Einleitung
An wen richtet sich das Handbuch
Das Handbuch richtet sich an Krisenhelfer, die in schulischen Krisen tätig werden. Dazu zählen zunächst alle Lehrkräfte, die durch ihre Ausbildung oder ihre Funktion an der Schule in Krisen eine unterstützende bzw. führende Aufgabe innehaben. An erster Stelle stehen die Schulleitungen, gefolgt von den Mitgliedern schulischer Krisenteams und den Beratungslehrkräften. Krisen, die zu einem Einsatz externer Helfer führen, werden im Rahmen der Soforthilfe von Notfallseelsorgern und Schulseelsorgern begleitet. SchulpsychologInnen übernehmen an der Schule in der Regel die Aufgabe der Nachsorge. Dazu zählt die Gruppenkrisenintervention mit den betroffenen SchülerInnen und Schülern, die Unterstützung der Lehrkräfte bei der pädagogisch-psychologischen Aufarbeitung des Krisenereignisses, die Begleitung und Betreuung der betroffenen Eltern und die Beratung und Unterstützung aller am Schulleben beteiligten Personen.
Das Thema Krisenintervention gewinnt unter den Arbeitsfeldern der Schulpsychologie in Deutschland zunehmend an Bedeutung. In Baden-Württemberg gab die Geiselnahme in Waiblingen-Neustadt im Oktober 2002 einen ersten Anstoß zur intensiven Auseinandersetzung damit. Seitdem sammelten die neu gebildeten Kriseninterventionsteams an den Oberschulämtern (seit 2005 in den Regierungspräsidien) vielfältige Erfahrungen, die im vorliegenden Handbuch für die Arbeit von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, Krisenhelfern und Schulen gesammelt und aufgeschrieben wurden.
Aufbau und Struktur
Krisenhelfer übernehmen eine Aufgabe, für die sie zwar ausgebildet sind, die jedoch immer wieder neu ist, da jeder Krisenfall seine eigenen Herausforderungen stellt. Was ermöglicht Krisenhelfern dennoch, professionell zu handeln?
Wir orientieren uns im zeitlichen Ablauf an den klinisch definierten Phasen der Reaktion von Betroffenen. Dazu gehören Kenntnisse, wann welche Hilfe angezeigt ist und welche Angebote unterbreitet werden können. Eine weitere Unterscheidung bezieht sich auf die verschiedenen Gefährdungsstufen von Krisen. Viele unterschiedliche Krisenfälle, unterteilt nach drei Gefährdungsstufen für die Schulgemeinschaft, müssen von Krisenhelfern begleitet werden. Hier spielen erprobte und gut transferierbare Methoden eine Rolle. In Abhängigkeit von der Gefährdungsstufe ergeben sich variierende Formen der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Institutionen.
Dann ist es aber auch wichtig, die Prozessabläufe zu kennen. Wann ist mit wem etwas abzustimmen, wer ist alles einzubeziehen und zu welchem Zeitpunkt ist es richtig, sich wieder zurückzuziehen? Ergänzend muss die Systemkenntnis aktiv erarbeitet werden. Die bloße Kenntnis der potentiellen Unterstützer ist nicht ausreichend, besser ist eine genau Erkundung über die Art der Unterstützung, die Einsatzbereitschaft, die Erreichbarkeit bis hin zu einem persönlichen Kontakt zu den Ansprechpartnern. Dies kann die Krisenarbeit im Ernstfall wesentlich erleichtern.
Und nicht zuletzt ist es die Reflexion über die eigene Befindlichkeit vor, während und nach Kriseneinsätzen, die hilft, auszuloten, was man sich zutraut und ob man Hilfe für andere Menschen leisten kann.
Erfahrungen, die man nur im Laufe der Zeit sammeln kann, schweißen diese Aspekte zu einer Gesamtheit zusammen. Daraus entsteht Sicherheit für umsichtiges Handeln in Krisen.
Fundierte Erfahrung führt zur Abstraktion im Sinne der Frage „Was sind die wesentlichen Grundzüge von Kriseneinsätzen, die immer wieder vorkommen?“ und zur Intuition im Sinne der Frage „Was passt in dieser speziellen Situation besonders gut und ist gerade jetzt hilfreich?“
Da Krisen im Schulalltag jedoch nicht so häufig auftreten, dass es für viele Krisenhelfer möglich wäre, schnell Erfahrungen zu akkumulieren, müssen andere Wege beschritten werden.
In diesem Buch sind zwei Instrumente zur Krisenintervention in der Schule enthalten.
In Teil 1, dem Handbuch Kriseneinsatz, erhalten die Krisenhelfer einen roten Faden für ihr Tun, der Klarheit schafft und somit dazu beiträgt, Überforderungen für Krisenhelfer zu vermeiden.
In diesem Teil wird beschrieben, wie externe Krisenhelfer mit Schulen zusammenarbeiten und welche Rolle dabei den Mitgliedern der Schulgemeinschaft zukommt.
Das Krisenhandbuch enthält viele Informationen und Materialien, die für den Kriseneinsatz nötig sind. Materialien zum Ausfüllen oder Austeilen können Sie im Buchshop des Kolhammer–Verlags unter ContentPLUS herunterladen. Weitere Informationen hierzu finden Sie auf der vorderen Umschlaginnenseite. Im Handbuch werden diese Dokumente mit einem ContentPLUS-Symbol. Zusätzlich zu diesen gibt es noch viele weitere webbasierte Zusatzmaterialien zum Herunterladen (siehe Verzeichnis der elektronischen Zusatzmaterialien).
Zu Beginn eines neuen Abschnittes sind die Handlungsschritte rechts in einem Orientierungsstreifen zu sehen. Über einen roten Balken wird hervorgehoben, wo dieser Handlungsschritt im Gesamtablauf eingeordnet ist. Da nicht bei jedem Kriseneinsatz alle Schritte in dieser Reihenfolge erfolgen, hilft das Orientierungssystem, zwischen den Schritten zu springen.
Unter dem Punkt „Betroffene betreuen“ befindet sich eine Übersicht über die Einsatzbereiche und die dabei verwendbaren Methoden.
In Teil 2, dem Fortbildungsmanual für Kriseneinsätze, werden die erarbeiteten Abläufe für das Training mit einer erprobten handlungsorientierten Lehr- und Lernmethode, den GALA-Lernaufgaben, aufbereitet und ermöglichen den Lernenden, die notwendigen Kompetenzen auszubilden.
Mit ihnen erfahren sie handlungsorientiert, wie in Kriseneinsätzen z. B. mit den vorhandenen Methoden gearbeitet wird, wie z. B. Sitzungen in der Schule zu moderieren sind und wie sich diese Arbeit auf ihre eigene Befindlichkeit auswirkt. Über viele aktive Übungsangebote wird ihnen der erforderliche Erfahrungsraum angeboten.
Durch diesen Aufbau kann eine Überforderung von Krisenhelfern durch Kriseneinsätze vermindert oder gar vermieden werden, da Theorie und Praxis bereits im Lernprozess miteinander verknüpft wurden.
Von der Zusammenarbeit von Schule und Krisenhelfer zur Prävention
Mit diesem Buch verfolgen wir den Anspruch, Schulen und Helfer im Kriseneinsatz zu unterstützen und ihnen damit einen gemeinsamen Qualitätsanspruch zu ermöglichen. Gerade in diesem Bereich wird professionelles Handeln zum Gradmesser der Wirksamkeit guter pädagogischer und schulpsychologischer Arbeit.
Schulen können bei plötzlich auftretenden Krisenereignissen externe Hilfe benötigen. Andererseits sind sie bereits häufig in der Lage, nach entsprechender Beratung und Fortbildung selbst aktiv zu werden und angemessen mit den Bedürfnissen der Betroffenen umzugehen.
Viele Schulen befassen sich mit der Frage, wie sie auf Krisen vorbereitet sind. Dazu werden Krisenpläne entwickelt und zum Teil über Verwaltungsvorschriften geregelt, wie z. B. in Baden-Württemberg mit der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift von Kultus-, Innen- und Umweltministerium „Verhalten an Schulen bei Gewaltvorfällen und Schadensereignissen“ vom 27. Juni 2006 (in K. u. U. 15–16a/2006). Das ist in Bezug auf Krisen lediglich tertiäre Prävention, denn Krisenpläne können Krisen nicht verhindern. Sie unterstützen die Organisation einer schnellen und professionellen Hilfe und können im Ernstfall Schlimmeres verhüten. Die Betreuung der Betroffenen vermittelt Sicherheit und Geborgenheit und leistet dadurch einen Beitrag zur psychischen Gesundheit.
Sekundäre Prävention in Bezug auf krisenauslösende Gewaltvorfälle von Mitgliedern der Schulgemeinschaft wird durch den Einsatz von Gewaltpräventionsprogrammen betrieben.
Primäre Prävention sichert die psychische Gesundheit aller am Schulleben Beteiligten. Dies kann gelingen, wenn die Schule als ein von der Gesellschaft angelegtes System den Auftrag erhält, wertschätzend Potentiale zu fördern, statt über Leistungsdruck zur Selektion beizutragen. Dazu gehört auch eine Abkehr von theoriezentriertem Unterricht, der die Speicherung und Abrufung des Wissens in den Mittelpunkt nimmt. Lernen muss mit der Lebenspraxis verknüpft sein und über die erfolgreiche Bewältigung von Herausforderungen zur Stärkung des Selbstwertes der Schülerinnen und Schüler beitragen.
Erscheinungsformen von Krisen an Schulen und die Rolle der Krisenhelfer
Schulen sind verschiedenen Krisensituationen ausgesetzt und sind immer wieder aufgefordert, sich stützend und schützend gegenüber allen am Schulleben Beteiligten zu verhalten.
Oft sind es Situationen, in denen eine Hilflosigkeit gegenüber dem Ereignis auch die Erwachsenen trifft. Doch gerade die Erwachsenen sind es, die den Kindern und Jugendlichen Sicherheit und Hoffnung vermitteln müssen. An diesem Punkt ist es für eine Schule eine wertvolle Hilfe, durch externe Krisenhelfer begleitet zu werden. In der folgenden Tabelle werden die typischen Krisenfälle aufgezeigt und schematisch die sich anschließenden Maßnahmen der Helfer dargestellt.
Tod | Suizid | Gewaltdrohung | Gewalttat |