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Kulturgeschichtliche Charakterköpfe

Vollständige Ausgabe

AutorWilhelm Heinrich Riehl
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl271 Seiten
ISBN9783849633905
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Nicht bloß für den Maler, auch für den Schriftsteller gibt es eine Kunst des Porträts. Sie wird von beiden freilich nicht in gleicher, sondern nur in annähernd verwandter Weise geübt. Der Schriftsteller kann eine Persönlichkeit in ihrer ganzen Entwickelungsgeschichte erzählend schildern, und so steigert sich das Porträt zuletzt zum Lebensbilde, zur Biographie. Der Porträtmaler malt keinen Lebenslauf; er vermag die Erscheinung nur in einem gegebenen Augenblicke festzuhalten. Ist er aber der rechte Künstler, dann wird sich in diesem Augenblicksbilde doch zugleich ein ganzes durcharbeitetes Leben des Dargestellten spiegeln. Dieser Band beinhaltet biographische Aufsätze zu Die Idylle eines Gymnasiums. Moriz von Schwind. Ein vormärzlicher Redakteur. Emilie Linder. Der moderne Benvenuto Cellini. Eine Rheinfahrt mit Viktor Scheffel. König Maximilian II. von Bayern. Eine Fußreise mit König Max. Ludwig Richter. Richard Wagner.

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Leseprobe

 


I.

 

Am Januar 1854 war ich von Augsburg nach München übergesiedelt, um im nächsten Semester meine Lehrthätigkeit an der Universität zu beginnen. Ich hatte alsbald meine Antrittsbesuche bei den neuen Kollegen gemacht und darunter selbstverständlich auch bei dem Senior der medizinischen Fakultät, dem Geheimrat von Ringseis, der mich sehr freundlich aufnahm und schon nach wenigen Tagen den Besuch erwiderte. Da er mich nicht zu Hause traf, hinterließ er eine Visitenkarte, auf welcher mit Bleistift unter seinem Namen geschrieben stand: »Ich bitte Herrn Kollegen Riehl auf übermorgen 1 Uhr zum Mittagessen bei Fräulein Linder, Karlsplatz 25, I.«

 

Die sofortige Einladung zeigte das liebenswürdigste Entgegenkommen, und ich säumte nicht, durch eine Karte meine Zusage zu melden.

 

Fräulein Linder, so dachte ich mir, wird eine feine Speisewirtschaft führen, wo man ein diner-à-part, bestellen und solchergestalt seine Freunde bequemer bewirten kann als im eigenen Hause. Hatte mich doch erst kurz vorher Ludwig Steub in ähnlicher Weise zu einem Frühschoppen bei Ott eingeladen. Daß ein Fräulein Inhaberin einer Restauration sei, schien mir nicht auffallend, da Witwen und Töchter verstorbener Gastwirte auch damals schon das Geschäft selbständig fortzuführen pflegten. Die Adresse war deutlich genug, und so erkundigte ich mich nicht weiter über das Lokal und ging am übernächsten Tage Punkt 1 Uhr zum Hause Karlsplatz 25. Ich arbeitete damals fleißig an meinem Buch über die »Familie«, welches gegen Weihnachten des Jahres erschien, und stand eben bei dem Kapitel: »Die Emancipation von den Frauen«, wo ich neben andrem von dem bedenklich wachsenden Einfluß der in Kunst und Litteratur mitredenden und mithandelnden Frauen sprach, einem Einfluß, welcher Geschmack und Mode und die Männer dazu immer weibischer zu machen drohe. Dagegen pries ich die echt weibliche Aufgabe des Waltens im Hause. Diese Gedanken begleiteten mich, als ich durch die Schützenstraße zum Karlsplatz, zum Restaurant von Fräulein Linder ging, und ich dachte, wenn dieses Fräulein nur die rechte Wirtin ist und gut zu kochen versteht, dann ist sie auf der rechten Spur des weiblichen Berufs, denn ein Wirtshaus ist auch ein Haus.

 

Ich stieg die Treppe hinauf zum ersten Stock und fragte eine Dienerin, die auf dem Flur stand, ob Herr von Ringseis schon hier sei? Sie bejahte es und führte mich in eine Art Vorzimmer, wo ich den würdigen Alten fand, den heißblütigen Kämpen für seinen Glauben, der ihm zum Wissen, und für sein Wissen, welches ihm zum Glauben ward, jugendfrisch mit grauen Haaren, umgeben von fünf andern Herren. Es war der Philosoph und Philolog Ernst von Lasaulx, ein Mann von Welt und Wissen und eigensten Ideen, der den vergrabenen Hausschatz der alten byzantinischen Kaiser in Konstantinopel wieder auffinden zu können glaubte, – der Maler Schlotthauer, welcher neben Kirchenbildern orthopädische Apparate für verkrüppelte Kinder verfertigte und sich außerdem mit einem großen Plane zur Korrektur der Isar trug, – der Maler Heinrich Heß, der dagegen nur Maler war und streng bei seiner dem Hohen und Heiligen gewidmeten Palette blieb, – der wunderliche Bildhauer Konrad Eberhard, halb Künstler halb Handwerker nach alter Art, mit Leib und Seele nur im Mittelalter lebend, – und der Badearzt von Kreuth, Dr. Stephan, der seine ärztliche Kunst früher in Rio de Janeiro geübt hatte, um sie jetzt in der Waldeinsamkeit des bayerischen Hochgebirgs zu beschließen. Gewiß eine originelle und anziehende Gesellschaft, wie man sie in dieser Art damals nur in München finden konnte.

 

Nachdem wir uns gegenseitig begrüßt hatten, erschien eine ältere Dame von sehr unscheinbarem Aeußeren, ganz grau gekleidet und keineswegs nach der neuesten Mode, mit einem weißen Häubchen auf dem Kopfe. Ringseis stellte mich ihr als unserer trefflichen Wirtin flüchtig vor; die andern begrüßten sie wie eine alte Bekannte. Das war also Fräulein Linder.

 

Ich wechselte nur ein paar nichtige Worte mit ihr – vom Wetter, welches sich sehr vordringlich bemerkbar machte – denn der Regen wurde von einem Sturmwind in dicken Tropfen wider die Scheiben gepeitscht –, um ein kaum begonnenes, doch schon sehr fesselndes Gespräch mit Lasaulx fortzusetzen.

 

Lasaulx wußte einen in der Unterhaltung sofort zu packen wie wenige, und so bemerkte ich nur oberflächlich, als wir durch zwei oder drei Zimmer zu dem kleinen Speisesaal gingen, daß diese Zimmer doch kaum wie in einem Wirtshause eingerichtet waren. Nur fielen mir im Vorbeistreifen zahlreiche gute Oelgemälde auf, welche die Wände schmückten, und eine männliche Porträtbüste aus weißem Marmor, die mit einem Trauerflor bedeckt war.

 

Wir setzten uns um einen runden Tisch, und ich nahm mit Vergnügen wahr, daß die Wirtin gleichfalls bei uns sich niederließ. Hier herrscht doch noch, so dachte ich, die gute, alte, patriarchalische Sitte, die ich zwar mehr aus Walter Scotts Romanen als aus der Wirklichkeit kannte, daß der Gastwirt die Gäste ehrt und ihnen zugleich die Bürgschaft eines guten und gesunden Mahles gibt, indem er sich an die Spitze seiner Tafel setzt und mitißt. Und wenn der Wirt eine Wirtin war, so dünkte mir die Sitte noch viel schöner. Ich machte mir im Geist eine Notiz darüber für mein Buch von der Familie.

 

Ringseis ordnete unsre Plätze; die andern Herren schienen auch von ihm geladen zu sein. Zu beiden Seiten unsrer Wirtin saßen die beiden Maler; ich erhielt den Stuhl zwischen meinen beiden neuen Kollegen Ringseis und Lasaulx am entgegengesetzten Ende, und der Bildhauer und der Doktor verbanden rechts und links die zwei Gruppen der Maler und Professoren.

 

Ich fand mich bald im lebhaftesten Gespräch mit meinen Nachbarn. Dies hinderte mich jedoch nicht, zwischendurch unsre Wirtin von fernher zu beobachten. Sie aß kaum mit, sie schien die Speisen nur hie und da zu versuchen; sie mischte sich nicht in die allgemeine Unterhaltung, sondern wechselte nur ab und zu leise Worte mit den beiden Herren zu ihrer Seite; dagegen war ihr Auge überall, sie beobachtete, ob uns nichts abgehe, und gab der aufwartenden Dienerin ihre Winke; sie vergaß sich selbst über ihren Gästen, sie war die aufmerksame Wirtin, wie sie sein soll. Und so ging denn auch die Bedienung wie am Schnürchen. Die Küche war ausgesucht, aber nicht überladen, die Weine vortrefflich; nur schien die gute Küche der Wirtin selbst am wenigsten anzuschlagen; denn ihre Züge waren bleich, fast etwas leidend.

 

Ich notierte mir im stillen zu dem Kapitel von den erweiterten Frauenberufen, daß der feinste Gastwirt eigentlich eine feine Gastwirtin sei.

 

Nachdem wir solchergestalt gut gegessen und getrunken und uns höchst anregend unterhalten hatten, plauderten wir noch eine Weile im Vorzimmer. Ich bedankte mich bei Ringseis, sagte Fräulein Linder, daß man sehr gut bei ihr esse und fast noch besser trinke – und empfahl mich.

 

II.

 

Nach einigen Tagen besuchte ich Professor Dollmann, den Kriminalisten, der mir mit freundlichem Rate über die Einrichtung meiner Kollegien zur Hand ging. Er suchte mir die zweckmäßigsten Stunden aus; ich folgte seinem Rat und lese heute noch zu denselben Stunden. Friede seiner Asche! Im Fortgehen, zwischen Thür und Angel, sprach ich unter anderm noch von den interessanten Bekanntschaften, welche ich in jüngster Zeit in München gemacht hatte und erwähnte dabei auch der Künstler Heß und Schlotthauer, mit welchen ich im »Restaurant Linder« zusammengetroffen sei.

 

»Im Restaurant Linder?« fragte Dollmann. »Dieses Lokal ist mir ganz unbekannt.«

 

»Es liegt am Karlsplatz, Nummer 25,« entgegnete ich. »Man speist dort ausgezeichnet, namentlich sind die diners-à-part zu rühmen; Ringseis hatte mich dorthin zu einem solchen eingeladen.«

 

»Ringseis?« fragte Dollmann verwundert, und zugleich schien ihm ein Licht aufzugehen und er rief lachend: »also waren Sie bei Fräulein Emilie Linder zu Gast? Ringseis macht dort so zu sagen den Hofmarschall. Allein wie kommen Sie nur dazu, das Haus dieser Dame ein Restaurant zu nennen?«

 

»Und was wäre es denn sonst?« entgegnete ich erschrocken. »Wer ist denn Fräulein Linder?«

 

»Fräulein Emilie Linder ist eine ebenso hochgebildete und kunstsinnige als reiche Schweizerin, eine Millionärin, nicht minder ausgezeichnet durch ihr edles, schlichtes, frommes Wesen und ihre großartige Wohlthätigkeit wie durch ihr ideales künstlerisches Streben. Sie sieht ihre alten Freunde an bestimmten Tagen zu Tische bei sich, wo dann Ringseis die Honneurs macht, und sie hat es gern, wenn er gelegentlich auch jüngere Freunde und fremde Künstler und Gelehrte mitbringt.«

 

Jetzt begann es mir wie Schuppen von den Augen zu fallen.

 

...
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