1. Der Bischof
Von allen gewählt
«Der Papst ernennt die Bischöfe frei»
Wenn irgendwo in der katholischen Kirche ein Bischofsstuhl neu besetzt wird, schlagen nicht selten die Wellen der Empörung hoch. Die Gläubigen fühlen sich regelmäßig übergangen; auf ihre Wünsche wird keine Rücksicht genommen; auch die Vorschläge der Priester der betreffenden Diözese werden kaum einmal gehört. Diese offenkundige Missachtung der Bedürfnisse der Herde vor Ort braucht allerdings niemanden zu überraschen, denn das geltende Kirchenrecht lässt in der Frage der Besetzung der Bischofsstühle keinerlei Zweifel aufkommen: «Der Papst ernennt die Bischöfe frei» – so lautet die einschlägige Formulierung des Codex Iuris Canonici, des derzeit verbindlichen Gesetzbuches, das Johannes Paul II. 1983 in Kraft gesetzt hat.[1]
Der Codex von 1983 nimmt damit die einschlägigen Bestimmungen seines Vorgängers, des kirchlichen Gesetzbuches von 1917, fast wörtlich wieder auf.[2] Dieses galt als rechtliche Umsetzung der Beschlüsse des Ersten Vatikanischen Konzils von 1870, auf dem neben der Unfehlbarkeit des Papstes auch der universale Jurisdiktionsprimat, die umfassende rechtliche Vollmacht des Pontifex maximus als Stellvertreter Jesu Christi auf Erden und Nachfolger des Apostelfürsten Petrus über die ganze Weltkirche, definiert worden war. Das Zweite Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965, vielfach als Reformkonzil gefeiert, hat an dieser «Kompetenz-Kompetenz» des Papstes in der Kirche – jedenfalls nach Ansicht des päpstlichen Gesetzgebers Johannes Paul II. – im Grunde nichts geändert.
Die Formulierung «Der Papst ernennt die Bischöfe frei» lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Die Auswahl des kirchlichen Führungspersonals gehört zweifellos zu den wichtigsten Aufgaben des Oberhauptes der katholischen Kirche, denn wer die Schlüsselstellen besetzt, der bestimmt die Richtung der Kirche. Nach römischer Auffassung leiten die Bischöfe die Diözesen, die im Kirchenrecht auch Teilkirchen genannt werden, im Auftrag und auf Weisung des Papstes. Dieser braucht auf die Wünsche der Herde vor Ort keine Rücksichten zu nehmen. Er bestimmt als Oberhirte die Hirten, ohne die Schafe zu fragen. Personalvorschläge der Laien und Pfarrer einer vakanten Diözese oder Überlegungen von Bischöfen und nationalen Bischofskonferenzen kann er zwar zur Kenntnis nehmen, sie schränken die Freiheit seines Ernennungsrechtes jedoch nicht ein, von politischen Rücksichtnahmen ganz zu schweigen. Der Papst ist letztlich nicht einmal an die Vorschläge der zuständigen römischen Kongregation für die Bischöfe gebunden, die ihm in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Nuntius vor Ort geeignete Kandidaten zu nennen hat.
Dieses absolute päpstliche Ernennungsrecht ist für die ganze Weltkirche allgemeinverbindlich. Lediglich für Deutschland, Österreich und die Schweiz existieren bestimmte Einschränkungen und Ausnahmeregelungen, die auf Vereinbarungen des Heiligen Stuhls mit den betreffenden Staaten, sogenannten Konkordaten, beruhen. Deshalb fügt der Codex nach der generellen Norm noch einen Halbsatz ein: «oder [der Papst] bestätigt die rechtmäßig Gewählten».[3]
In Deutschland sind bei der Besetzung der Bischofsstühle grundsätzlich zwei Modelle zu unterscheiden. Für die bayerischen Diözesen Augsburg, Bamberg, Eichstätt, München und Freising, Passau, Regensburg und Würzburg gilt das bayerische Konkordat von 1924. Bis dahin nominierte der katholische bayerische König die Bischöfe frei, und der Papst hatte diese dann, meist eher zähneknirschend, zu ernennen. Im Konkordat wird dem Papst zwar das Recht der Ernennung der Bischöfe zugestanden, bei der Auswahl ist er jedoch an die Kandidaten gebunden, die auf den Vorschlagslisten stehen, die die bayerische Bischofskonferenz und die bayerischen Domkapitel alle drei Jahre nach Rom zu schicken haben. Überdies darf das betreffende Domkapitel unmittelbar nach dem Tod oder Rücktritt eines Bischofs eine aktuelle Kandidatenliste nach Rom senden. Da die neuen Listen die alten Vorschläge nicht ersetzen, sondern alle jemals vorgeschlagenen Namen im Kandidaten-Pool bleiben, verfügt der Papst trotz Bindung an die Vorschlagslisten über eine relativ große Auswahl. Sollte jedoch ein von ihm gewünschter Bischofskandidat nicht auf einer der Vorschlagslisten aufgetaucht sein, würde eine päpstliche Bitte um Ergänzung der Liste bei der bayerischen Bischofskonferenz sicher nicht auf taube Ohren stoßen, sodass man faktisch von einem freien päpstlichen Ernennungsrecht ausgehen kann, zumal niemand in Deutschland wirklich überprüfen kann, welche Person auf den zahlreichen Listen stand und welche nicht, da nur Rom alle Vorschläge kennt.
Für die übrigen deutschen Länder wurde in den Konkordaten mit Preußen 1929, Baden 1932 und dem Reichskonkordat von 1933 sowie den neueren staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen nach der Wiedervereinigung Deutschlands eine andere Regelung getroffen, die bis heute Bestand hat: Nach «Erledigung eines Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles» durch Tod oder Rücktritt des bisherigen Amtsinhabers sendet das betreffende Domkapitel – für Preußen auch jeder einzelne preußische Bischof – eine Liste mit geeigneten Bischofskandidaten nach Rom. «Unter Würdigung» dieser Vorschläge legt der Heilige Stuhl dem Domkapitel dann eine Dreierliste, die sogenannte Terna vor, aus der dieses den neuen Bischof zu wählen hat.[4] Während die staatlichen Verhandlungspartner davon ausgegangen waren, die Formulierung «unter Würdigung» bedeute, dass der Papst sich an die Vorschläge des Domkapitels beziehungsweise der Bischöfe zu halten habe, interpretierte Rom diesen Passus wesentlich weiter. Man verstand «würdigen» nicht selten im Sinne von «anschauen und verwerfen», was zuweilen dazu führte, dass ein Domkapitel keinen einzigen von den Namen, die es vorgeschlagen hatte, auf der endgültigen römischen Wahlliste wiederfand. Um es mit einer immer wieder kolportierten, aber polemischen Formulierung zu sagen: Das Domkapitel bekommt eine Dreierliste mit einem Chinesen, einem Afrikaner und dem Kandidaten, den der Papst will; aus dieser darf das Kapitel dann in freier und geheimer Wahl den Bischof wählen. Mit anderen Worten: Durch die Zusammenstellung der Liste kann Rom die Wahl so lenken, dass ihr Ergebnis vorher so gut wie feststeht. Es handelt sich damit im Grunde um eine Ernennung, die notdürftig durch kollegiale Verfahrensreste getarnt ist. Eine ähnliche Regelung wurde auch für das Erzbistum Salzburg gefunden; in den übrigen österreichischen Diözesen ernennt der Papst die Bischöfe frei.
Lediglich nach dem badischen Konkordat, das für die Diözesen Freiburg im Breisgau, Rottenburg-Stuttgart, Mainz und Dresden-Meißen gilt, muss der Papst mindestens einen Priester aus der betreffenden Diözese auf die Dreierliste setzen, sodass die Möglichkeit der Römischen Kurie, der Diözese einen Bischof von außen vorzusetzen, stark eingeschränkt ist. Mit schöner Regelmäßigkeit wurde dann auch bei den bisherigen Bischofswahlen der aus der Diözese stammende Priester gewählt.
In der Schweiz ist in Basel und Sankt Gallen sogar das freie Wahlrecht der Domkapitel erhalten geblieben, wie es im Wiener Konkordat von 1448 festgelegt worden war. Hier kommt Rom erst nach der Wahl durch das Kapitel ins Spiel. Die Domherren haben «das Recht, aus der Diözesangeistlichkeit den Bischof zu wählen», der danach vom Papst zu bestätigen ist.[5] Das Domkapitel der Diözese Chur wählt aus einem römischen Dreiervorschlag. In den übrigen Schweizer Diözesen Lausanne, Sitten und Lugano dagegen ernennt der Papst die Bischöfe frei.
Im aktuellen römischen Kirchenrecht wird der Anschein erweckt, als ob die freie päpstliche Ernennung der Bischöfe dem ius commune, dem allgemein verbindlichen althergebrachten Recht der katholischen Kirche, entspricht, während alle übrigen Formen der Besetzung der Bischofsstühle, insbesondere das Wahlrecht der Domkapitel, eine Ausnahme darstellen, die auf spezielle päpstliche Privilegien zurückgehen. Diese Position hat der Codex von 1917 noch deutlicher als der von 1983 formuliert, indem er die Wahl des Bischofs durch ein Kollegium ausdrücklich als «Konzession» Roms bezeichnete.[6]
Historisch gesehen ist diese Behauptung des kirchlichen Gesetzbuches jedoch nicht zu halten, denn noch 1893 war in einem strengkirchlichen Lehrbuch des Kirchenrechts zu lesen: «Im heutigen Rechte bildet die Besetzung der Bischofssitze durch Wahl des Kapitels die vom ius commune vorgeschriebene Form.»[7] Fünfundzwanzig Jahre vor dem Codex stand also der freien Ernennung der Bischöfe durch den Papst die Bischofswahl durch die Domkapitel als ius commune und damit als Regelfall in Recht und Praxis gegenüber. Erst während des zwanzigsten Jahrhunderts konnte Rom das päpstliche Ernennungsrecht weitgehend durchsetzen und den Anschein erwecken, alle anderen Modelle der...