherheit, Ordnung, Sauberkeit und Responsibilisierung in der Großstadt: das Beispiel Köln353
Literatur357
20 Kriminalpolitik und Privatisierung öffentlicher Räume362
20.1 Raumgreifender Neoliberalismus – Privatisierung öffentlicher Räume362
20.2 Neoliberale Globalisierung und Privatisierung öffentlichen Raums366
20.3 (Innerstädtische) Einkaufszentren, Shopping Malls und Bahnhöfe370
20.4 Business Improvement Districts373
Literatur380
21 Europäisierung der Kriminalpolitik388
21.1 Der Nationalstaat in der supranationalen Umorientierung388
21.2 Jeder für sich und alle für das Gleiche?390
21.3 Die Integrationsmechanismen in der Kriminalpolitik392
21.4 Vernetzung à la carte397
21.5 Außenpolitik ist auch Kriminalpolitik400
Literatur401
V Kriminalpolitik und Wissenschaft404
22 Kriminalpolitik und kriminologische Forschung406
22.1 Kriminalpolitik, Gesetzgebung und die Kriminologie – Grundsatzfragen406
22.2 Erkenntnisse zum Einfluss der Kriminologie auf die Kriminalpolitik419
22.3 Kriminologie und Kriminalpolitik: Kenntnisse und Defizite425
Literatur427
23 Kriminalpolitik, politische Steuerung und wissenschaftliche Politikberatung432
23.1 Wissenschaftliche Politikberatung im politischen Prozess433
23.2 Modelle der Politikberatung434
23.3 Zielsetzungen der Politikberatung435
23.4 Voraussetzungen und Restriktionen wissenschaftlicher Politikberatung in der Kriminalpolitik437
23.5 Kriminalpolitik und wissenschaftliche Politikberatung443
Literatur449
Anhang453
Abkürzungen454
Autoren458
Stichworte468

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